Hui, hier wurde ja schon viel geschrieben, z.T. erfreulich kontrovers. Da ist die LR genauso unterhaltsam wie die Lektüre an sich. Ich habe mich jetzt mit der episodenhafte Art des Schreibens arrangiert und finde es durchaus interessant, was man hier so erfährt. Auch wenn ich nach wie vor irritiert bin, weshalb eine US-Amerikanerin ausgerechnet über Kamtschatka schreibt - gäbe es hinsichtlich von Vorurteilen und Unterdrückung nicht ausreichend Ansichtsmaterial in den eigenen Landen? Nur mal so nebenher. Vielleicht treibt die Abgeschiedenheit der Halbinsel die ganzen Probleme einfach so auf die Spitze, dass man hier auch schriftstellerisch aus dem Vollen schöpfen kann.
Patriarchalische Strukturen schaffen immer ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, das ist hierzulande nicht anders als in Kamtschatka, nur vielleicht etwas subtiler. Bsp.weise die deutlich niedrigere Entlohnung von Frauen für dieselbe Tätigkeit. Hierzulande gibt es Frauenhäuser als Anlaufstelle für geschlagene Frauen - aber Gewalt gegen die Schwächeren gibt es hier genauso wie in Russland/Kamtschatka. Und auch hier gehen genügend Frauen immer wieder zurück zu ihren prügelnden Ehemännern. Der Unterschied ist, dass es in Deutschland zumindest ansatzweise ein Verständnis dafür gibt, dass das Problemfelder sind, die nicht so bleiben sollten. Vielleicht. Da ist Kamtschakta offensichtlich noch ursprünglicher. Sorry, ich habe mal eben meine Gedanken schweifen lassen, denn ich bin einfach immer noch nicht fertig mit der Frage: warum entstand dieses Buch...
Julia Phillips nutzt das Verschwinden der Kinder als loses Bindeglied zwischen den einzelnen Mädchen/Frauen/Kapiteln, die in der Summe ein Gesellschaftsbild zeichnen, das viele Probleme offenbart. Die Rolle der untergeordneten und abhängigen Frau, die immer irgendwem gefallen muss, die Vorurteile, der Rassismus, ebenso wie überholte/überrollte Lebensentwürfe. Die Tradition der Ureinwohner ist genauso Geschichte (Folklore) wie die Tradition der Russen, die als Militärmacht kamen und sich nun mit den neuen Gegebenheiten irgendwie arrangieren müssen. Eine Gesellschaft im Umbruch, bei der Alkohol und (körperliche wie psychische) Gewalt keine geringe Rolle spielen.