Rezension (5/5*) zu Wie viel von diesen Hügeln ist Gold: Roman von C Pam Zhang

Literaturhexle

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2. April 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Wie viel von diesen Hügeln ist Gold von C Pam Zhang
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Großartige Familiengeschichte im Goldgräbermilieu mit aktuellen Bezügen

Hätte dieser Roman nicht auf der Longlist für den renommierten Bookerpreis gestanden, hätte ich ihn wohl nie gelesen. Was wäre mir da entgangen?! Wir Vielleser sind doch immer auf der Suche nach dem besonderen Buch, nach der Perle, die aus dem Gewöhnlichen heraussticht. C. Pam Zhangs Debüt ist zweifellos ein solches Buch. Geschildert wird das harte Leben einer „unerwünschten“ chinesischen Einwandererfamilie in den USA zu einer Zeit, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Glückssucher in den amerikanischen Westen kamen.

Die Autorin erzählt ihre Geschichte, der gewiss auch autobiografische Erfahrungen zu Grunde liegen, in vier Teilen überwiegend aus Lucys Perspektive. Im ersten Teil stellt sie uns die Geschwister Lucy (12) und Sam (11) vor, deren Vater Ba vor Kurzem gestorben ist. Ba war als Goldgräber in diese Hügel gekommen. Wie es scheint erfolglos, denn in letzter Zeit hat er sich im Kohleabbau verdingt, um das Lebensnotwendige für seine Familie zu verdienen. Die Mutter scheint bei einer schweren dritten Geburt ums Leben gekommen zu sein. Sehr berührend werden die Erinnerungen an diese ausgleichende, liebevolle und lebenspraktische Frau geschildert. Nun sind Lucy und Sam allein und suchen, wie es die Familientradition vorschreibt, nach dem geeigneten Platz, um Bas sterbliche Überreste zu begraben und ihm damit ein neues Zuhause zu geben.

„Was bedeutet Zuhause, wo doch Ba mit ihnen ein so rastloses Leben gelebt hat? Er wollte im Handumdrehen sein Glück machen und trieb die Familie unermüdlich weiter wie ein Sturmwind im Rücken. Auf zu Neuem. Etwas Wildem. Dem Versprechen von großem Reichtum und großem Glanz.“ (S. 40)

Die Geschwister sind sehr verschieden. Sam bemüht sich stets, der ersehnte Sohn des Vaters zu sein, eifert ihm nach, war dessen Liebling. Lucy sehnt sich nach einem anderen Leben, will lernen und sesshaft werden. Sam ist impulsiv, Lucy eher angepasst. Die Autorin gibt uns Rückblicke ins Familienleben, während die beiden Kinder durch die trockene Wildnis streifen. Der Vater hat sich nach dem Tod der Mutter sehr verändert, er trinkt viel und wird leicht aggressiv: „An Zahltagen brachte er seinen Lohn nach Hause, und dann flogen die Fäuste im rumpelnden Rhythmus. Lucy lernte, sich im Takt zu bewegen: Schritt und Drehung, wendig und still. Wenn sie schnell genug war, erwischten Bas Fäuste sie kaum. Sam lernte, zwischen Ba und Lucy zu treten, wenn der Tanz zu gewaltsam wurde.“ (S. 49)

Im zweiten Teil des Buches wird die Uhr um drei Jahre zurückgedreht. Die Familie hat es schwer, von den überwiegend weißen Einwanderern akzeptiert zu werden. Sie bekommen eine menschenunwürdige Herberge, verdienen geringeren Lohn, werden gemobbt und stehen auch sonst am Rande der Gesellschaft. Während Ba sich aufs Träumen versteht, die Realität teilweise ausblendet und vom Gold erzählt, wird die Mutter zunehmend desillusionierter, flüchtet sich in chinesische Mythen und wünscht sich eine baldige Rückkehr in die Heimat. Es ist absolut faszinierend, dieser Geschichte zu folgen. Man kann die verschiedenen Stimmungen, die Charaktere, die Handlung wunderbar abgreifen. Jede Figur hat eine Vergangenheit, hat Hoffnungen und Wünsche. Es wird der Familie nicht nur von außen schwer gemacht, auch innerhalb gehen die Meinungen auseinander, gibt es Konflikte, die eben auch Auswirkungen auf die Geschwister und ihre Entwicklung haben.

Im dritten Teil wird der Leser durch eine neue Perspektive völlig überrascht, die die bisherigen Erkenntnisse in einem absolut neuen, veränderten Licht erscheinen lässt. Im vierten Teil kehrt man schließlich zu den beiden Waisen zurück.

Der Roman liest sich von Beginn an sehr spannend und besticht durch seine sprachliche Raffinesse, die man schon Kunst nennen darf. An dieser Stelle sei die Übersetzungsleistung von Eva Regul ausdrücklich gelobt, der es gelungen ist, die Wärme und Poesie, den Facettenreichtum und die Stimmungen wunderbar ins Deutsche zu übertragen. C. Pam Zhang erspart uns nichts von der trostlosen, gewaltumwölkten Kindheit der beiden Protagonistinnen, versteht es aber literarisch, ihr etwas den Schrecken zu nehmen. Es gibt unglaublich viele schöne Sätze, feine Sprachbilder und Metaphern, die man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte. Die Liebe zur Natur ist stets spürbar, die entsprechenden Beschreibungen sind eine Wonne. Mit den Augen Lucys sieht man das Schöne in all der Öde.

Die Autorin bedient in diesem historischen Roman eine große Bandbreite an höchst aktuellen Spannungsfeldern: Es geht um den Raubbau an der Natur, auch heute noch werden Bodenschätze, Wälder, Tiere und Meere rücksichtslos ausgebeutet, ohne die Lebensgrundlage künftiger Generationen zu berücksichtigen. Es zählt nur das schnelle Geld.

„Denn dieses Land, in dem sie leben, ist ein Land der verschwundenen Dinge. Ein Land, dem man sein Gold genommen hat, seine Flüsse, seine Bisons, seine Indianer, seine Tiger, seine Schakale, seine Vögel, sein Grün, seine Lebenskraft.“ (S. 160)

Gleichfalls sind Rassismus, Ausgrenzung bestimmter Volksgruppen oder Migranten, die Bedeutung von Herkunft und Heimat omnipräsente Themen auf der ganzen Welt. Sehr sensibel greift die Autorin auch die Genderdiskussion mit ihrer Figur des androgynen Sam auf. Daran schließt sich das Hinterfragen tradierter, überkommener Rollenklischees an.

Der Roman befriedigt literarische Ansprüche. Beim aufmerksamen Lesen findet man wiederkehrende Symbole und Motive, aus denen sich auch die attraktive Covergestaltung ergibt. Es wundert mich in diesem Fall nicht, dass „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ein Lieblingsbuch Barrack Obamas ist. Mit Sicherheit wird es auch eines meiner Lieblinge dieses Jahres werden. Es sticht aus der Fülle der Neuerscheinungen wohltuend heraus. Ich wünsche diesem Roman ganz viele Leser und bewerte ihn inhaltlich und sprachlich mit Bestnoten.

 
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Literaturhexle

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Jetzt hatte ich dieses Buch gerade von der Leseliste gestrichen ... wohl zu vorschnell. Muss ein tolles Leseerlebnis gewesen sein. Well done.
Mir hat es sehr gut gefallen. Das lag besonders an der poetischen Sprache. Da bin ich nicht ganz sicher, ob sie deinen Geschmack trifft. Am besten die Leseprobe ziehen. Mich hatte bereits deren erste Seite verführt;)
Tolle Rezension, die einem Lust macht, in die nächste Buchhandlung zu gehen und sofort das Buch zu kaufen.
Tu es! Das ist ein Buch für dich!
 
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