Walter Nowak bleibt liegen

Buchseite und Rezensionen zu 'Walter Nowak bleibt liegen' von Julia Wolf
4.75
4.8 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Walter Nowak bleibt liegen"

Jeden Tag schwimmt Walter Nowak seine Bahnen im Freibad. Eines Morgens bringt eine Begegnung ihn aus der Fassung, mit fatalen Folgen: Der Länge nach ausgestreckt findet er sich wenig später auf dem Boden seines Badezimmers wieder, bewegungsunfähig und auf sich allein gestellt. »Von nun an geht es abwärts, immer abwärts«, schießt es ihm durch den Kopf. Zunehmend verliert er die Kontrolle, Gedankenfetzen, Bilder aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein: das Weihnachtsfest mit seiner ersten Frau Gisela, ihr Schweinebraten, ihre Tränen; der Blick seines Sohnes Felix, als er von der Trennung erfährt; Erinnerungen an seine eigene Kindheit als unehelicher Sohn eines GIs; und, vor kurzem, eine Diagnose seiner Ärztin. Während nach und nach alles vor seinen Augen verschwimmt, ziehen seine Gedanken immer engere Kreise, nähern sich einem verborgenen Zentrum, dem Anfang, dem Ende ... Als das Hitzegewitter endlich losbricht, steht plötzlich sein Sohn Felix vor der Tür.
Mit verblüffender erzählerischer Souveränität und großer Empathie zeichnet Julia Wolf in ihrem zweiten Roman ein eindrückliches Männerporträt: Walter Nowak, Kind der Nachkriegszeit, steht an einem Scheidepunkt. Seinem Gedankenstrom folgend macht der Leser eine faszinierende Reise in die menschliche Psyche.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:200
EAN:9783627002336

Rezensionen zu "Walter Nowak bleibt liegen"

  1. Rekonstruktion. (Herrlich) unkorrekt

    Der Titel dieses kurzen, intensiven Romans ist Programm. Ein Mann an die 70 stürzt im Bad und bleibt liegen. Es ist weniger sein Alter, das ihn zu Fall bringt, sondern eine Ablenkung durch eine Frau oder besser Walter Nowaks Reaktion auf diese. Später wird er erzählen, er habe sich beim Schwimmen verschätzt und sich den Kopf am Beckenrand gestoßen.

    Julia Wolf, die 2016 mit einem Ausschnitt aus ihrem damals noch unveröffentlichten Roman den 3sat Preis beim Bachmann-Wettbewerb gewann, wurde mit dem vollendeten Werk ein Jahr später für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ihr Erzählstil wirkt erfrischend neu, auch wenn er berühmten Vorgängern verhaftet ist.

    Die Autorin führt den Leser mitten hinein in Walter Nowaks Hirn und lässt ihn an einem Strom von Erinnerungen und Assoziationen teilhaben. Für die biographische Authentizität der Figur gibt sie keine Garantie, sie unterläuft sie mit den Träumen und Phantasien ihres Helden. Walters biographisches Gedächtnis ist wie bei jedem anderen ein subjektiv gewünschtes, in seinem speziellen Fall kommt ein durch den Sturz leicht lädiertes Hirn hinzu.

    Sein Erinnern schweift also vom unmittelbaren Geschehen zur Geschichte im Schwimmbad bis zu längst vergangenen Ereignissen. Sobald sich Walter der Realität bewusst wird, versucht er seine Lage auf den Badezimmerfliesen zu erklären. Nicht sich selbst, sondern seiner Yvonne, die bald zurückkehren und ihn fragen wird. Während er sich eine Version zurechtlegt, branden in immer neuen Wellen Erinnerungen an den Rand seines Bewusstseins. Dem 68-jährigen macht nicht die aktuelle hilflose Situation seines Körpers zu schaffen. Ihn stört sein Alter, gegen das er jeden Morgen eisern anschwimmt. Zudem bedroht ein urologischer Befund, noch dazu erhoben von einer Frau, sein männliches Selbstverständnis. Fit und viril will er bleiben, für sich und für seine junge Frau Yvonne, in seinen Wunschträumen auch für andere. Doch es fällt ihm zunehmend schwer mit Yvonne Schritt zu halten. Sie, wegen der er die Ehe mit Gisela, aber auch seinen Sohn Felix verlassen hat, entfernt sich zunehmend. Walter hadert mit ihren Einstellungen und ihrem Engagement und hält ihre gesunde Ernährung sowie ihre politische Korrektheit für übertrieben. Dies gefährdet ihre Beziehung, aber anstatt zu reden, entwickelt Walter Eifersucht. Dabei ist er selbst kein Unschuldslamm, sonst würde er nicht hilflos hier liegen und nach einer Erklärung für Yvonne suchen. Die, so hofft er, kommt spätestens am nächsten Morgen zurück. Walter wartet und versinkt im Meer seiner Erinnerungen, umso tiefer, je länger er liegt. Vorbei an erster Ehe und Beruf landet er in seiner Kindheit und einem vergessen geglaubten Trauma. Die Grenzen zwischen tatsächlich Geschehenem und phantasievoll Ausgeschmücktem verschwimmen.

    Walters Gedankenbruchstücke setzt Julia Wolf durch eine allmähliche Auflösung der Syntax in Szene, die zerbricht, wenn ihr Held auf den Fliesen erwacht. Sobald er jedoch wieder in seine Traumerinnerungen abtaucht, fließt sie wieder. „Ich muss mich jetzt mal. Zusammen. Reißen. Diesen Tag rum. Reißen.“ Oder „Aus keiner Mücke, Elefanten, das wollen wir nicht. Nein.“ Die Trennung der Sätze durch Punkt und Komma verleiht den Worten eine besondere Betonung. Sie markiert den Zustand des Erzählers, dessen Unzuverlässigkeit den Leser geschickt in die Irre zu führen vermag. Gespannt erlebt dieser eine Odyssee durch Walters Gedankenfluten, liest amüsiert Walters herrlich unkorrekte Ansichten, um schließlich von der schnöden Wahrheit überrascht zu werden.

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  1. Beeindruckend

    Walter Nowak, Ende 60, ein Selfmade Mann, wie er im Buche steht. So ein Mann duldet keine Schwäche, schon gar nicht bei sich. 1000 Meter jeden Morgen im Schwimmbad, man ist „Fit wie ein Turnschuh“, da verbieten sich Gedanken an Krankheiten oder Beeinträchtigungen. Doch das holt Walter schneller ein, als gedacht. Beim morgendlichen Schwimmtraining abgelenkt – eine Frau erinnert ihn an seine Mutter – stösst er mit dem Kopf an die Beckenwand. Nein, er will nicht in den Krankenwagen – er will nach Hause und zwar allein.
    Dort findet er sich einige Zeit später wieder am Boden, seltsam eine geleerte Bierflasche in der Hand und was war davor? Während Walter liegen bleibt, wie der Titel schon verrät, setzen seine Erinnerungen und Gedanken ein.
    Julia Wolf kriecht buchstäblich ins Hirn ihres Protagonisten, der so erbarmungslos seziert wird, dass beim Leser allenfalls noch Mitleid für ihn aufkommt. Seine Gedankenfetzen sind oft nur aus Phrasen und Worthülsen zusammengesetzt, wie so oft bei Menschen, die sich daran festhalten, wenn die eigenen Worte fehlen. Die eigenwillige Interpunktion betont noch die Pausen, wenn Walters Gehirn Zeit braucht um zu formulieren. Aber seine Erinnerungen führen in weit zurück in seine Kindheit, die nicht besonders glücklich war und immer auch ein Kampf gegen Spott und Ausgrenzung. So erschließt sich dem Leser allmählich das Leben Walters, ein exemplarisches Leben der Nachkriegszeit mit dem unbedingten Willen ‚es zu schaffen, nach oben zu kommen‘, auch wenn Ehe und Sohn dabei auf der Strecke bleiben.
    Ich hatte anfänglich Schwierigkeiten mit Julia Wolfs Buch, ich konnte keine Beziehung zum Protagonisten herstellen und die radikale literarische Umsetzung des Gedankenflusses bereitete mir wenig Lesefreude. Aber ich konnte nicht verhindern, dass das Buch mich packte. Auch als ich mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung die letzte Seite umblätterte, blieb mir die Sprache und der Ton im Kopf. Immer wieder habe ich Walters Geschichte reflektiert, in Bezug zu realen Personen gesetzt.
    Ein wirklich außergewöhnlicher Roman, der zu Recht so viel Anerkennung findet. (Klagenfurt, Long List Buchpreis)

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  1. 5
    13. Nov 2017 

    Gedankenfluss-Sprache, die begeistern kann

    Julia Wolfs Roman „Walter Novak bleibt liegen!“ hat es nicht nur auf die Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises geschafft, sondern wurde auch dazu ausgewählt, intensiv in einer Leserunde bei Whatchareading gelesen und diskutiert zu werden. Das war auch glücklicher Anlass zur Lektüre für mich.
    Auf kurzen ca. 150 Seiten nimmt uns die Autorin in diesem Buch mit in die Gedankenwelt des Walter Novak, der sich in einer besonderen, ihn zum Nachdenken und analysieren anregenden Situation befindet. Nach einem kleinen Unfall beim täglichen Frühsport im Schwimmbad liegt er einsam und allein in seinem Badezimmer und kann sich aus dieser Lage nicht selbst befreien. So nutzt er die Zeit, um seine Vergangenheit durchzugehen, aufzuarbeiten und zu analysieren. Julia Wolf als Autorin nimmt ihr Lesepublikum mit in diesen ausgiebigen inneren Monolog des Walter Novak. Es ist ihre besondere literarische Leistung, diesen inneren Monolog sprachlich und inhaltlich so zu gestalten, dass der Gedankenfluss sich für den Leser – alles andere als selbstverständlich - zu einem interessanten und spannenden Text gestaltet.
    Julia Wolf setzt dabei beeindruckende sprachliche Mittel ein. Hier zwei Beispiele:
    Sätze wie eine Stickarbeit etwa: Ein Gedanke taucht auf und ab und nach einer kleinen Distanz dann wieder auf, und ein anderer übernimmt die Lücke und taucht wieder ab, wenn der erste auftaucht:
    "Also abstoßen, also los jetzt, keine Müdigkeit, schon gleite ich durchs Wasser, vorschützen."
    Sätze, bei denen das offensichtliche Ende weggelassen wird, was das Erzähltempo deutlich beschleunigt:
    „Ich dachte wir wären. So was wie, alte, schon immer.“
    Diese sprachlichen Stilmittel werden sehr gezielt und passend eingesetzt. Deshalb ist das Buch vor allem sprachlich absolut überzeugend. Der Inhalt ist dagegen eher banal und schildert das Leben eines eher wenig sympathischen, wenig gefühlsbeladenen Mannes mit zurückliegendem beruflichen Erfolg und privaten Misserfolgen, die früher keine große Rolle spielten, heute aber - im Angesicht des Alters - immer mehr Bedeutung erlangen, ohne wohl noch korrigiert werden zu können.
    Fazit: Inhalt: solche Typen haben wir schon oft gesehen und von ihnen gelesen.
    Aber diese GEDANKENFLUSS-SPRACHE !!!!! Alle Daumen hoch! Sie ist atemlos und kann den Leser bis zum Ende hin bei der Lektüre aufmerksam und gespannt halten.

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  1. Innenansichten eines Fossils

    Inhalt

    Walter Nowak liegt im Badzimmer, unbeweglich. Seine Frau Yvonne ist auf einer Tagung und kommt hoffentlich wieder.

    "Seitdem ich Yvonne kenne, war ich noch nie länger, wir waren noch nie länger als länger als zwei Tage getrennt. Das ist nun wirklich. Kein Beinbruch, das ist kein Weltuntergang. Das lässt sich alles erklären, Yvonne wird es verstehen. Ich erzähle es ihr. Wo fange ich an?" (S. 5)

    Der Roman ist ausschließlich im Gedankenstrom aus Walters Perspektive verfasst, was eine besondere Dynamik erzeugt und einen tiefen Einblick in die Welt dieses 68-jährigen Mannes ermöglicht. Wie eine Diskussionsteilnehmerin in der Leserunde so treffend bemerkt hat, gleichen die Sätze einer "Stickarbeit".

    Walter erzählt (allerdings im Präsens, was zu Beginn verwirrt), wie er wie jeden Morgen ins Schwimmbad gefahren ist, um seine Bahnen zu ziehen und beim Anblick einer jungen Frau mit Pferdeschwanz - eine Frisur, die schon seine Mutter getragen hat und die ihn schwach werden lässt - verfehlt er das Ende der Bahn und knallt gegen den Beckenrand.
    Ein Kopfverletzung, die ihn zunehmend verwirrter werden lässt. Wann genau er im Bad liegen bleibt und sich das abspielt, was er vor den Augen der Leser*innen ausbreitet, darüber haben wir auch diskutiert. Letztlich ist die Chronologie der Ereignisse weniger wichtig als das Leben selbst, von dem Walter erzählt.
    Von seiner Kindheit als Bastard und dem Wunsch Elvis (der eine Zeit lang in Walters Heimatstadt stationiert gewesen ist) sei sein Vater. Von der Ablehnung seines Großvaters, der den ungeliebten Enkelsohn los werden will.

    "Mein Großvater hat mich einmal, der hat mich zweimal, hat mich verdroschen, wann es nur ging. Doch irgendwann. Hielt ich die Axt in der Hand. Danach war Schluss mit den Schlägen." (S. 48)

    Er erinnert sich an die Ausgrenzung, die er in der Schule und von Mitschülern erfahren hat - bis auf einen, dessen Tod für ihn ein einschneidendes Erlebnis ist.
    Walter stellt sich den Leser*innen als Mann dar, der seine Probleme verdrängt, statt sie sie aufzuarbeiten.

    "Der Paartherapeut, dieser Idiot. Ich bitte Sie, ich bin ein erwachsener Mann, ich werde jetzt nicht anfangen, ich werde Ihnen jetzt nicht vorheulen, wie schlimm meine Kindheit war. Meine Mutter hat alles getan, das war eine andere Zeit. Sie hat getan, was in ihrer Macht stand." (S.13)

    Ein Selfmade-Man, der stolz auf das ist, was er erreicht hat.

    "Wer schläft denn bis zwölf. Das ist nicht der Igel, das bin doch nicht ich. Wer bis zwölf Uhr schläft, erreicht nicht, was ich errecht habe. Der boxt sich nicht durch, macht nicht die mittlere Reife. Der findet keine Lehrstelle beim besten Meister. Wer bis zwölf schläft, kann die Lehre vergessen, der wird nicht Elektriker. Erlangt nicht die Gunst seines Chefs. Wer bis zwölf Uhr schläft, übernimmt keine Firma. Arbeitet nicht wie besessen, revolutioniert nicht den Markt." (S.52)

    Der aber kein Verständnis für seinen Sohn Felix hat, der nicht in seine Fußstapfen treten will und zu dem er keine Beziehung aufbauen kann. Er selbst hat nie einen Vater kennen gelernt, begibt sich aber auch nicht auf Spurensuche - selbst als sein Sohn sich für seinen unbekannten Großvater interessiert, verweigert sich Walter. Eine gemeinsame Reise in die USA wird zur Katastrophe.

    Seine erste Ehe scheitert, seine zweite Frau - Yvonne - ist 20 Jahre jünger, ein Umstand, auf den Walter stolz ist. Das positive Bild, das er zunächst von Yvonne zeichnet, erhält jedoch Kratzer.
    Die Zeit, in der Yvonne abwesend ist, gerät zum Desaster. Walter richtet ein heilloses Chaos im Haus an und es entsteht zunehmend der Eindruck, als habe er Erinnerungslücken. Immer wieder wandern seine Gedanken zur seiner Untersuchung - offensichtlich steht er vor einer Prostataoperation - ein Angriff auf seine Männlichkeit. Und es bleibt die Frage, warum er im Bad am Boden liegt, die sich erst ganz am Ende beantwortet.

    Bewertung
    Der Roman zeichnet das Psychogramm eines älteren Mannes, der sein Leben lang seine Problem verdrängt hat und die jetzt, da er unbeweglich zum Nachdenken gezwungen ist, auf ihn einströmen. Der fehlende Vater, die Ausgrenzung, die Nähe zur Mutter, die Untreue seiner ersten Frau gegenüber, die er völlig verdrängt hat. Empathie ist wahrlich nicht seine Stärke.
    Sein Denken wird von Vorurteilen geprägt, von festen Glaubenssätzen, was sein darf und was nicht - Fitness, gut auszusehen im Alter, gehört für ihn unbedingt dazu. Er muss sich immerzu beweisen.
    Seine Geilheit ist auch ein Tatsache, die er verdrängt, sie hat ihn in die unglückselige Situation im Bad gebracht, aber er kann natürlich alles erklären.
    In seiner Erinnerung taucht immer wieder sein Sohn auf, die Enttäuschung, dass er einen Beruf erlernt hat, der eines Mannes nicht würdig ist. Walter ist wirklich ein Mann vom alten Schlag. Mehrfach waren wir uns in der Diskussionsrunde einig, er sei ein Fossil, einer Generation angehörig, die am Aussterben ist.
    Der Gedankenfluss wirkt dabei völlig authentisch, die Figur ist stimmig und glaubwürdig.

    Eine sehr interessante Komposition, in der - wie in einem Puzzle - das Lebens dieses gescheiterten und bemitleidenswerten - auch darüber gab es unterschiedliche Ansichten - Mannes Schritt für Schritt zusammengesetzt wird, so dass am Ende eine Gesamtbild vor den Leser*innen ausgebreitet ist.
    Was aus Walter wird? Das bleibt offen, zu befürchten ist, dass Yvonne ihren eigenen Weg gehen wird.

    Ein Roman, der mit seiner außergewöhnlichen Sprache und der Stimmigkeit der Figur auch den Deutschen Buchpreis verdient hätte.

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  1. Die Gedanken des Walter Novak

    Walter Novak ist 68 Jahre alt. Er fühlt sich fit und ist stolz darauf, noch 1000 Meter an einem Stück im Schwimmbad zurücklegen zu können. Diese 1000 Meter schwimmt er jeden Morgen, darauf legt er wert. Auch seinen Mann kann er noch stehen, seine zweite Ehefrau Yvonne ist deutlich jünger als er.

    Bei einem seiner Besuche in der Schwimmanstalt lässt er sich durch amouröse Stimulation ablenken, verschätzt sich in seiner Bahn und schlägt mit dem Kopf an die Betonwand. Auch wenn er mit Hilfe von Passanten aus dem Wasser kommt und seinen Zustand versucht, unter Kontrolle zu bekommen, bleibt doch ein Schaden zurück: Zu Hause im Bad stürzt Walter und bleibt entkleidet auf den Fliesen liegen. Sein Bewusstsein schwindet, er pendelt zwischen benommenem Wachsein, Schlaf und Ohnmacht. Seine Gedanken fliegen durch die Zeit, fahren Achterbahn, verweilen hier länger, dort kürzer.

    Walter ist in den 50er Jahren aufgewachsen. Seine Mutter war nie verheiratet, er ist der Sohn eines GI´s, den er nie kennengelernt hat. Die Vaterlosigkeit hat seine Kindheit nicht einfach gestaltet. Aus diesen einfachen Verhältnissen hat er sich hoch gearbeitet, besaß sogar eine eigene Firma. Mit seiner ersten Frau Gisela hat er einen Sohn, den mittlerweile erwachsenen Felix.
    Weil Walter es mit der Treue nicht genau nimmt, trennt sich Gisela von ihm und Walter heiratet die deutlich jüngere Yvonne. Die Lebenswelten und Ideale dieser beiden Ehepartner klaffen ziemlich auseinander, das wird recht schnell deutlich, jedoch spielt diese Beziehung im Verlauf der Geschichte keine große Rolle. Wichtiger ist die Vater-Sohn-Verbindung: Walter liebt seinen Sohn, bedauert aber, dass dieser sich nicht so entwickelt hat, wie Walter das gern gesehen hätte. Beide haben sich voneinander entfremdet. Wir erleben Episoden mit Felix als Kind, Jugendlichem und Erwachsenem. Walter kommt in den meisten nicht besonders gut weg, es wird schnell klar, dass er extrem konservativ geprägt ist, sich nicht in andere Menschen hineinversetzen kann und Probleme hat, Gefühle zu zeigen.
    Zu allem Überfluss hat er noch eine ärztliche Prognose bekommen, die nichts Gutes verheißt und die ihm Sorgen bereitet.

    Das Besondere an diesem kleinen Roman ist, dass man Walter zwar nicht liebt und auch keine besonderen Sympathien für ihn hegt, man aber dennoch mit ihm mitfühlt. Nach und nach wird klar, wie Walter zu dem geworden ist, der er ist. Dadurch verändert sich die eigene Wahrnehmung : Er bleibt dem Leser nicht fremd, man empfindet auch Mitleid für seine bedauernswerte Lage da auf den Fliesen.

    Wir lernen Walter ausschließlich durch seine Gedanken kennen, an denen uns die Autorin wunderbar in einer aus meiner Sicht besonderen, fast schon musikalisch verwebten Sprache teilhaben lässt: Die Art der Sätze, die abreißen, unterbrochen werden, um kurz später wieder aufgenommen zu werden, spiegeln die Sinneslage des Protagonisten wieder. Man kann herauslesen, in welchem Bewusstseinsstadium sich der am Boden Liegende befindet. So etwas habe ich noch nicht gelesen und diese Sprachkomposition hat mich sehr beeindruckt. Was am Anfang noch etwas gewöhnungsbedürftig anmutet, entfaltet schnell Sogwirkung.

    Es war erhellend, dieses Buch im Rahmen einer Whatchareadin-Leserunde kennenzulernen. Dieses Buch hinterlässt Eindrücke und es ist wunderbar, diese mit anderen Lesern teilen zu können.

    Für mich ein großartiges Buch, das ich bestimmt wieder zur Hand nehmen werde. Gespannt bin ich auf weitere Werke der Autorin Julia Wolf.

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  1. 5
    06. Nov 2017 

    Beeindruckende Innenansicht eines alternden Mannes

    Walter Nowak, 68 Jahre, ist ein Mann der Tat. Um etwas zu erreichen, muss man arbeiten - und das macht er mit Erfolg. In weniger als 10 Jahren vom Lehrling zum Chef - da bleibt keine Zeit für Schnickschnack wie Schwäche oder Gefühle. Doch als er bei seiner täglichen 1000-Meter -Schwimmrunde im Freibad mit dem Kopf gegen die Beckenwand knallt, verliert er zum ersten Mal die Kontrolle über sich. Es gelingt ihm noch heimzufahren, doch dann bleibt er regungslos im Bad liegen. Niemand ist da, um ihm zu helfen und er verliert sich in Erinnerungen, Selbstreflexionen, Träume.
    Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben ist er völlig hilflos und muss nun seinen Gefühlen und Schwächen freien Lauf lassen, die er sein ganzes Leben wohl weitestgehend erfolgreich unterdrückt hat. Erinnerungen überfluten ihn, an seine Kindheit als Bastard, seine erste Ehefrau, seine zweite Ehefrau, sein Sohn - und nach und nach wird klar, dass er trotz seines beruflichen Erfolges ein trauriger, einsamer Mann ist.
    Das Buch besteht ausschließlich aus dem Gedankenfluß Werner Nowaks, was durchaus gewöhnungsbedürftig ist. Viele Sätze werden nur angerissen und Walter springt mit seinen Gedanken nicht nur im Thema, sondern auch in den Zeiten. Doch spätestens nach fünf bis 10 Seiten war ich so gefesselt von Walters Innenleben, dass ich das Buch fast in einem Rutsch durchlas (wer es bis dahin immer noch öde finden sollte, sollte besser aufhören zu lesen. Denn dieser Stil bleibt bis zum Ende). Julia Wolf schildert die Gedankengänge dieses alternden Mannes so überzeugend, als habe sie tatsächlich in seinem Kopf gesteckt. Und ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie ihr das gelungen ist. Wer dieses Buch gelesen hat, wird einen bestimmten Männertyp künftig mit anderen Augen betrachten - zumindest mir wird es mit großer Wahrscheinlichkeit so gehen :-)

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  1. 4
    05. Nov 2017 

    Ein sperriger Roman, ein unbequemer Charakter - doch überzeugend

    68 Jahre alt ist Walter Nowak - und fit wie ein Turnschuh. Eigentlich. Jeden Morgen schwimmt er seine Bahnen, immer exakt 1000 Meter, eher mehr, wenn er sich einmal verzählt. Doch an diesem einen Morgen unterbricht etwas seinen Schwimmrhythmus, Walter Nowak wird abgelenkt, und ganz in Gedanken knallt er mit voller Wucht mit dem Kopf gegen den Beckenrand.

    Auch wenn Walter Nowak abwinkt, als man ihm zu Hilfe eilen will, auch wenn er einfach nur seine Sachen packt und aus dem Schwimmbad eilt, bleibt dieser Zusammenstoß mit dem Beckenrand nicht ohne Folgen. Diese Erschütterung wirkt nach, zieht wie ein ins Wasser geworfener Stein immer weitere Kreise, breitet sich wellenförmig aus, bis die spiegelglatte Oberfläche seines Lebens derart in Unruhe gerät, dass er sich darin nicht mehr wiederzufinden scheint.

    Nach dem Schwimmbadunfall eilt Walter Nowak nach Hause, wo ihn gähnende Leere erwartet, denn Yvonne, seine deutlich jüngere Frau, ist für einige Tage auf einer Tagung, hat ihm einen Essensfahrplan dagelassen, gesunde Schonkost. Der Leser folgt Nowak in sein Haus, vor allem aber in seine nur durch gelegentlichen Schlaf oder eine Bewusstlosigkeit unterbrochene Gedankenkette, die oft wirr und unzusammenhängend scheint, jedem Impuls folgend. Und Stück für Stück taucht der Leser so ein in ein über weite Strecken gelebtes Leben.

    Walter Nowak ist ein ehemals erfolgreicher Geschäftsmann, nun im Ruhestand, die erste Ehe geschieden, der gemeinsame Sohn Felix distanziert, seine Yvonne, nun auch nicht mehr jung und knackig, mit zunehmend eigenen Interessen. Hinzu kommt eine ärztliche Diagnose - "Natürlich, Herr Nowak, werden wir versuchen, potenzerhaltend, Herr Nowak, zu operieren", die ihn zusammen mit dem Schwimmbadunfall aus der Bahn wirft, auch die eiserne Disziplin, die ihn bis dahin ausgezeichnet hat, hilft ihm kaum, die Scherben seines Lebens zusammenzuhalten.

    Gedankenfetzen, Fantasien, Erinnerungen, geistige Aussetzer - Walter Nowak ist am Boden. Der Schreibstil erscheint dazu ungemein passend. Anfangs war ich entsetzt - ein Endlostext, kaum einmal wenigstens ein Absatz, dazu noch unvollständige Sätze, auseinandergerissen. Doch einmal angefangen zu lesen, merkte ich rasch, dass es trotz allem flüssig erschien, wirr, wie Gedankengänge nun einmal sind, und deshalb zwar ungewönlich aber einfach gut gewählt.

    Walter Nowak ist ein unbequemer Charakter, sperrig, und so regt sich beim Lesen kaum einmal Sympathie - wenn überhaupt, dann Mitleid. Und doch ist es spannend, dem Geschehen zu folgen, dem Zusammenbruch eines Lebens zuzuschauen, der auch mit eiserner Disziplin nicht aufgehalten werden kann. Walter Nowak, ein ehemaliger Firmenpatriarch, ein ehemals unbeugsamer Vater, versteht das Leben nicht, alles entgleitet ihm, ohne dass er weiß weshalb. Rückblicke in die Vergangenheit, bis hin zu seiner Kindheit, helfen verstehen, ändern aber nichts an dem, was ist.

    Für mich ist dieser Roman von Julia Wolf zurecht auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Die Erzählung will nicht gefallen, sie ist sperrig wie ihr Hauptcharakter, sie fordert. Und doch ist der Roman mit seinem außergewöhnlichen Schreibstil und der reinen Aneinanderreihung von Gedanken etwas Besonderes, Originelles.

    Sicher nichts für jedermann, aber mir hat es wider Erwarten richtig gut gefallen.

    © Parden

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  1. Das würde ja heißen. Was würde das heißen?

    Walter Nowak ist einer, der es durch harte Arbeit weit gebracht hat im Leben. Ein eigenes Hochbauunternehmen, das ist doch was, da kann man stolz drauf sein. Zwar ist er inzwischen in Rente, aber er kann sich immer noch einen angenehmen Lebensstil leisten. Zuhause hat er eine schöne Frau, deutlich jünger als er – die hat die Mutter seines Sohnes als erste Ehefrau ersetzt, aber was soll man machen? Was soll man da machen, wenn eine Frau wie für einen geschnitzt ist?

    Walter ist nach wie vor ein echtes Alphatier. Einer, der sich nicht gehenlässt, wo käme man denn da hin? Jeden Morgen schwimmt er seine Bahnen – komme, was wolle! – und ist stolz darauf, dass er körperlich noch was hermacht: kein Tattergreis, sondern ein gestandener Kerl, den die Frauen begehrlich anschauen.

    Oder zumindest ist das, wie er seine Welt wahrnimmt.

    Man lernt viel über die Schattenseiten des Walter Nowak. Jedoch nicht etwa, weil er sein Verhalten kritisch hinterfragen würde – ganz im Gegenteil. Vielleicht ist gerade das seine größte Sünde: nicht sein notorischer Ehebruch, nicht seine Herabwürdigung der Frauen auf ihre körperlichen Reize, ja, nicht einmal seine Vernachlässigung des eigenen Sohnes. Sondern die Tatsache, dass er all dies entweder vor sich rechtfertigt oder sich dessen gar nicht bewusst ist. Es ist die junge Haushaltshilfe, die ihm schöne Augen gemacht hat, da kann er doch nichts für, das wird er seiner Frau sagen, die wird das schon verstehen. Und sein Sohn entspricht eben nicht dem, was er sich gewünscht – nein, was er gefordert hat: im Grunde eine jüngere Ausgabe von sich selbst.

    Walter Nowak bleibt liegen, vielleicht blutend, vielleicht sterbend, und stürzt doch haltlos durch sein Leben. Seine Gedanken springen von einem Thema zum nächsten, manchmal gänzlich ohne ersichtlichen Zusammenhang, und dennoch kehren sie immer wieder zurück zu den gleichen Menschen und den gleichen Motiven. Wie ein Blick durchs Kaleidoskop: bunte Erinnerungssplitter, die sich zusammensetzen zu einem unvollständigen, vielleicht sogar verfälschten Bild, denn Walter ist sich selbst nicht mehr sicher, was Wahrheit ist und was Wahn. Hatte er wirklich einen Unfall im Schwimmbad? Ist das Blut in seinem Gesicht oder doch nur Saft? Ihm gehen Minuten verloren, Stunden verloren.

    Der Schreibstil gibt Walters Verwirrung, sein Aufbäumen gegen die eigene Hilflosigkeit perfekt wieder. Dazu kommt, was? Eine gewisse Demenz, eine Gehirnerschütterung? Schlimmeres? Im Bewusstseinsstrom brechen Gedanken mitten im Satz ab, nur um später unvermittelt wieder aufgegriffen zu werden. Zeiten, Orte, Personen, alles kann sich plötzlich ändern. Nicht immer einfach zu lesen, dafür aber so immersiv, dass es schmerzt.

    "Also abstoßen, also los jetzt, keine Müdigkeit, schon gleite ich durchs Wasser, vorschützen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ich durchs Wasser gleite, und alles ist blau und kühl, das Sonnenlicht glitzert nur so, herrlich. Ich schließe die Augen, und. Wie die mich angeguckt hat. Wenn Yvonne gesehen hätte, wie die Olga mich, die wäre weg vom Fenster, die hätte die längste Zeit, zwölf Euro die Stunde, cash auf die Kralle, bar auf die Hand. "
    (Zitat)

    Julia Wolf verwendet zahlreiche Bilder für Walters Scheitern. So geht er jeden Tag schwimmen, um sein Selbstbild als toller Hecht zu stärken, zieht sich jedoch mittels Ohrstöpseln und hermetisch dichter Badekappe zumindest akkustisch aus der Wirklichkeit zurück. Sie lässt ihn in angeekelte Panik verfallen, als ihm unter Wasser ein Frauenhaar ins Gesicht geschwemmt wird – überhaupt scheint er sich von Frauen nicht nur angezogen, sondern vage bedroht zu fühlen. Da könnte man ihn ja, also, man könnte ihn als Lustmolch abstempeln. Dabei hat er doch nur... Seine Frau wird das verstehen. Oder nicht? Er hinterfragt nicht, ob an der befürchteten Anschuldigung etwas Wahres sein könnte.

    Die Erzählung entbehrt nicht einer gewissen Komik. Dennoch: so unsympathisch Walter manchmal wirkt, so tragisch ist seine Geschichte auch. Vaterlose Kindheit. Erinnerungen an Schläge. Halb bewusste, nie erfüllte Sehnsüchte. Wo hat das Leben ihn hingeführt, diesen überlebensgroßen Frauenheld und Erfolgsmenschen? Zweisame Einsamkeit, ein gescheitertes Verhältnis zum eigenen Sohn.

    Obwohl die Autorin niemals rührselig wird, kann einen Walter doch rühren, trotz all seiner Fehler. Man spürt, da ist etwas, eine sensible Seite, ein liebevolles Wesen. Wäre sein Leben anders verlaufen, dann. Vielleicht?

    Fazit:
    "Walter Nowak bleibt liegen" ist ein unbequemes, sperriges Buch, dessen Protagonist es dem Leser nicht leicht macht. Man muss sich gnadenlos mitreißen lassen von Walters Bewusstseinsstrom, aber dieses Stilmittel wird von Julia Wolf virtuos eingesetzt. Von außen betrachtet passiert nicht viel: ein alter Mann hat einen Badeunfall, liegt bewegungsunfähig auf dem Boden und denkt über sein Leben nach. Was die Erzählung dennoch bewegend, spannend, lustig oder traurig macht, spielt sich nur in Walters Kopf ab.

    Man lernt ihn gut kennen, diesen alten Schwerenöter, Ehebrecher, miserablen Vater. Mit Überraschung stellte ich auf der letzten Seite fest, dass ich ihn ins Herz geschlossen hatte – eine Meisterleistung der Autorin. Im Grunde ist Walter ein zutiefst verwundeter Mensch, der seinem eigenen Glück immer im Weg gestanden hat, und ich konnte mich der Menschlichkeit dieses Charakters nicht entziehen.

    Für mich einer der originellsten Romane der letzten Jahre, aber sicher nicht jedermanns Sache.

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