Was geschieht in der Nacht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Was geschieht in der Nacht: Roman' von Peter Cameron
4.1
4.1 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Was geschieht in der Nacht: Roman"

Ein New Yorker Ehepaar reist mit dem Zug in eine abgeschiedene, schneeverwehte Kleinstadt im Norden Europas, um im örtlichen Waisenhaus ein Kind abzuholen, das sie adoptieren wollen. Er hofft, durch das Kind seiner Frau wieder näherzukommen. Sie, gezeichnet vom Kampf gegen eine tödliche Krankheit, will ihn nach ihrem Tode nicht allein zurücklassen. Am Ziel ihrer Reise angelangt, quartieren sich die beiden im Grand Imperial Hotel ein, das von der Pracht längst vergangener Tage zeugt und in dem eine Handvoll skurriler Gäste logiert. Am nächsten Morgen setzt das Taxi sie fälschlicherweise nicht beim Waisenhaus ab, sondern vor dem Haus von Bruder Emmanuel, einem mysteriösen Heiler. Dies löst eine Reihe von Verwicklungen aus, die den Plan, das Kind abzuholen, nach und nach in den Hintergrund treten lassen. In diesem Buch darf nichts für bare Münze genommen werden – und nie weiß man, was als Nächstes geschieht. Peter Cameron stört empfindlich unsere Gewissheiten über den natürlichen Ablauf der Welt und liefert dabei einen Roman ab, dessen eigenartige Spannung und grotesker Humor ihresgleichen suchen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Liebeskind
EAN:9783954381494

Rezensionen zu "Was geschieht in der Nacht: Roman"

  1. Grandioser Schauerroman

    Ein Zug fährt durch die Nacht, irgendwo im nördlichen Europa. Darin sitzt ein namentlich nicht näher genanntes Ehepaar aus New York, um ein Kind aus einem Waisenhaus zur Adoption abzuholen. An einer dubiosen Haltestelle steigen sie aus, gelangen in ihre Unterkunft, dem einzigen Hotel am Platz. Dort begegnen ihnen eigentümlich Gäste und Bedienstete des Hotels. Statt zum Waisenhaus werden Mann und Frau am nächsten Tag zu einem Heiler namens Emmanuel transportiert.

    Die Geschichte des Romans „Was geschieht in der Nacht“ von Peter Cameron lässt sich nicht wirklich nacherzählen, genauso eigenwillig wie das Personal ist, der Handlungsverlauf undurchsichtig und surreal.
    Peter Cameron führt sein staunendes Publikum stark visuell durch die Geschichte. Beschreibungen der Örtlichkeiten und Personen sind bewundernswert reell.

    „Die Halle des Borgarjfaroasysla Grand Imperial Hotel war dunkel und hatte etwas Höhlenartiges, da die Wände in der Düsternis kaum zu erkennen waren….“

    Von Beginn weg ist eine atmosphärische Spannung spürbar. Alles wirkt zeitlos, obwohl es durchaus moderne Annehmlichkeiten gibt. Wer den Finger auf die Landkarte legen will, wird vergeblich suchen. Vieles bleibt im Dunklen. Der Autor wiegt die Leserin gerne im Ungewissen. Es geht bald nicht nur mehr darum, wo und wann wir uns befinden, sondern ob Mann und Frau, das Hotel und alles Übrige sich tatsächlich in unserer realen Welt befinden.

    Was hier in der Nacht geschieht, zwischen Wachen und Träumen, Leben und Sterben, entpuppt sich als grandioser Schauerroman.

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  1. Vorhang auf für ein Schauermärchen der besonderen Art

    "Was geschieht in der Nacht" ist der erste Roman aus der Feder von Peter Cameron, den ich las. Der kurze Klappentext hatte mich neugierig gemacht. Dort ist die Rede von einem "modernes Schauermärchen", in dem Peter Cameron "meisterhaft" das "Zusammenspiel von Mann und Frau und welche Kräfte ein Paar auseinandertreiben" beschreibt. Tatsächlich wirkt die Geschichte sehr düster, mitunter nahezu gespenstisch und spielt mit sich verwischenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Auch in der Buchbeschreibung wird quasi davor gewarnt, etwas für bare Münze zu nehmen. Doch worum geht es?

    Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein New Yorker Ehepaar, dass sich mit dem Zug auf die Reise zu einer kleinen Stadt im Norden Europas macht, um dort ein Kind aus dem Waisenhaus abzuholen, um es zu adoptieren. Auf diesem Weg soll die angeschlagene Beziehung der Eheleute wieder "geflickt" werden. Die Frau ist sterbenskrank, und ihr Mann hofft, ihr durch das adoptierte Kind wieder näher kommen zu können. Das Ehepaar quartiert sich in das Grand Imperial Hotel ein, das seine besten Tage hinter sich hat und nunmehr eine Reihe skuriler Persönlichkeiten beherbergt. Als das Ehepaar statt beim Waisenhaus, zunächst vom Taxifahrer bei einem Wunderheiler abgesetzt wird, beginnen Verwicklungen in deren Folge der eigentliche Grund der Reise in den Hintergrund gerät und eine besondere Beziehungsdynamik entsteht, die die Beziehung des namenlos bleibenden Ehepaars auf eine große Probe stellt. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. 

    Die Atmosphäre des Buches ist von Beginn an recht düster und geimnisvoll. Als Leser weiß man oft nicht, was gerade real ist und was nicht. Mir scheint, dies gäbe guten Stoff für einen etwas gespenstischen Film ab. Tatsächlich wurden ja einige der Romane von Cameron verfilmt. Die Lektüre des Werkes verspricht ein außergewöhnliches Leseerlebnis, das ich sehr genossen habe, gerade weil die Geschichte sowohl inhaltlich als auch stilistisch sehr außergewöhnlich ist. Dennoch habe ich zum einen Einiges nicht wirklich verstanden, zum anderen haben mir bestimmte Wendungen in der Geschichte nicht so gut gefallen. So bleibt auch die Beziehungsdynamik und was das namenlos bleibende Paar letztlich auseinandertreibt für mich ein Stück weit unklar. Dennoch empfehle ich diese besondere Geschichte, von der man immer wieder aufs Neue überrascht wird, gerne weiter. Für mich persönlich ist dies sicher nicht der letzte Roman von Cameron gewesen; ich freue mich darauf, weitere Werke des Autoren zu entdecken. 

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  1. Atmosphärisch, düster und skurril

    Ein New Yorker Ehepaar hat sich auf eine Reise gemacht, um ein Kind zu adoptieren. Sie fahren mit dem Zug durch eine unwirtliche Gegend und landen dann auf einem verschneiten, einsamen Bahnhof. Sie lassen sich von einem Taxi ins Grand Imperial Hotel, das die besten Zeiten längst hinter sich hat, bringen. Am nächsten Tag landen sie statt im Waisenhaus bei dem mysteriösen Heiler Emmanuel. Damit beginnen Verwicklungen und ihre Pläne geraten durcheinander.

    Der Autor Peter Cameron präsentiert uns mit seinem Roman ein sehr düsteres surreales Szenario. Man weiß nie, ob alles real ist oder sich im Traum abspielt.

    Auch die auftretenden Figuren sind skurril. Das Ehepaar, dass immer nur als die Frau und der Mann genannt werden, wollen ihre letzte Chance auf ein Kind nutzen. Die Frau ist sterbenskrank und möchte, dass ihr Mann später nicht alleine ist. Manchmal spürt man die enge Verbindung der beiden, wie bei der Szene auf dem Bahnhof, doch meist hatte ich das Gefühl, als wenn sie mehr und mehr auseinanderdriften. So können die anderen Figuren im Hotel, wie die Schauspielerin Livia Pinheiro-Rima und der Geschäftsmann Henk, manipulierend ins Geschehen eingreifen.

    Die Sprache des Autors hat mir ungemein gut gefallen. Anfangs fand ich es noch spannend, da ich nicht wusste, was mich erwartet und die düstere ungewöhnliche Atmosphäre gefiel mir auch, doch dann hat mich die groteske und verwirrende Geschichte immer mehr verloren. Na ja, die Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich und anderen mag gerade das gefallen.

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  1. Wie ein intensiver Traum

    Kennt ihr das, wenn man nach einem intensiven Traum aufwacht und erst einmal gar nicht glaubt, dass es NICHT real war? „Was geschieht in der Nacht“ von Peter Cameron bewegt sich fortwährend an der Grenze zwischen Trug und Realität. Daher kann man diese Geschichte nicht wie einen normalen Roman lesen, sondern sollte ein Gespür für Surrealismus und Mystik als Stilmittel haben. Das fängt schon bei den Protagonisten an, die nicht etwa Figuren sind, mit denen man sich identifizieren kann, sondern die fortlaufend nur „der Mann“ und „die Frau“ genannt werden. Der Plot beginnt damit, dass die beiden in ein nicht näher benanntes nordisches Land reisen, um ein Kind zu adoptieren. Die Frau ist jedoch unheilbar an Krebs erkrankt und es stellt sich heraus, dass es in dem Ort auch einen mysteriösen Heiler gibt …

    Mir hat es gefallen, dass man als Leser nie wusste, wie es weitergehen würde. Die Pläne des Paares werden durch unvorhergesehene Ereignisse über den Haufen geworfen, was man in einem Moment noch für die Wahrheit gehalten hat, stellt sich im nächsten Moment als Lüge heraus, u.s.w.. Ein Buch wie dieses habe ich vorher noch nie gelesen. Es war ziemlich eigenartig und ziemlich interessant.

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  1. 4
    29. Jul 2022 

    Surreal, skurril, grotesk - und doch mit eigentümlichem Sog...

    Wie soll man über etwas eine Rezension verfassen, das man nicht wirklich erfassen konnte? Denn in diesem Buch darf nichts für bare Münze genommen werden, nichts ist gewiss und von Bestand, und man meint, in einem Traum gefangen zu sein. Was pasend zu dem Romantitel wäre: Was geschieht in der Nacht...

    Im Grunde spielt die Handlung die ganze Zeit über in der Nacht - jedenfalls wird es im Winter hoch im Norden Europas niemals richtig hell. Es ist bitterkalt, es ist düster und unwirtlich. Schon die ersten Szenen versetzen den/die Leser:in in eine Atmosphäre, die die Frage aufwirft: wo bin ich hier?

    "...denn ihr Ziel war ein Ort am Rand der Welt, im hohen Norden eines nördlichen Landes, nicht leicht zu erreichen. Ihre Reise glich einer Reise in eine früheres Jahrhundert, dauerte Tage, nicht Stunden, und die Erde unter ihnen war ernst und sehr real und bestand nachdrücklich auf ihrer unermesslichen Weite." (S. 11)

    Ein Mann und eine Frau unternehmen diese Reise, ein Ehepaar, das auf dem Weg ist, ein Kind aus einem Waisenhaus zu adoptieren, fern der Heimat in New York, in einem Land, in dem die Umstände der Adoption weniger wichtig zu sein scheinen als andernorts. Denn das Ehepaar ist eigentlich zu alt, um ein Kind zu adoptieren - und die Frau ist schwer erkrankt, sie will nur den Mann nach ihrem Tod nicht allein zurücklassen. Klingt skurril? Ist es auch - und doch ist es nur der Beginn einer Reise in eine absurde, surreale und groteske Welt, in die Peter Cameron hier entführt.

    Als der Zug schließlich an einer verlassenen, menschenleeren Bahnstation hält und die beiden aussteigen, finden sie zuletzt doch ein Taxi, das sie zu einem Hotel bringt. Ein Hotel, das seine besten Zeiten bereits hinter sich hat, das Grand Imperial Hotel, dessen schäbiger Charme das etwas heruntergekommene Ambiente nicht verbergen kann. Der Mann und die Frau checken ein - und fortan wirkt es, als seien sie in einer unheimlichen Parallelwelt gefangen, mein spontaner Eindruck war eine Mischung aus Transsilvanien und Twin Peaks.

    Einzelne Szenen reihen sich hier aneinander, es treten skurrile Personen auf und wieder ab, deren Rolle sich erst allmählich entpuppt - wenn überhaupt. Seltsam emotionslos wird hier agiert, und doch wird nach und nach alles in Frage gestellt. Letztlich ist nichts mehr so, wie das Ehepaar es vor der Anreise sicher geglaubt zu haben scheint. Weder der Wunsch nach einem Kind noch die Beziehung der Ehepartner zueinander oder auch nur die sexuelle Präferenz. Was im einen Moment behauptet wird, hat im nächsten schon keinen Bestand mehr.

    Cameron zeichnet eine Welt mit unscharfen Rändern. Es ist nicht deutlich, ob sich der Mann und die Frau, die bis zum Ende namenlos bleiben, an einem realen Ort befinden oder womöglich in einer Art Zwischenwelt oder in einem Traum. Auch die Geschehnisse wirken zum einen sehr real, zum anderen unwirklich, surreal und verwirrend. Düster ist die Atmosphäre, durchzogen allerdings immer wieder von grotesk-humorigen Szenen. Die Bedeutung vieler kleiner Details erschlossen sich mir teilweise nicht - der Eindruck einer sehr symbolbefrachteten Erzählung drängte sich mir auf, ohne dass ich diese oftmals kryptische Symbolik immer verstand oder auch nur erkannte.

    Was sich jetzt vermutlich anstrengend anhört, war doch eine Erzählung, die auf mich einen eigentümlichen Sog ausübte. Ich wollte unbedingt wissen, worauf der Autor hinauswollte und was für ein Ende es für das Ehepaar geben würde. Und obschon alle und alles sehr auf Distanz blieben, konnte mich die Geschichte gegen Ende doch berühren. Letztendlich also ein elegant komponierter, überaus atmosphärischer Roman, der mich einerseits verwirrt zurücklässt, andererseits aber auch absolut in sein surreales Geschehen gezogen hat.

    Literarisch anspruchsvoll entführt der Roman in seine ganz eigene, traumartige Welt. Ich kann nur dazu ermutigen mitzuträumen!

    © Parden

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  1. Eine Reise ins nirgendwo

    Eine Reise ins Nirgendwo

    Peter Cameron schafft eine sehr beklemmende Atmosphäre in seinem Roman "Was geschieht in der Nacht".
    Es beginnt damit, dass ein älteres Ehepaar in einem Grandhotel in einem nördlichen Land in Europa einkehrt. Die Fahrt mit dem Zug hatte etwas erdrückendes, der Leser erfährt früh, dass die Ehefrau sehr krank ist, und das Reiseziel etwas im Leben des Paares verändern soll.
    Ihr Ziel ist ein Waisenhaus, ein Kind soll helfen, soll dafür sorgen, dass der Mann nicht alleine ist, wenn die Frau nicht mehr ist. In anderen Ländern hatten sie mit dieser Ausgangslage keine Chance ein Kind zu bekommen, deshalb reisen sie in diesen abgelegenen Ort.

    Im Hotel angekommen wirkt alles wie in einem alten Film, das Paar erlebt oft unabhängig voneinander skurrile Dinge, lernt ebenso skurille Personen kennen.
    An der Bar trifft der Mann auf Livia Pinheiro-Rima, die ihn direkt in ein Gespräch verwickelt. Sie ist eine schillernde Persönlichkeit, die auch gerne mal flunkert, es aber anscheinend gut mit ihrem Umfeld meint. Allerdings lässt der Autor sie immer zur rechten Zeit auftauchen, dies ist fast schon gespenstisch, dennoch ist man in einem merkwürdigen Bann, und hinterfragt erstmal nicht alles, sondern lässt die Situation auf sich wirken.
    Auch ein Geschäftsmann scheint zu den Stammgästen zu gehören und ist immer präsent, wenn der Mann alleine durchs Hotel geistert. Die Art der Avancen die er ihm macht, haben mich sehr überrascht.
    Alle Personen aus dem Umfeld des Paares tun Dinge, die man von fremden Menschen sonst so erstmal nicht erwartet. Aber was ist hier, in diesem Hotel auch schon normal? Es wirkt wie aus der realen Welt gelöst, wie eine andere Matrix.
    Vieles andere ist ebenfalls kurios. Ein Barmann, der endlos arbeitet, die Bar, ein sehr häufiger Schauplatz im Buch, scheint der beliebteste Platz im Hotel zu sein. Dort zieht es den namenlosen Ehemann oft hin, er sucht Gesprächspartner, ist oft mit der Situation mit seiner kranken Frau und der bevorstehenden Adoption überfordert. Aber nicht nur er hat Kontakt zu den anderen Gästen, auch seine Frau macht Bekanntschaft mit Livia. Die ist es auch, die ihr Mut macht, dem Heiler Emmanuel eine Chance zu geben, nachdem sie das Paar dorthin geschickt hat, obwohl sie einen Termin beim Waisenhaus hatten.

    Auf die weitere Handlung werde ich nicht eingehen, da ansonsten zu viel verraten wird.
    Für mich steht fest, dass der Autor mit diesem Roman sicher nicht jeden erreichen wird, an muss sich schon auf das surreale einlassen können, ansonsten geht das Konzept nicht auf. Einige Passagen wirkten etwas langweilig, da viele Tätigkeiten, wie die Auswahl des Essens, recht häufig wiederholt wurden. Aber im Großen und Ganzen war ich gefesselt von der Handlung, von dem mystischen Flair, das unterschwellig im Mitschwang.
    Ein Roman, der sicherlich filmisch gut umsetzbar wäre, da die Stimmung sicher sehr stilvoll umgesetzt werden kann. Wer weiß, vielleicht kann ich es demnächst tatsächlich auf der großen Leinwand auf mich wirken lassen!

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  1. Außergewöhnliche Schauergeschichte

    Eine New Yorker Ehepaar hat die weite Reise in den nördlichen Norden Europas angetreten, um dort einen kleinen Jungen aus dem Waisenhaus zu adoptieren. In ihrer Heimat ist das nicht möglich, einerseits, weil das Paar zu alt ist, andererseits, weil die zukünftige Mutter unter einer schweren Krankheit leidet. Schon der erste Satz führt phänomenal in das Geschehen ein: „Der Abend senkte sich so beunruhigend abrupt herab wie der hastig fallende Vorhang von einer Laienaufführung, die fürchterlich daneben ging.“ Im nördlichen Winter wird es nämlich niemals richtig hell, was man unbedingt vor Augen haben sollte, wenn man diese düstere Geschichte zur Hand nimmt. Recherchen nach Ort und Zeit laufen ins Leere. Der Autor gibt zwar hier und da Hinweise, fest definierbar ist hier aber wenig. Es gibt Handys und Chemotherapien (wir befinden uns also nicht fernab unserer Gegenwart), das muss reichen. Das Ehepaar bleibt gleichfalls namenlos, konsequent werden die beiden als „der Mann“ und „die Frau“ bezeichnet. Doch damit fangen die Besonderheiten erst an.

    Das Paar kommt an einem unheimlichen, schlecht beleuchteten, menschenleeren und verschneiten Bahnhof an. „Ihre Reise glich einer Reise in ein früheres Jahrhundert, dauerte Tage, nicht Stunden, und die Erde unter ihnen war ernst und sehr real und bestand nachdrücklich auf ihrer unermesslichen Weite“. Völlig entkräftet finden sie ein Taxi, das sie zum Grand Imperial Hotel bringt, einem alten Gebäude, das bessere Tage gesehen hat und in dem sich ein paar skurrile Gestalten aufhalten.

    Die Art, wie Cameron seinen Roman aufbaut, kann ich gar nicht genug rühmen. Es gelingt ihm, mit wenigen Federstrichen eine äußerst intensive Atmosphäre zu kreieren. Sein eleganter, bildreicher Stil lässt das Geschehen höchst unmittelbar wirken, wobei man stets im Ungewissen gelassen wird, ob es sich konkret um reales, mystisches oder traumhaftes Geschehen handelt. Der gezeigte Schauplatz hat surreale Elemente, dann aber auch wieder sehr realistische – diese Ambivalenz macht den besonderen Reiz des Buches aus. Allein die Beschreibung der Hotelhalle nebst angrenzender Bar mit Perlenvorhang und Spiegelwand: geheimnisvolle Atmosphäre pur!

    Der namenlose Ort verfügt neben dem Hotel über zwei weitere Attraktionen: ein Waisenhaus und einen Heiler. Das Paar ist eigentlich da, um das Kind zu adoptieren. Aufgrund der Krankheit der Frau ist man aber als Leser aber kaum verwundert, als sich das Paar plötzlich bei Heiler Bruder Emmanuel wiederfindet, dem übernatürliche Heilkräfte nachgesagt werden… Offenbar hat da ein Hotelgast an der Uhr gedreht.

    Über das Figurenkarussell muss ich noch ein paar Worte verlieren. Der Barmann arbeitet quasi rund um die Uhr, ansonsten wirken Kellnerinnen wie seltsam unwirkliche Gestalten. Sehr handfest kommt indessen ein so genannter Geschäftsmann daher, der sofort versucht, mit dem Mann zweideutig ins Gespräch zu kommen. Schillernd ist die alternde Schauspielerin Livia Pinheiro-Rima, die sich im Hotel mit Musik ihren bescheidenen Lebensunterhalt verdient und dort eine Heimat gefunden hat. Insbesondere diese beiden Figuren interagieren mit dem Ehepaar. Es zeigt sich, dass beide Eheleute unterschiedliche Interessen haben. Beide lassen sich in gewisser Weise von ihrem eigentümlichen Umfeld manipulieren, so dass es zu mancher unerwarteten Szene, zu Verwechslung und Verwicklung kommt. Meine Begeisterung resultiert neben der ungewöhnlich grotesken Handlung gleichsam aus der Mischung von Figurenzeichnung, Dialogkompetenz (ohne Redezeichen), Schreibstil (wechselnd im Ton, mal poetisch, mal derb oder humorvoll) und der einzigartigen Atmosphäre. Letztere könnte man als Star des Romans bezeichnen.

    Immer wieder geht es um das zu adoptierende Kind, das sich das Ehepaar so innig wünschte. Doch auch dieser Wunsch gerät im Verlauf ins Wanken, so dass der Fokus zunehmend auf die Beziehung des Ehepaares gerichtet wird: Was trennt die beiden, was hält sie zusammen, welche Verletzungen haben sie sich gegenseitig zugefügt? Wie verändert sich ihr Verhältnis an diesem mystischen Ort? „Wenn man aufhört, Gefühle zu haben, vergisst man, dass es sie gibt, dass andere Leute sie tatsächlich fühlen. Liebe. Vielleicht ist es auch nur das Alter. Vielleicht schwinden Gefühle wie Muskeln.“

    Erzählt wird aus mehreren Perspektiven. Vieles erfährt man auch aus den Gesprächen der Protagonisten mit- und untereinander, die gerne von Schnaps und anderen Alkoholika begleitet werden. Mehr muss man zum Inhalt gar nicht wissen. Man muss sich einlassen auf einen nicht ganz ernstzunehmenden Trip in eine andere, leicht gespenstische Welt, in der vieles möglich scheint.

    Der Autor versteht das Spiel mit den unterschiedlichen Ebenen, mit Phantasie, Sehnsüchten und Träumen. Er nutzt eine bildreiche, leicht verständliche und aussagestarke Sprache, die Sog entwickelt und einen an das Geschehen bindet. Erwähnenswert sind der überaus atmosphärische Einsatz von Lichtspiel, Motiven und mystischen Visionen, die sich organisch ins Geschehen einfügen, ohne es zu überfrachten. Der Roman übt eine schwer erklärbare Faszination aus. Eigentlich mache ich um phantastische oder surreale Literatur einen Bogen. Hier bin ich eher zufällig hinein geraten – zum Glück!

    Der Roman ist Ehe-, Beziehungs- und Familienroman, setzt sich klug mit elementaren Fragen des Lebens auseinander und bietet ein buntes Figurenpersonal mit fantastisch-skurrilen Schauplätzen. Ebenso grandios wie die Eingangsszenen ergeben sich auch die Schlussakkorde des Romans. Über leichtes Auf-der-Stelle-Treten im Mittelteil sehe ich deshalb gerne hinweg und vergebe voller Überzeugung eine dicke Lese-Empfehlung für alle, die sich gerne mal auf ein besonderes Buch einlassen wollen und mit etwas Surrealität umgehen können.

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  1. Nacht ist fast immer ...

    Wie aus der Zeit gefallen wirkt das Grandhotel in einem nicht näher bezeichneten nordeuropäischen Land, das Schauplatz dieses Romans ist. Ein Ehepaar, dem der Autor keine Namen gibt - die beiden werden bis zum Schluss "der Mann" und "die Frau" genannt - kommt nach einer langen Zugfahrt an. Aus Versehen steigen sie bei einer außer Betrieb gesetzten Station aus und finden in Dunkel und Schnee nur mühsam zum Hotel. In der neuen Umgebung, das wird schnell klar, ist nichts so wie überall sonst. Das Hotel wartet mit einem elaborierten Luxusmenü von zehn Gängen auf, das aber anscheinend niemand essen will. Statt dessen verpflegen sich die wenigen Gäste in der rund um die Uhr geöffneten Bar, in der fast immer der gleiche Kellner bedient und großzügig den regionalen Schnaps ausschenkt. Eine offenbar steinalte ehemalige Diva verdient sich ihren Daueraufenthalt im Hotel mit Klavierspiel und berichtet Kuriositäten aus ihrem Leben. Und außer dem Hotel gibt es nicht viel - einige wenige Läden, ein Restaurant, ein Waisenhaus.

    Das namenlose New Yorker Ehepaar ist nicht als Touristen gekommen: sie wollen im Waisenhaus ein Baby adoptieren. Die Frau ist krebskrank und hat, trotz mehrerer quälender Therapien, nicht mehr lange zu leben. Der Mann soll wenigstens nicht allein bleiben. Klingt dieser Plan schon recht fragwürdig, wird der weitere Verlauf immer verrückter. Ein Taxifahrer, der die beiden zum Waisenhaus bringen soll, setzt sie statt dessen beim örtlichen Schamanen ab. Kurz darauf ist die Frau überzeugt, sie befinde sich auf dem Weg der Besserung. Ihr Mann beginnt seinerseits, mit einem gleichfalls im Hotel wohnenden "Geschäftsmann" herumzuziehen. Das Baby könnte abgeholt werden, doch die zukünftigen Eltern sind verunsichert und uneins. Dem inneren Widerstreit der beiden entspricht die Umgebung, in der immer wieder Unerwartetes auftaucht oder passiert.

    Die bildhafte Wirkung des Romans ist ungewöhnlich stark. Das Buch ruft geradezu nach eine Filmemacher, der ein Händchen für ausgefallene Schauplätze hat, wie Wes Anderson oder David Lynch. Im Mittelteil fasert alles ein wenig auseinander, das Ehepaar trudelt recht orientierungslos umher und die Nebenfiguren, vor allem die alte Diva im Pelzmantel, steuern das Geschehen. Man tut wohl gut daran, nichts, was "in der Nacht" geschieht - und Nacht scheint fast immer zu sein -, für bare Münze zu nehmen. "Was geschieht in der Nacht" ist ein realphantastischer Roman, in dem jede Einzelheit wie eine Allegorie wirkt. Einen Hinweis darauf gibt schon die Vorrede, ein Zitat aus einem Roman von Jane Bowles, in dem von Sternen die Rede ist, die aufblinken und wieder verschwinden wie Visionen - ein Motiv, das am Ende des Buches mit der plötzlich und trügerisch auftauchenden Sonne wieder angesprochen wird. Der souveräne Heiler, das im Waisenhaus im Bett sitzende Baby, die abgeklärte Showdame, drer trinkfeste "Geschäftsmann" mit dickem Bauch - sie alle erscheinen wie Platzhalter in einer Umgebung, in der auch das ortsfremde Ehepaar seinen Platz zu finden hofft. Nichts geschieht so, wie es sollte, und doch kommt am Ende - mit der Rückkehr in die gewohnte Welt, in der die Sonne über den Horizont blinzelt - so etwas wie Hoffnung auf. Fazit: Ein origineller Roman mit kleinen Durchhängern und vielen humorvollen und poetischen Momenten.

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  1. 3
    19. Jul 2022 

    Wenn Wes Anderson ein Buch schreiben würde

    Während und nach der Lektüre von „Was geschieht in der Nacht“ ist es wenig überraschend, dass man ständig an verschiedenste Regisseure denken muss. Erinnert der Name des Autors „Peter Cameron“ sowohl an Peter Jackson als auch James Cameron, so ist es der Stil und Inhalt des Buches, die eher an David Lynch und Wes Anderson erinnern lassen. Warum ist das so?

    Man kann sich den skurrilen Plot sowie dessen Figuren einfach am besten verfilmt vorstellen. Da kommt ein amerikanisches Ehepaar per Zug in der Nacht in einer nicht näher bezeichneten nordeuropäischen Stadt an, um ein Baby aus dem Waisenhaus zu adoptieren. Aber schon die Ankunft verläuft verquer und erst recht der gesamte Aufenthalt. Da gibt es einen Geschäftsmann, der dem Ehemann des Paares einreden will, man hätte bereits eine homoerotische Nacht miteinander verbracht und kenne sich aus New York; eine ältere, schillernde Sängerin/Schauspielerin/Schaustellerin mischt sich in die Befindlichkeiten der Eheleute ein; der ortsansässige Heiler scheint die Rettung für die krebskranke Ehefrau; der Leiter des Waisenhauses scheint hingegen unerreichbar; und der stille Barmann wird dann doch noch ganz gesprächig. Alles läuft darauf hinaus, dass dieses Ehepaar den Ort so schnell nicht verlassen wird, ob mit oder ohne Kind ist sowieso fraglich.

    Peter Cameron legt seine abgedrehte Story in einem sehr interessanten Setting an. Er erfindet einen Ort, der scheinbar prototypisch als Konglomerat aus verschiedenen nordischen Begrifflichkeiten, Namen, Sprachen und Gebräuchen zusammengesetzt ist. Schon die Ankunft ist düster inszeniert und lässt vermuten, dass wir uns in einer merkwürdigen Zwischenwelt befinden. Nie weiß man beim Lesen so genau, was hier real und was surreal ist. Denn das ist der Grundton des gesamten Romans: Surrealismus mit viel Skurrilität und Absurdität.

    Während die Hauptfiguren (das Ehepaar) namenlos und auch meines Erachtens konturlos bleibt, wartet Cameron mit allen möglichen Absurditäten bezüglich der Nebenfiguren auf. Das liest sich über die erste Hälfte des Romans recht spritzig und „anders“, wird jedoch im weiteren Verlauf zu einer ständigen Wiederholung und verblasst somit immer mehr. Leider konnte ich den Entscheidungen und Motivationen der Ehepartner kaum mehr folgen. Sie wirkten nicht mehr nachvollziehbar und ebenso wenig realistisch wie das gesamte Setting. Nun könnte man sich damit abfinden und sagen, gut, dann ist eben der gesamte Roman unrealistisch konstruiert. Aber an dieser Stelle verliert mich der Autor. Bei Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, ein Film, an welchen ich ständig bei der Lektüre denken musste, machen die Protagonisten auch die verrücktesten Sachen, keine Frage. Aber dort konnte ich trotzdem nachvollziehen, was sie zu ihren Handlungen bewogen hat. Das fehlt mir hier komplett. Die Beziehungsentwicklung zwischen den Ehepartnern nimmt innerhalb von wenigen Tagen bzw. Nächten einen Verlauf, der viel zu schnell und in Richtungen geht, die einfach unglaubwürdig und zweifelhaft sind.

    Somit stellt das Buch durchaus für mich eine solide Leseerfahrung dar. Aber ich finde, ein unrealistisches, surreales Setting mit skurrilen Figuren sollte immer noch einigermaßen nachvollziehbare menschliche Reaktionen beinhalten, um als Leserin weiterhin mit Interesse dabeizubleiben. Die Geschichte verläuft sich zum Ende hin. Ja, man könnte sogar sagen sie „plätschert“ so dahin, natürlich soweit man die Koordinaten für dieses Wort in den Bezugsrahmen einer abgedrehten Story setzt.

    Nach anfänglicher Freude über dieses unkonventionelle Setting - für ein Buch, denn im Film gab es dies durchaus schon häufiger -, verlor ich zunehmend die Geduld mit dem Roman und er konnte meines Erachtens nicht auf voller Länge mit seiner tollen Grundidee mithalten. Als kurioser Arthouse-Film könnte diese Geschichte sicherlich über eine Filmlänge hinweg funktionieren, in Buchform konnte sie mich nicht vollends überzeugen.

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  1. 4
    18. Jul 2022 

    Imperial Grand Hotel

    Mit dem Zug fährt ein amerikanisches Ehepaar in einen abgelegenen Ort im Norden Europas. Schon der Bahnhof, an dem sie aussteigen, macht einen verlassenen Eindruck. Mit Mühe finden sie einen Transport mit dem sie zum Hotel gelangen. Dort herrscht eine seltsame Stimmung. Doch die Ehegatten lassen sich nicht beirren. Sie haben sich auf den langen Weg gemacht, um ein kleines Kind zu adoptieren. Die Frau ist schwer erkrankt und es scheint mehr als ungewiss, ob sie im Endeffekt überhaupt überleben kann. Ein Kind würde bleiben.

    Es ist Winter und die Dunkelheit überwiegt. Skurrile Persönlichkeiten bevölkern das Hotel, welches sie als nicht so leer erweist, wie zunächst vermutet. Die Bar hat die ganze Nacht geöffnet, der Kellner stets zu Diensten. Eine alternde Schauspielerin klimpert am Klavier und verdient sich ihr Zimmer im Hotel. Ein Geschäftsmann spricht dem Schnaps zu und behauptet, den Mann schon einmal getroffen zu haben. Der Mann und seine Frau sind erschöpft von der Reise. Während sie lieber ruhen möchte, zieht es ihn doch an die Bar für einen Drink und einen Snack. Am nächsten Morgen auf dem Weg zum ersten Besuch im Waisenhaus, landet das Paar zufällig oder absichtlich bei dem Heiler Bruder Emanuel.

    Auch wenn Vieles in diesem Roman im Ungewissen bleibt, sogar die Namen seiner Hauptpersonen, während die meisten anderen Namen bekommen, so nimmt einen das skurrile Ambiente doch sofort gefangen. Fast filmhaft kommen einem die Beschreibungen vor, beinahe meint man die Bilder zuordnen zu können, nur um festzustellen, dass man doch in die Irre gegangen ist. Geht es ums Finden oder ums Verlieren, ums Loslassen oder Hinzugewinnen? Sind die vermeintlichen Statisten in Wahrheit Helfer bei der schweren Aufgabe des Zurechtkommens mit einer möglicherweise tödlichen Krankheit? Man kann Erklärungsversuche starten oder sich einfach der schrägen aber doch anrührenden Stimmung hingeben. Ein echtes Leseerlebnis. Ein Roman, den man gerne verfilmt sehen würde.

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  1. Ein Vorhaben auf Abwegen

    Ein Ehepaar aus New York begibt sich auf eine lange Reise an einen Ort im nördlichen Europa, um dort ein Baby aus einem Waisenhaus zu adoptieren. Wir treffen die beiden im Zug durch eine verschneite Landschaft. Sie ist angeschlagen, nicht nur von einem kleinen Stolperunfall auf einem Markt, sondern auch von ihrer tödlichen Krebskrankheit. Er ist um sie besorgt, will ihr auch ihren letzten Wunsch, ein Kind zu bekommen, mit dieser Reise ermöglichen. Der Zug fährt in die Dunkelheit, die umso abrupter erscheint, als dass sie einen dichten Wald durchqueren, und hält an einen verlassenen Bahnhof, der aber den Namen des Zielortes des Paars trägt. Sie steigen aus und haben Glück ein einziges Fahrzeug mit scheinbar wartendem Fahrer für sich zu gewinnen, der sie stumm zum gebuchten Hotel fährt.

    Bei diesem düsteren, hoffnungslosen Intro sprang bei mir sofort die Fragentrommel an und entließ mich erst einmal in die Lobby eines pompösen Hotels. Die erschöpfte Frau wird im Zimmer zur Ruhe gebettet, der ruhelose Mann lernt die alterslose Livia in ihrem Bärenfellmantel kennen. Livia gehört zum illustren Personal des Hotels und der Geschichte, denn sie wird das Vorhaben des Paares, das Kind abzuholen noch gehörig durcheinander bringen.

    Diverse Vorkommnisse und Abschweifungen lassen das Ziel, das Eheglück mit einem Kind zu krönen, in scheinbar weite Ferne rücken. Überzeugungen werden gekippt, Wahrheiten verkehrt und Selbstverständlichkeiten ignoriert. Letzteres ist es dann auch, was manche dem Surrealismus zuschreiben, mich aber verärgert und ratlos zurückgelassen hat. Die vielen Fragen (aus meiner Trommel) wurden nicht beantwortet, im Gegenteil. Der Autor entfacht mit seinem wilden Mix aus Sprachen, Gegebenheiten und Länderfakten eine Debatte um die wahre Örtlichkeit dieser Geschichte, in der soviel schreckliche Sachen passieren. Auch die Handlung der Protagonisten schweift in Sexabenteuern, kuriosen Heilsversuchen eines Gurus und viel, viel Alkohol an der Hotelbar ab. Sachen die passieren, scheinen keinerlei weitergehende Konsquenzen zu haben und das Verhalten sämtlicher Personen wechselt ständig.

    Dennoch kommt die Geschichte zu einem erwartbaren Ende, dessen Wege keineswegs geradlinig waren. Und wieder ist es das Verhalten des Mannes (der über die ganze Strecke keinen Namen bekam), das mich geradzu sprachlos das Buch zuklappen ließen.

    Für ein Urban Fantasy, waren mir die phantasitischen Elemente nicht eindringlich genug. Die handfesten habe ich eher der krankheitsbedingten Verworrenheit der Frau zugesprochen, die weniger offensichtlichen (wie zum Beispiel den wartenden Fahrer am Bahnhof) kamen mir zu flapsig hingeworfen vor. Sie wurden im Nachhinein nicht mehr erwähnt und hatten auch kein Nachspiel. Der Autor sah sich wohl auch nicht genötigt, das Augenmerk des Lesers darauf zu lenken. Seine Einwürfe der "schrecklichen Dinge" hingegen, scheinen aus diversen Nachrichtenquellen zu stammen und vereinen sich hier zum wahren Horrortrip, im Rückentext auch als sanfter Albtraum bezeichnet. Als "komisch und hoch unterhaltsam" habe ich es allerdings nicht empfunden. Wer's moag, i net!

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  1. Perlenvorhang auf für einen surrealen Trip erster Güte

    Ein namenloses Ehepaar aus New York begibt sich auf eine lange und beschwerliche Reise in den äußersten Norden Europas, um im dortigen Waisenhaus ein Kind zur Adoption abzuholen. Ihr Quartier ist das seltsame Grand Imperial Hotel, dessen Gäste die Eigenheiten des Gebäudes sogar noch übertreffen. So verwundert es nicht, dass das gerufene Taxi sie am nächsten Morgen nicht wie geplant zum Waisenhaus bringt, sondern zum sonderbaren Heiler Bruder Emmanuel. Ist dieser Mann die Rettung für die todkranke Ehefrau? Oder steckt vielleicht ein ganz anderer Plan hinter den Machenschaften des Heilers?

    In seinem neuen Roman "Was geschieht in der Nacht", der jetzt bei Liebeskind erschienen ist, erzählt Peter Cameron die Geschichte eines Ehepaares, das sich auf eine düstere Reise begibt, die einerseits die Liebesbeziehung der beiden Protagonisten zu einem versöhnlichen Ende führen und andererseits den Weg für eine neue, elterliche Liebe öffnen soll. Dass letztlich alles ganz anders kommt, spürt man praktisch vom ersten wunderbaren Satz an. "Der Abend senkt sich so beunruhigend abrupt herab wie der hastig fallende Vorhang vor einer Laienaufführung, die fürchterlich danebenging", heißt es dort und da auf den folgenden Seiten wohl so häufig wie in kaum einem anderen Roman die Wörter "dunkel" und "Dunkelheit" auftauchen, ahnt man als Leser:in früh, dass diese Reise durch lichtlose nordische Wälder zu einem unwirtlichen Bahnhof kein fröhlicher Urlaubstrip wird.

    Cameron entpuppt sich in diesem fulminanten Beginn, der einen sofort in die Handlung hineinreißt, als Meister der Atmosphäre. Alles wirkt so bedrohlich und gleichzeitig kunstvoll, dass ich mich zeitweise in einem Arthouse-Horrorfilm wähnte. Doch die Horrorelemente entwickeln sich früh zu einem Mysterium, das seinen Höhepunkt mit dem ersten Auftritt des Hotels und seiner seltsamen Mitarbeiter:innen und Gäste erreicht. Eine Hotelhalle, die einer Krypta ähnelt, eine Bar, die nur von einem immer in Bewegung scheinenden Perlenvorhang separiert wird und natürlich die Menschen dort, die mit zunehmender Dauer des Romans wie verlorene Seelen wirken; Heimatlose, die eine so starke Verbindung mit dem Hotel eingehen, dass man fast das Gefühl bekommt, sie seien das Hotel.

    Das cineastische Ambiente bleibt auf jeden Fall bestehen, doch nun hatte ich das Gefühl, mich in einem sehr guten David Lynch-Film zu befinden. So hätte es mich nicht gewundert, wenn durch diesen Vorhang plötzlich ein tanzender Kleinwüchsiger getreten wäre oder die im Hotel als Musikerin auftretende Diva Livia Pinheiro-Rima - schon der Name verrät ihren Glamour - sich für das Rückwärtssprechen entschieden hätte.

    Neben der Atmosphäre sind es diese verrückten und skurrilen Figuren, die den Charme von "Was geschieht in der Nacht" ausmachen. Die zahlreichen Dialoge, bei denen der Autor übrigens konsequent auf Anführungszeichen verzichtet, strotzen vor Wortwitz, Klugheit und - insbesondere am Ende des Romans - philosophischer Tiefe. Denn Cameron gelingt es trotz aller Düsternis und der Schwere des drohenden Todes der Ehefrau, die Handlung einerseits erstaunlich leicht, spannend und unterhaltsam voranzutreiben und dennoch nicht die Schönheit der Literatur aus den Augen zu verlieren. So heißt es beispielsweise über den schon erwähnten Vorhang, die Perlen reagierten in ihrer Erzitterung "nur auf die Spannung der Welt".

    Dass die von Peter Cameron in diesem Roman erschaffene Welt ihre Spannung nicht verliert, liegt vor allem am grandiosen Finale, das mit seiner tiefen Menschlichkeit verblüfft und die ein oder andere Länge, die das Buch in seiner Mitte aufweist, vergessen lässt. Der Autor schreibt sich in Höchstform und geißelt sich selbstironisch, indem er eine wahrlich nervige Nebenfigur komplett demaskiert und lapidar als "Ablenkung" abtut. Im letzten Akt des mittlerweile auch zu einem Beziehungsdrama gewordenen Buches schwingt sich dafür Livia in vorher kaum vermutete Handlungssphären, wobei es ihr beinahe gelingt, dem Hotel als eigentlichen Star des Romans doch noch den Rang abzulaufen. Aber eben nur beinahe.

    "Was geschieht in der Nacht" ist ein surrealer Trip an einen unwirtlichen Ort, ein zwischenmenschliches Drama um die ganz großen Themen Liebe, Tod und Geburt. Ich kann mir vorstellen, dass der Roman wegen der Überschreitung der Grenzen zur Phantastik vielleicht polarisieren wird, doch wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird mit einem wirklich originellen Plot belohnt, an dessen Ende die Leser:innen bei einigen offenen Fragen die Möglichkeit haben, sich die Antworten selbst zu erarbeiten. Jetzt gilt es nur noch, David Lynch zu einem Kino-Comeback zu überreden. Mr. Lynch, übernehmen Sie!

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