Rezension (4/5*) zu Die Wasserfälle von Slunj: Roman von Heimito von Doderer

otegami

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17. Dezember 2021
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Wien um 1900

Rastoke im gebirgigen Mittelteil von Mittelkroatien mit seinen gut erhaltenen Mühlen und den malerischen kleinen Wasserfällen (‚von Slunj‘) war eines der Ziele der Hochzeitsreise des englischen Hochzeitspaars Robert und Harriet Clayton. (Aber auch für das tragische Ende bildet dieses landschaftlich reizvolle Eck den Handlungsort.) Bei ihrer Rückkehr nach ‚Brindley Hall im südwestlichen England erfahren sie, dass Vater Clayton inzwischen in Wien ein Werk für landwirtschaftliche Maschinen errichten lässt.

Und so kann der Leser nicht nur die Geschichte der Familie Clayton über 3 Generationen verfolgen, sondern auch die des Maschinen-Werks ‚Clayton und Powers‘. Nebenbei erfahren wir auch vom beruflichen Aufstieg von Josef Chwostik: von seiner Stellung in der Devotionalien-Erzeugung (+ seiner beengten und seltsamen Wohnverhältnissen) zum Kanzlei-Chef. Auch von einer Gruppe Gymnasiasten, dem Metternich-Club, und von Mann und Frau, denen es nicht gelingt, ‚einen wirklichen Kontakt zu bekommen‘ lesen wir.
‚Es kommt halt immer was vor‘ hat einmal ein Wiener Beisl-Kellner in Ottakring es so schön zusammengefasst.

Dieses Buch gewährt uns einen Einblick in die ‚dritte Gesellschaftsschicht‘ – das Unternehmertum – des Wiens um 1900 mit Droschken, mit Dienstmädchen und allem, was dazugehört. Überrascht hat mich, dass zu der damaligen Zeit im Hotel ‚Britannia‘ schon geduscht werden konnte (S 343), schwappte doch die Erfindung der Dusche erst 1879 von den französischen Gefängnissen in den deutschsprachigen Raum des damaligen Europas.

Begeistert hat mich der Aufbau der Geschichte: Wie bei einer filigranen Klöppel-Handarbeit wurden manche Fäden (Personen) dazwischen unbeachtet gelassen, später wieder aufgenommen und ich staunte immer wieder über die faszinierenden Zusammenhänge! Viele Ausdrücke waren für mich ungewohnt, da nicht mehr gebräuchlich, und ich musste auch durch die Länge der Sätze höllisch aufpassen, dass ich nichts überlas. Zum Schnelllesen ist dieses Buch völlig ungeeignet!

Was mich jedoch sehr abstieß und zusehends nervte: die überhebliche, abwertende Art, mit der der Autor manche Personen beschrieb: ‚das Knollengewächs‘, ‚die alte Runzel‘, ‚das Dickerchen‘ mit ‚seinem fetten Lachen‘ usw. (die Wirkung wurde auch nicht durch x Wiederholungen besser)! Das schmälerte meinen Genuss erheblich, so dass ich in meiner Bewertung nicht über 3,5 Sterne hinauskomme, aufgerundet auf 4!



 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe das Buch letztes Jahr gelesen und mich sehr geärgert, wie Doderer über die beiden "professionellen Damen" schrieb - ich weiß nicht mehr, wie er selbst sie bezeichnet hat, aber ich meine jedenfalls die beiden Frauen, die später zu diesem Bauern nach Ungarn gezogen sind.

Vor den "Wasserfällen" hatte ich "Die Strudlhofstiege" gelesen und "Ein Mord, den jeder begeht" und kann mich nicht erinnern, dass Doderer in einem dieser Bücher derart über sein Personal herzog wie hier.

Vieles an dem Buch ist herrlichstes Lesevergnügen, aber mit dem Sprachgebrauch muss man sich wohl abfinden - vielleicht sind wir in diesen Dingen auch heute empfindlicher als die Leserschaft, für die Doderer damals schrieb.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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vielleicht sind wir in diesen Dingen auch heute empfindlicher als die Leserschaft, für die Doderer damals schrieb.
Auf alle Fälle! Ich habe ja gerade Zweigs Ungeduld des Herzens gelesen. Es ist erschreckend, wie abfällig über die gehbehinderte Protagonistin gesprochen wird! "Krüppel" ist noch eine nettere Bezeichnung. Kein Wunder, dass sie deprimiert ist, weil sie nicht am Leben teilhaben kann und als unappetitlich empfunden wird.
Es wundert mich, dass das Buch heute noch empfohlen wird. Obwohl es sonst natürlich sprachlich wirklich grandios ist.
 

otegami

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Ich habe das Buch letztes Jahr gelesen und mich sehr geärgert, wie Doderer über die beiden "professionellen Damen" schrieb - ich weiß nicht mehr, wie er selbst sie bezeichnet hat, aber ich meine jedenfalls die beiden Frauen, die später zu diesem Bauern nach Ungarn gezogen sind.

...........

Vieles an dem Buch ist herrlichstes Lesevergnügen, aber mit dem Sprachgebrauch muss man sich wohl abfinden - vielleicht sind wir in diesen Dingen auch heute empfindlicher als die Leserschaft, für die Doderer damals schrieb.
'Finy' und 'Feverl' *gg*! Ich gebe zu: ich fand die zwei sympathisch! Sie taten keiner Fliege was zuleide, waren umgänglich................. Herz, was willst Du mehr!
Doderer wird ja als der österreichischte Autor bezeichnet. Vielleicht, weil er mit seiner Sprache den Nerv der Österreicher traf? (*Hüstel* wenn ich dran denke, w a s mir Tochter erzählte, was ihre Nachbarn so alles losließen. Ich höre sie noch: "Du, die sind hochintelligent, arbeiten als Lehrer usw......... aber ihre derbe Ausdrucksweise....... uffffff!"
 

Die Häsin

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'Finy' und 'Feverl' *gg*! Ich gebe zu: ich fand die zwei sympathisch! Sie taten keiner Fliege was zuleide, waren umgänglich................. Herz, was willst Du mehr!
Ja genau, zwei nette Frauen, die schwimmen gingen und ein Kind retteten. Und dann hatten sie "dumme Nasen" und "quakten" morgens beim Aufstehen ....
Doderer halt.
Ein Wiener Raunzer ...
 
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otegami

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Ich habe das Buch letztes Jahr gelesen und mich sehr geärgert, wie Doderer über die beiden "professionellen Damen" schrieb .................
Was mich auch total erstaunte: das 'Geäff', das um das Brandmal von Margot gemacht wurde. (Hat Dich das auch so gestört?) Offensichtlich war es ein roter großer Fleck in der Leibesmitte, aber es hinderte sie ja nicht, gar nichts, es sah halt wahrscheinlich ungewohnt aus.
Aaaaber die Reaktionen drauf, uffffff: ihr Mann sieht das als Mangel, auf Grund dessen er die Scheidung verlangen könne, er habe ja die 'Katze im Sack gekauft'. Donald 'sank ermattet und um Stütze suchend an den Türpfosten bei diesem Anblick'.
Und das in einer Zeit, in der wahrscheinlich die wenigsten ihren Ehepartner völlig nackt gesehen haben! Aber Frau musste ja sehr gut aussehen, makellos sein - die Frau präsentierte die Trophäe eines Mannes, der es geschafft hatte, sie zu erringen! *Würg*
 

Die Häsin

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Ja, stimmt. Das hat mich damals auch gewundert. Wie empfindlich die Herren doch sind - gab es nicht eine Szene, in der ein an sich williger Mann beim Anblick des Mals nicht mehr konnte ...? Ich kann mich nur schwach erinnern.
 
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Ja, stimmt. Das hat mich damals auch gewundert. Wie empfindlich die Herren doch sind - gab es nicht eine Szene, in der ein an sich williger Mann beim Anblick des Mals nicht mehr konnte ...? Ich kann mich nur schwach erinnern.
Ich denke, das war Donald, der da 'um Stütze suchend...........'
Gefreut habe ich mich für Margot, dass der Aufseher des Museums ('ein stattlicher Mann und ehemaliger Honved-Feldwebel') offensichtlich 'konnte' *fg*. Und das wird ihr nach all den 'Mimosen' gut getan haben!
 
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