1. Leseabschnitt: 1871 - Kapitel 1 bis 6 (Beginn bis S. 91)

Barbara62

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Wir sind im Jahr 1871 in Endingen bei Zürich, "wo die Wellen der Weltgeschichte nur müde ans Ufer schlugen". Dort lebt die jüdische Familie Meijer, Vater Salomon, ein rechtschaffener Viehhändler, der viel Wert auf seinen ehrlichen Ruf legt, die Mutter Golde, für die es nach einer Totgeburt bei der Tochter Mimi geblieben ist, eben diese 15-jährige Tochter Mimi und die etwa 20-jährige Pflegetochter Chanele, die halb Hausmädchen ist. Mit dem Eintreffen von Janki, einem entfernten Verwandten aus dem Elsass, der gezwungenermaßen im Deutsch-Französischen Krieg für Frankreich gekämpft hat, vergrößert sich die Familie. Golde sieht in ihm den verlorenen Sohn, Mimi verliebt sich, aber Salomon liegt mit seinem Misstrauen genau richtig. Janki bereichert sich auf Kosten gutgläubiger Endinger und setzt damit Salomons guten Ruf aufs Spiel.

Ich verstehe jetzt, dass jemand(?) hier gesagt hat, dass sie den Roman beim ersten Erscheinen an einem Wochenende gelesen hat. Es liest sich absolut süffig. Einerseits bin ich schockiert über den Umgang mit den jüdischen Mitbürgern und die Provokationen, andererseits amüsiere ich mich köstlich über Lewinskys Figurenzeichnung. Bei der Beschreibung Mimis musste ich laut auflachen.

Noch nicht so recht einschätzen kann ich die Figur des toten Onkel Melnitz.

Ein Wort noch zur Neuausgabe. Ich habe mir den ursprünglichen Wälzer (Nagel und Kimche) bei einer Freundin ausgeliehen und muss sagen, dass die jetzige Ausgabe deutlich edler ist. Das Papier ist zwar hauchdünn, scheint aber überhaupt nicht durch und wirkt sehr stabil. Das kleinere, leichtere Format liegt viel angenehmer in der Hand und Lesebändchen liebe ich sowieso, auch wenn ich sie nie benutze. ;)

Die fast 1000 Seiten haben inzwischen ihren Schrecken verloren, das wird eine tolle Lektüre!
 

Barbara62

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19. März 2020
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Wenn ich meine Zusammenfassung lese, merke ich, dass es mit dem Alter der Figuren nicht so richtig stimmen kann. Wenn Mimi 15 ist, wäre der Bruder, der ja etwa in Jankis Alter sein soll, höchstens 14. Chanele hat Salomon vor ca. 20 Jahren nach der Totgeburt des Sohnes als Säugling ins Haus geholt. Ich muss das nochmal nachlesen, Mimis Alter kann nicht stimmen. Habe ich mir das falsch notiert? Sie müsste eher um die 22 Jahre alt sein. Das würde auch zu den diversen abgelehnten Bewerbern eher passen. :confused:
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Die fast 1000 Seiten haben inzwischen ihren Schrecken verloren, das wird eine tolle Lektüre!
Davon bin ich überzeugt! Ein Schmöker in seine besten Form:)
Es ist erschreckend zu lesen, wie profan die Diskriminierung und Ausgrenzung der Juden auch in der Schweiz vonstatten ging: unspektakulär und leise. Sie hatten keine Fürsprecher...
Diese Ungerechtigkeit tut richtig weh!
 

sursulapitschi

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18. September 2019
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Ich bin schon nach den ersten Seiten tief beeindruckt. Der Stil ist sagenhaft.

„Er ging davon aus, dass seine Golde den Gehrock schon auffangen und, wie es sich gehört, über eine Stuhllehne legen würde, und darin lag nichts Tyrannisches, nur die Selbstverständlichkeit klar aufgeteilter Bereiche.“
In einem einzigen Satz stecken elegant verpackt jede Menge Informationen.

Was mir nicht so gefällt, ist die Aufmachung des Buches. Natürlich ist es ein Raumwunder. 900 Seiten in so einem kleinen Format unterzubringen, ist erstaunlich, es liest sich aber sehr unbequem. Die Schrift ist klein und blass. Abends, wenn ich müde werde, ist es kaum noch lesbar. Die hauchdünnen Seiten verblättert man regelmäßig. Das mindert ein bisschen den Spaß.

Ich versuche Onkel Melnitz zu fassen zu bekommen. Es war doch seine Beerdigung, oder? Er ist tot, oder? Trotzdem spricht er? Es steht nirgendwo ausdrücklich. Man hält uns hin.

Man lernt grandiose Worte. Hat man je „pitoyabel“ gehört? Großartig!
Ich schlürfe dieses Buch genüsslich.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Wenn ich meine Zusammenfassung lese, merke ich, dass es mit dem Alter der Figuren nicht so richtig stimmen kann. Wenn Mimi 15 ist, wäre der Bruder, der ja etwa in Jankis Alter sein soll, höchstens 14. Chanele hat Salomon vor ca. 20 Jahren nach der Totgeburt des Sohnes als Säugling ins Haus geholt. Ich muss das nochmal nachlesen, Mimis Alter kann nicht stimmen. Habe ich mir das falsch notiert? Sie müsste eher um die 22 Jahre alt sein. Das würde auch zu den diversen abgelehnten Bewerbern eher passen. :confused:
19 ist sie als sie mit Janki in der Laube sitzt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mich zieht das Buch wieder genauso in den Bann, wie bei der Erstlektüre. Lewinsky schafft es sofort, die Zeit und die Menschen lebendig werden zu lassen. Die Figuren charakterisiert er mit wenigen Szenen und Sätzen so glaubhaft, dass ich sie sehr genau vor mir sehe. Auch zeigt er, welche Rolle Juden inmitten dieser Gemeinschaft spielen. Geduldet zwar, so lange nichts Außergewöhnliches passiert. Sie können ihren Geschäften nachgehen, sind aber immer dem Spott der anderen ausgesetzt. Beispielhaft dafür ist das Gespräch zwischen Salomon und dem Metzger, hier kommen alle Vorurteile gegenüber Juden , zwar als angeblicher Scherz, zur Sprache.
Gute Idee, einen Schirm als Kennzeichen zu gebrauchen. Ein Schirm, der normalerweise vor Regen schützt, ( so wie ihn Salomon benutzt, allerdings nicht ; lieber nass werden …) steht hier als Erkennungsmerkmal für einen ehrlichen Juden. Es sagt schon viel, dass so etwas nötig ist.
Jankis Rolle ist noch unklar. Einer, der Vorurteile zu bestätigen scheint. Dass er Mimis Interesse weckt, ist klar. In so einem Dorf ist die Zahl der in Frage kommenden zukünftigen Ehemänner überschaubar und so ein Fremder mit abenteuerlichem Hintergrund, der zu reden versteht, gefällt dem jungen Mädchen, das eh durch zu viel Lesen :)-) ) romantische Vorstellungen hat.
Mimi hat noch Kontakt zu ihrer Freundin aus Kindheitstagen. Das wäre nicht bemerkenswert, wenn die Freundin nicht Christin wäre. Mittlerweile treffen sie sich eher heimlich, mal sehen, ob die Beziehung andauert oder sich verändert.
 

Wandablue

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Charles Lewinsky ist ein großartiger Erzähler. Klar, er holt weit aus und es tummeln sich Leuts in der Geschichte. In der so quasi nebenbei Geschichte erzählt wird. Das mag ich besonders. Natürlich habe ich bevor ich anfing zu lesen, mal das Jahr 1871 nachgeschlagen. Das hilft zum besseren Verständnis. Zur Verortung.

Charles Lewinsky ist ein großartiger Erzähler, da sitzt jedes Wort. Man braucht keine Neologismen, wie die jungen nachrückenden Autoren sie sich aus den Rippen schneiden (das kann mal toll sein, geht aber meistens in die Hose) oder seltsame, schiefen Vergleiche. Unsere Sprache ist reich genug an Vokabular um zu erzählen. Sicher, der Einschlag an jüdischem Wortschatz und vllt auch schweizerischem gibt dem Ganzen die Würze ...

Die Familie Meijer steht momentan im Mittelpunkt. Der Vater, ein gewitzter Viehhändler, der sich kein X für ein U vormachen läßt. Dennoch ein aufrichtiger Kerl, auf dessen Wort man sich verlassen kann. Trotz seines Patriarchismus gefällt er mit gut, nu?!

Da schneit die Mischpoke ins Haus. Man ist gastfreundlich und nimmt den Janki auf.
Janki will ein Geschäft aufziehen und im anschließenden LA merkt man, mit welchen Problemen er zu kämpfen hat.

Mimi ist meine Unsympathfigur und Chanele meine Heldin. Ich verstehe natürlich nicht, warum Chanele nicht das Herz von Muttern gewinnen konnte. Und vom Salomon. Babies sind doch zuckersüß, egal, wo sie herkommen. War das Standesbewusstsein so hoch? Oder war Golde zu traumatisiert von der schrecklichen Geburt, die ja keine gewesen ist.

Hochspannend die Geschichte.
 
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sursulapitschi

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Mimi ist meine Unsympathfigur und Chanele meine Heldin. Ich verstehe natürlich nicht, warum Chanele nicht das Herz von Muttern gewinnen konnte. Und vom Salomon. Babies sind doch zuckersüß, egal, wo sie herkommen. War das Standesbewusstsein so hoch?
Siehste, an der Stelle sind die lieben Eltern gedankenlos, zu viel mit sich selbst beschäftigt, gleichgültig. Na gut, zu der Zeit hat man sich eh nicht so sehr mit seinen Kindern beschäftigt wie heute, die waren halt da.

Edit:
Und wenn ich länger drüber nachdenke: Da holen sie dem Töchterlein ein fremdes Baby zum Spielen ins Haus und kümmern sich dann nicht weiter. Benutzen sie als Dienstmädchen und finden nix dabei. Schreckliche Menschen.
 
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Wandablue

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Wenn ich meine Zusammenfassung lese, merke ich, dass es mit dem Alter der Figuren nicht so richtig stimmen kann. Wenn Mimi 15 ist, wäre der Bruder, der ja etwa in Jankis Alter sein soll, höchstens 14. Chanele hat Salomon vor ca. 20 Jahren nach der Totgeburt des Sohnes als Säugling ins Haus geholt. Ich muss das nochmal nachlesen, Mimis Alter kann nicht stimmen. Habe ich mir das falsch notiert? Sie müsste eher um die 22 Jahre alt sein. Das würde auch zu den diversen abgelehnten Bewerbern eher passen. :confused:
15 muss ein Druckfehler sein.
 
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Wie ich schon erwähnte, ich bin schockverliebt.

Die Stelle, als Janki ins Haus kommt und sich alle ihre eigenen Vorstellungen um seine Person machen, steht Chanele in der Ecke und beteiligt sich scheinbar nicht an der Entschlüsselung des Rätsels.... wunderbar.
Natürlich habe ich den kleinen Stammbaum am Ende des Buches zu Rate gezogen und sehe, dass Janki und Chanele, und nicht Mimi, zusammenkommen werden. Aus dieser Sicht, werden auch Mimis Vostellungen und Annährungsversuche auf eine sehr hoffnungslose, aber lustige Ebene gesetzt.

Onkel Melnitz hat mich keine Sekunde irritiert. Er sitzt als Geist neben den fiebernden Janki und erzählt ihm von der Zukunft.
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Wie ich schon erwähnte, ich bin schockverliebt.

Die Stelle, als Janki ins Haus kommt und sich alle ihre eigenen Vorstellungen um seine Person machen, steht Chanele in der Ecke und beteiligt sich scheinbar nicht an der Entschlüsselung des Rätsels.... wunderbar.
SPOILER
Onkel Melnitz hat mich keine Sekunde irritiert. Er sitzt als Geist neben den fiebernden Janki und erzählt ihm von der Zukunft.
Ach, Emsi!!! Das habe ich NICHT gelesen und jetzt weiß ich es!! Zuuuuurückhaltung!
 
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