Vera. Erzählungen 1912 (Bunin Werkausgabe)

Buchseite und Rezensionen zu 'Vera. Erzählungen 1912 (Bunin Werkausgabe)' von  Iwan Bunin
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Inhaltsangabe zu "Vera. Erzählungen 1912 (Bunin Werkausgabe)"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
EAN:9783038200093

Rezensionen zu "Vera. Erzählungen 1912 (Bunin Werkausgabe)"

  1. Auf dem russischen Land Anfang des 20. Jahrhunderts

    Ehrlich gesagt, habe ich zuvor noch nicht von Iwan Bunin (1870 – 1953) gelesen und wurde erst durch die im Dörlemann Verlag erschienene Werksausgabe auf ihn aufmerksam. Er war bereits zu Lebzeiten einer der bekanntesten russischen Autoren, emigrierte 1920 nach Frankreich und erhielt 1933 sogar den Literaturnobelpreis.

    Dörlemann hat Bunins Erzählungen chronologisch nach den Entstehungsjahren geordnet. In diesem Band VERA sind fünf davon zusammengefasst und zwischen 14 und 53 Seiten lang. Bunin hat eine wunderbare Art zu erzählen. Man spürt seine Liebe zum Land und der ländlichen Bevölkerung. Er ist ein sorgfältiger Beobachter. Das gilt für seine facettenreichen Figuren, für die Landschaft, für die Bauern- und Gutshöfe, die als Handlungsschauplatz dienen, wie auch für Wetterbedingungen und meteorologischen Phänomene. Der Winter in Russland ist lang, die Vorfreude auf die wärmere und hellere Jahreszeit groß. Man kann sich wunderbar in diese von knirschendem Schnee, kaltem Nebel und wechselhaften Lichtverhältnissen geprägte Welt hineinversetzen. Die Atmosphäre wird sehr bildlich greifbar.

    Die Erzählungen sind sämtlich stark, aussagekräftig und tiefgründig. Sie bestechen durch ihren Aufbau, nichts scheint zufällig erwähnt zu sein. Sie haben mich alle gleichermaßen gefesselt. Immer steht ein Protagonist im Mittelpunkt, aus dessen Sicht ein allwissender Erzähler die Handlung aufbaut. Die meisten enden tragisch, weil die Hauptfigur Opfer ihrer eigenen Leidenschaften wird – dass muss nicht immer die Liebe sein. Die Gesellschaft ist patriarchalisch geprägt, was man den Frauenfiguren deutlich anmerkt. Nur in der längsten Erzählung „Ignat“ rebelliert eine Frau gegen die ihr zugewiesene Rolle auf eine sehr interessante, diskussionswürdige Weise, denn am Anfang ihrer Entwicklung stand auch die Gewalt eines Mannes…

    Wovon erzählt Bunin konkret?
    „Letzthin ist Sachar Worobjow,…, aus Ossininowyje Dwory gestorben.“, lautet der erste Satz der ersten Erzählung. Das Ende wird quasi vorweggenommen. Wie kam es zu seinem Tod, schließlich war der Mann kräftig und noch in der Mitte seines Lebens? Er stolperte über seine Eitelkeit, ließ sich durch eine Wette zum übermäßigen Alkoholgenuss verführen. Der Weg zum Verhängnis, seine Gedanken dabei, die Nebenfiguren; das alles ist ungemein spannend zu lesen.
    Bereits erwähnte Erzählung „Ignat“ handelt vom gleichnamigen Kuhhirten, der sich in die bildschöne Magd Ljubka verliebt, die mit ihren Reize kokettiert und sie auch bei den jungen Herren des Gutes zu nutzen weiß. Den unerfahrenen Hirten Ignat scheint sie eher zu übersehen:
    „Einen Augenblick später war sie verschwunden, und Ignat stand noch lange da und starrte stumpf in die Dunkelheit. Es roch nach Küche, nach vorfrühlingshafter Kühle, nach den Hunden, deren Augen wie Paare rötlicher Smaragde glühten und vor ihm hin und her glitten, er aber roch nur den berauschenden, süßen Duft des Parfüms und den noch berauschenderen Duft ihrer Haare, der Nelkenpomenade und das unter den Achseln verschwitzte Wollkleid.“ (S. 38)
    Im Verlauf ändert sich die Beziehung der beiden auf höchst interessante Weise.

    In „Ein Verbrechen“ spielt der kleinwüchsige, von den Dorfbewohnern verspottete Waldhüter Jermil eine Hauptrolle. Seine Angst vor den Schatten des Waldes reißt ihn zu einer eitlen, gefährlichen Tat hin. Das Ganze wird sehr nachvollziehbar mit einer Portion Grusel geschildert.

    Der „Fürst unter Fürsten“ ist Lukjan Stepanow, ein wohlhabender Bauer mit großer Familie, der seine Überzeugungen lebt. So sitzt er zum Beispiel ohne Polsterung auf der harten Holzbank seiner Droschke. Als ihn der Sohn der Gutsbesitzerin dazu befragt, antwortet Lukjan hintersinnig: „ Eben deshalb gibt das ja nichts mit euresgleichen, mit den Herrschaften. Ist ein Polster da, müsst ihr euch auch unbedingt draufsetzen!“ (S. 113)

    Die namengebende Erzählung VERA handelt von einer in die Jahre gekommenen Liebesbeziehung. Wunderbar, wie die beiden unterschiedlichen Sichtweisen des Paares in Gedanken und Dialogen zutage treten.

    Ich bin schlichtweg begeistert von Iwan Bunin und werde mir mit Sicherheit weitere Bände aus der Werksausgabe zulegen. Noch nie habe ich einen Erzählband ohne Schwächen gelesen. Man sollte sich viel häufiger den sogenannten Klassikern zuwenden. Lobenswert sind die Leistung der Übersetzerin Dorothea Trottenberg sowie das Nachwort von Thomas Grob, das die Erzählungen in einen historischen Kontext bringt. Ja und eigentlich nicht zuletzt muss man die wunderschöne, bibliophile und in Leinen gebundene Ausgabe des Dörlemann Verlages erwähnen, die das Leserherz höher schlagen lässt. Ein rundum gelungenes Buch, für das ich gerne eine unbedingte Lese-Empfehlung ausspreche.

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