Zeit der Unschuld: Roman

Rezensionen zu "Zeit der Unschuld: Roman"

  1. New Yorker Oberschicht um 1870

    Die Schriftstellerin Edith Wharton (24.1.1862 - 11.8.1937) war/ist für ihre sozialkritischen Romane bekannt und bekam für den vorliegenden Roman als erste Frau einen Pulitzer-Preis für Literatur.

    Sie entführt uns in das New York ab dem Jahr 1870, wo strenge Regeln das Zusammenleben der führenden Familien bestimmte. Es war z.B. üblich, französische Kleider für eine Saison beiseitezulegen – in Boston sogar zwei Jahre.

    Gräfin Ellen Olenska, die Cousine von May Welland (Verlobte von Newland Archer) wirkt da wie eine Exotin: hat sie doch ihren Mann verlassen, der sie schändlich behandelt hatte. Nun kehrte sie aus Europa zurück in ihre Heimat und Newland Archer übernimmt als Anwalt die Aufgabe, sie davon zu überzeugen, sich nicht scheiden zu lassen, da sie damit ihrer Familie schaden würde.

    Die Zerrissenheit zwischen den Gefühlen von Newland Archer und Ellen füreinander und ihren Befürchtungen, sich unredlich gegenüber seiner Verlobten, bzw. ihrer Cousine zu verhalten, ist offenkundig. Die Charaktere sind wunderbar und sehr überzeugend ausgearbeitet. (Meine Lieblingsfigur war die alte Mrs. Manson Mingott, die sich von den allgemeinen Regeln am wenigsten beeindrucken ließ!)

    Sehr berührt hat mich das Resümee von Newland Archer nach 26 Jahren, in dem wir erfahren, was sich alles inzwischen ereignet hat und seine Erkenntnis: „Das Schlimmste an der Pflichterfüllung war, dass man dabei offenbar die Fähigkeit verlor, etwas anderes zu tun. (…) Die scharfe Trennung zwischen richtig und falsch, ehrlich und unehrlich, ehrbar und schändlich hatte wenig Spielraum für das Unerwartete gelassen.“

    Mich begeisterte jeder Satz dieses hintergründigen Romans! Lesenden, die nicht zwischen den Zeilen lesen können, rate ich allerdings davon ab - sie werden sich wahrscheinlich langweilen! Von mir bekommt er 5 Sterne und eine große Leseempfehlung!

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