2. Leseabschnitt: November bis Dezember (Seite 71 bis 138)

Literaturhexle

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Ruslan gibt ihr als Russe Sicherheit in einer Gesellschaft, in der den Ureinwohnern ständig Verachtung und Misstrauen entgegenschlägt. Obwohl er ihr intellektuell geistig unterlegen ist, fühlt sich Ksjuscha ihm gegenüber eher minderwertig.
Mit Tschander verbindet sie viel mehr.
Perfekt auf den Punkt gebracht diese Ambivalenz! Das macht es in einem Satz sehr deutlich.
 

Xirxe

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Das Buch hat mich eindeutig am Haken! Auch wenn immer neue Figuren eingeführt und deren Geschichte erzählt wird, habe ich das Gefühl, ein zusammenhängendes Buch zu lesen. Einziger Wermutstropfen: Am Ende jedes Kapitels bleibt ein Cliffhanger, von dem ich hier und da hoffe, dass er noch aufgelöst wird.
100% Zustimmung - so ging es mir auch.
Ich frage mich, welche Bedeutung das "Sicherheitsgefühl" für Ksjuscha wohl hat.
Ich wundere mich immer wieder, dass es für manche Frauen eine Selbstverständlichkeit ist und das Normalste der Welt, sich der Kontrollsucht ihres Mannes zu unterwerfen. Und das beobachte ich bei Ksjuscha. Andere Länder, andere Sitten? Oder alles nur eine Frage der Erziehung?
Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist, dass Ruslan Russe ist, ein 'Weisser' und damit etwas Besseres in den Augen vieler Anderer. Da fühlen sich viele Indigene sogar geehrt, wenn so jemand sich in einen verliebt und aus 'Liebe' kontrolliert. In den ehemaligen Sowjetrepubliken herrschte ein übler Rassismus, der sich hauptsächlich dadurch verringerte, dass viele Russen wieder abzogen.Tatsächlich ist die Einstellung vieler Russinnen und Russen (sieht man ja auch an Walentina) noch genauso übel wie vor Jahrzehnten.
Es steht für sie also weniger eine Entscheidung für bzw gegen einen der beiden Männer an, sondern es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung hinsichtlich einer Lebensweise, eines Lebensentwurfs und einer Perspektive.
Das ist ganz sicher auch ein wichtiger Punkt!
Die Sexsüchtige:
Hab ich was verpasst??? Muss ich nochmal lesen?WER?o_O
Ich denke, dass es in russischen Krankenhäusern so zugehen könnte.
Ich kann Dir aus eigener Erfahrung sagen: Es geht so zu.
Wieder gibt es eine Frau, die als Freundin durchgehen könnte, die sich aber als falsches Luder herausstellt.
Hups, Du hast aber ein schlechtes Bild. Ich habe das gar nicht als falsch empfunden, sondern dass sie ihr wirklich eine Freude machen wollte. Sie weiss doch nichts von Tschander.
Dieser Tschander ist mir auch nicht ganz geheuer. Im Vergleich zu Rushan scheint er ja mehr der sensible Typ zu sein. Aber am Ende will er ihr auch nur an die Wäsche.
Naja, die Beiden sind ja keine Teenies. Und wenn Ksjuscha von den Wochenenden mit ihrem Freund erzählt (wenn auch ohne Details) und die Beiden immer nur vor der Tür sitzen - sie scheint ja auch nicht abgeneigt zu sein ;) (oh, ist das vielleicht sexsüchtig ;)?)
Was soll ich denn jetzt noch schreiben? Es steht doch schon alles da ;) Mir gefällt das Buch bisher wirklich gut, auch wenn ich noch nicht mal ansatzweise sehe, wo das hinführen soll im Bezug auf die beiden Mädchen. Zumindest ist die verschwundene Studentin nun 'eingeführt' worden - ob es da doch entgegen Ksjuschas Vermutung einen Zusammenhang gibt? So richtig sehe ich noch überhaupt kein Land, vermisse es aber auch nicht sonderlich :)
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Ruslan gibt ihr als Russe Sicherheit in einer Gesellschaft, in der den Ureinwohnern ständig Verachtung und Misstrauen entgegenschlägt. Obwohl er ihr intellektuell geistig unterlegen ist, fühlt sich Ksjuscha ihm gegenüber eher minderwertig.
Da kann ich Dir nur voll zustimmen!
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
[zitat]In den ehemaligen Sowjetrepubliken herrschte ein übler Rassismus, der sich hauptsächlich dadurch verringerte, dass viele Russen wieder abzogen.[/zitat]

Ich kann mich noch deutlich erinnern, wie ich in den Siebzigern "Krebsstation" von Alexander Solschenizyn gelesen habe. Die Sympathiefigur des Buches ist der Patient Oleg, den eine der Ärztinnen - die ebenfalls alle nette, kluge Frauen sind - fragt: "Verzeihen Sie, Sie sind doch kein Tschetschene oder Kalmücke?" - und er antwortet: "Ein hundertprozentiger Russe! Ich darf doch wohl schwarze Haare haben!" Ich fand das damals recht befremdlich. Das Buch entstand 1967 und Solschenizyn hat darin vieles angeprangert, aber diese Denke offenbar nicht.
 

ulrikerabe

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Ich muss mich hier @Wandablue anschließen.
Auch wenn ich Walentina nicht mag. Aber ich finde, wie mit ihr umgegangen wird, auch erniedrigend. Sie musste nicht warten. okay. Aber die Ärzte sagen ihr nicht was sie hat. Sie wird nicht aufgeklärt, muss nackt (!) in den OP marschieren. Mehr "bloßstellen" geht hier schon nicht mehr.
 
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ulrikerabe

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14. August 2017
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Da gab es einen Satz (ich habe das Buch gerade nicht bei der Hand) im Kapitel um Ksenija, dass Mädchen in der Stadt leicht auf die schiefe Bahn geraten würden. Als ob Frauen aus der (männlichen) Obhut entlassen schlicht führungslos wären und irgendwo hin rollen würden.

Interessant finde ich auch hier den Namen der Hauptfigur (Xenia = die Fremde)
 
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Literaturhexle

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Aber die Ärzte sagen ihr nicht was sie hat. Sie wird nicht aufgeklärt, muss nackt (!) in den OP marschieren. Mehr "bloßstellen" geht hie schon nicht mehr.
Das ist vollkommen richtig! Das wird aber dem System geschuldet sein, nicht ihr persönlich. Die von mir erwähnte bevorzugte Behandlung bezog sich aufs nicht warten müssen.
Auch wenn unsere Zustände im Krankenhaus immer wieder (und wohl auch zurecht) lautstark kritisiert werden, wird uns beim Blick über den Tellerrand deutlich, dass das Deutsche nicht nur eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt ist, sondern auch eines der Besten.
 

parden

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Ich habe in diesem Dezember-Kapitel vor allem auch diese Gegenüberstellung von traditionellem Nomadenleben und Modernität/Stadt und dem damit verbundenen Frauenbild besonders geschätzt. Die Beziehungsgeschichte(n) zw. Ksjuscha und Ruslan bzw. Tschander sind Ausdruck davon. Es steht für sie weniger eine Entscheidung für bzw gegen einen der beiden Männer an, sondern es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung hinsichtlich einer Lebensweise, eines Lebensentwurfs und einer Perspektive. Es ist für mich sehr glaubhaft, dass sie beide Männer und auch beide Lebensweisen liebt und sich nur schwer entscheiden kann.
Das habe ich genauso empfunden, gut formuliert!
 

parden

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Hui, hier wurde ja schon viel geschrieben, z.T. erfreulich kontrovers. Da ist die LR genauso unterhaltsam wie die Lektüre an sich. Ich habe mich jetzt mit der episodenhafte Art des Schreibens arrangiert und finde es durchaus interessant, was man hier so erfährt. Auch wenn ich nach wie vor irritiert bin, weshalb eine US-Amerikanerin ausgerechnet über Kamtschatka schreibt - gäbe es hinsichtlich von Vorurteilen und Unterdrückung nicht ausreichend Ansichtsmaterial in den eigenen Landen? Nur mal so nebenher. Vielleicht treibt die Abgeschiedenheit der Halbinsel die ganzen Probleme einfach so auf die Spitze, dass man hier auch schriftstellerisch aus dem Vollen schöpfen kann.

Patriarchalische Strukturen schaffen immer ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, das ist hierzulande nicht anders als in Kamtschatka, nur vielleicht etwas subtiler. Bsp.weise die deutlich niedrigere Entlohnung von Frauen für dieselbe Tätigkeit. Hierzulande gibt es Frauenhäuser als Anlaufstelle für geschlagene Frauen - aber Gewalt gegen die Schwächeren gibt es hier genauso wie in Russland/Kamtschatka. Und auch hier gehen genügend Frauen immer wieder zurück zu ihren prügelnden Ehemännern. Der Unterschied ist, dass es in Deutschland zumindest ansatzweise ein Verständnis dafür gibt, dass das Problemfelder sind, die nicht so bleiben sollten. Vielleicht. Da ist Kamtschakta offensichtlich noch ursprünglicher. Sorry, ich habe mal eben meine Gedanken schweifen lassen, denn ich bin einfach immer noch nicht fertig mit der Frage: warum entstand dieses Buch...

Julia Phillips nutzt das Verschwinden der Kinder als loses Bindeglied zwischen den einzelnen Mädchen/Frauen/Kapiteln, die in der Summe ein Gesellschaftsbild zeichnen, das viele Probleme offenbart. Die Rolle der untergeordneten und abhängigen Frau, die immer irgendwem gefallen muss, die Vorurteile, der Rassismus, ebenso wie überholte/überrollte Lebensentwürfe. Die Tradition der Ureinwohner ist genauso Geschichte (Folklore) wie die Tradition der Russen, die als Militärmacht kamen und sich nun mit den neuen Gegebenheiten irgendwie arrangieren müssen. Eine Gesellschaft im Umbruch, bei der Alkohol und (körperliche wie psychische) Gewalt keine geringe Rolle spielen.
 

Renie

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Hups, Du hast aber ein schlechtes Bild. Ich habe das gar nicht als falsch empfunden, sondern dass sie ihr wirklich eine Freude machen wollte. Sie weiss doch nichts von Tschander.
Für mich steht der Verdacht im Raum, dass sie sich an den Russen Ruslan ranschmeißt. Das ahnt auch Ksjuscha. Daher bin ich misstrauisch.
katia mit Max. Im Wald. Ohne Zelt.
Du hast den Bären vergessen. :D

Wieso ist das wichtig?
Mich interessiert auch, warum JP diesen Schauplatz für ihren Roman gewählt hat. Als Grund kann ich für mich nur reine Neugierde nennen. Die Antwort auf diese Frage hat keinen Einfluss darauf, ob mir das Buch gefällt. Dennoch interessieren mich ihre Beweggründe.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Antwort auf diese Frage hat keinen Einfluss darauf, ob mir das Buch gefällt. Dennoch interessieren mich ihre Beweggründe.
Mit ist der Grund schnuppe, solange es gut gemacht ist. Das ist es bislang. Ich habe die Details nicht im Kopf, doch aus dem Interview geht ihre Affinität zu diesem Land eindeutig hervor. Hat sie nicht sogar dort studiert? Mir reicht das soweit. Die gesellschaftlichen Strukturen wirken sehr authentisch.
 

Barbara62

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Was haltet ihr den von Alisa, der Cousine? Ob Sie Ksjuscha wirklich nur eine Freude machen wollte? Beim lesen Schwang ein kleiner Misston mit. Ging es euch auch so?

Ich bin überzeugt, dass Alisa Ruslan absichtlich herzitiert hat. Eventuell hat sie ihre Cousine sogar in seinem Auftrag bespitzelt.

Zwei weitere Schicksale, von denen mir Walentinas Erleben am Nahesten ging. Wie erniedrigend sie im Krankenhaus behandelt wird. Unglaublich. Von Vorzugsbehandlung kann ich da nichts sehen.

Ich denke, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus. Walentina wollte nicht in diese Klinik, die keine Privatklinik ist. Der Ureinwohnerin am Empfang hat sie Verachtung entgegengebracht. Entsprechend wird sie behandelt. Und dann hat ausgerechnet sie, die immer alles plant und unter Kontrolle hat, keinen Morgenmantel dabei...

Walentina ist zwar zutiefst unsympathisch, aber die Schilderung, wie ein kleines Bläschen sie so völlig aus dem Gleichgewicht bringt, hat mir sehr gut gefallen. Sie übt gerne Macht aus, zuhause wie in der Schule, spielt sich vor dem Inspektor auf, aber eine winzige Kleinigkeit reicht, um ihr vor Augen zu führen, dass sie sehr einsam und verwundbar ist - womit sie wohl nicht gerechnet hätte.
 
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Barbara62

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Zumindest ist die verschwundene Studentin nun 'eingeführt' worden - ob es da doch entgegen Ksjuschas Vermutung einen Zusammenhang gibt? So richtig sehe ich noch überhaupt kein Land, vermisse es aber auch nicht sonderlich :)

Ich denke nicht, dass es einen Zusammenhang gibt. Lilja war erwachsen und hatte keine Lust auf ein Leben im Dorf. Aber es zeigt, dass um ein verschwundenes ewenisches Mädchen kein Aufhebens gemacht wird. Es wurde offensichtlich nur kurz darüber berichtet und dann vergessen. Ganz anders bei den russischen Schwestern.
 
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