Wo der Wolf lauert

Rezensionen zu "Wo der Wolf lauert"

  1. Opfer oder Täter?

    Kurzmeinung: Man kann nichts hochlesen, wenn das Material dafür nicht vorhanden ist.

    Die Autorin läßt die hebräische Leilah Schuster als alleinige und nervige Icherzälerin auftreten und von ihrem Leben in Palo Alto, Silicon Valley erzählen. Sie und ihr Mann Michael sind erst im Erwachsenenalter aus Israel gekommen. Michael hat eine gute Anstellung als Informatiker in einem nicht näher bezeichneten Unternehmen, das sich unter anderem mit Waffenentwicklung beschäftigt; sie werden schnell wohlhabend. Dankbar sind sie dafür nicht.

    Weil Leilah sich nirgendwo einfügt und sich weigert, irgendwo anzukommen, dreht sich bei ihr alles darum, wie sie ihren 16jährigen Sohn beschützen kann. Sie ist besessen davon, den pubertierenden Adam vor allen und jedem, sogar vor sich selbst zu beschützen. Was wirklich passiert ist, - es gab einen tragischen Zwischenfall auf einer Party, bei dem ein schwarzer Junge zu Tode kam, interessiert Leilah nur peripher. „Er ist ein guter Junge“ wiederholt sie mantraartig über ihren Sohn, und klopft nie so hart auf den Busch, dass womöglich unangenehme Wahrheiten zu Tage treten könnten. Ist ihr geliebter Adam, Opfer, Täter oder etwa beides gleichzeitig? fragt sich mit Leilah auch die Leserin. Um keine Antwort zu bekommen.

    Der Kommentar:
    In dem vorliegenden Roman werden viele Themen in einer Art Kurzschleudergang vermixt. Auswanderung, bzw. Einwanderung, die Probleme der ersten und der zweiten Generation. Antisemitismus in den USA. Verführbarkeit der Jugend zu Gewalt, wenn sich nur der richtige Anlaß findet und ein entsprechend attraktiver Rattenfänger auf der Bildfläche erscheint, übertriebene Mutterliebe, Vertrauen und Vertrauensmissbrauch, schließlich schnöde Industriespionage.

    Natürlich versteht man die Kausalitätskette. Anschlag auf eine Synagoge. Besorgnis bis Angst. Radikalisierung und die daraus erstehenden Probleme. Trotzdem kann man den Knäuel an Themen, die in „Wo der Wolf lauert“ präsentiert werden, nicht auflösen. Es gibt keinen Fokus, nicht einmal auf die Frage, ob Adam Täter oder Opfer ist. Die geneigte Leserin hat den Eindruck, alle Missstände sollten gleichzeitig angeprangert werden, so geht vorige Frage immer wieder unter, weil im Knäuel „verwickelt“. Leider verlassen wir nie die etwas gestörte und gefärbte Innenansicht Leilahs. Und das funktioniert für mich nicht.

    Die Frage „Wie gut kennen wir unsere Liebsten?“ wird breit aufgefächert und fein durchbuchstabiert. Der Rest aber ist Themenkuddelmuddel. Der Begriff „Verantwortung“ taucht nicht ein einziges Mal auf und so hält sich mein Mitgefühl mit einer nervenden Helikoptermutter, die sich nicht traut, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und ihrem Sohn, von dem nicht klar wird, ob er Opfer oder Täter oder vielleicht sogar beides ist, sehr in Grenzen.

    Fazit: Ein Roman mit Licht- und Schattenseiten. Das Gefühl von „Kuddelmuddel“ ist bei mir leider vorherrschend geblieben. Schade eigentlich bei den aufgeworfenen brisanten Themen.

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: Argon, 2021

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  1. Hinter der nächsten Ecke!

    Palo Alto gilt als eine der sichersten Städte der USA. Genau deswegen ist Lilach Schuster mit ihrem Mann Michael aus Israel dorthin immigriert. Der Sohn der Schusters, Adam, wächst dort auf. Adam ist ein stiller, freundlicher Jugendlicher, der besser Englisch als hebräisch spricht, seinen Hund liebt und sich für Chemie interessiert. Die Schusters führen ein gutes Leben, privilegiert, finanziell sehr gut abgesichert.

    Dann erschüttert der Anschlag eines afroamerikanischen Jugendlichen auf die örtliche Synagoge die jüdische Gemeinde. Kurz darauf stirbt Jamal, ein anderer schwarzer Junge, ein Mitschüler Adams, bei einer Party, vorgeblich an einer Überdosis.
    Lilachs heile Welt ist zerschlagen, je mehr sie über Jamals Tod erfährt und Adam eventuell damit zu tun haben könnte.

    Es ist ein grandioser Wurf, den die israelische Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen mit „Wo der Wolf lauert“ gelandet hat. Ein vielschichtiger Familienroman, der Monolog einer Mutter, die sich der Frage stellen muss: Wie gut kenne ich den, den ich am meisten liebe.

    „Wieso habe ich denn nichts gesehen?“

    Böse Dinge geschehen, schon hinter der nächsten Ecke kann der „Wolf lauern“, das muss Lilach einsehen. Und doch geht es nicht nur um Mutterliebe in diesem Roman. Antisemitismus, Rassismus, Zugehörigkeit, Mobbing, Manipulation sind die Themen, die Ayelet Gundar-Goshen hier zu einem grandiosen Lese/Hörerlebnis vermengt.

    Ein absolutes Highlight, souverän von Milena Karas direkt ins Ohr vorgelesen.

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