4. Leseabschnitt: März bis Mai (Seite 216 bis 297)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Monat März
Allmählich wird mir deutlich, dass in diesem Buch lauter Geschichten über Frauen angesammelt sind, die sich in ihrem Leben nicht wohlfühlen, ihren Platz (noch) nicht gefunden haben oder von Träumen getrieben werden, die außerhalb des Erreichbaren zu liegen scheinen.

Nadja ist ein impulsiver, spontaner Chrakter. Bereits als Kind und Jugendliche hat sie sich bei ihren Eltern nicht bestätigt, geschätzt und wohl gefühlt. Sie träumte von Freiheit, hatte sie schon früh wechselnde Liebhaber, wurde prompt mit 17 schwanger von einem älteren Ehemann, der keine Verantwortung übernahm. Aus war es mit der Freiheit.

Sie ist jetzt mit Tschegga, dem Bruder von Ksjuscha, zusammen, der sie bodenlos enttäuscht hat, weil er keine adäquate Wohnung für die kleine Familie beschafft hat. Ein Heizungsrohrbruch in drängender Kälte lässt Nadja ihre gesamten Ersparnisse für einen Flug zu den Eltern in die Hand nehmen. Erneut ist sie richtungslos. Sie träumt von einem Neuanfang in einer internationalen Bank, obwohl sie weder Kontakte noch Geld für die Reise hat. Sie verabredet sich mit einem ehemaligen Liebhaber, der prompt mitten in der Nacht aufkreuzt und für Unfrieden sorgt.

Sehr interessant ihre Reflexionen über Ksjuscha und den "schmierigen" Ruslan: Sie versteht nicht, dass sich die intelligentere K. immer zurücknimmt und verachtet den Tratsch über Lilja und deren Bruder. Lilja ist für Tschegga eine offene Wunde, obwohl sie wohl kein Paar waren. Nadja überlegt, ob er sie nur erwählt hat, weil sie Erinnerungen an die Vermisste wachruft. Möglicherweise ist Ksjuscha das Spiegelbild ihres besseren Ichs? Ksjuscha ist klug, macht eine gute Ausbildung, hat Perspektiven - und ordnet sich dennoch unter.

[zitat]Sie liebte Tschegga, sein großes Herz, seine noch größeren Veraprechen, doch echte Freude in diesem Leben brachten Gehaltserhöhungen, ein voller Magen, ein intaktes Heizungsrohr. S. 235[/zitat]
Nadja hat sich durch die frühe Schwangerschaft ihrer eigentlichen Möglichkeiten beraubt. Nach echter Liebe zu Tschegga klingt das nicht, eher nach Versorgungsbeziehung, oder?
Am Ende des Kapitels beschließt sie, ihrer Tochter zuliebe zurück zu "Papa" zu gehen. Sie hat ihre Chancen abgewogen und hält das für die beste Lösung, um wenigstens ihrer Tochter den Weg in eine gute Zukunft zu ebnen.

Es verwundert, dass Nadja keinen anderen Anlaufpunkt hat als dieses kalte Elternhaus. Hier scheint die echte Freundin zu fehlen, @Renie. Diese Eltern drücken ihre Tochter nur runter, das wird bereits während der Begrüßung im Auto deutlich: Tschegga hat es mit ihr nicht leicht und ihre Gehaltserhöhung ist wegen der Inflation nichts wert. Hoppla, solche Eltern braucht kein Mensch! Trotzdem bringt Nadja ihre Tochter dorthin, überlässt sie den Großeltern, um selbst mal wieder frei zu sein, um sich mit diesem Ekel Slawa zu treffen. Zum Glück schlägt sie wenigstens dessen Avancen in die Luft!

Man muss sich vor Augen halten, dass Nadja erst Anfang 20 ist. Nur ihre Jugend kann das sprunghafte und zerrissene Wesen erklären. Die frühe Mutterschaft hat ihre Flügel gestutzt. Es scheint wenig/keine soziale oder finanzielle Hilfe in solchen Fällen zu geben. Im Grunde bleibt ihr nur, sich einem Mann anzuschließen und da ist Tschegga nicht der schlechteste.

Diese Gedanken musste ich erst einmal loswerden;)
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Im März verlässt Nadja mit Tochter Mila nicht nur die überschwemmte Wohnung sondern auch ihren Mann und die "Großstadt" Esso, um zu ihren Eltern nach Palana, in den noch höheren Norden, zurückzukehren. Ihr Lebensentwurf von einem besseren Leben im vermeindlich interessanteren, Perspektiven reicheren Esso ist damit gescheitert. Wir lesen viel von Lebensträumen und deren Grenzen, was mir sehr gut gefalle hat.
Im April dann beschäftigen wir uns mit Soja und den Wirkungen auf das Leben in Kamtschatka, die von außen kommen. Und in der Reaktion darauf sind die Menschen eben auch hier verschieden: Für Soja haben die Fremdarbeiter auf der Baustelle gegenüber eine sexuelle Anziehungskraft, die ihren eintönigen Alltag zu beleben weiß. Für die anderen Protagonisten in dieser Episode sowie auch für viele andere Personen über den Roman hinweg dagegen sind sie nur Ausdruck des Verfalls der Gesellschaft und Bedrohung des Friedens und der Ruhe.
Im Mai nähern wir uns durch das Personal der Episode wieder dem Geschehen rund um das Verschwinden der zwei Schwestern an. Es geht um Oksana, die Zeugin. Wir lernen sie kennen als eine Frau voller Unsicherheiten und fehlendem Selbstbewusstsein. Sie ist einmal im Leben in das Licht der Öffentlichkeit getreten, nämlich als sie sich bei der Polizei meldete, um ihre Beobachtungen zu berichten. Das aber ist ihr heute nur noch unangenehm, denn viel lieber ist sie im Verborgenen, beschützt von ihrem Hund, dem einzigen Vertrauten, der ihr dann noch hier in der Episode abhanden kommt.
Ihre Lebensfurcht ist sehr bedrückend:
[zitat]Du glaubst, du hättest dir eine Sicherheitszone geschaffen. und dann stellst du fest, dass du dich mit jedem Menschen, dem du je begegnet bist, in Gefahr begeben hast.[/zitat]
Erneut für mich ein sehr glaubwürdig geschilderter Charakter. Davon wimmelt es aus meiner Sicht in diesem Buch, das es vermag diese Figuren zu einem Ganzen zu gestalten. Ich empfinde es so, dass ich wirklich etwas über diese entlegen lebende Gesellschaft in Kamtschatka lerne!
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Diese Eltern drücken ihre Tochter nur runter, das wird bereits während der Begrüßung im Auto deutlich: Tschegga hat es mit ihr nicht leicht und ihre Gehaltserhöhung ist wegen der Inflation nichts wert. Hoppla, solche Eltern braucht kein Mensch!
Du darfst nicht vergessen: Nadja ist für ihre Eltern eh bereits komplett unten durch. Unverheiratet schwanger - schlimmer geht es doch kaum. Da helfen auch kein guter Job oder ein süßes Enkelkind. Das Einzige, was ihren Ruf retten würde, wäre ein Ehemann, damit sie als Mutter ihren Pflichten nachgehen könnte - so, wie es sich eben gehört. Genau das gleiche Prinzip, weshalb Mascha von ihren Eltern verstoßen wurde (ihr Vergehen war halt noch schlimmer) bzw. Lilja (vielleicht) verschwunden ist, um dem zuvorzukommen.
Oh Mensch, diese Zeiten wären der totale Horror für mich gewesen ... :eek:

Nadja hat schlicht Pech: Sie ist in eine neue Ära geboren worden, hat aber nicht die Mittel, die Möglichkeiten dieser Zeit zu nutzen. Zu viel des alten Lebens hängt noch an ihr wie Blei und lässt sie nicht ziehen. Aber immerhin könnte sie ihrer geliebten Tochter diese Möglichkeiten bieten (?). Hoffentlich ist das kein Trugschluss ...

Soja findet sich durch ihr Kind eingezwängt in die von ihrem Umfeld definierte Mutterrolle, die ihr genau vorschreibt, wie sie sich zu verhalten hat. Das sie mit ihrem Hintergrund da Ausbruchsphantasien in dieser Form hat, kann ich gut verstehen. Als Fremdenführerin im Naturschutzgebiet Kamtschatka - das ist schon eine andere Hausnummer wie als Reisebegleiterin in den Süden für TUI, Neckermann oder Sonstige ;) Ich glaube nicht, dass diese Ehe ein gutes Ende nehmen wird ...

Zuletzt noch Oksana - eine wirklich bedauernswerte Person. Aber sehr interessant fand ich, wie unterschiedlich sie im Oktober von Katja geschildert wurde. Dieser Teil nimmt einen vergleichsweise großen Raum ein und dort könnte man glauben, es handle es sich um eine völlig andere Person. Geht Euch das auch so? Schon verrückt, wie manche Menschen Anderen etwas vormachen können ...

Und zum guten Schluss noch ein kleiner Meckerer: Auch wenn Strichpunkte vielleicht als überflüssig betrachtet werden, sind sie doch ganz hilfreich, um einem (mir) beim Lesen den Sinn des Ganzen besser zu vermitteln. Ich habe den oberen Teil auf Seite 285 drei Mal lesen müssen, bis ich begriffen habe, wer da gemeint war. Ich dachte immer, es gehe um die Mutter. Aber vielleicht liegt das ja auch nur an mir ...
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Monat April
Diesen Abschnitt habe ich als entsetzlich stereotyp empfunden. Soja hatte einen tollen Job, dann hat sie geheiratet, wurde schwanger (oh Wunder - das war ja überhaupt nicht zu erwarten!), bekam ein Baby und ist nun das Heimchen am heimischen Herd. Schlimmer geht nimmer! Die Ärmste hat KEINE Kontakte außer zur babysittenden Nachbarin. Keinen Kinderwagen? Man kann sich schließlich auch zusammen mit Baby aus der Wohnung herausbewegen.... Soja sitzt nur zu Hause, versorgt den Gatten und begehrt, was sie sieht: Die Bauarbeiter von gegenüber. Die ausländischen Bauarbeiter, denn je weniger sie versteht, umso stärker fühlt sie sich von ihren Muskeln stimuliert.... Autsch!
Der Herr Polizeiinspektor kanzelt das Weiblein auch noch herab:
[zitat]Sage ich zu dir etwa,wie du deine Arbeit machen sollst? Sitz zu Hause rum, werd fett und kümmer dich ums Baby! 274[/zitat]
Das ist auch absolut machomäßig stereotyp.

Was ich mich frage, wie sieht es mit Verhütung in Russland aus? Es gab jetzt schon einige junge Frauen, die ungewollt schwanger wurden. Weiß jemand etwas darüber? Ich habe versucht zu googeln, bin aber über Schlagworte, nach denen Geburtenplanung über Abtreibungen funktionieren soll und Kondome nicht ins Land eingeführt werden dürfen, nicht hinaus gekommen.
Falls es keine Möglichkeiten gibt, Schwangerschaften zuverlässig zu verhindern, habe ich noch ein Restverständnis für Soja. Ansonsten hätte sie das Heiraten einfach mal sein lassen sollen. Diese Männerphantasien empfinde ich als völlig weit hergeholt.
Alles haben geht eben nicht.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Monat April
Diesen Abschnitt habe ich als entsetzlich stereotyp empfunden. Soja hatte einen tollen Job, dann hat sie geheiratet, wurde schwanger (oh Wunder - das war ja überhaupt nicht zu erwarten!), bekam ein Baby und ist nun das Heimchen am heimischen Herd. Schlimmer geht nimmer! Die Ärmste hat KEINE Kontakte außer zur babysittenden Nachbarin. Keinen Kinderwagen? Man kann sich schließlich auch zusammen mit Baby aus der Wohnung herausbewegen.... Soja sitzt nur zu Hause, versorgt den Gatten und begehrt, was sie sieht: Die Bauarbeiter von gegenüber. Die ausländischen Bauarbeiter, denn je weniger sie versteht, umso stärker fühlt sie sich von ihren Muskeln stimuliert.... Autsch!
Der Herr Polizeiinspektor kanzelt das Weiblein auch noch herab:
[zitat]Sage ich zu dir etwa,wie du deine Arbeit machen sollst? Sitz zu Hause rum, werd fett und kümmer dich ums Baby! 274[/zitat]
Das ist auch absolut machomäßig stereotyp.

Was ich mich frage, wie sieht es mit Verhütung in Russland aus? Es gab jetzt schon einige junge Frauen, die ungewollt schwanger wurden. Weiß jemand etwas darüber? Ich habe versucht zu googeln, bin aber über Schlagworte, nach denen Geburtenplanung über Abtreibungen funktionieren soll und Kondome nicht ins Land eingeführt werden dürfen, nicht hinaus gekommen.
Falls es keine Möglichkeiten gibt, Schwangerschaften zuverlässig zu verhindern, habe ich noch ein Restverständnis für Soja. Ansonsten hätte sie das Heiraten einfach mal sein lassen sollen. Diese Männerphantasien empfinde ich als völlig weit hergeholt.
Alles haben geht eben nicht.
Wir haben es hier öfter mit jungen Frauen zu tun, die sehr früh heiraten oder/ und schwanger werden. Dabei träumen sie von einem anderen Leben, landen dabei aber wieder bei den Männern. Dabei haben sie oft eine gute Ausbildung ( Studium z.B.) , bekommen gute Jobs, trotzdem kommen sie nicht weiter als bis zum nächsten Mann. Was erhofft sie sich bei den Migranten? Sex, Abenteuer , was soll das? Es ist nicht gut, so früh Kinder zu bekommen .Diese Figur hat mich nur genervt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Dabei haben sie oft eine gute Ausbildung ( Studium z.B.) , bekommen gute Jobs, trotzdem kommen sie nicht weiter als bis zum nächsten Mann.
Das ähnelt sich gerade alles...
Ich bin gespannt, wo uns die Autorin noch hinführen wird. Ich verspüre zum ersten Mal Langeweile... Diese Frauen mit ihren Hoffnungen, die sie frühzeitig begraben, indem sie sich schwängern lassen. Ob das WIRKLICH so ist in Kamtschatka???
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Monat Mai
Oksana ist die Frau, die gesehen hatte, wie die Kinder in das fremde Auto stiegen. Ihr Mann Anton hat sie offensichtlich wiederholt betrogen und schließlich verlassen. Neuerdings ruft er reumütig an, gibt erotischen Stuss von sich und ab und zu gewährt Oksana ihm Einlass in die ehemals gemeinsame Wohnung zwecks Beischlaf...
Was ist das wieder für eine Frauenfigur??? Mir kräuseln sich allmählich die Fußnägel. Der ganze Abschnitt handelt von der Suche nach ihrem Hund. Das Motiv des Verschwindens ist also omnipräsent. JETZT endlich kann sie sich vorstellen, wie es der Mutter der beiden Mädchen gegangen sein muss. Hallo? Wie wenig Empathie hat Oksana? war sie nicht in einem anderen Abschnitt recht positiv geschildert worden?

Max ist wirklich so blöd, dass es weh tut. Das hatte Katja ja beim Campen schon gemerkt, dass er sich nicht auf Wesentliche konzentrieren kann.

Wie kann man Oksana für die Entführung der Mädchen verantwortlich machen? Freunde und Kollegen zogen sich zurück, der Polizist drängt auf sie ein... Verstehe ich nicht.

Seite 290: Da beschreibt sie, wie sie sich eine Fassade und ein Sicherheitsnetz zugelegt hat, um niemanden an sich heran zu lassen? Ob das noch eine Bedeutung hat? Geldanlage in fremden Währungen, das klingt verdächtig.

Am Ende bricht sie mit ihrer langjährigen Freundin Katja und diesem Max. Was sollte uns diese Episode sagen? Wenn ein Hund verschwindet, ist das für manchen ebenso schlimm als wenn ein Kind verschwindet?
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Was ich mich frage, wie sieht es mit Verhütung in Russland aus? Es gab jetzt schon einige junge Frauen, die ungewollt schwanger wurden. Weiß jemand etwas darüber?
Die Menschen auf dem Land sind arm, Medikamente und vor allem so etwas wie die Pille oder Kondome musst Du wie hier selbst bezahlen. Also lässt Du es halt drauf ankommen. Natürlich könnten sie auch abstinent leben, aber so blöd es klingt: Es gibt sonst nichts zu tun ;) Und vor allem: Es gibt ausser Heirat, Kinder bekommen und Familie schlicht kaum Alternativen. Die Schul- und Universitätsausbildungen sind jenseits der Hauptstädte ein Witz. Ich wurde zweimal gefragt, ob ich nicht bleiben wolle um Englisch zu unterrichten. Denn die, wirklich gut sind, sind schnell weg in gut bezahlten Jobs im Ausland. Und Abtreibungen sind schlicht zu teuer und häufig ist die nächste mögliche Klinik auch noch zu weit weg - denn daheim darf das auf jeden Fall niemand wissen.
Sex, Abenteuer , was soll das?
Sex und Abenteuer, genau das :D:p
Wie kann man Oksana für die Entführung der Mädchen verantwortlich machen? Freunde und Kollegen zogen sich zurück, der Polizist drängt auf sie ein... Verstehe ich nicht.
Erinnerst Du Dich, als der Kommissar erzählte, sein Chef wolle unbedingt, dass die gefundene Leiche eines der kleinen Mädchen sei? Wenn Du auf Teufel komm heraus ein mögliches Ergebnis möchtest, dann werden halt auch Zeugen so lange wie nötig bedrängt oder entsprechende Beweise angepasst, bis es ist wie gewünscht. Ich habe in Kirgisistan in ganz ganz kleinem Maßstab erlebt, was es bedeutet, Polizeiwilkür ausgesetzt zu sein - und mir war angst und bange.
Wenn ein Hund verschwindet, ist das für manchen ebenso schlimm als wenn ein Kind verschwindet?
Ja :(
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Schul- und Universitätsausbildungen sind jenseits der Hauptstädte ein Witz.
Das habe ich mir schon fast gedacht. Da nennt sich alles Universität und Studium, auch weil es kein Ausbildungssystem gibt.
dann werden halt auch Zeugen so lange wie nötig bedrängt oder entsprechende Beweise angepasst, bis es ist wie gewünscht. I
Genau. Wir sind in Russland und das ist kein Rechtsstaat. Im kleinen nicht und im Großen auch nicht.
 
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Reaktionen: RuLeka und Xirxe

Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Die ersten Ermüdungserscheinungen stellen sich bei mir ein. Langsam habe ich mitbekommen, dass Kamsch kein Ort ist, an dem Frauen glücklich werden. Ich glaube es der Autorin.
Jetzt könnte langsam mal etwas kommen, was über das Schicksal der beiden Mädchen informiert.
Stattdessen gibt es eine weitere Verlustmeldung im Mai:
der Hund ist weg. Und Oksana, die Hundebesitzerin und Freundin von Katja (diejenige mit Max und dem Bären), erweist sich als bemitleidenswerte, sitzengelassene Frau, die das Vertrauen in die Menschen verloren hat und das Ende ihrer Tage mit ihrem Hund verbringen möchte - sofern sie ihn wiederfindet und egal, wie lange das Ende dauert.
Oksana ist die Zeugin, die gesehen hat, wie die Mädchen in das Auto des Fremden gestiegen sind. Was mich wundert: Die Leute haben sie später gemieden, weil sie sich nicht an das Gesicht von dem Entführer erinnern konnte und sie ihr somit eine Teilschuld geben? Das kann ich nicht glauben. Vorwürfe seitens der Angehörigen der Mädchen wären nachvollziehbar. Aber von Unbeteiligten?

Der April, mit der gelangweilten Hausfrau und Mutter, die ihre sexuellen Fantasien auf Bauarbeiter mit Migrationshintergrund projeziert, war auch nicht meins.
Und der März mit der Bankangestellten, die mit ihrer Tochter zu ihren Eltern "flüchtet", weil der Freund (und Bruder der Volkstänzerin) ihr das Blaue vom Himmel versprochen hat und nicht hält ....

Langsam wird es mir zuviel. JP will uns doch hoffentlich nicht jede Frau aus Kamsch vorstellen?
 

Renie

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19. Mai 2014
5.892
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Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Nach echter Liebe zu Tschegga klingt das nicht, eher nach Versorgungsbeziehung, oder?
Als Schwangere und alleinerziehende Mutter gibt es auch keine großartigen Alternativen. Männer scheinen Mangelware zu sein. Da nimmt frau, was sie kriegen kann. Vermutlich war Tschegga das kleinere Übel in dem aktuellen Angebot.
Hier scheint die echte Freundin zu fehlen, @
Das stimmt. Jetzt ist es passiert und die besten Freundinnen sind aus.:D
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.622
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe zunehmend in jedem Abschnitt das Gefühl, eine Kurzgeschichte zu lesen. Eine gute, manchmal sogar eine sehr gute, aber eine Kurzgeschichte. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Leuten finde ich mühsam im Kopf zu behalten, und so langsam frage ich mich, wozu ich sie überhaupt behalten soll. Max ist eine Nullnummer; im Oksana-Kapitel zeigt er Anflüge von Größenwahn. Ist in dem ganzen Buch schon ein Mann vorgekommen, der was taugt? Außer Artjom, und der musste sterben?

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich das Buch nicht mag. Im Grunde gefällt mir jedes einzelne Kapitel; Oksanas Verzweiflung wegen des Hundes fand ich eindrucksvoll geschildert, auch ihre Gedanken am Ende, wo sie meint, es wäre besser gewesen, sie hätte das Stöckchen selbst geworfen. Aber so hintereinander gelesen ist mir das alles ein bisschen zu viel Elend und auch zu einseitig. Ein Kapitel aus männlicher Perspektive wäre zur Abwechslung nicht schlecht ...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
6.527
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Wie bei einem Kurzgeschichtenband gibt es sehr gute und weniger gute Geschichten. Ich finde es aber spannend, die Querverbindungen herzustellen, auch wenn die Beziehungen eher lose sind.
Aber es sind beinahe alles triste Geschichten. Von einem beglückten Leben habe ich noch nichts gelesen. Ja, die meisten Männer hier sind Idioten, doch wir lesen von ihnen nur aus der Perspektive der Frauen. Und viele der Frauen nerven mich auch. Im Grunde wissen sie selbst nicht so genau, was sie eigentlich wollen. Und sie stolpern mehr oder weniger durch ihr eigenes Leben.
Ich hoffe aber nur, dass es am Ende irgendeine Antwort gibt auf die Frage, was mit den Mädchen passiert ist.
 

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
@Renie @RuLeka @Die Häsin @Literaturhexle Ich darf Euch versichern, das in diesem Buch beschriebene Leben an sich ist realistisch. Die ehemalige SU, speziell im ländlichen Bereich (und Kamtschatka ist am A... der Welt, das gilt auch für die Hauptstadt), ist praktisch ohne Hoffnung. Es herrscht Korruption an allen Ecken und Enden, die Meisten leben von der Hand in den Mund und die Hoffnung auf ein besseres Leben haben nur noch die ganz Jungen, der Rest hat resigniert.
In National Geographic gab/gibt es immer wieder Reportagen aus dieser Gegend, auch im speziellen aus/über Kamtschatka, und was dort berichtet wurde, deckt sich im Großen und Ganzen mit dem, was ich in Zentralasien gesehen, gehört und erlebt habe. Urteilt deshalb bitte nicht zu hart über dieses Buch.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.622
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Rhönrand bei Fulda
@Renie @RuLeka @Die Häsin @Literaturhexle Ich darf Euch versichern, das in diesem Buch beschriebene Leben an sich ist realistisch. Die ehemalige SU, speziell im ländlichen Bereich (und Kamtschatka ist am A... der Welt, das gilt auch für die Hauptstadt), ist praktisch ohne Hoffnung. Es herrscht Korruption an allen Ecken und Enden, die Meisten leben von der Hand in den Mund und die Hoffnung auf ein besseres Leben haben nur noch die ganz Jungen, der Rest hat resigniert.
In National Geographic gab/gibt es immer wieder Reportagen aus dieser Gegend, auch im speziellen aus/über Kamtschatka, und was dort berichtet wurde, deckt sich im Großen und Ganzen mit dem, was ich in Zentralasien gesehen, gehört und erlebt habe. Urteilt deshalb bitte nicht zu hart über dieses Buch.

Danke für die Info! Dass ich mit dem Buch nicht so hundertpro warm werde, liegt aber nicht an der Schilderung der Lebensrealität. Wer bin ich denn, dass ich die anzweifeln dürfte, ich weiß ja nichts über das Land. Es wird wohl so sein, wie es da steht. Was mich an dem Buch ein wenig stört - ich kann es noch nicht ganz auf den Punkt bringen, muss wohl noch ein wenig darüber nachdenken. Es sind aber jedenfalls nicht die beschriebenen Tatsachen des Lebens, sondern nur die Art der Schilderung.

(Wie ich mich kenne, kann sich meine Einschätzung noch mehrmals ändern, und oft ändert sie sich nochmal erheblich, wenn ich ein Buch ein zweites Mal lese, aber dann ist es natürlich für die Rezi hier zu spät.)
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Die ersten Ermüdungserscheinungen stellen sich bei mir ein. Langsam habe ich mitbekommen, dass Kamsch kein Ort ist, an dem Frauen glücklich werden. Ich glaube es der Autorin.
Jetzt könnte langsam mal etwas kommen, was über das Schicksal der beiden Mädchen informiert.

Langsam wird es mir zuviel. JP will uns doch hoffentlich nicht jede Frau aus Kamsch vorstellen?
Oje und jetzt verschwindet auch noch ein Hund. Wenn man sich in Krimi- und Thrillergruppen herumtreibt, ist das letale Schicksal eines Tieres ein absolutes NoGo. Menschen können verhäckselt werden, aber bloß kein Hündchen...

Ich bin eigentlich auch ein bisschen müde und bei all der toxischen Männlichkeit, die wir hier zu lesen bekommen.

"Disappearing Earth" heißt das Buch. Ich weiß egentlich nicht, ob der deutsche Titel dem Gerecht wird. Ist es nicht mehr das Verschwinden von der Erde, als der Erde?
Und weil ich gerade dabei bin (und ich weiß, Freud hätte vielleicht seine Freude an mir) aber woran erinnert mich die Form der Katschatka Halbinsel wohl, wenn ich mir das Ding länger anschaue.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Ich bin erleichtert zu lesen, dass ich hier nicht die einzige bin, bei der sich allmählich Ermüdungserscheinungen einstellen. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, dass jede_r froh sein kann, wenn er_sie eine Arbeitsstelle hat, die den Tag ausfüllt, wenn diese nicht total daneben ist und wenn man halbwegs mit den Kollegen_innen auskommt. Ansonsten herrscht Langeweile und Verdruss, festgefahrene Rollen und ein Lebensmuster, dem man nicht entkommen kann. Trist, grau, öde - und das Gefühl schwappt beim Lesen zunehmend rüber. Und Frauen sind noch schlechter dran als die Männer, da spätestens ab dem 1. Kind alles nur noch nach Fahrplan läuft und Träume, sofern sie noch in den Köpfen herumspuken mögen, ganz begraben werden müssen.

Kamtschatka, so reizvoll Fotos oder die Bilder der Dokumentarfilme auch sein mögen - da möchte ich nicht tot überm Zaun hängen. Allein in diesem Abschnitt: begrabe alle deine Träume und finde dich mit den sch... Bedingungen ab, du bist nunmal eine Frau mit Kind und es gibt keinen Weg zurück oder eine zweite Chance; mit Kind lebst du bestenfalls in einem trockenen, warmen Gefängnis, aber mehr auch nicht, man kann sich aus dem tristen Einerlei nur in seine Fantasie flüchten; wahre Freunde gibt es nicht, nur bsp.weise ein Hund kann dir eine bedingungslose Nähe bieten - und wenn er weg ist, bleibt nichts...

Aber: trotzdem nochmal die nervige Frage - ist das nicht ein Bild von außen, gemessen an westlichen Maßstäben? Eine Amerikanerin lebt ein Jahr in diesem Land, reist von Ort zu Ort und spricht mit vielen Menschen, da entsteht sicher ein Eindruck von den Gegebenheiten. Aber immer ein Eindruck von jemandem, der (die) dort nicht zu Hause ist und der (die) auch gänzlich anders sozialisiert wurde. Wäre der Roman in seinen Kernaussagen ähnlich ausgefallen, wenn er von jemandem aus Kamtschatka geschrieben worden wäre (eine mögliche Zensur mal ausgenommen)? Und wie würden die Kamtschadalen (Ureinwohner) oder die russisch stämmigen Bewohner Kamtschatkas den Roman lesen? Ein Roman einer westlich orientierten Autorin für westlich sozialisierte Leser_innen - unsere Wertungen fallen sicher ähnlich aus...