Was man von hier aus sehen kann: Roman

Rezensionen zu "Was man von hier aus sehen kann: Roman"

  1. Eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold

    "Wir lebten in einer malerischen Gegend, in einer wunderschönen, einer paradiesischen, so stand es auch in geschwungener Schrift auf den Postkarten, die der Einzelhändler auf der Ladentheke liegen hatte. Kaum jemand im Dorf aber nahm das wahr, wir übergingen und übersprangen die Schönheit, wir ließen sie rechts und links liegen, wären aber die ersten gewesen, die sich lautstark beschwert hätten, wenn die Schönheit um uns herum eines Tages nicht aufgetaucht wäre. Der Einzige, der wegen des täglichen Übergehens der Schönheit manchmal ein schlechtes Gewissen hatte, wae der Optiker. [...] >>Nun schaut doch mal, wie unglaublich schön das alles ist<<, sagte er dann und zeigte mit großer Geste auf die Tannen, auf die Ähren, auf den ausgiebiegen Himmel darüber, >>Eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold.<<" (S.60)

    Ein merkwürdiges Buch. Es geht hauptsächlich um Luise und die Liebe. Aber es geht auch um den Tod. Und es geht auch immer wieder um das, was wir sehen oder nicht sehen. Aber der Reihe nach:
    "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky ist in einem Dorf im Westerwald angesiedelt und in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil ist Luise, die Ich-Erzählerin, zehn Jahre alt. Sie pflegt eine innige Beziehung zu ihrer Großmutter Selma. Der Optiker des Dorfs ist ein enger Freund Selmas und ersetzt Luise den Großvater, welcher schon vor Luises Geburt gestorben ist. Luises bester Freund ist der zehnjährige Martin. "[...] dann nahm Martin meinen Kopf und drückte mein Gesicht an seinen Hals. >>Schau nicht hin<<, sagte er. [...] Ich beschloss, Martin später zu heiraten, weil ich fand, der Richtige sei der, der einem das Hinsehen erspart, wenn die Welt ihren Lauf nimmt." (S.39) Der Aufhäger des ersten Teils ist der, dass Selma von einem Okapi geträumt hat. Immer wenn das passiert, stirbt kurz darauf jemand im Dorf. Ich werde an dieser Stelle mal nicht verraten, wen es trifft... Tatsächlich stirbt in jedem der drei Roman-Teile eine Person im Dorf.
    Im zweiten Teil ist Luise zweiundzwanzig Jahre alt und trifft Frederik. Frederik ist eigentlich aus Hessen, lebt aber als buddhistischer Mönch in Japan. Luise ahnt schon bei der ersten Begegnung, dass Frederik "das ganze großflächige Leben in einer einzigen Bewegung umdrehen" wird. (S.96) Sie telefonieren und schreiben sich Briefe und es beginnt eine Zeit des Hoffens und Bangens. Das ganze Dorf verfolgt die Annäherungen der beiden mit Spannung. Im dritten Teil ist Luise zweiunddreißig Jahre alt. Die Geschichte verdichtet sich zum großen Finale, durch Rückblenden erfahren wir mehr über Selma und schließlich kommt auch Frederik wieder ins Dorf.

    Ich fand das Buch an vielen Stellen sehr witzig. Das Setting des kleinen Dorfes und seiner Bewohner hat etwas von einer Komödie. Die meisten Figuren sind wenig komplex und durch eine einzige, prägende Eigenschaft beschrieben, zum Beispiel gibt es die stets mit sich selbst beschäftigten, nie verfügbaren Eltern Luises, die fürsorgliche Selma, den belesenen Optiker, die abergläubische Elsbeth, die traurige Marlies und so weiter. Interessant sind auch die übernatürlichen Elemente wie zum Beispiel Selmas Träume vom Okapi und der scheinbar unsterbliche Hund Alaska. Ich denke, was die zahlreichen Verweise auf das Sehen angeht, hat das Buch auch noch eine höhere Deutungsebene, die mir teilweise entgeht. Potenzial für Diskussionen mit Mitlesern wäre also auch da. Alles in allem ist "Was man von hier aus sehen kann" eine interessante und witzige Lektüre gewesen.

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  1. Wie naive Kunst: Herzig.

    Endlich hab ich es auch gelesen und es hat mir einige sehr nette Stunden beschert.

    Es gibt Romane, die (von mir) immer mehr Punkte oder Sterne bekommen, je länger ich nach dem Lesen über sie nachdenke, weil sie nachwirken und es gibt Romane, die immer weniger Punkte oder Sterne (von mir) bekommen, je länger ich über sie nachdenke. Darum wird es Zeit, dass ich meine Rezension für „Was man von hier aus sehen kann“ schreibe, bevor es Tag wird und die Sterne am Himmel völlig verblassen.

    Was mich sofort „gezogen“ hat oder hübscher gesagt für das Buch eingenommen hat, ist die wunderbare Art der Autorin zu erzählen.

    Dass „Was man von hier aus sehen kann“ kein Roman ist, dessen Inhalt man Eins zu Eins auf der Realitätswage wiegen kann, ist von Anfang an klar. Muss ja nicht. Also klopfen wir nichts auf Wahrscheinlichkeit ab. So ein Buch ist das nicht.

    In der naiv wirkenden Erzählweise der nicht weniger naiv wirkenden Icherzählerin Luise verbirgt sich trotzdem oder auch gerade manche Lebensweisheit und sehr viel feiner Humor.

    Als Luise eines Tages von jemandem eröffnet wird: „Ich muss dir etwas sagen!“ lässt die Autorin Luises Alarmglocken wie folgt schrillen:

    „Ich dachte daran, was in Selmas Vorabendserien mit dem Satz "Ich muss euch was sagen" eingeleitet wurde. Wir sind bankrott, ich verlasse dich, Matthew ist nicht dein Sohn. William ist klinisch tot. Wir stellen jetzt die Maschinen ab.“

    Das ist Humor vom Feinsten und gut beobachtetes Alltagsleben.

    Um was geht es eigentlich? Grob gesagt um das Dorfleben im Westerwald. Wie die Menschen dort miteinander umgehen. Nur passt der Ton irgendwie nicht zum Westerwald. Ich meinte mich die ganze Zeit nach Brasilien versetzt zu sehen. Das Buch erinnerte mich vom Flair her an „Blumentochter“ von Vanessa da Mata. Aber Westerwald? Niemals. Dort ist der Menschenschlag viel schwerer, ebenerdiger.

    Der Humor hat mir sehr gefallen und die Schreibweise rührt mich an. Nur dass halt Hübsches, wenn es zu oft wiederholt und präsentiert wird, dann weniger hübsch wird. Wiederholungen nutzen ab.

    Im Prinzip konnte ich alle Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten akzeptieren, den Schluß fand ich jedoch zu schwach für den Roman, weil die Autorin, um nicht in die Falle des Süßlichen zu tappen, ein halbherziges HappyEnd fabrizierte. Obwohl ein HappyEnd ja gut gepaßt hätte. Zu dieser Art des Erzählens. Es ist eben ein herziges Buch.

    Fazit: Herziges Buch, das Spaß macht, aber halt nicht hängen bleibt. Eigentlich wie Naive Kunst: Nett anzuschauen, bleibt aber nicht auf der Netzhaut bei Licht aus.

    Kategorie: Gute Unterhaltung.
    Verlag, Dumont 2017

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  1. Das gefürchtete Okapi

    Es gibt Zeiten, da erfährt das ganze Dorf im Westerwald, das Selma mal wieder von einem Okapi geträumt hat. Danach herrscht unbändige Unruhe im Dorf und auch in der nächsten Gegend. Denn, wenn Selma ein Okapi sieht, dann stirbt jemand. Das war schon immer so und wird auch weiterhin so bleiben. Wen es trifft, das erfährt man in etwa den nächsten 48 Stunden. Da hilft auch kein tricksen oder wegrennen.

    Aber dieses Dorf wäre nichts besonderes, wenn die Bewohner dort nicht immer irgendwie zusammen agieren. Jeder hängt mit jedem zusammen und wenn da einer aus einem anderen Teil von Deutschland kommt und nach Japan geht hängt er auch mittendrin. Er kann noch so weit weg sein, wie der der Sohn von Selma z.B., der die Welt hereinlassen will in sein Leben und selten da ist oder der Mönch Frederik, der vom Dach eines Klosters in Japan lebt.

    Es sind alles liebenswerte Personen, die die Autorin erschaffen hat. Selmas
    Enkelin, die einen Mönch liebt, der Optiker, der Louises Großmutter liebt, es
    ihr aber nie gesagt hat und sich auch jetzt nicht traut. Louises Vater ist auf
    Dauer-Reise und ihre Mutter liebt den italienischen Eisverkäufer. Da gibt es
    Martin, den Kinderfreund von Louise und sein Vater Palm, der dem Alkohol
    verfallen ist. Louise ist mehr ihrer Großmutter und ihrem besten Freund dem
    Optiker zugetan, denn die haben sich mehr um sie gekümmert, als ihre
    Eltern.

    Dieses Buch beinhaltet so viele Lebensweisheiten und auch übersinnliche
    Begebenheiten. Man möchte mehr davon haben. Es macht viel Freude es zu
    lesen. Allerdings fiel es mir schwer, die Dorfgemeinschaft altern zu sehen.
    Es ist zwar der Lauf der Dinge, aber irgendwie waren sie für mich alterslos.
    Wie im wahren Leben gehen sie dann doch davon und das Buch endet leider.

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