Vergessene Seelen

Buchseite und Rezensionen zu 'Vergessene Seelen' von Frank Goldammer
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Vergessene Seelen"

Der dritte Fall für Max Heller - und sein ganz persönlicher Alptraum

Dresden 1948: Ein heißer Sommer, drei Jahre nach Kriegsende. Die große Währungsreform stürzt das besetzte und aufgeteilte Nachkriegsdeutschland in eine Krise. Inmitten der mühsamen Wiederaufbauarbeiten bekommt es Oberkommissar Max Heller mit dem Fall eines 14-jährigen Jungen zu tun, dessen Todesursache völlig unklar ist. War es ein Unfall, Mord oder sogar Selbstmord? Heller stößt bei seinen Ermittlungen auf eine Wand des Schweigens und wird dabei mit seinem ganz persönlichen Albtraum konfrontiert, den er längst vergessen geglaubt hatte.

Format:Broschiert
Seiten:384
EAN:9783423262019

Rezensionen zu "Vergessene Seelen"

  1. Atmosphärischer Nachkriegskrimi

    Es ist ein heißer Sommer im Jahr 1948 in Dresden. Drei Jahre ist nun der Krieg zu Ende, die Stadt befindet sich im Wiederaufbau. Max Heller ermittelt mittlerweile in seinem dritten Fall. Ein Toter in einem Abflussschacht, kurz darauf ein toter Junge auf einer Baustelle. Die Lösung des Falles bringt Heller nicht nur an seine physischen Grenzen, sondern weckt auch lang verdrängte bedrückende Erinnerungen.
    Der Autor Frank Goldammer erzählt in diesem Buch nicht nur eine durchaus spannende Kriminalgeschichte, er zeichnet auch ein atmosphärisches dichtes Bild der damaligen Zeit. Mit viel Einfühlungsvermögen lässt er seinen Oberkommissar nicht nur die Ermittlungen leiten, sondern auch im familiären Bereich hat Max Heller einiges an Problemen zu lösen. Der Zwiespalt, dem System, der Obrigkeit anzugehören, aber trotzdem die Menschlichkeit nicht zu verlieren, verlangt dem Protagonisten einiges ab. Männer, die traumatisiert und verroht aus dem Krieg heimkehren, desolate Familien- und Wohnverhältnisse, verwahrloste Kinder, Menschen, die ein wahnsinniges Regime überlebt haben, nur um dem nächsten politischen Irrsinn ausgesetzt zu werden.
    Die realistischen Schilderungen der Sorgen und Nöte der Dresdner Bevölkerung, wie die Lebensmittelknappheit, die Geldentwertung, das Unwesen der Kriegsgewinnler und politischen Wendehälse runden das zeitgeschichtliche Bild ab.
    Obwohl ich die ersten beiden Bände nicht kannte, konnte ich dem Geschehen gut folgen. Goldammers Sprache ist prägnant und eindringlich. Ich bin sicher, dass ich nun auch die Vorgänger dieser Serie lesen möchte

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  1. Die Seelen der Soldaten

    Max Heller ist wieder da und ermittelt im Jahr 1948 in Dresden. Ungefähr 50 Jahre alt hat er nun zwei Kriege miterlebt, den ersten davon auch als Soldat. Max Heller ist Kriminalpolizist. Er ermittelte den ANGSTMANN in Dresden in den Jahren 1944 und 1945, er ermittelte zwischen TAUSEND TEUFELN im Jahr 1947 und nun ermittelt er auch im Jahr 1948 zwischen

    VERGESSENEN SEELEN.

    * * *
    Max hat wohl Schwein gehabt, könnte man sagen. Beide Söhne überlebten den Krieg, seine Frau und er verloren zwar alles Hab und Gut in der Bombennacht vom 12. zum 13. Februar 1945, aber sie leben bei Frau Marquardt auf dem Weißen Hirsch. Sie haben „Nachwuchs“ bekommen: Das kleine Mädchen Anni, wir lernten es in den TAUSEND TEUFELN kennen sagt Mutti und Vati zu Karin und Max. Wie ihre neuen Eltern hat Anni zu viel erlebt und das in ihren jungen Jahren. Doch können Kathrin und Max die Kleine behalten?

    Sohn Erwin lebt in den Westzonen. Pakete kommen mit raren Artikeln über Schweden, die Päckchen werden wohl seltener geöffnet. Schon 1948 wird deutlich, da entwickelt sich was auseinander und „DEUTSCHLAND EINIG VATERLAND“ ist wohl schon vorbei, bevor diese Worte zur Hymne des östlichen Teils werden. Erwin schickt plötzlich Geld und es geht das Gerücht, dass im Westen eine Währungumstellung geplant ist: Der Anfang der deutschen Teilung?

    Klaus, der ältere Bruder von Erwin ist in Dresden geblieben. Wie haben sich die Eltern gefreut, als er vor ihnen stand. Klaus geht auch zur Polizei, jedoch ermittelt er nun politisch. Kommt er seinem Vater in die Quere?

    Es gibt eine Reihe von Toten im Süden Dresdens. Da liegt ein Rangierer der Eisenbahn auf den Schienen unterhalb des Hohen Steins, an einer Stelle, wo es gar nichts zu rangieren gibt. Ein anderer Kriegsheimkehrer steckt in einem Loch auf einer Baustelle – ebenfalls tot. Ein dritter Kriegsheimkehrer säuft und verdrischt regelmäßig seine Frau und seine zwei älteren Söhne – nur den Kleineren lässt er in Ruhe. Warum? Der nächste Tote ist der große Sohn. Was hat der angestellt? Was ist das für eine Bande von Jugendlichen, die auf die Oberschule oberhalb der Bienertmühle gehen? Und warum nimmt der Mittlere Pervitin?
    Hat der Sohn des Rangierers an einem Blindgänger nahe der Russisch – Orthodoxen Kirche gespielt oder wurde er in dessen Nähe ermordet?

    Die Lage ist völlig unklar – und man muss schon bis zum Ende lesen, wenn man die Lösung erfahren will – Nichts ist am Ende, wie es scheint.

    * * *

    Soviel zur Handlung, deren Ausgang natürlich nicht verraten wird.

    Es ist Sommer. Die Hitze drückt in die Stadt.

    „Ehe er weiterging, warf er einen Blick auf die Stadt, doch die Blätter der Platanen, Linden und vor allem die Kastanien mit ihren weißen Blütenkerzen versperrten ihm die Sicht. Das Laub raschelte sommerlich leise im Wind, was aber nicht darüber hinweg- täuschen konnte, dass tausendfach das Klingen von Hämmern auf Ziegelstein wie ein hartnäckiger Tinnitus über der Stadt lag. Auf den Elbwiesen türmten sich Berge von Ziegeln, die dort von Putz und Mörtel gesäubert, dann gestapelt und zum Bau wieder abtransportiert wurden. Es waren Gleise verlegt worden, auf denen von Dampfloks gezogene Lorenbahnen täglich Zehntausende Ziegelbrocken aus den Ruinen transportierten. Die mühselige, eintönige Arbeit wurde von Frauen verrichtet, die sich selbst Trümmerfrauen nannten. Obwohl es eine schier endlose Aufgabe war, waren die Frauen meist fröhlich, denn was sie taten, erfüllte einen Zweck. Und das war es doch, worauf es ankam in diesen Zeiten. Sie sangen, erzählten sich derbe Witze und machten sich lustig über die ihnen zugeteilten Männer, meistens Nazimitläufer, die ihre Strafe mit »Schippen« abdienen mussten. Viele der Frauen hatten noch immer kein richtiges Dach über dem Kopf, viele warteten auf ihre Ehemänner und Söhne und viele hatten alles verloren.“ (Seite 6)

    Das ist das Bild, welches sich dem Polizisten zeigt, der so oft zu Fuß von einer auf die andere Elbseite wechselt.

    Noch plagt, und dies wird im Gegensatz zum Westteil Deutschlands noch eine Weile länger anhalten, der Hunger die Stadt. Das merkt auch Max Heller, der durch seine Stadt humpelt:

    „Es war nicht nur der verletzte Fuß, der ihm zu schaffen machte, das ahnte er schon länger. Die mangelhafte Ernäh­rung zehrte an ihm und vor allem das ständige Nachdenken über das Essen. Immerzu hatte man das Gefühl, nicht richtig satt zu sein. Man aß Dinge, die einem zwar den Magen füll­ten, doch darüber hinaus kaum Nährwert besaßen. Man gierte nach Zucker und Fett und sann in ruhigen Stunden Mahlzeiten nach, die längst der Vergangenheit angehörten. Ranziger Butter trauerte man nach, die man vor Jahren weg ­geworfen hatte, und alten Kartoffelschalen und dem Kaffee­satz, den man heutzutage zwei- oder dreimal aufbrühen würde. Man fragte sich, ob aus den Honiggläsern nicht noch etwas herauszukratzen gewesen war und ob man damals wirklich das letzte bisschen Fleisch vom Hühnerknochen ge­nagt hatte. Das machte alles überhaupt keinen Sinn, und trotzdem quälten einen die Gedanken. Und selbst wenn Erwin Schokolade und andere Delikates­sen schickte, war das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Man hortete es für den nächsten Winter,...“ (Seite 43)

    Nicht nur dem Dresdner erschließen sich die Bilder der Stadt, deren Grad der Zerstörung den Bewohnern, den Gästen und natürlich Frank Goldammer selbst nur von Bildern bekannt sind. Der Blogger hat aus den Jahren seiner Kindheit noch diese oder jene Ruine in Erinnerung. Der Stadtteil, in dem Max Heller und Werner Oldenbusch nun ermitteln, ist mir gut bekannt und so kann ich bestimmte Bilder koppeln.

    In DER ANGSTMANN wies ich auf die beeindruckende Schilderung der Bombennacht hin, die Schilderungen der Wohnsituation der Familien in den ziemlich zerstörten Häusern ist nicht minder intensiv. Hinzukommt die Kälte im Winter der die Straßenbäume, Bodendielen, Holzbalkone zum Opfer fallen. Und doch wird gebaut, vor allem am Rathaus.* Das Gebäude, auf dessen Tum der Rathausmann das Inferno überlebte, ist sicher ein wichtiges Gebäude der Stadt; ist es das Wichtigste?

    Man sollte nicht vergessen, im Jahr 1948 eröffnet das Große Haus,* Dresdens Schauspielhaus, wieder seine Pforten und im Heinz-Steyer-Stadion gibt das Alexandrow-Ensemble* ein Konzert.

    Es ist ein historischer Kriminalroman, der uns hier vorliegt, Frank Goldammer nimmt die Kriegsdämonen der Kriegsheimkehrer weniger als Ursache für Handeln und Tun der Kriegsteilnehmer beider Weltkriege, die Schilderung dieser ist die eigentliche Sendung des Romans: NIE WIEDER KRIEG!

    Dies beginnt bei Max und seinem Sohn Klaus, die sich in die Quere kommen, als es um die Ermittlungen zu den toten Kindern geht:

    „Klaus hatte gewartet, bis Heller fertig war. Doch nun stand er seinem Vater genau gegenüber. »Glaubst du, wir hätten dich nie schreien gehört im Schlaf? Glaubst du, wir hätten nie gehört, wie Mutter auf dich einredete in der Nacht? Ich weiß, du hast deine Dämonen mitgebracht aus deinem Krieg. Ich weiß, dass du dagegen ankämpfst seit Jahrzehnten , mit deiner Arbeit und einer Sturheit, die ihresgleichen sucht und der du nicht Herr wirst. Ich weiß auch, dass du nie ein Nazi warst, dass du dich mit denen nie gut gestellt hast. Aber das war zu wenig, Vater. Viel eher schon hättest du Farbe bekennen müssen, viel eher schon hättest du kämpfen sollen.«

    »Wirfst du mir das vor?« Genügte es nicht, dass er selbst sich das vorwarf, musste Klaus seinen Finger genau auf dieselbe Wunde legen? »Ihr wart da, du und Erwin, hätte ich das deiner Mutter antun sollen? Ins Zuchthaus gehen, ins KZ? Das war nicht dasselbe, es ist nicht mit dem zu vergleichen, was du tust!«...

    »Ob du es glaubst oder nicht, Vater, auch ich habe meine Dämonen mitgebracht aus dem Krieg«, sagte er, nachdem er zwei tiefe Züge genommen hatte. »Auch ich bekomme jede Nacht Besuch von ihnen. Ich schreie nicht, wie du, dafür bin ich wie in einem Fiebertraum. Ich erlebe jede Nacht dasselbe, schreiende Menschen, die am lebendigen Leib verbrennen, in einem Haus. Ich stehe davor, jede Nacht. Ich sehe sie brennen und kann nichts tun! Ich weiß, ich müsste mich nur bewegen,ich müsste die Tür öffnen, gegen die sie hämmern. Das sind keine Soldaten, keine Feinde, das sind Russen, einfache Russen, Menschen wie du und ich. Ich müsste die Balken ent­fernen, mit denen die Tür verkeilt ist, nichts einfacher als das. Aber ich tue es nicht. Wenn ich erwischt würde dabei, müsste ich sterben. Der Leutnant würde mich erschießen oder hängen lassen. Umgehend. Und die Menschen im Haus würden trotzdem sterben, es würde nichts nützen. Verstehst du? Es hätte keinen Zweck. Ich hätte ihnen nicht helfen können. Und ich fühlte mich nicht schuldig damals, nicht wirk­lich schuldig, denn es war ein Befehl. Wir alle waren nicht schuldig, und die meisten von uns, Vater, die wollten das nicht, die wären am liebsten weitergezogen. Selbst der Leut­nant wollte das nicht. Aber auch er hatte einen Befehl. Und die Leute, die ihm den Befehl gaben, die Generäle, die hatten ebenso ihre Befehle. Aber warum, sag mir, warum höre ich sie dann jede Nacht schreien, warum fahre ich aus dem Schlaf und mein Gesicht glüht vor Hitze und ich fühle mich schuldig? Warum ist es an mir, jede verdammte Nacht zu ertragen? Ich kann dir die Antwort geben: Weil ich es hätte tun müssen! Ich hätte hingehen müssen zur Tür. Es wäre meine Pflicht gewesen. Auch wenn es euch Leid gebracht hätte, dir und Mutter. Ich hätte es tun müssen! Das ist meine Schuld. Und deshalb tue ich, was ich tun muss. Das ist mein Kampf gegen die Dämonen. Du musst das verstehen!«

    Klaus verstummte. Er zitterte am ganzen Körper und Heller starrte seinen Sohn an. Doch er sah ihn nicht wirklich an. Er sah durch ihn hindurch, weit zurück in die Vergangenheit...“ (Seite 193)

    Max Heller sah den Unterstand, er hörte die Bomben und Granaten, da im ersten Krieg, verschüttet unter Toten und Zerissenen, Schreienden, Soldaten an der Westfront im Stellungskrieg: Seine Dämonen. Und dann ist da noch etwas...

    Der Text, welcher mich in diesem Zusammenhang allerdings am meisten beeindruckte, ist die Schilderung des Karl Utmann. Gezeichnet vom Krieg, ständig betrunken, Kinder und Frau misshandelnd, stellt sich heraus, welche Dämonen den Heimkehrer heimsuchen:

    "Heller setzte sich ihm gegenüber und nahm ihm die Flasche ab.

    Utmann griff sich in die Haare. »Alles ham wir überstan­den. Alles. Den Russen. Die Amis mit ihren Flammenwer­fern. Keiner konnte gegen uns an. Und nu isser doch tot. Das arme Schwein.« Utmann presste seine Hände zusammen. »Wir alle sind arme Schweine. Verheizt hamse uns! Dieser verdammte Hitler, dieser Verbrecher, dieser elende Lump!« ...

    Utmann ließ die Faust auf den Tisch fallen. »Die Russen, musste wissen, die ham‘ gekämpft, Mann gegen Mann. Wie sich das anhört, wenn die Kugeln an den Panzer schlagen? Bingbingbing. Zu Tausenden kamen die gerannt, und ,vir haben nur so reingepfeffert. Wie Kegel sind die auseinander­gespritzt. Umgefallen, einer nach’m annern. Arme Schweine! Manchmal sind wir inne Russen einfach so reingefahrn, ham uns um die Achse gedreht. Die hats zerdrückt wie faule Äpfel! Und wie die mit ihren Stalinorgeln zurückgefeuert haben. Als ob die Hölle sich auftut. Das Heulen bekommst du nicht mehr aus’m Kopp, Kamerad. Da kannste dir nich die Ohm zuhalten! Das bleibt hier drin für immer, so tief kannste die Finger gar nich in deine Löffel bohren.« Utmann verstummte und lauschte auf den Lärm in seinem Kopf. Dann schreckte er auf.

    »Aber dieser Ami. Feiges Judenpack. Die feuern und feuern. Artillerie. Stundenlang. Dann schicken sie die Flieger drüber. Dann erst gehen sie vor. Sobald se auf Gegen\vehr stoßen, rennen se wieder weg. Schicken die Flieger wieder. Das ist kein Kampf. Das ist Feigheit. Aber weißte, Kamerad, die schlimmste Schweinerei, das sin diese Flammenwerfer. Damit haben sie die Hecken abgefackelt. Da konnten die nicht rein, da konnten ihnen die Flieger nichts nützen. Deshalbhaben die diese verdammten Flammenwerfer hingeschickt. Panzerwagen. Ganzer Tank voll Brennflüssigkeit. Das ist kein Kampf. Das is eine verdammte Schweinerei. Mit denen gab es kein Erbarmen. Die haben wir kaltgemacht. Den en haben wir die Kehlen durchgeschnitten, wenn wir die gekriegt ham.«...

    »Weißte, wie das ist, wenn deine Kameraden verbrenn'?«, keuchte er durch seine faulenden Zähne. »Wie die schreien? Wie denen die Haare verglühen und die Haut aufreißt? Die pellt ab, wie bei 'ner heißen Kartoffel. Dann versuchste denen die Uniform vom Leib zu reißen, aber alles brennt, die Haut klebt dran, da kannste nur noch Schluss machen. Die hatten's ja gar nich anders verdient, die Amischweine. Zuerst ham wir die festgebunden. Hättest sie sehen sollen, Kamerad, solche Jüngelchen. So 'ne große Augen ham die gemacht. Gebibbert ham die, vor Angst. Und dann hat der Leutnant gesagt, dass wir denen die Kehlen aufschneiden und die liegenlassen sollen, damit sie die finden und sehn, was wir mit so feigen Hunden machen. Der Leutnant, das war ein harter Hund, der hat's zuerst gemacht. Der war nich so'ne Memme wie der Neue dann.«

    Ich hab’s auch getan, nich nur eiruna‘ hab ich so ei’m Schwein die Kehle aufgeschlitzt. No no, not me, ham die gebettelt, not me. Mami, Mami, no no. Ausbluten haben wir die lassen, einen nach dem andern. Wie die gegurgelt haben ... da kam so kleine Bläschen raus, aus’m Schlitz. Das geht mich nich mehr aus’m Kopp, verstehnse? Warum hat der auch nach seiner Mama flennen müssen? Warum konnt’n die nich daheim blei’m?«

    Utmann wurde jetzt jämmerlich, begann zu weinen und seine Tränen schienen zu leuchten in der aufziehenden Dun­kelheit. »Immer is das hier drinne. Was ham die auch hier zu suchen gehabt, wäm se doch in ihrm Land geblie’m! Hatten gar keine Ahnung vom Kriech, wie können die nur so Jüngel­chen in ‚nen Kampf schicken ... « (Seite 235 – 237)

    Und der Utmann liebt seine Söhne, nicht alle Schrammen und Schrunden am Körper des gerade im Krankenhaus liegenden Alfons stammen von den Händen seines Vaters. Und der Junge hält zu seinem Vater, nicht gleich verständlich für den Leser...

    Hier, ich betone dies noch einmal, findet sich die Botschaft über das Grauen der Kriege, über die Verbrechen an Kriegsgefangenen, an der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern, über den Bombenterror über französischen, spanischen, englischen, sowjetrussischen und deutschen Städten. Über die Not, den Hunger und den Willen dabei, wieder in ein anderes Leben zu finden. Die eigene Vergangenheit verdrängend – zumindest des Tags... NIE WIEDER KRIEG und GEGEN DAS VERGESSEN. Danke, Frank für diese besondere Art des Schreibens.

    * * *
    Eher zurückhaltend erzählt Goldammer dann auch vom Leben in der SBZ. auf dem Weg in den ostdeutschen, den zukünftigen sozialistischen deutschen Staat und die Rolle von MGB, MWD (russ. Innenministerium und Geheimdienst) und der sogenannten Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI) – Klaus Heller hat seine Schlussfolgerungen getroffen, seine Kriegsdämonen und die ANTIFA in dien Kriegsgefangenenlagern der Sowjetunion haben das ihre dazu beigetragen. Es wird noch ein Jahr dauern bis die Trennung zementiert wird, obwohl beide Staaten aus Ruinen auferstehen werden. Aber was Einigkeit und Recht und Freiheit bedeuten, das wird unterschiedliche Deutung erfahren. Wir werden es noch in diesem Jahr erleben, wenn im Dezember der vierte Fall in die Buchhadlungen kommt: ROTER RABE, der in das Jahr 1951 führen wird...

    Regionalkrimis füllen die Bücherregale in vielen Städten. Dieser Roman hier ist viel mehr als ein Regionalkrimi. Er ist Geschichte pur und das auf eine Art und Weise, die schon ihres Gleichen sucht. Kriminalisten, Ermittler werden ja oft dargestellt mit irgendeinem Knacks. Entweder sind sie Kettenraucher, Alkoholiker, geschieden sowieso, benutzen verbotenen Vermehmungsmethoden und so weiter. Max Heller ist ein anderer Typ. Seine „Defizite“ wirken sich eher für sein „polizeiches Gegenüber“ aus. Da waren die Kinder in der Dresdner Heide (Tausend Teufel), hier sind es wieder die Jungs und Mädchen der ehemaligen Soldaten. Max Heller sucht nicht nach Feinden, er sucht nach den Hintermännern von Verbrechen, deren Ursachen im Nachkriegsdresden nichts entschuldigen aber manches erklären. Wie die Misshandlungen von Kindern. Und Max kennt so etwas. Es liegt schon lange zurück...

    * * *

    Zurück zum Hohen Stein: Der Blick in das Weißeritztal ist mir seit frühester Kindheit bekannt, durch die Gitter an den Aussichtsplattformen, von denen Max skeptisch nach der Todesursache des Kriegsheimkehrers und Eisenbahners forscht, sah ich erstmals bestimmt so 1964 – gerade einmal 16 Jahre nach der Handlung dieses Buches. Und man lernt dazu: Der Stadtplan weißt im Gelände der ehemaligen Brauerei einen Weg namens Am Eiswurmlager auf. Der Eiswurm, der das Eis von den Bierfässern leckt...

    * * *

    Frank Goldammer - Über den Autor
    Geboren 1975, Maler- und Tapeziermeister. alleinerziehender Vater von Zwillingen, wohnt in Dresden.

    Wir begegneten uns schon einige Male auf Büchermessen und das nicht erst seit Max Heller die Bücherbühne betrat. Jedenfalls sind diese hier genannten Bücher nicht die ersten Dresden-Krimis - aber mit ihnen betrat nun auch der Autor die große Bühne. Der Mann ist sympatisch, einnehmend und ein Vielschreiber. Wahrscheinlich sind die Chancen, ihn zum tapezieren der eigenen vier Wände zu animieren ziemlich gering geworden.

    Ich danke dir und dem Verlag für dieses Buch und bin natürlich auf den Roten Raben sehr gespannt.

    https://litterae-artesque.blogspot.com/2018/07/goldammer-frank-vergessene-seelen.html

    © Bücherjunge

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  1. Kriege hinterlassen kaputte Seelen, die nicht so schnell heilen

    "In seiner eigenen Seele trägt der Mensch die Saat, daraus er all sein Frohes und sein Leides zieht." (Sophokles)
    Dresden 1948: Drei Jahre nach Kriegsende Deutschland inzwischen in Sektoren eingeteilt und der Aufbau der Stadt geht nur sehr langsam voran. In mitten dieses langsamen Aufbaus findet man die Leiche eines 14- jährigen Jungen, dessen Todesursache total unklar ist. Auffällig ist lediglich eine kleine braune Flasche, die er bei sich führte. Hat man den Jungen ermordet, ist er beim Schmuggeln verunglückt oder hat er gar Selbstmord begangen, weil sein Vater ihn ständig schlägt? Max Heller findet keine Antworten, den die Kinder und Lehrer in seiner Schule, seine Familie alle schweigen beharrlich. Lediglich das der aus dem Krieg zurückgekehrte Vater die ganze Familie misshandelt gefällt Max gar nicht. Dazu tauchen durch den Fall Max eigene Dämonen und Alpträume aus seiner Vergangenheit wieder auf. Auch der Hunger bestimmt noch immer das Leben der Menschen in Dresden, zu allem muss man anstehen und dann kommt noch die Währungsreform. Und Sohn Klaus, der in die SED eingetreten ist, wird zu Max größtem Rivalen, den sie sehen in dem Fall eine große Verschwörung des Westens.

    Meine Meinung:
    Dies war nun mein dritter Fall den ich von Frank Goldammer gehört oder gelesen habe. Wieder einmal bin ich eingetaucht in die Zeit nach dem Krieg und war genauso begeistert wie schon bei den zwei Büchern davor. Der Schreibstil ist sehr gut und eingeteilt in Tage und Uhrzeit. Der Plot ist historisch bestens recherchiert, aufwühlend, wieder einmal grandios dargestellt, verwirrend ließ es mich bis zum Ende im Unklaren was passiert war. Selten habe ich eine so gute Darstellung gelesen die, die Ängste und Sorgen der Menschen von damals widerspiegelt. Aufgewühlt hat mich vor allem, das Kinder sich in dieser Zeit mit Pervitin vollgepumpt haben, um alles besser zu ertragen. Und das Väter ihre Kinder und Frauen verprügeln, weil sie mit den Ereignissen des Krieges nicht klarkommen. Auch hier stellt der Autor wieder gut dar, unter was für Bedingungen die Kriminalpolizei in dieser Zeit arbeiten musste. Waren es letztes Mal die Russen die Max seine Arbeit erschwerten, ist es diesmal die SED, die ihm Schwierigkeiten macht. Erneut konnte mich der Autor mit seinen Charakteren überzeugen, allen voran Kommissar Max Heller und seine Frau Karin. Frank Goldammer nimmt uns in seinen Büchern mit auf die Reise in historischen Ermittlungen, aber auch in das Privatleben eines Ermittlers mit all seinem Kummer, Sorgen aber auch schönen Seiten. Auch hier musste ich erkennen, dass es überhaupt keine leichte Zeit war, die unsere Mütter und Großmütter erlebt haben. Man merkt, das nach dem Krieg noch lange nicht alles vorbei war, den Hunger, Schmuggel, Flucht, Blindgänger und Tod waren allgegenwärtig im Dresden 1948. Ein Buch, das man nicht nur wegen seines Kriminalfalls gelesen haben sollte, sondern vor allem wegen seinem historisch wertvollem Inhalt. Dank des unfassbaren Talents des Autors habe ich das Gefühl, das er von Buch zu Buch immer besser wird und ich Dresden immer besser kennenlerne. Ich jedenfalls freue mich schon auf Band 4 und danke dem Autor für seine brillante Arbeit mit 5 von 5 Sterne.

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