Wenn es dunkel wird: Erzählungen

Rezensionen zu "Wenn es dunkel wird: Erzählungen"

  1. Hallo, dein Unterbewusstsein spricht

    In elf Kurzgeschichten lässt Peter Prange aufleuchten, was passieren könnte, wenn unser Unterbewusstsein filmisch aufzeichnete, wie wir die ordentlichen und außerordentlichen Begebenheiten unseres Alltags verarbeiten.

    Die elf Geschichten Pranges beginnen jeweils „ganz normal“, knüpfen am realen Geschehen an und bekommen immer dann, wenn das Unterbewusstsein zu arbeiten beginnt, einen Riß.

    „Nahtigal“ handelt von einem geplanten Banküberfall. Wurde er zu Ende geführt? Jedenfalls hatte der Jugendliche, der auf diese Art seine Befreiung plante, seine Planung weit vorangetrieben. Noch dreißig Jahre später verfolgen ihn die Panik und das Chaos von damals. Das ist für mich die schwächste Geschichte.

    Das schönste Kleid“ handelt von einem Wunschtraum. Wir Frauen, also die unscheinbareren unter uns, träumen natürlich von nichts anderem als davon, wie wir durch den spektakulärsten Auftritt ever den attraktivsten Kerl seit dem Colamän aus den Fängen aufgetakelter Weiber locken. Wirklich passiert? Wohl kaum.

    „Supermond“ handelt vom Verschwinden und sich Auflösen. Wie wird der Tod sein? This was my favorite. „Sabrina2019“ handelt vom Seelenverkauf. Wie schnell und unbedacht gehen wir in manche Situationen hinein, und bemerken nicht, was wirklich vorgeht. Zweiter Platz.

    „Die Frau im grünen Mantel“ handelt von ärztlichen Versäumnissen. Immer wieder sucht die Frau im grünen Mantel den Arzt heim, der schon vor Jahren dieser einen Patientin mehr Fürsorge hätte zukommen lassen sollen. Richtig hinschauen, statt wegschauen. Es ist auch für Ärzte nicht immer alles leicht in ihrem Beruf.

    „Cold Reading“ handelt von dem Wunsch, erkannt zu werden und dem Wunsch nach einer heilen Welt, dem Wunsch, dass schon alles gut wird. Dafür gehen Menschen zum Wahrsager und lassen auch sonst allerhand Scharlatanerie über sich ergehen. Ohne eine Prise Hoffnung läßt sich eben nicht leben. Und wenn sie vom Wahrsager kommt.

    „Der erste Schnee“ führt zurück in die Kindheit. Männer vergessen im stressigen Berufsleben sich selbst und das, was ihnen wichtig ist.. Außerdem heiraten sie unterbewusst (immer) ihre Mütter. Strange. In „Dietrichs Knie“ handelt ein betrogener Ehemann unerwartet. Diese Story ist flacher als die anderen, aber dafür lustig und heiter. In „Wenn es dunkel wird“ bricht eine alte Schuld auf.

    In „Mein Blut für dich“ erlebt ein alter Mann die Liebe seines Lebens. Und in der letzten Geschichte „Schiffbruch“ retardiert ein Brooker zum Kleinkind. Sich totstellten könnte helfen.

    Man kann die Stories Pranges natürlich auch anders lesen. Wie immer man sie auch liest, der Leser wird nicht umhin können, diese Stories zu interpretieren. Sonst hat er nichts davon.

    Die Kurzgeschichten haben einen Nachhall auf den zweiten Gedanken. Sozusagen. Zuerst flutschten die Geschichten, die flott und leicht geschrieben sind, so dahin, erst wenn man sie sich setzen lässt und über sie nachdenkt, bekommen sie Tiefe. Seltsamerweise konnte ich mich noch nach Tagen an alle elf Geschichten erinnern. Das muss doch etwas bedeuten.

    Fazit: Das Unterbewusstsein arbeitet in uns allen. Manchmal gibt es ein paar Fetzen seiner Arbeit frei. Davon handeln diese Kurzgeschichten. Und deshalb haben sie alle eine Bruchstelle, die immer dann eintritt, wenn das Unterbewusstsein sich einschaltet, dann zieht es die Story weg von der Realität ins Surreale. Traumarbeit.

    Wie man die vorliegenden Kurzgeschichten wertet, hängt stark davon ab, wie man sie interpretiert. Ein Quentchen weniger Uneindeutigkeit hätten die Geschichten vertragen.

    Kategorie: Kurzgeschichten
    Verlag: S.Fischer

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  1. Verschwommene und zuweilen surreale Erzählungen

    Peter Stamm ist ein ruhiger, unaufgeregter Erzähler, der dank seiner genauen Beobachtungsgabe interessante Figuren und Situationen erschaffen kann. Die kurze Form erfordert Prägnanz und Genauigkeit, was ihm mit seiner klaren, schnörkellosen Ausdrucksweise sehr entgegen kommt. Wie der Titel vermuten lässt, haben alle elf Geschichten einen Bezug zur Dunkelheit, was aber nicht nur im wörtlichen sondern auch im übertragenden Sinne verstanden werden will. Es handelt sich mitunter um dunkle Erinnerungen, düstere Räume oder Begebenheiten, denen die Trennschärfe fehlt, in denen etwas Wesentliches verschwommen, mystisch oder surreal dargestellt wird. Stamms Geschichten beginnen alle glaubwürdig. Sie sind nachvollziehbaren Alltagssituationen entlehnt. Man fühlt sich deshalb zunächst behaglich und eingefangen vom Geschehen. Dann verlässt der Autor aber überraschend diesen vermeintlich sicheren Boden und stellt das Bisherige in Frage.
    Metamorphosen sowie nicht nur positive Träume und Wünsche begleiten die Protagonisten seiner Geschichten, von denen zumeist eine ungewisse Melancholie und Düsternis ausgeht. Vereinzelt blitzen aber auch Humor und Zweideutigkeit auf.

    Da ist der unselbständige, junge Mann, der sich durch einen Banküberfall von seinem Alltag befreien will. Er träumt von der Cote Azur, von einer hübschen Begleiterin und Reichtum. Er plant die Tat dilettantisch, eine Kindermaske soll ihn vor dem Erkanntwerden schützen – doch ist es ihm ernst. Dreißig Jahre später erinnert er sich an diesen Schicksalstag, wie er vor der Bank steht.

    Ein kurz vor der Verrentung stehender Angestellter wird mehr und mehr von den Menschen in seinem Umfeld übersehen. Zunächst findet er noch Entschuldigungen dafür, schließlich scheint er regelrecht unsichtbar zu sein. Was ist passiert, ob das mit dem leuchtenden Supermond zusammenhängt?

    In der titelgebenden Geschichte ist eine Polizistin auf der Suche nach zwei vermissten Kindern und wird dabei in einer düsteren Berghütte mit der eigenen Vergangenheit, mit ihrem Kindheitstrauma konfrontiert. Stamm versteht es, die Erinnerungen plastisch und bildreich vor dem Leser entstehen zu lassen. Die Beschreibung der Gegenwart indessen wirkt unzuverlässig.

    Ein pensionierter Arzt, der die Seite gewechselt hat, um sich nun in ebenjenem Krankenhaus einer schweren Operation zu unterziehen, in dem er früher gearbeitet hat, glaubt, einer alten Patientin zu begegnen. Diese Frau im grünen Mantel weckt nicht nur sein Interesse, sondern auch alte Erinnerungen, die kein gutes Licht auf ihn und seine Zunft werfen.

    Stamm zeigt in all diesen Erzählungen einmal mehr seine Vielseitigkeit, er schreibt generationenübergreifend, jedes beschriebene Setting ist einmalig. Nicht alle Geschichten haben mich natürlich gleichermaßen erreicht. Die oben genannten gehören aus meiner Sicht zu den aussagekräftigsten. Sie sind nachvollziehbar, atmosphärisch und regen zum Nachdenken an. Manche habe ich als relativ belanglos oder realitätsfern empfunden. „Dietrichs Knie“ ist so eine Erzählung. Allerdings ist gerade diese mit einer Prise Humor gewürzt und zeigt auf, wohin Kontrolle und Eifersucht führen können – Augenzwinkern inklusive.

    In allen Texten gibt es unwahrscheinliche Momente, verschwommene oder unwirklich anmutende Figuren/Szenen/Situationen. Diese Konstellation hat zur Folge, dass die Erzählungen sich für mich nicht komplett erschlossen haben. Manches bleibt in der Schwebe. Diese Skurrilität sollte man mögen. Mir fehlt dazu zugegebenermaßen der Zugang. Ich halte mich gerne an Tatsachen, weshalb mich der Band nicht restlos überzeugt hat. Ich habe ihn gerne gelesen, das schon. Aber Begeisterungsstürme löst er nicht bei mir aus.

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