Wir Zerrissenen: Roman
Das Debüt „Wir Zerrissenen“ der südafrikanischen Autorin Rešoketšwe Mananzhe ist ein Roman, der bei mir durch einen vielversprechenden Plot, einem interessanten Anfang sowie einer wunderschönen Buchgestaltung hohe Erwartungen schürte. Doch mit den Erwartungen ist das so eine Sache.
Die Geschichte spielt in Südafrika, im Jahre 1927, als das Parlament ein eigenwilliges Gesetz verabschiedet: Der „Immorality Act“ verbietet sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen. Verstöße gegen dieses Gesetz werden streng geahndet, unter anderem mit der Enteignung von Besitz, Grund und Boden. Unmittelbar davon betroffen ist die Familie van Zijl, deren Existenz mit einem Mal auf dem Spiel steht.
Aus der Ehe des weißen Weinbauern Abram van Zijl und seiner schwarzen Frau Alisa sind zwei Töchter hervorgegangen: Dido und ihre jüngere Schwester Emilia. Die Familie lebt auf einer Farm in der Nähe von Kapstadt. Bis zum Erlass dieses unsäglichen Gesetzes verlief die Kindheit der beiden Mädchen unbeschwert, auch wenn die Gemütslage der Mutter immer wieder einen Schatten auf ihre Kindheit wirft. Die Mutter leidet unter Depressionen, die sie häufig in Stimmungstiefs herabreißen. Ehemann Abram steht dem Gesundheitszustand seiner Frau hilflos gegenüber. Das Paar hat sich über die Jahre auseinandergelebt, auch wenn beide versuchen, immer wieder zueinander zurückzufinden.
Nachdem die Familie auf den Radar eines Gesetzeshüters gerät, ist Abram gezwungen, mit seiner Familie zu fliehen, in der Hoffnung, in einem anderen Land ein neues Leben beginnen.
Dieser Roman fing so gut an: eine ergreifende Geschichte, die in einem exotischen Land angesiedelt ist, und die das Hauptaugenmerk auf ein irrsinniges Gesetz richtet. mit seinen kaum vorstellbaren und existenzgefährdenden Auswirkungen auf eine nette Familie. Es ist eine Geschichte, die nahe geht und auf eine eigene Weise erzählt wird, die wenig mit dem Erzählstil vergleichbar ist, den ich in der europäischen Literatur gewohnt bin. Ich bin gewillt, diese Erzählweise als afrikanische Erzähltradition zu bezeichnen. Ob dies richtig ist, sei dahingestellt. Zumindest findet man eine bildgewaltige Sprache, Vergleiche, bei denen man nicht sicher ist, ob sie unbeholfen wirken oder einfach der Beweis einer fantasievollen Ausdrucksweise sind. Die Handlung wird von vielen märchenhaften Geschichten begleitet, die von den Protagonisten dieses Romans oft und gerne untereinander erzählt werden.
Der Anfang des Romans „Wir Zerrissenen“ enthält für mich also vieles, was die Geschichte zu einem beeindruckenden Leseerlebnis machen könnte.
Doch plötzlich kommt der Moment, in dem die Qualität des Buches kippt und ich mich in einem völlig anderen, aber leider beliebigen modernen Roman wiederfinde. Die Aspekte, die den großen Charme dieses Romans ausgemacht haben, treten in den Hintergrund und ich werde mit Themen konfrontiert, über die ich nicht lesen möchte, ganz einfach, weil man derzeit ständig darüber liest: Identitätsfindung, Homosexualität, ein Kurzausflug in den Feminismus. Diese Anhäufung von Themen, die gerade in der Literatur „in“ sind, wirkt auf mich sehr konstruiert und erweckt den Verdacht, dass die Autorin den derzeitigen Vorlieben des Mainstreams gerecht werden möchte, was sie eigentlich nicht nötig gehabt hätte.
Wäre die Autorin mal lieber bei ihrer anfänglichen Linie geblieben. Vielleicht wäre ihr damit ein großer Wurf gelungen, mich hätte sie sicherlich begeistern können. Jetzt bleibt mir dieser Roman bestenfalls als durchschnittlich in Erinnerung.
©Renie
Die südafrikanische Schriftstellerin Resoketswe Manenzhe legt mit ihrem kolonialismuskritischen Debutroman eine Geschichte mit einer einzigartigen Erzählstimme vor. Der Roman gilt als meist ausgezeichnetes Debut Südafrikas. Die Handlung beginnt in den Jahren vor der Einführung der Apartheit. Abram lebt mit seiner Familie ein recht komfortables Farmerleben. Bislang blieb seine Familie daher weitgehend von Diskriminierungen verschont. Doch 1927 kommt es mit der Einführung des Immortatility Acts zu einer Zäsur in ihrem Leben. Alisas Furcht um die Familie wächst. Abrams Zögern und sein Vertrauen darauf, dass Wohlstand und Heiratsurkunde die Familie vor dem Schlimmsten bewahren würden, vergrößert den Spalt, der sich zwischen dem weißen Niederländer und Südafrikaner Abram und seiner durch Engländer adoptierten, schwarzen Ehefrau Alisa längst aufgetan hat. Die Familie lebt fortan auf gefährlichem Fuß, da die Kinder Emilia und Dido Beleg sind für die als verboten geltende Beziehung. Was tun? Alisa zieht für sich und ihre Kinder in ihrer Verzweiflung die Notbremse. Doch Dido überlebt das von ihr gelegte Feuer. Im Versuch, ohne Mutter und Schwester weiterzuleben, empfindet Dido eine unerträgliche Stille und Leere.
Am Beispiel von Abram und seiner Familie gewährt uns Manenzhe einen Einblick in die fatalen sozialen und gesellschaftlichen Folgen des Kolonialismus. Vermittelt insbesondere über die Geschichte Glorias, die eigentlich Macombe heißt, erfahren wir, wiev vele Südafrikaner ihrer Kultur, ihres Landes sowie ihres Namens beraubt wurden. Wir erhalten über Gloria auch Einblicke in südafrikanische Mythen und Rituale. Dies ist für mich eine Stärke des Romans.
Nachdem der Immortality Act Abrams Familie ins Unglück gestürzt hat und Abram mit Dido zu einem ehemals gutem Freund geflüchtet ist, gibt uns Alisas Tagebuch, das Dido vor dem Feuer retten konnte, Einblicke in ihre Beweggründe. Nach meinem Empfinden fokussiert sich Manenzhe hier zu sehr auf die Figur Alisas. So wird zwar die innere Zerrissenheit besonders deutlich, die Wurzellosigkeit, die die Suche nach einer Heimat massgeblich erschwert. Jedoch bleibt am Ende offen, wie es mit Abram und Dido weiter geht. Werden sie es nach Europa schaffen und dort eine neue Heimat finden? Dies jedoch ist möglicherweise von der Autorin intendiert, da es ihr mehr um die fatalen Auswirkungen des Kolonialismus zu gehen scheint, der Familien zerstört. Vielleicht hätte ein versöhnender Hoffnungsschimmer am Ende dazu nicht so gut gepasst?
Insgesamt konnte der Roman mich nicht zur Gänze überzeugen. Gefühlt verblasst die Geschichte etwas im Vergleich zu anderen großen Kolonialismusromanen wie denen etwa von Gurnah. Dennoch habe ich das Buch gerne gelesen und bin auf weitere Werke der Autorin neugierig geworden.
Die Apartheit in Südafrika fand ihr offizielles Ende 1994 mit den ersten gemeinsamen Wahlen. Viele heftige (inter-)nationale Proteste waren dem voarausgegangen. Ihren Anfang hatte die Apartheit viel früher. Bereits die ersten Kolonialherren nahmen den indigenen schwarzen Völkern Kultur, Sprache, Rohstoffe, Land und vieles mehr. Sie gingen brutal vor und manifestierten ihre Vorherrschaft mit verschiedenen Gesetzen. Ein sehr bedeutendes war der Immorality Act von 1927, der Geschlechtsverkehr zwischen Schwarzen und Weißen unter harte Strafen stellte. Besonders tragisch war dieser Erlass für die Protagonisten dieses Romans: Abram van Zijl hatte seine Frau Alisa einst in London kennengelernt. Er liebte Südafrika, sie wollte dem Kontinent ihrer Vorfahren wieder nahe sein. So siedelten sie sich am Kap an, wo sie nun eine Farm führen, auf der Wein angebaut wird. Die beiden haben zwei Töchter im Grundschulalter.
Das Paar hat sich entfremdet. Das neue Gesetz, dessen ganze Härte auf die Ehe der van Zijls angewendet werden kann, scheint die zugrunde liegenden Konflikte zu verschärfen. Insbesondere Alisa hat Angst. Sie fürchtet nicht nur um sich selbst, sondern auch um die Töchter Emilia und Dido. Offensichtlich leidet Alisa dermaßen, dass sie in ihrer einsamen Verzweiflung schließlich zu einer radikalen Handlung getrieben wird, die sie und Tochter Emilia nicht überleben. In der Folge wird Abram zum Umdenken gezwungen. Er muss zusammen mit Dido das Weingut verlassen und versuchen, nach Europa zu gelangen. Auf dieser Reise sind die beiden latenten Gefahren ausgesetzt. Sie müssen auf die Kooperation des rassistischen alten Freundes Johannes vertrauen und auf dessen Anwesen untertauchen. Insbesondere Dido versteht es trotz der prekären Lage, sich anzupassen und den Menschen um sich herum ihre Lebensgeschichten zu entlocken, so dass wir als Leser einige Schicksale aus dem zerrissenen Kontinent erfahren und wir ein Gespür dafür bekommen, wie sehr sich die Folgen des Kolonialismus über Jahrhunderte fortsetzen.
Von Beginn an besticht der Roman mit seiner besonderen Sprache, die an afrikanische Erzähltraditionen erinnert. Man lauscht Mutter Alisa, die ihren Töchtern im Garten mystische Geschichten und Legenden Afrikas erzählt, in denen die Geister und Seelen der Vorfahren große Bedeutung haben. Herrlich eintauchen kann man in blumig-poetische Formulierungen, die die einmalige Landschaft oder das Erwachen des Tages beschreiben: „Das turbulente Leben, das die Welt in diesem Augenblick zu füllen beginnt, gleicht einem Orchester. Angeführt wird diese Sinfonie von den Hähnen. Sie verkünden das Erwachen der Dinge, das Schwinden der nächtlichen Dunkelheit. Andere Vögel nehmen diesen Ruf auf und erheben sich in die Lüfte.“ (S. 60) Wer dafür aufgeschlossen ist, wird die bildreiche und symbolträchtige Sprache genießen.
Dido findet das teilweise zerstörte Tagebuch ihrer Mutter, dessen Inhalt sich über einen großen Teil des Romans erstreckt. Damit hatte ich meine Schwierigkeiten, weil der an sich spannende Plot rund um die Flucht Abrams mit diesen Aufzeichnungen unterbrochen wird. Wir bekommen aus Alisas Perspektive Vergangenheit und Gegenwart einer Frau geschildert, die ihr Leben lang auf der Suche nach Zugehörigkeit und Wurzeln war, die glaubte, mit Abram am Kap zur Ruhe zu kommen, sich aber in Südafrika nur wieder neuen rassistischen Übergriffen und Ausgrenzungen gegenübergestellt sah. Man kann tief in die Seele dieser gepeinigten Mutter blicken. Ihre tragische Tat hat eine lange Geschichte und viele Ursachen. Rechtfertigen lässt sie sich jedoch nicht.
Der Roman enthält hoch emotionale Momente. Insbesondere Dido wird zur Sympathieträgerin, wenn sie das Gespräch mit der schwarzen Josephina oder dem weißen Johannes sucht. Dido wird zur zentralen Figur des Romans. In dieser Rolle scheint sie mir jedoch teilweise überfordert. Mal verhält sie sich kindlich naiv, mal ist sie mit erstaunlicher Klugheit und Kombinationsgabe ausgestattet. Diese Ambivalenz ist meiner Meinung nach nicht durchgängig stimmig.
„Wir Zerissenen“ ist ein Roman, der zwar im Wesentlichen eine Familie fokussiert, dabei aber auch von vielen anderen ähnlich gelagerten Schicksalen erzählt. Er gibt Einblick in eine fremde Kultur und zeigt negative Folgen kolonialer Herrschaft auf, die bis in die Gegenwart fortwirken. Mich persönlich hat der Roman nicht völlig erreichen können. Ich hadere mit den Tagebuchaufzeichnungen, sie wirken disharmonisch und gewollt, ebenso habe ich darin den von mir geschätzten poetischen Sprachstil vermisst. Die letzten 50 Seiten konnten mich nicht mehr mit dem Text aussöhnen, auch wenn dort die mystischen Anklänge vom Anfang wieder zu finden sind. Zentrale Fragen des Plots bleiben zudem unbeantwortet, man muss sich den Ausgang erschließen.
Von mir daher nur eine eingeschränkte Leseempfehlung.
1927 wurde in Südafrika ein Gesetz mit der Bezeichnung "Immorality Act" erlassen, das sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Nichtweißen untersagte. Damit waren zunächst nur außereheliche Beziehungen gemeint. Einige Jahre später, 1949, wurden auch entsprechende Ehen verboten. Vor diesem Hintergrund spielt der Roman "Wir Zerrissenen", der 1927 in Kapstadt beginnt. Der Winzer Abram und seine Frau Alisa fühlen sich von dem Gesetz unmittelbar bedroht. Dass Abram seine Frau damit tröstet, dass sie ja verheiratet seien, ändert nichts an der Atmosphäre der Angst, in der sie leben. Die Ehe zerbricht daran. Alisa fürchtet um die beiden Kinder Emilia und Dido. In der Schule sind bereits Regierungsbeamte aufgetaucht und haben Dido unter die Lupe genommen; auch das Weingut, das sie zusammen betreiben, wird besucht und abgeschätzt. Abram kann seine Frau nicht mehr beschwichtigen. Sie entschließt sich zu einem verzweifelten Schritt.
Ein Weingut in Kapstadt mit wohlbestückter Bibliothek (Alisa ist sehr belesen; wie es dazu kam, erfahren wir erst später), die beiden phantasiebegabten Kinder, im Hintergrund das Kindermädchen Gloria aus dem Volk der San, das eigentlich Mmakoma heißt, die eingestreuten afrikanischen Legenden - wir hätten die perfekte Folie für einen dramatischen Familienroman unter dem Verdikt der Rassentrennung. Aber so linear ist das Buch nicht. Die Tragödie, die die Familie zerreißt, steht am Anfang, und danach folgt wie eine lange Antiklimax das zermürbende Leben ohne Schutz und Hoffnung, sowie die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Hier sehen wir die elfjährige Dido allein mit ihrem Vater. Sie haben Kapstadt verlassen müssen und suchen zunächst Zuflucht bei einem alten Freund Abrams. Dort liest Dido die Tagebücher ihrer Mutter, die sie aus der zerstörten Heimat mitgenommen hat. Wir erfahren, warum Alisa, wie es auf den ersten Seiten des Romans heißt, erst einfach Alisa hieß und dann Alisa Miller, bevor sie Abrams Frau wurde; warum sie Britin ist, obwohl sie von haitianischen Sklaven abstammt, und warum sie nach Afrika reiste. Es mag ein abgenutzter Kunstgriff des typischen "Familienromans" sein, dass die Tochter die Geheimnisse der Mutter aus deren Tagebüchern erfährt; aber Dido ist erst elf und mit dem, was sie liest, überfordert. Der ganze Aufbau des Romans ist ungewohnt und geradezu körperlich schmerzhaft, weil der kleinen Tochter eine unerträgliche Bürde nach der anderen aufgehalst wird. Man tut gut daran, das Buch nicht als Familiendrama oder psychologischen Roman, sondern als einen sinnbildlichen Geschichtsroman zu lesen, im erzählerischen Ansatz ein wenig vergleichbar mit "Früchte des Zorns" (der Vergleich hat sich mir mehrmals aufgedrängt). Die heimatlos umhertreibende Familie, die nirgends einen Ort des Friedens findet, wird zum Sinnbild eines zerrissenen Kontinents.
Die eingestreuten afrikanischen Legenden wurden bereits erwähnt, auch eine Vielzahl anderer menschlicher Tragödien im Zusammenhang mit der Besiedelung Südafrikas werden mit der Haupterzählung verwoben. Der abgeklärte Grundton des Romans passt zu der Feststellung auf den ersten Seiten: "Das reiche, großzügige und bescheidene Afrika ließ es widerstandslos zu, dass man sein Antlitz in unzählige Splitter zerschlug ... Afrika hatte sich mit Leichtigkeit beugen lassen." Der ruhige Erzählton, auch angesichts der familiären Katastrophe, die wir lesen müssen, passt zu dem Schluss, der viele Deutungen offen lässt. Das Buch demonstriert eindrücklich, wie ein Staat unbefolgbare Gesetze erlässt und Menschen ausspuckt, die sich nicht in das gewaltsame Schema einfügen. Ein lesenswertes Buch vor dem Hintergrund eines nach wie vor tief verwundeten Kontinents.
Die beeindruckende Paradiesvogelblume (Strelitzia reginae) kommt aus der Kapregion Südafrikas und ziert das Cover von
Wir Zerrissenen von Resoketswe Manenzhe.
Die Blüte streckt ihre bunten Blätter suchend nach oben und hinterlässt den Eindruck einer zerissenen Schote.
1927 stoßen wir in Südafrika auf den weißen Farmer Abram van Zjil mit seiner schwarzen Frau Alisa und ihren beiden Töchtern Emilia (6) und Dido (9). Im Zuge der Friedensbemühungen zwischen Briten und Buren, stimmten Erstere der weiterführenden Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung zu und verabschiedeten den "Immorality Act", bei dem Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen unter Strafe gestellt wurde.
Das Verbot einer gemischtrassigen Ehe kam erst später, aber die unverhohlenen Andeutungen der Rechtmäßigkeit und Belegbarkeit seiner Ehe und die begierigen Blicke auf seine prosperierende Farm stürzen Abram in Sorgen. Die in den letzten Jahren depressive Alisa hingegen wartet eine Entscheidung ihres Mannes nicht ab und begeht mit ihren Töchtern einen erweiterten Suizid.
Dido überlebt und hält das Erbe ihrer Mutter in Form von halbverbrannten Tagebüchern in den Händen, während sie und ihr Vater sich doch noch auf die Flucht gen Norden begeben, weg von den sich verschärfenden Rassentrennungen. Sie finden Unterschlupf bei einem Bekannten Abrams, der aber seinerzeit die Hochzeit Abrams mit Alisa ablehnte und die ehemals gute Freundschaft zerbrechen ließ. Auch jetzt lehnt er zunächst Unterkunft in seinem Haus für einen Mischling (Dido) ab. Dennoch erklärt er sich bereit, Abrams Farm in Kapstadt abzuwickeln und so dauert der gefährliche Aufenthalt auf unerwünschtem Terrain etwas länger. In dieser Zeit befasst sich Dido mit der Vergangenheit ihrer Mutter und bittet ihren Vater darum, auch Alisas Tagebucheintragungen zu lesen.
An diesem Punkt fing auch ich an zu verstehen, warum eine Mutter sich und ihre Kinder umbringen wollte und warum Abram Alisa zum Schluss gehasst hat. Alisas Lebenslauf zog sich über drei Kontinente und die Suche nach ihren Wurzeln sollten in Afrika ein Ende finden. Gloria, die schwarze Nanny der Kinder erkannte die Heimatlosigkeit der Seelen ihrer Herrschaft und gab zumindest Dido das Rüstzeug für das Finden einer Heimat.
Ob nun die Flucht noch gelungen ist, ob Dido und Abram ihren Frieden schließen konnten, lässt das Debüt dieser Autorin offen.
Vielmehr zeichnet dieser Roman ein feines Gespür für Traditionen und Verbundenheiten auf, die durch dumme menschliche Erlasse und Gesetze zerstört werden. Johannes (Abrams Fluchthelfer) Haltung "Afrika muss vor der Homogenität gerettet werden" (S. 333) verdeutlicht den unüberwindbaren Zaun, der ein friedliches Miteinander verhindert.
Manenzhe bietet keine Lösung, schenkt uns kein Happy End, zeigt uns aber die Seele einer wahrlich Zerrissenen, stellvertretend für den auch heute wieder erstarkenden Rassismus. Leise Nebenschauplätze von unterdrückter Homosexualität, oder dem Versuch einer neuen Weltordnung in der jungen Sowjetunion, zeugt von einem breiten Beobachtungsspektrum. Ein feines, lesenswertes Debüt!
Im Jahr 1927 tritt in Südafrika der Immorality Act in Kraft, der sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Nicht-Weißen unter Strafe stellt. Es ist eins der Gesetze, die das System der Apartheid konstituieren werden. Der wohlhabende Winzer Abram van Zijl glaubt sich geschützt durch die Heiratsurkunde, aber seine schwarze Frau Alisa, sensibilisiert durch lebenslange Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe, kann seinen Optimismus nicht teilen und trifft eine verzweifelte Entscheidung, die zu ihrem Tod und dem der jüngeren Tochter Emilia führt.
Infolge sind Abram und seine ältere Tochter Dido aufeinander zurückgeworfen. Als Abram beschließt zu fliehen, haben die Verfechter der Apartheid bereits ihre Stricke ausgelegt. Werden die beiden das rettende Ausland erreichen?
„Wir Zerrissenen“ ist ein historischer Roman, der sich überhaupt nicht so liest. Es ist kein Buch über den Immorality Act oder über die Apartheid, sondern über die Emotionen, die dadurch in den betroffenen Individuen ausgelöst werden. Der Roman arbeitet keine historischen Landmarken ab, sondern konzentriert sich auf sein knappes Personal.
Abram steht für die Weißen, die sich über ihre Verortung in der Welt keine Sorgen machen müssen. Gloria, Bedienstete der van Zijls, steht für die Ureinwohner, die systematisch ihrer Rechte beraubt wurden, angefangen mit dem angestammten Land. Alisa schließlich gehört zu den „Zerrissenen“, die weder das eine noch das andere sind: In der Welt der Weißen verachtet, zur Welt der Schwarzen nicht zugehörig. Der Originaltitel des Romans – Scatterlings – bedeutet so viel wie „die (in der Welt) Verstreuten“ und bezieht sich auf die unzähligen Afrikaner, die ihrem Land geraubt und in die Kolonien verschleppt worden sind. Obwohl Alisa in Jamaica geboren ist, kann sie die Insel nicht als ihre Heimat betrachten, denn ihr Vater war Sklave und Jamaica somit der Ort seiner Knechtschaft. Auch England, Land ihrer liebevollen weißen Adoptiveltern, wird nie ihr Zuhause. Alisas Tagebuch, das in der Mitte des Romans knapp 100 Seiten Raum bekommt, erzählt von ihrer Hoffnung, in Afrika so etwas wie Zugehörigkeit zu erlangen und die Geschichte ihrer und Abrams Liebe. Ihre Aufzeichnungen rechtfertigen ihr Handeln nicht, aber machen es nachvollziehbar. Wir alle brauchen Gemeinschaft und Zugehörigkeit - wie es sein muss, nirgendwo auf der Welt gewollt zu sein, vermittelt Manenzhe ungemein glaubwürdig.
Sprachlich war ich nicht so glücklich mit diesem Debüt. Es gibt viele Formulierungen, die mir ungeschickt oder allzu bemüht vorkamen. Zwar liest der Text sich flüssig, dennoch war mir der Erzählton zu naiv und die trivialen Worthülsen zu häufig; "es war ihm nicht vergönnt", "seinen Tränen freien Lauf lassen" usw., aber auch die nicht immer geglückten Vergleiche störten meinen Lesefluss. Das Stilmittel der Personifizierung von Sonne, Stadt, Nebel etc. ging mit einer gewissen Blumigkeit einher, die zu den folkloristischen Aspekten durchaus passte, aber das muss man mögen. Ich habe mich ein wenig schwer damit getan und konnte nicht so in die Geschichte eintauchen, wie sie es inhaltlich verdient hätte.
Manenzhe vermischt südafrikanische Folklore mit der Geschichte der van Zijls und den Ereignissen jener Zeit. Die Legenden der Ureinwohner sind einstmals identitätsstiftend gewesen und sind es immer noch, auch wenn die systematische Entwurzelung der Stämme die Überlieferung geschwächt hat. Dido helfen ihre Rituale und Geschichten, das Erlebte zu verarbeiten und in eine heilsame Transzendenz zu überführen.
In diesem Sinne ist auch das Ende des Romans zu verstehen. Wir erfahren nicht, ob Vater und Tochter die Flucht gelingt. Stattdessen lässt die Autorin im letzten Kapitel die Geschichte in einer mystischen Vision verwehen – sehr poetisch, aber inhaltlich unbefriedigend.
Insgesamt ein respektables Debüt – trotz kleiner Schwächen sollte man die Autorin im Auge behalten.
Wie der Titel so der Roman...
Der Klappentext verspricht in meinen Augen eine dramatisch angelegte Familiengeschichte auf der Grundlage des 1927 in Südafrika verabschiedeten "Immorality Act". Dieser stellt Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen unter Strafe - und die Folgen dieses diskriminierenden Gesetzes bekommt die Familie von Abram und seiner Frau Alisa zu spüren. Während der niederländischstämmige Abram anfangs nicht so recht glauben will, dass die vor Jahren geschlossene Ehe mit seiner schwarzhäutigen Frau plötzlich ein Problem darstellen soll, erweist sich die depressiv veranlagte Alisa als weitsichtiger - und zieht eine fatale Konsequenz. Dies spielt sich bereits im ersten Teil des Romans ab, und im Folgenden müssen Abram und seine Tochter Dido sehen, dass sie heile aus der Angelegenheit herauskommen. Doch die Häscher sind ihnen auf den Fersen.
Klingt spannend? Ja, das dachte ich mir auch. Doch Rešoketšwe Manenzhe hatte offenbar mehr im Sinn als nur ein Familiendrama mit einem wahren historischen Hintergrund. Sie bemüht sich auch, dem Leser die "Seele Afrikas" näherzubringen, indem sie hier einige biografische Hintergründe einzelner schwarzer Bediensteter sowie zahlreiche Mythen und märchenhafte Erzählungen der afrikanischen Ureinwohner einflicht, die durch Kolonialisierung und Europäisierung, Unterdrückung und Ausgrenzung verloren zu gehen drohen. Gerade der Geisterglaube ist es, der die afrikanischen Ureinwohner erdet, ihnen Hoffnung und Wurzeln gibt. Und dies verdeutlicht die Autorin in ihrem Debüt sehr bildhaft und facettenreich. Das war durchaus interessant zu lesen, doch zerfaserte der Roman in meinen Augen dadurch auch zusehends.
Gegen Ende kam es für mein Empfinden dann zu einem vollständigen Bruch, als über hundert Seiten lang ein gerettetes Tagebuch von Alisa vorgestellt wurde, das ihre Gedanken, Gefühle und Motivationen beleuchet und letztlich auch Abram einiges besser verstehen lässt. Dieser immens lange Einschub war trotz der Tagebuchform jedoch seltsam distanziert und wenig berührend. Hier wurden zudem wie nebenher zahlreiche Themen angeschnitten, allen voran die Problematik der Entwurzelung und die Frage, wohin man eigentlich gehört, aber auch eine mögliche Revolution in Russland, Darwins Erkenntnisse oder feministische Anklänge. Das hat mir leider auch so gar nicht gefallen, wirkte eher essayhaft und konstruiert und schuf einen Riss, in dem der eigentliche Roman zu verschwinden drohte.
Die bedeutsamen Anliegen von Rešoketšwe Manenzhe werden hier im Roman definitiv deutlich, doch die Besonderheit des Romanaufbaus sorgte bei mir für ausbleibende Begeisterung. Das offene Ende kann ich nachvollziehen und akzeptieren, doch trug auch dies dazu bei, dass ich den Roman mit einem Schulterzucken schloss. Schade.
© Parden