2. Leseabschnitt: Seite 74 bis Seite 140

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
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Taucht der Prinz von Conti nicht auch in
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Mann im roten Rock von Julian Barnes
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Bartie

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12. Juni 2021
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Ganz so egal ist es ja nicht, Männer und Frauen hatten schon ihre eigenen "Einflussgebiete" und unser Chevalier will auf "beiden Seiten" mitreden.
Ich denke, dass in unserer Zeit würde sich niemand so wie er verhalten können. Denn wir sind von Geburt an registriert, "katalogisiert". Wie kann man heutzutage sein Geschlecht verheimlichen? Vielleicht nur unsere Vorlieben, Neigungen. Aber sogar das wurde fürher oder später publik gemacht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Aber er lernt Pierre kennen und verliebt sich in ihn. Er lässt sich auf ein Pas de deux ein, das sich zum Schluss aber im wahrsten Sinne des Wortes als ein Pas de Dieux (was für ein herrliches Wortspiel) entpuppt.

Je mehr ich lese, umso begeisteter bin ich.
Ja, dieses irgendwie leidige Thema!

Aber wunderbar umgesetzt! Der berechnende und agierende Chevalier wird durch seine Reaktion auf Pierre angreifbar und emotionaler, weicher und zerstörbar. Einerseits fliegt er. Und andererseits kommt auch die andere Seite. Die Landung. Und dennoch. Ob der Chevalier sein Fliegen bereut hat?

Und ja, mich begeistert dieses Buch ebenso!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
In die Waffengeschäfte. Waffenhandel Es ist hochmodern, sag ich ja! Ich bin ja irgendwie sprachlos. Es war nie besser und wird immer schlechter. Kriegsgewinnler überall. Die Teuerung des Holzes/Heizöl/Gas: die Kleinen leiden, die Besitzenden gewinnen. Is so. Immer. Überall. So eine kleine Revolution alle 200 Jahre ist nit verkehrt.

Mit 40 ist man uralt. Und sieht jedes weitere Jahr als Geschenk.

Schöne Sätze: "Miteinander zu lachen ist eine Umarmung".
"Romantische Liebe ist das Lieblingsspielzeug des Teufels." Aber echt. Jedes Mal wenn ich die Klatschspalten lese ... sehe ich, dass die oberen zehntausend fest in seinen Griffen sind. Kindeswohl - nebbich. Bäumchenwechseldich ist angesagt.

Ich kann Anjuta schon verstehen. Wenn man halt was über Geschlechterrollen lesen wollte ... dann kann man sich nicht amüsieren, denn diese Wechsel sind hier nur ein Nebenthema. Es geht um ein Lebensbild. Ein recht ungewöhnliches. Gleichzeitig haben wir einen Schelmenroman. Und dann mischt auch noch Irene mit.

Die Briefkastenfirmen gab es schon, sie hießen aber sicher anders.

Erste Ansätze zum Denken einer klassenlosen Gesellschaft sind auch sichtbar. Werden aber von niemandem ernst genommen.

Zurück nach Frankreich garantiert (wahrscheinlich) finanzielle Unabhängigkeit, aber persönliche Unfreiheit.

Und was das Sichverschießen angeht ... d'Eon ist sicherlich einsam. Gewisse Grenzen überschreitet er nicht, oder sie, aber wie sehr sehnt sich dieser Geist nach Gleichgesinnten. Man darf nicht vergessen, wie intelligent der Chevalier ist, Jurist, Finanzexperte, Feingeist, Sommelier. Mei. Und immer total unverstanden.

Ein historisches Buch mit vielen Beziehungen ins Jetzt. Geschichte wiederholt sich. Absolut interessant.

Und wirklich interessantes Personal!

Obwohl die Geschlechterrollen vielleicht auch manchmal überschätzt werden. Der Chevalier ist Mann oder Frau. Ja. Und? Er/Sie liebt. Er/sie lebt. Er/sie denkt. Irgendwie scheint mir er macht sich über die Deutungsversuche der Umgebung zu seiner Person lustig. Und damit wohl auch eine Frau Dische. Und setzen damit dieses Thema auch in den Hintergrund. Denn seine Person, sein Agieren, sein Denken sind wichtig. Seine Sexualität, seine Empfindung seines Ichs sind nur ein Teil seiner Person. Und ist dies dem Chevalier wichtig, also wichtiger als alles Andere? Ich dachte nicht. Ihm ist eher das Spiel wichtig. Der Tanz hin und her. Und damit die Freiheit. Seine Wahl.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Den Satz "Miteinander zu lachen ist eine Umarmung“ habe ich auch notiert. Ich finde ihn sehr schön, und diese Bemerkung von d`Eon bedeutet, dass er nicht nur Soldat, Diplomat und Finanzberater war. Er konnte auch wahrhaftig lieben und das beweist er in seiner Beziehung mit Pierre Caron.

Aber was war das eigentlich für eine Beziehung? D`Eon spricht über seine Gefühle für Pierre und über das Händchenhalten, unschuldigen Berührungen. Beide waren ca. 40 Jahre alt. D`Eon erzählt: „ich ließ ihn nie in die Nähe meines Schlafzimmers.“ Kein Wunder also, dass Pierre ihm untreu wurde ;) Das Ganze lässt weitere Spekulationen zu, wer d`Eon wirklich war.
Der Chevalier war ein agierender Mensch. Ein Mensch der Liebe und der Gefühle? Das klingt mir nicht danach. Eher ein verschlossener Mensch. Ein Mensch, der sich schützt. Vor der Liebe, vor den Gefühlen. Der aber natürlich dennoch fliegen kann. Die Frage ist, warum er sich schützt? Was gibt es zu verstecken?
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Natürlich setzt uns das Buch den Floh ins Ohr, wissen zu wollen, Mann oder Frau. Aber letztlich muss es uns eigentlich egal sein ob der oder die Cheavlier und wir sollten einfach einen Menschen sehen. Sier spielt mit den Identitäten, schlüpft ein mal in diese, dann wieder in die andere Rolle.
Das ist wohl der wesentlichste Unterschied zu den ganz "normalen" Menschen, ganz egal, wann diese leben oder gelebt haben, die sich ihrer Geschlechtsidentiät nicht im Klaren sind, oder den falschen Körper zu ihrer eigenen Wahrnehmung haben. Ich glaube den wenigsten transgender Personen gelingt es mit dieser Leichtigkeit zu leben, wie es D'Eon macht. Es dauert bis sie sich selbst anerkennen, von der gesellschaftlichen Anerkennung, und die beginnt schon in der eigenen Familie, gar nicht zu reden.

Ich glaube, dass diese Exaltiertheit und das recht große Selbstbewusstsein, das D'Eon an den Tag legt, auch dem gesellschaftlichen Rang geschuldet ist.

"Ich war nie auch nur auf de Idee gekommen, das eine Geschlecht zugunsten des anderen aufgeben zu müssen." (S. 123)

Nachdem sich D'Eon nicht entscheiden möchte, ist sier schlicht beides. Nonbinary, würde man heut wahrscheinlich sagen.
Ähnliche Gedanken hatte ich auch. Ob er sich nonbinär empfindet, denke ich nicht. Er spielt eher mit seiner Umgebung. Und dies gefällt ihm.

Klar hat der gesellschaftliche Rang eine Bedeutung. Er sichert seinen Stand, seine Möglichkeiten und schützt ihn auch. Ich glaube nicht, dass dieses (sein) Leben so vielen anderen möglich war. Aber dies ist nur eine Vermutung!
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe mir Bilder bei Wiki angeschaut und kann diese Beaumont-Faszination nicht wirklich nachvollziehen, aber Frau Dische hat ein wunderbares Talent, mir eine ganz eigene Bildershow im Kopf einzupflanzen. Die Wetten der Engländer spiegeln nur die Sensationssucht wieder und versteckt das eigentliche, politische Spiel dahinter. Sobald das aufflog, waren sie ja auch entsprechend empört.
Ein Nachtrag (bin aus Frankreich zurück und wieder voll da) zu diesem Punkt. Die Bilder werden der dargestellten Person vielleicht nicht ganz gerecht. Wie der Erzähler selbst auf S.122 bemerkt, zählt das Äußere in seiner Zeit nicht so viel, weil die Menschen wesentlich früher und häufiger ihre äußere Makellosigkeit einbüßen. Aber wir wissen ja alle, wie Charme und Esprit auch eine an sich unscheinbare, evtl. sogar hässliche Person verschönern können. Ein guter Maler kann solche Eigenschaften in einem Porträt deutlich machen; Goya zum Beispiel war Meister darin. Aber vielleicht hatte d'Eon keinen so guten Maler an der Hand ...
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Für mich bleibt die Behandlung des Themas Man oder Frau hier leider sehr vordergründig. es scheint rein eine Frage der Kleidung, der Verkleidung zu sein und keine tiefere Bedeutung und keinen tieferen Veränderungsprozess zu haben.
Nicht nur dieses Thema. Auch zur Beziehung zu Morande hätte ich gerne etwas mehr erfahren - was fasziniert ihn so an diesem Widerling? Leider kommt da aber so gut wie nichts.
Die Wetten der Engländer spiegeln nur die Sensationssucht wieder und versteckt das eigentliche, politische Spiel dahinter.
Was meinst Du damit? Bei Wetten, ob die Katze überfahren wird oder ähnlichem kann ich nur wenig Politik erkennen ;)
Weiter führe ich das jetzt hier nicht aus ha ha ha.
Ach menno, ausgerechnet die interessantesten Dinge ... ;)
...und ich dachte immer, Briefkastenfirmen seien eine neumodische Erfindung - jetzt lese ich, dass es die schon viel früher gab (S. 113) *g*
Ich habe mal wieder ein bisschen nachgelesen und eigentlich gab es die damals tatsächlich nicht. Alles was ich dazu gefunden habe, ist Mitte diesen Jahrhunderts oder eine Ausnahme in die USA, 19. Jahrhundert. Vermutlich liegt es daran, dass hier die Begrifflichkeit nicht so ganz stimmt. Briefkastenfirmen dienen dazu, Finanzströme zu verschleiern, um Steuern zu sparen. Darum ging es den drei Herren aber nicht, denn sie wollten ihre Identitäten verstecken. Treffender wäre daher wohl schlicht Tarnfirma.
Wie hoch war zu dieser Zeit die durchschnittliche Lebenserwartung? Sicher geringer als heute
Wie D'Eon bereist andeutete: 40 Jahre.
Aber letztlich muss es uns eigentlich egal sein ob der oder die Cheavlier und wir sollten einfach einen Menschen sehen.
Wie wahr! Aber offenkundig ist das über Jahrhunderte ein Problem, das nicht so einfach zu lösen ist.
Ganz so egal ist es ja nicht, Männer und Frauen hatten schon ihre eigenen "Einflussgebiete" und unser Chevalier will auf "beiden Seiten" mitreden.
:D Heute ist es ja nicht so viel anders, auch wenn sich Manches schon zum Besseren gewendet hat. Letzten Endes ist D'Eons Leben eine Art Vorläufer der Emanzipation, Transgender hin oder her. Frauen, die etwas machen wollten, was nur Männern offenstand, hatten keine andere Möglichkeiten, als sich als Männer zu verkleiden, wie beispielsweise James Miranda Stuart Barry, Eleonore Prochaska und Isabelle Eberhardt.

Die Geschichte nimmt nun etwas Formen an, sodass ich doch mit etwas mehr Begeisterung weiterlese ;) Aber so richtig grandios finde ich das Buch noch immer nicht, obwohl ich nicht erwartet hatte, hier eine tiefgehende Transgender-Geschichte zu lesen. Doch etwas mehr Tiefgang wäre schon schön gewesen, denn so bleiben die Figuren als Charakter ziemlich blass, sind eher Staffage für ihre mehr oder weniger dekadente Umwelt, die ziemlich bunt geschildert wird. Das Problem ist nur: Die interessiert mich nicht so sehr ;)
Aber ich habe mal wieder ein neues Wort entdeckt, das mich begeistert: Pogonotomiker. Was es nicht alles gibt :D
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Was meinst Du damit? Bei Wetten, ob die Katze überfahren wird oder ähnlichem kann ich nur wenig Politik erkennen

Nun, wenn sich heraustellen sollte, dass Beaumont eine Frau ist, hätte sie sich in viele "Männerangelegenheiten" eingemischt (z.Bsp. Fachbücher geschrieben) und das wäre gesellschaftspolitisch hoch brisant.
 

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
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Nun, wenn sich heraustellen sollte, dass Beaumont eine Frau ist, hätte sie sich in viele "Männerangelegenheiten" eingemischt (z.Bsp. Fachbücher geschrieben) und das wäre gesellschaftspolitisch hoch brisant.
Ja, da hast Du sicherlich recht. Aber ich glaube, der Großteil der Wetten ist eher unpolitischer Natur und spiegelt lediglich die Spielsucht der Engländer wider ;)
 

Renie

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renies-lesetagebuch.blogspot.de
denn diese Wechsel sind hier nur ein Nebenthema. Es geht um ein Lebensbild. Ein recht ungewöhnliches. Gleichzeitig haben wir einen Schelmenroman. Und dann mischt auch noch Irene mit.
Diesen Eindruck habe ich mittlerweile auch. Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass bei einem Protagonisten wie D'Eon das Thema "Geschlechter-Dings" bei diesem Buch im Vordergrund steht. Mit dieser Erwartung bin ich auch an das Buch herangegangen. Doch ich habe gerade Spaß daran, mich eines Besseren belehren zu lassen. Es gibt erstaunlich viele Parallelen zu unserer heutigen Zeit. Mich fixt beispielsweise das Thema "Presse/öffentliche Meinung" an.
Und tatsächlich habe ich auch nicht den Eindruck, dass D'Eon sich in der Pflicht sieht, sich für eine Geschlechterrolle entscheiden zu müssen. Er kann beides sein, und es gibt keinen Grund, sich dafür rechtfertigen zu müssen.
 

Renie

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Aber selbst ihm/ihr wird es durch die Umwelt nicht leichgemacht.
Nö, aber er hat die schlafenden Hunde schließlich selbst geweckt, als er während des Prozesses gegen Zipfelhirn das Gerücht gestreut hat, dass er eine Frau ist. Zu diesem Zeitpunkt dachte er noch, dass er die Presse und Öffentlichkeit zu seinem Vorteil nutzen kann. Doch hatte er keine Vorstellung davon, welche Lawine er damit losgetreten hat.
 

Renie

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