Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman' von Felix Schmidt
4.85
4.9 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman"

Der größte Teil des Lebens ist gelebt, die Tage sind gekommen, in denen die Lebensernte eingefahren wird. Vieles, was er sich vorgenommen hatte, hat er erreicht, manches, was er erreichen wollte, ist auf der Strecke geblieben. Eine Begebenheit hat in all dem Drunter und Drüber, das seinen Lebensweg so holprig machte, zeitlebens im Unterbewussten rumort. Der Vater, Küfermeister in einer südbadischen Kleinstadt, kehrt bereits im ersten Kriegsjahr schwer verwundet, kriegsuntauglich und desillusioniert zurück nach Hause. Er macht aus seiner Abneigung gegen den NS-Staat keinen Hehl. In der Werkstatt, am Wirtshaustisch sagt er, was er über Adolf Hitler und »seine Bande« denkt: »Die müssen wieder weg.« Der Ortsgruppenleiter verwarnt ihn, aber er lässt sich nicht mundtot machen und bringt mit seiner Renitenz sich und seine Familie in existenzbedrohende Schwierigkeiten und sich schließlich ins Gefängnis. Nach Kriegsende drängen auch jene wieder zur Geltung, die das Leben des Vaters beschädigt haben, der Lehrer zum Beispiel. Damit wird er nicht fertig. Er hält sich nun mehr und mehr im Wirtshaus auf, kommt ins Saufen, zerstört die Familie. Der Sohn, der Ich-Erzähler des Romans, ist ein introvertiertes, leicht versponnenes, überängstliches Kind, das unter der Unbesonnenheit und gelegentlichen Brutalität des Vaters leidet und viele Stunden im Luftschutzkeller verbringt, auch wenn es keinen Fliegeralarm gibt. Die Großmutter tröstet ihn, wenn seine Angst vor dem Vater übermächtig wird. Oben in der Mansarde hört er, wenn der Vater betrunken nach Hause kommt und in der Küche mit Geschirr um sich wirft.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
Verlag: Osburg Verlag
EAN:9783955102753

Rezensionen zu "Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman"

  1. Authentisches und intensives Memoir

    Eine kleine Stadt am Rhein, in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Hier lebt die Familie des Ich-Erzählers. Der Vater ist Kriegsheimkehrer nach einer Verwundung, ein zorniger Mann, der sich nicht von der Hitlermaschinerie vereinnahmen lässt. Seinen Unmut offen kund tut, sich und die Familie oftmals gefährdet. Der kindliche Ich-Erzähler findet vor allem Schutz und Trost bei der Großmutter.
    Weit über 80 Jahre ist der Erzähler, als er wieder in die Stadt seiner Geburt zurückkehrt und sich zu erinnern beginnt.

    Felix Schmidt, renommierter Journalist, Produzent von politischen Talkformaten im Fernsehen und Autor, erzählt hier die Geschichte (s)einer Kindheit. „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ beeindruckt mit einer intensiven Authentizität vom Heranwachsen in der Kriegszeit, vom Wunsch dazugehören zu wollen und von Auflehnung, von der Angst vor und um den Vater, von den Schrecken eines Krieges und der Tyrannei.

    „Auch heute noch genügen vergleichbare Geräusche, um den Schrecken und die Angst von damals wachzurufen. So etwas Unheimliches verschwindet wohl nicht mehr aus dem Kreislauf der Gefühle. Einen verängstigten Jungen hat mich die fein empfindende Großmutter genannt. Ein verängstigter Mann bin ich zeitweilig immer noch.“

    Dieses Buch spricht nicht nur an, was heute immer noch und derzeit so präsent und bedrohlich ist wie schon Jahrzehnte lang nicht mehr in Europa: Krieg und seine unfassbaren Auswirkungen Diese Buch hilft auch, mit die eigene Eltern- und Großelterngeneration und all die vererbten Traumata besser zu verstehen.

    Vielen Dank für dieses eindringliche Memoir, Herr Schmidt!

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  1. 5
    31. Mär 2022 

    Ein Leseschatz

    „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ von Felix Schmidt ist sicherlich kein Buch, das im Regal oder auf dem Verkaufstisch einer Buchhandlung ins Auge springt. Das Cover ist mit seinem Landschaftsmotiv in gedeckten Grüntönen dezent zurückhaltend. Der Titel, in weißer Schrift vor einem Himmel mit düsteren Regenwolken, unauffällig. Fast möchte man meinen, dass dieser Roman sich vor der Aufmerksamkeit scheut, die ihm gebührt.
    Und dieser Roman hat ganz viel Aufmerksamkeit verdient, soviel ist sicher.

    Felix Schmidt hat mit „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärt“ einen Roman mit autobiografischen Zügen geschrieben.
    Der namenlose Ich-Erzähler ist zu Beginn ein Journalist in den 80ern, der sich an seine Kindheit in den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit erinnert, die er in einer Kleinstadt in Südbaden verbracht hat.
    Sein Vater, Küfermeister der Stadt und derjenige, der Hitler den Krieg erklärte – war kein einfacher Mensch. Mit Beginn des 2. Weltkrieges ging er an die Front und kehrte nach kurzer Zeit verwundet und kriegsuntauglich wieder zurück. Von da an ging er auf Konfrontationskurs mit den örtlichen Nationalsozialisten und hielt mit seiner Abneigung gegenüber Hitlers Ideologie nicht hinter dem Berg, ungeachtet der Konsequenzen für sich und seine Familie. Der Mann war ein Sturkopf und rechthaberisch.
    Seine Frau sowie seine beiden Söhne litten unter der Dominanz des Vaters. Insbesondere der Ich-Erzähler, der zu diesem Zeitpunkt um die 10 Jahre alt war und ein ängstliches und verschlossenes Kind, stand immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit des strengen Vaters.
    Wie die meisten Schulkinder der damaligen Zeit ließ sich der Junge von der Begeisterung seiner Lehrer für Hitler und den Nationalsozialismus mitreißen und hätte gern zu Hitlers Jugendbewegung dazugehört. Doch Vater ließ ihn nicht.
    Vater und Sohn hatten also ein angespanntes Verhältnis. Der Vater, weil er Hitler und den Nationalsozialismus lautstark ablehnte und der Sohn, der gern dazugehört hätte, aber nicht durfte und sich für die Einstellung seines Vaters schämte.
    Mit Sieg und Einmarsch der Alliierten wird das Leben in Deutschland in eine neue Richtung gelenkt. Die Nationalsozialisten sollen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch vielen von ihnen gelingt es, nahezu unbemerkt die Seiten zu wechseln und ihre Nazi-Vergangenheit zu leugnen oder zu verharmlosen – so auch in der südbadischen Kleinstadt.
    Mit dieser Ungerechtigkeit und Verlogenheit kommt der Vater nicht zurecht. Der Krieg und die Zeit danach hinterlassen Wunden, sowohl beim Vater als auch beim Sohn.

    Fritz Schmidt erzählt diese Geschichte auf eine sehr warmherzige Weise. Die Figuren dieses Romans sind ihm wichtig, jede auf seine Art. Er wählt seine Worte mit Bedacht, als ob er vermeiden möchte, jede noch so kleine Erinnerung an die damalige Zeit zu verlieren. Das macht mir diesen Roman und seine Figuren sehr vertraut, zumal ich mich dabei ertappe, dass ich an eigene Familienmitglieder denke, die den Krieg erlebt haben und mir als Kind viel aus dieser Zeit erzählt haben.
    Daher ist dieser kleine Roman mit gerade mal ca. 150 Seiten ein, für mich, sehr persönlicher Leseschatz, den ich bewahren werde.
    Ob man ihn als Roman gegen den Krieg und gegen Rechts liest, was ihn angesichts unserer heutigen Zeit, in der gerade ein Krieg in Europa stattfindet und wir in Deutschland nach wie vor mit Rechtsradikalismus konfrontiert werden, leider topaktuell macht;
    oder, ob man ihn als die Geschichte eines konfliktbeladenen Vater-Sohn-Verhältnisses liest;
    „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ ist und bleibt ein Roman, der dem Leser viel zu geben hat und trotz aller Zurückhaltung bei der Umschlaggestaltung ganz viel Aufmerksamkeit verdient.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. Bemerkenswertes Kleinod

    „Da ist es wieder, dieses Gefühl. Es ist so betagt wie ich, es ist mein lebenslanger Begleiter. Ich kenne das alles. Es ist wie das Crescendo in der Musik, steigt langsam an, erreicht einen Höhepunkt und verebbt dann wieder. […] Es ist ein diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung, dem man hilflos ausgeliefert ist. Es ist so, als hechle ein großer bissiger Hund ständig hinter einem her. Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?“ (S. 9)

    Ausgehend von diesem Gefühl und dieser Frage nimmt uns Autor Felix Schmidt, der mit „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ seinen zweiten autobiografisch-fiktionalen Roman im kleinen, aber feinen Hamburger Osburg Verlag veröffentlicht hat, mit auf eine (emotionale) Reise in seine Vergangenheit.

    Dabei sind die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion nicht wirklich erkennbar. Das macht (mir) aber nichts. Im Gegenteil: es zeigt, wie gut es Herrn Schmidt gelingt, „in einem Fluss“ zu schreiben – was man zwar bei einem gelernten Journalisten voraussetzen kann, jedoch nicht (das zeigt die Erfahrung) muss *g*.

    In sparsamen, jedoch einfühlsamen und inhaltsschweren Worten und Sätzen reist Herr Schmidt an den Ort seiner Kindheit und erinnert sich dort u. a. an seinen tiefbraunen sprich nazitreuen Lehrer, der es schaffte, zwischen Vater und Sohn eine Kluft zu schaffen, die ein Leben lang nicht mehr zusammenwachsen sollte. Und doch ist das Buch eine Hommage an einen Vater, der widersprüchlicher nicht sein kann bzw. konnte.

    Selbstkritisch reflektiert Felix Schmidt das Unverständnis seinerseits gegenüber dem Vater, der sich vehement gegen Hitler und seine todbringenden Schergen gewehrt hat – auch in der Nachkriegszeit, als viele Westen von Nazis „rein gewaschen“ wurden und alte, teils hochdotierte Posten wiederbekamen, als sei nichts gewesen. Dieses System funktioniert heutzutage leider immer noch (zu) gut…Felix Schmidt beschönigt nichts, agiert kindlich-naiv ohne Weitblick; aber woher soll man als Kind/ Jugendlicher auch diesen Blick auf die Welt hernehmen?

    Einzige „Konstante“ in seinem jungen Leben war die Großmutter, die versuchte auszugleichen „[…] was die Eltern mir an Liebe nicht geben konnten.“ (S. 19). Die Bescheidenheit der Großmutter spiegelt sich auch in einem Absatz wieder, in dem Felix Schmidt in wenigen Sätzen, dafür aber voller Emotionen und Dankbarkeit, ihren Tod verschriftlicht hat. Intensiver und wertschätzender geht´s nicht.

    Am Ende steht er „[…] wieder vor dem Haus, in das ich hineingeboren wurde und wo ich nach einer schweren Geburt den ersten Schrei ausstieß.“ (S. 152) und fragt sich ob „[…] von der Angst, die ich in diesem Haus ausgestanden habe, etwas zurückgeblieben [ist].“ (S. 154)

    Und so endet nach knapp 160 Seiten ein Buch, das – so kurz es auch ist – durch seine Intensität der gewählten Worte mehr an Inhalt bietet als manch 600 Seiten-Roman!

    Außergewöhnlich, intensiv, großartig – die Liste ließe sich beliebig verlängern.

    Glasklare 5* und eine absolute Leseempfehlung! Und klarer Kandidat für die „King´s Crown Juwels 2022“!

    ©kingofmusic

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  1. Sehr ergreifende Lebensgeschichte

    Sehr ergreifende Lebensgeschichte

    Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte, ist wesentlich mehr als ein Tatsachenbericht. Der Ich-Erzähler, der im hohen Alter, von Krankheit geplagt, noch einmal an den Ort seiner Kindheit reist, und sich an damals erinnert, als der zweite Weltkrieg in Deutschland tobte.

    Er nimmt uns mit und teilt seine Eindrücke mit uns. Der Leser lernt einen intelligenten Jungen kennen, der so seine Probleme mit dem streitsüchtigen Vater hat. Die Großmutter, die mit im Haus lebt, nimmt sich seiner an, und macht es so erträglicher. Ein großes Problem stellt die politische Einstellung des Vaters dar, besser gesagt, die Freiheit und Hartnäckigkeit mit der er sie kundtut. In dieser Zeit versteckten die Menschen ihre wahre Gesinnung, denn es konnte ansonsten gefährlich ausgehen.
    Der Ich-Erzähler möchte dazugehören, er würde gerne den Pimpfen beitreten, eine Uniform tragen, doch ihm bleibt nur, angeregt von der gläubigen Großmutter, die Ausübung als Ministrant.
    Als dann ein brauner Lehrer, Namen werden größtenteils ausgelassen, den Jungen ausfragt und dieser die Ansichten des Vaters kundtut, passiert das unausweichliche, der Vater wird mitgenommen und kommt gebrochen zurück.

    Im weiteren Verlauf lesen wir, wie es für den Erzähler war, als der. Vater wieder da war, was noch so geschehen ist, in den restlichen Kriegsmonaten und der Zeit danach. Mehr als einmal musste ich schlucken, da es für uns kaum vorstellbar ist, was die Menschen zu der Zeit durchmachen mussten, und wie man sieht, beschäftigt es die meisten ein ganzes Leben lang. Diese Schrecken kann man nach Kriegsende nicht einfach abschütteln.

    Der Autor wurde Journalist, hat viel erreicht, doch diese Schatten sind geblieben. Schön, dass er sie mit uns teilen konnte, denn es ist nach wie vor wichtig, dass uns dies alles im Gedächtnis bleibt, damit sich diese Schrecken nicht wiederholen.

    Felix Schmidt hat meiner Meinung nach ein sehr bewegendes Buch verfasst, dass hoffentlich eine große Anhängerschaft findet. Ich wünsche ihm, dass er mit dem niederschreiben eine positive Sicht auf seinen Vater verankern konnte. Mit Abstand betrachtet, war er nämlich ein kluger Mann, der leider zu stur und zu jähzornig war, aber er hat definitiv nicht alles falsch gemacht.

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  1. Ein Vater, der nicht zum Helden taugt

    Die Verdachtsdiagnose Krebs löst im autofiktionalen Roman Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte von Felix Schmidt beim 87-jährigen Protagonisten ein „diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung“ aus. Dahinter steckt jedoch mehr als nur die Furcht vor einer schweren Erkrankung, denn Ängste haben ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Nun möchte er ihnen am Ort seiner Kindheit auf den Grund gehen:

    "Während ich den Koffer packe, keimt die Hoffnung in mir auf, dass es eine Reise werden könnte, die zu mir hinführt." (S. 9)

    Für zwei Wochen ist ein Hotelzimmer in der „Kleinen Stadt am Rhein“ mit den barocken Häuserfassaden gebucht, irgendwo in der Rheinebene zwischen Karlsruhe und Breisach, nicht im Schwarzwald, wie das Cover es erstaunlicherweise suggeriert.

    Außenseiter
    1934 als erstes Kind eines Küfers und seiner Frau geboren, litt der sensible Ich-Erzähler übermäßig unter dem Jähzorn, der Düsternis und Gewalttätigkeit des Vaters, vor der ihn auch die konturlose, distanzierte Mutter nicht schützen konnte oder wollte. Früh nahm ihn die im gleichen Haus lebende, fromme und liebevoll-pragmatische Großmutter zu sich und schenkte ihm die schmerzlich vermisste Geborgenheit.

    Von Beginn an lehnte der Vater Hitler vehement ab. Diese Haltung verstärkte sich noch, als er nach wenigen Monaten an der Front krank zurückkehrte und nie wieder ganz genas.

    Für den Sohn hatte die väterliche Oppositionshaltung tiefgreifende Folgen, weil der als echter badischer „Rappelkopf“ seine Meinung deutlich und ohne Rücksicht auf die Gefahr für die Familie lautstark kundtat:

    "Nein, verblödet war der Vater nicht, närrisch schon und verblendet. Was ihn antrieb, war eine Mischung aus Anstand und angeborenem Widerspruchsgeist. Die Folgen seines Tuns bedachte er nicht. Er war ein widerborstiger Mann aus dem Kleinbürgertum, der sagte, was er dachte – und das deutlich. Er war einer, der nicht mitmachen wollte, was er sollte. Zur Heldengeschichte taugte er aber nicht." (S. 76)

    Das Kind durfte nicht zur Hitlerjugend, war Außenseiter und wurde zum Verrat am Vater verführt. Wieviel einfacher wäre es mit einem Mitläufer und Duckmäuser als Vater gewesen.

    Auch nach Kriegsende konnte der Vater nicht lockerlassen, litt unter der Rückkehr ehemaliger Täter auf ihre Posten, verlotterte zunehmend und starb früh. Den Ich-Erzähler hielt nach dem Abitur nichts in der Heimat.

    Ein sehr persönlicher Roman
    Felix Schmidt, geboren 1934, arbeitete als Journalist in leitender Funktion unter anderem beim Spiegel, Stern und der Welt am Sonntag sowie für Radio und Fernsehen. Daneben verfasste er Sachbücher zur Musik, der immer seine Liebe galt. Erst 2020 erschien sein erster Roman "Amelie" und nun sein zweiter, "Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte", mit stark autofiktionalem Bezug: eine Auseinandersetzung mit dem Vater, mit Schuld und den traumatisierenden Kriegserlebnissen. Hervorragend gelungen ist die kindliche Perspektive, die der Autor nur selten verlässt. Auf gut 150 Seiten entwirft Felix Schmidt das Bild einer ambivalenten Vater-Figur, die er erst in der Rückschau in ihrer ganzen Komplexität zu begreifen beginnt. Trotz der düsteren Schatten seiner Kindheit erhebt er keine Anklage sondern zollt ihm sogar Respekt.

    Ein sehr lesenswerter, unspektakulär und knapp erzählter Roman, dessen erschreckende Aktualität sich leider soeben durch den Überfall Russlands auf die Ukraine zeigt.

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  1. Ein kleiner großer Zeitzeugenroman

    „Ich habe diesem Tag gleich beim Aufstehen nicht getraut.“ Mit diesem vielsagenden Satz beginnt Felix Schmidt seinen beeindruckenden Roman, in den er viel biografisches Material einfließen lässt. Dass dabei natürlich auch mit Fiktion und literarischen Stilmitteln gearbeitet werden muss, um eigene Erinnerungen in einen zugänglichen, ansprechenden Kontext einzubetten, ist einleuchtend. Ich möchte vorwegnehmen, dass das hier aufs Vortrefflichste gelungen ist.

    Der Ich-Erzähler ist ein betagter Mann, der gerade eine erschreckende ärztliche Diagnose erhalten hat: „Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?“ (S. 9)

    Diesem schrecklichen Gefühl, dessen Ursprung er in seiner Kindheit vermutet, will er nachspüren und begibt sich auf eine Reise an den Ort seiner frühen Jahre, in die namenlose „Kleine Stadt“ am Rhein. Was nun folgt, ist eine Familiengeschichte, die mit unglaublicher Intensität erzählt wird. Jeder Satz ist austariert, man muss langsam lesen, um den Hintergrund mancher scheinbar leicht hingetupften Formulierung zu erkennen. Vieles steht zwischen des Zeilen, so dass der eigentliche Inhalt weit über die ausgedruckten 155 Seiten des Buches hinausgeht. Der Ich-Erzähler ist Jahrgang 1934. Er hat einen jüngeren Bruder, einen despotischen, schwierigen Vater, eine blass bleibende Mutter und eine gottesfürchtige Großmutter, die ihn mit Liebe und Halt versorgt. „Aber Familie ist Schicksal. Auf die Entscheidung, zu wem wir gehören, haben wir keinen Einfluss.“ (S. 17)

    Der Vater wird früh in den Krieg eingezogen, jedoch bereits nach einem Jahr schwer verwundet und wehruntauglich entlassen. Seine Erfahrungen an der Front könnten dazu beigetragen haben, dass er sich in den kommenden Jahren zu einem vehementen Gegner des NSDAP-Regimes entwickelt, der über die Nazis herzieht und die Kampfkraft der Wehrmacht anzweifelt. Er kritisiert nicht nur im Familienkreis, sondern auch öffentlich, was ihm immer wieder Ärger einbringt. Der Sohn kommt dabei in Gewissenkonflikte, denn er bewundert die organisierte Kameraderie der Partei mit ihren schneidigen Uniformen. Er darf nicht dazugehören: „Seit etwa einem halben Jahr war ich Ministrant, versah Dienst am Altar, den Dienst in der Hitler-Jugend hatte mir der Vater verboten.“ (S. 35)

    Der Lehrer der Volksschule ist ein geradliniger Brauner. Der aufwieglerische Vater des Ich-Erzählers ist ihm lange schon ein Dorn im Auge. Geschickt nutzt der Lehrer seine Autorität, um den Sohn gegen den Vater in einen Loyalitätskonflikt zu bringen und ihn anschließend bei der Partei anzuschwärzen. Kurze Zeit später wird der Vater verhaftet. Eine Zäsur, für die sich der Sohn lange Zeit die Schuld gibt. Wir begleiten die Familie weiter bis zum Kriegsende, erleben die Befreiung und die Nachkriegszeit. Der konsequenten Standhaftigkeit des Vaters stehen nun der Opportunismus und die Wetterwendigkeit der ehemaligen Braunhemden gegenüber - manches Erlebnis verschlägt einem die Sprache. Die Vaterfigur bekommt immer mehr Facetten. Der Autor versucht, möglichst objektiv die dunklen wie die hellen Bilder des Vaters zu zeichnen. Dabei verbindet er gekonnt die kindliche Perspektive seines damaligen Ichs mit der Reflexion des mittlerweile gereiften Menschen. Sämtliche (Be-)Wertung überlässt er jedoch dem Leser.

    Der Text strahlt eine immense Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit aus. Einfühlsam nähert sich Felix Schmidt den Erlebnissen seiner Vergangenheit, in deren Zentrum das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis steht. Er bemüht sich dabei sehr um Objektivität in seinen Darstellungen, lässt auch schöne Momente nicht aus. Der Mikrokosmos Familie spiegelt die Konflikte der Zeit realitätsnah wider. Einer Zeit, der die Zeitzeugen immer mehr ausgehen. Deshalb ist dieses Buch nicht nur berührend, fesselnd und grandios – sondern auch wichtig als authentisches Zeugnis unserer deutschen Geschichte.

    Zahlreiche Sätze möchte man herausschreiben, weil sie so viel Wahrheit und Lebensklugheit enthalten. Felix Schmidt Ist ein erfahrener Journalist, dieser ausgefeilte, kluge Schreibstil ist kein Zufall. Ich wünsche diesem Roman viele Leser, er hat es mehr verdient als mancher publikumswirksam ausgestellte Bestseller. Für mich war diese Reise in die Vergangenheit ein Lesehighlight dieses Frühjahrs. Leute, lest dieses Buch, es lohnt sich!

    Dringende Leseempfehlung!

     

     

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  1. Ausbruch aus dem Seelengefängnis

    Als der namenlose 87-jährige Ich-Erzähler von seinem Arzt eine beunruhigende Diagnose erhält, sind sie plötzlich wieder da: die Angst, die Bedrohung, das "Seelengefängnis", wie er es selbst nennt. Doch woher stammen diese existenziellen Gefühle und wie kann man sich ihnen entgegenstemmen? Um der Wurzel dieses Übels auf den Grund zu gehen, reist er in die "Kleine Stadt am Rhein", in der er schon seine Kindheit verbrachte. Die zentrale Figur seiner Gedanken ist der Vater - ein Mann, der sich einerseits den Nationalsozialisten mit aller Vehemenz in den Weg stellte, auf der anderen Seite aber in seiner Rolle als Familienvater kläglich versagte...

    Der nur gut 150 Seiten umfassende zweite Roman des Journalisten Felix Schmidt ist ein Werk, das durch die Kriegshandlungen in der Ukraine einen erschreckend aktuellen Bezug erhält. Es ist ein bemerkenswert kluger und authentischer Roman, der in einigen Momenten gar schmerzhaft ehrlich erscheint. Denn Felix Schmidt, der nicht zufällig im selben Alter ist wie sein Protagonist, beschönigt und verheimlicht nichts.

    In schnörkelloser und klarer Sprache versetzt er die Leser:innen ganz in die Perspektive des Jungen und beurteilt die Kriegsjahre und die Nachkriegszeit eben so, wie ein Junge seines Alters sie auch beurteilen würde. Denn während das Kind, aufgestachelt von einem "braunen Lehrer", gefangen scheint zwischen Faszination und Angst, zwischen Führerverehrung und Gottesglauben, positioniert sich der Vater so eindeutig gegen die Nationalsozialisten, dass Familienkonflikte unausweichlich scheinen.

    "Ich hätte gerne einen anderen, einen verständnisvolleren Vater gehabt", heißt es ganz offen an einer Stelle. "Ihre wärmenden Hände haben mir auch in späteren Jahren die Liebe und den Halt gegeben, die ich von den Eltern nicht bekam", erzählt er über die liebevolle Großmutter an einer anderen. Aus diesen empathischen und ehrlichen Sätzen klingt die Stimme eines Jungen heraus, dem in der Familie zu wenig Liebe entgegengebracht wurde und der ohne die familiäre Unterstützung in diesen schweren Zeiten zu zerbrechen drohte.

    Dennoch ist der Vater eine bemerkenswerte, eine zutiefst ambivalente Figur. Denn während er zuhause laut, rechthaberisch und bisweilen cholerisch auftritt, ist er auf der anderen Seite so standhaft und aufrecht in seiner Haltung, dass er damit sogar die eigene Familie in Gefahr bringt. Selbst nach dem Ende des Krieges lässt er sich nicht verbiegen und trotzt irgendwelchen Rachegedanken.

    So ist es nicht verwunderlich, dass Felix Schmidt dieser Vaterfigur einen Roman widmet und sie sogar in den auf den ersten Blick zweideutigen Titel aufnimmt.

    Stilistisch ist der Roman fern von jeder Modernität, was er aber auch gar nicht sein muss und möchte, denn es sind die immer wieder durchschimmernden klugen und pointierten Sätze, die ihn zu einer Besonderheit machen und eben nicht eine besonders komplexe Erzählstruktur. Dennoch hätte ich mir an einigen Stellen gewünscht, dass der Ich-Erzähler aus der Nacherzählung ausbricht, Dinge stärker und ausführlicher zeigt. So sind beispielsweise dem Tod der geliebten Großmutter recht wenige Zeilen gewidmet, obwohl sie in der Erziehung des Jungen eine erhebliche Rolle spielte. Und in den Nachkriegsjahren nimmt das Erzähltempo plötzlich so zu, dass ich es etwas bedauerlich fand, den Protagonisten auf seinem Weg zum jungen Erwachsenen nicht länger begleiten zu dürfen.

    Kleinere Kritikpunkte eines ansonsten aber überzeugenden und sehr lesenswerten Romans.

    "Ich habe später einmal gelesen, dass die Augen das Fenster zur Seele seien. Wenn da etwas dran ist, dann war das Fenster des Vaters zu oft beschlagen", fasst Felix Schmidt in einer besonders bewegenden Szene das Verhältnis des Ich-Erzählers zu seinem Vater zusammen. Es sind solche Sätze, die den Wert des Romans zeigen und uns dankbar machen sollten, dass wir noch immer die Möglichkeit haben, Zeitzeug:innen zu lauschen - egal, was autobiografisch und was fiktiv ist. Immer und gerade in den heutigen Zeiten.

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