worttrunken: krisenausgabe

Rezensionen zu "worttrunken: krisenausgabe"

  1. Wenn die Phantasie die Realität überholt

    Es ist und bleibt interessant, wie viele talentierte Autorinnen und Autoren, die (noch) keinem breiten Publikum bekannt sind (die es aber zweifellos verdient haben!) sich in den sozialen Netzwerken tummeln und die man sonst wohl verpasst hätte. Eine davon hört auf den Namen Phil Mira und hat bereits drei Romane veröffentlicht.
    „Worttrunken“ ist mein Erst-, aber nicht Letztkontakt (immerhin liegen die beiden anderen Romane „Kontrast“ und „Bloßlegung“ auch schon hier *g*) und hat mich damit direkt von den Socken gehauen.

    Ich bin regelrecht versunken in einem Meer aus Worten, aus Lyrik, aus Sinnlichkeit – als ich das Buch nach der letzten Seite zugeklappt hatte, musste ich erst mal wieder nach oben „tauchen“ und mich ausruhen :-). Ja ja, ihr kennt meinen Hang zur Dramatik und gelegentlichen Übertreibung, aber ich schwöre, so (oder zumindest so ähnlich) war es!

    Dabei hört sich die Story zunächst „unspektakulär“ an: Frau in mittleren Jahren mit Mann, Kind und Halbtagsjob trifft Jugendfreund wieder, beginnt eine (leidenschaftliche?) Affäre und stellt sich im Zuge dessen die Frage „Bin ich glücklich mit mir, meinem (Liebes-)Leben?“. Doch ganz so leicht macht es Phil Mira der geneigten Leserschaft nicht. Im Gegenteil: wenn man als Leser glaubt, jetzt weiß man wo der Hase langläuft, schlägt er einen Haken und man fängt wieder an zu suchen; das ändert sich auch nicht bis zum Ende. Aber soll ich euch was sagen? Das ist gut so, macht Spaß und diesen Roman umso unberechenbarer!

    Phil Mira ist eine Akrobatin der Worte; sie balanciert mit ihnen ohne sie unterwegs zu verlieren, reiht munter wissenschaftliche Passagen über Semiotik (Zeichentheorie) an Lyrik und eindeutig explizite Abschnitte ohne bei Letzterem in die „Schmuddelecke“ abzudriften. Soll heißen: natürlich geht es (auch) um Sex, um die Leidenschaft, die Lust, die Mann und Frau dabei empfindet (oder auch nicht). Allerdings macht es schon beim Lesen einen Unterschied, ob es in zärtlich-sinnlichen Wortspielereien oder in härterer Tonart geschrieben steht. In Zeiten, in denen der Tonfall (untereinander) sowieso zuweilen ziemlich hart und verroht ist, sind die zarten Worte Phil Mira´s eine gelungene und wohltuende Oase, in die man sich als Leser „fallen lassen“ kann. Das Einzige, woran man sich (vielleicht) gewöhnen muss, ist die konsequente Nicht-Kennzeichnung wörtlicher Rede. Aber für geübte Leserinnen und Leser, die Autoren wie z. B. Kent Haruf lesen, stellt das keine Hürde da bzw. sollte keine darstellen.

    Das letzte Kapitel wartet dann mit einer (für mich) faustdicken Überraschung auf und hat das Kopfkino noch eine Zeitlang weiterlaufen lassen; dazu trägt auch das (offene?) Ende bei.

    Ich kann eigentlich gar nicht mehr zu diesem Roman schreiben, außer, dass ich verdammt froh bin, ihn gelesen zu haben!

    Von mir gibt´s ganz klar 5* und eine absolute Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

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