Vatermal
Ich bin auf diesen Roman durch die Leseprobe anläßlich der Longlist zum diesjährigen Deutschen Buchpreis aufmerksam geworden. Die Leseprobe hat mir gefallen. Die anschließende Lektüre des ganzen Romans hat mich dann enttäuscht.
Geschildert wird das Schicksal des jungen Arda. Er und seine Schwester wachsen mit ihrer Mutter in einer Stadt im Ruhrgebiet auf. Seinen Vater lernt Arda nie kennen, denn er hat die Familie verlassen und ist allein in sein Heimatland, die Türkei, zurückgekehrt. Arda wächst in prekären Verhältnissen auf. Die Mutter ist überfordert, die Schwester haut ab und wächst bei Pflegeeltern auf, mit seinen Freunden lungert Arda bekifft und ziellos auf dem Bahnhofsvorplatz herum. Arda schafft es, aus diesem Milieu auszubrechen und studiert Literatur um Schriftsteller zu werden, landet schließlich wegen einer Autoimmunerkrankung auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses. Von hieraus reflektiert er sein Leben und schreibt einen Brief an seinen unbekannten Vater.
Der Leser erfährt u.a. wie die Mutter anfangs nach einem verheerenden Erdbeben in der Türkei nach Deutschland kam, und nach und nach die gesamte Familiengeschichte. Die Zeitsprünge von der der direkten brieflichen Ansprache des imaginären, unbekannten Vaters zur Vergangenheit Ardas, zur Vergangenheit seiner Familie und dann wieder zur Gegenwart auf der Intensivstation, fand ich verwirrend. Genauso verwirrend waren die die Verwandschafts- und Bekanntschaftsverhältnisse, die einzelnen Charaktere nicht immer leicht auseinanderzuhalten.
Dennoch liest sich der Roman flüssig, kommt aber m. E. nicht recht in Fahrt. Er mäandert quasi von Fragen an den Vater, warum dieser nun die Familie verlassen hat, zu Schilderungen des Schicksals der Mutter, zurück zu den Freunden, die am Bahnhof abhängen, dann wieder zur Schwester, die es nicht mehr bei der verlassenen Mutter aushält und abhaut. Mich hat das gelangweilt, umso mehr, als mich die Schicksale der Protagonisten nicht berühren konnten. Dabei ist das, was Arda, seine Familie und seine Freunde erlebt haben, zweifellos hart, man wünscht derartige Erfahrungen niemandem. Ich konnte die Geschichte jedoch nicht wirklich nachempfinden, merkwürdig emotionslos erschienen mir die Figuren. M. E. kratzt der Autor nur an der Oberfläche, ohne die Erlebnisse tiefgründig auszuleuchten.
Ich vergebe 3 Sterne.
"Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie der letzte Sommer meiner Jugend war, bevor fast alle meine Freunde verschwunden sind. Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution. Ich werde diese Geschichten aufschreiben."
Der Student Arda liegt im Krankenhaus, die Lage ist ernst. Wenn die Therapie nicht anschlägt, wird er sterben, niemand weiß, wie lange ihm noch bleibt. In dieser Phase der Ungewissheit denkt Arda nach über sein Leben, seine Geschichte, die Geschichte seiner Familie und seiner Freunde. Und über seinen Vater, den er nie kennengelernt hat, weil dieser vor seiner Geburt zurückging in die Türkei. Arda wächst bei seiner Mutter und seiner älteren Schwester im Ruhrgebiet auf, passlos bis zu seinem 18. Lebensjahr. Arda beschließt, im Krankenhaus einen Brief an seinen Vater zu schreiben, nicht wissend, ob dieser ihn jemals lesen wird, aber notwendig, um mit sich ins Reine zu kommen.
Der Ich-Erzähler Arda beleuchtet viele Aspekte - sein eigenes Aufwachsen im grauen Ruhrgebiet, sein enges Verhältnis zu seiner Schwester, die jedoch, als der Streit mit ihrer Mutter eskalierte, eines Tages einfach ging und nicht wiederkehrte. Die Geschichte seiner Großeltern, seiner Eltern, seiner Freunde. Die Zeit als Jugendlicher, wo sowieso alles unsicher ist, wo vielleicht die Freunde den Halt bieten, den man braucht, Gewalterfahrungen, verstörende Erlebnisse, Vorurteile, Verluste, fehlende Perspektiven. Arda reiht Erinnerungen aneinander - die eigenen ebenso wie die Versatzstücke, die ihm seine Mutter und seine Schwester erzählen, die ihn nun regelmäßig im Krankenhaus besuchen.
"Aber wenn es eine Sache gibt, die ich (...) begriffen habe, dann, dass wir alle auf dieser Welt nur beschissene Gastarbeiter sind. Und das Einzige, was du tun kannst, ist aufstehen und das Leben suchen, solange du noch kannst."
Die Aneinanderreihung von Erinnerungen wirkt dabei nicht konstruiert oder störend, sondern stimmig, auch wenn es immer wieder Themensprünge gibt und wechselnde Perspektiven. Ein Roman, der deutschtürkische Realitäten abbildet, ohne dass sie das zentrale Thema wären, vermeintlich leicht in der Sprache, dabei meist eher nüchtern und distanziert und trotzdem gefühlvoll und ja, auch berührend, dann wieder urkomisch.
Eray von Egilmez liest die ungekürzte Hörbuchfassung (6 Stunden und 24 Minuten) dem Schreibstil entsprechend unaufgeregt und lässt dem Erzählfluss den notwendigen Raum. Mich hat die Lesung überzeugt.
Ein Roman über Fremdsein und Identitätssuche, über die Geschichte einer Familie, über Ereignisse und Entscheidungen, die generationenübergreifende Folgen nach sich ziehen, über Sinnsuche und Freundschaft, über Männlichkeit und Rollenerwartungen. Am Ende - ein offenes Ende, alles andere wäre unpassend - dann das Gefühl, dass Arda mit sich selbst im Reinen ist. Komme, was da wolle...
Ob der Roman den diesjährigen Deutschen Buchpreis gewinnt? Vermutlich nicht, er lässt sich zu gefällig lesen, ist wohl nicht überspannt genug. Aber die Herzen der Leser:innen kann er offenbar erobern. Meines auf jeden Fall...
© Parden
Kurzmeinung: Langweilig.
Vier Freunde wachsen gemeinsam auf, Arda, der Erzähler, Savaş, Danny und Bojan. Jeder hat auf seine Weise mit einem verkümmerten Vaterbild zu tun. Ardas Vater, Metin, ist nicht vorhanden. Arda hat bis zum 18. Lebensjahr zwar eine Aufenthaltserlaubnis, aber keine Staatsangehörigkeit; sein Vater hat seine Mutter kurz nach seiner Geburt verlassen und ist in die Türkei zurückgekehrt, wo er eine Zweitfamilie gründete. Savaş Vater ist von Haus aus Ingenieur, seine Zeugnisse, in Deutschland nicht anerkannt, hängen in der Dönerbude, die er betreibt. Dass er keine Chance hatte, ein seiner Ausblidung angemessenes Leben zu führen, hat ihn hart werden lassen. Savaş Vater ist für Arda zwar wie ein Onkel, er hat ein Herz für die heranwachsenden Jungs, schlägt aber seinen Sohn wegen schlechter Schulnoten grün und blau und misshandelt seine Frau. Danny nennt sich Danielo und ist auch vaterlos, genau so wie Bojan, der sieben Pässe hat, aber keine Identität und ausserdem immer wieder epileptische Anfälle hat.
Der Kommentar:
Nachdem ich nun mehrere Romane über Migrantenschicksale gelesen habe, zähle ich den Roman “Vatermal” zu den schwächeren unter ihnen. Beinahe möchte ich sagen, er hat sein selbst gesetztes Thema verfehlt. Vater, wo bist du, könnte man den Roman von Necati Öziri ebenso gut betiteln, weil Arda, an einer schweren Immunkrankheit leidend dem abwesenden Vater aus dem Krankenhaus heraus, einen Brief schreibt, nämlich den vorliegenden Roman. In diesem Brief geht es freilich kaum um den Vater, vielmehr nimmt das Leben von Mutter Ümran den meisten Raum ein.
Der Roman schwenkt seinen Scheinwerfer zuckelnd abwechselnd auf die Mutter Ümram, auf die Schwester Aylin – dann wieder zurück auf die auf einem öffentlichen Platz herumlungernden Jungs. Nur einer von ihnen schafft es, sich von diesem Mileu zu lösen und das ist unser Arda. Er studiert Literatur und schreibt unser Buch.
Sicher, der Roman erzählt von Fremdheit und von fehlenden Vorbildern und von einer verfehlten Jugend, aber eigentlich ist es nur ein coming-of-age Roman mit Migrationshintergrund. Eine Sinnsuche, eine Vatersuche kommt nicht vor. Gefühle sucht man vergeblich. Ja, der erzählende Arda schreibt, eigentlich sei er doch viel besser dran, ohne Metin. Das mag sein, aber warum haben wir dann einen Roman vor uns namens "Vatermal"?
Was ich von dem Roman erwartet habe, entweder eine intensive, gerne auch innere, Vatersuche oder eine Auseinandersetzung mit dem Patriarchat oder eine Schilderung von Zerrissenheit zwischen den Kulturen, all das, erwartete ich vergebens.
Nun ist die Schilderung der herumlungendern Jungs auf der Bahnhofsvorbank gar nicht schlecht geschrieben, aber etwas Neues ist das ganz und gar nicht, im Gegenteil, es ist so alltäglich, dass mir vor Langeweile der Kopf auf die Tischplatte knallt, denn das ist die stärkste Emotion, die der Roman bei mir auslöst: bohrende Langeweile.
Und das darf Literatur nicht, sie darf aufregen und zornig machen, sie darf fremd sein und unverständlich, provokativ und offen anklagend, aber eines darf sie nicht, mich langweilen. Mit viel good will gibt es noch drei Sterne – aber der dritte Stern ist ein geschenkter, dem Umstand geschuldet, dass der Roman, aus welchem Grund auch immer, auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023 steht. Vielleicht ist es tatsächlich ein Roman für junge Leute, die sich mit herumlungernden Jungs und nagellackigen Mädels identifizieren können.
Kategorie: Migrationsliteratur. Coming of Age
Verlag: Claassen, 2023
„Ich dokumentiere mein Verschwinden, und wenn ich mir abends die bunten Graphen anschaue, weil ich vor Angst nicht schlafen kann, bilde ich mir ein, zu verstehen, worauf es hinausläuft.“ (Zitat Pos. 175)
Inhalt
Arda Kaya studiert in Berlin. Doch dann, nach einem Zusammenbruch, die Diagnose lautet Organversagen. Er fährt noch nach Hause, in seine Heimatstadt irgendwo im Ruhrgebiet, damit ihn seine Mutter Ümran und seine Schwester Aylin im Krankenhaus besuchen können. Sein Vater Metin hat die Familie verlassen, bevor er geboren wurde. In den langen Stunden im Krankenzimmer schreibt Arda die Geschichte seines bisherigen Leben auf, als Brief an seinen unbekannten Vater. „Ich werde diese Geschichte aufschreiben, dir und meinen beiden Halbbrüdern. Damit sie wissen, dass sie noch einen Bruder und eine Schwester hatten, damit sie erfahren, wem ihr Vater wie ein Vater war, damit sie schätzen lernen, wie viel Zeit und Liebe sie von dir bekommen.“ (Zitat Pos. 208)
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die Geschichte einer deutsch-türkischen Familie, die Mutter Ümran ist als kleines Kind nach Deutschland gekommen, ihre Kinder Arda und seine ältere Schwester Aylin sind in Deutschland geboren. Es geht um Söhne, die aus unterschiedlichen Gründen ohne Väter als Vorbild aufwachsen und die als Heranwachsende versuchen, die Rolle der abwesenden Väter einzunehmen, weil es von ihnen erwartet wird. Doch auch die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern ist ein Thema. Weitere Themen sind Freundschaft, Identität, die Suche nach Zugehörigkeit und den Platz im eigenen Leben.
Charaktere
Wie Arda aussieht, wissen wir aus seiner eigenen Beschreibung, sein Leben, seine Gedanken, Erfahrungen und Zweifel erfahren wir, als er seine Geschichte niederschreibt. Doch er erzählt nicht nur seine eigene Geschichte, sondern auch die seiner Mutter Ümran, die nie wirklich gefragt worden war, was sie selbst wollte, die dennoch versucht, ihr Leben irgendwie zu meistern und die Geschichte seiner Schwester Aylin, die sich immer um den kleinen Bruder kümmert, bis sie ihren eigenen Weg gehen muss.
Erzählform und Sprache
Arda ist der Ich-Erzähler seiner Geschichte. Chronologisch, jedoch mit Zeitsprüngen, schildert er sein Leben und das seiner Schwester Aylin. Dort, wo Ümran und später auch Aylin ihm jene Ereignisse und Erlebnisse erzählen, die er nicht wissen kann, wird die Erzählform personal. Diese Abwechslung macht die Erzählform interessant, packend und lebhaft. Sie zieht uns als Leser mitten in die Ereignisse, in eine Welt am Rande einer Stadt im Ruhegebiet, deren ehrliche Schilderung durch ihre zornige, manchmal humorvolle Direktheit überzeugt. Auch die Sprache passt sich in den entsprechenden Episoden der Welt der Heranwachsenden an.
Fazit
„Erzählen ist wie Wasser, Metin, einmal unterwegs, findet es seinen Weg von selbst.“ (Zitat Pos. 784) Dieser eindrückliche Roman mit dem ganzen Spektrum menschlicher Gefühle, Hoffnungen und Schicksale hat den Weg zu uns Lesern gefunden.
Arda, Mitte Zwanzig, leidet unter einer tödlichen Autoimmunerkrankung und wartet im Krankenhaus auf das Ergebnis des ultimativ letzten Behandlungsversuchs. Währenddessen schreibt er einen fiktiven Brief an seinen Vater, der die Familie vor langer Zeit verlassen und in der Türkei eine neue Familie gegründet hat. Arda erzählt vom Aufwachsen in einer Sozialsiedlung im Ruhrgebiet, von Armut, Ausgrenzung, Rassismus und Ausgeliefertsein. Und davon, dass Vaterlosigkeit auch befreiend sein kann.
"Ich hab mich nicht nur glücklich geschätzt, sondern ich war sogar stolz darauf, ausschließlich von Frauen großgezogen worden zu sein.“ Denn: "Wäre ich bei dir aufgewachsen, hätte ich genau zwei Möglichkeiten gehabt", schreibt er an seinen Vater, "Nachahmung oder Abgrenzung. Du wärst der Maßstab gewesen, an dem ich und alle anderen mich gemessen hätten, und vermutlich wäre ich dann nie ich geworden, sondern würde jetzt irgendeine Ingenieursscheiße studieren, würde in Fußballtrikot und Sonnenbrille in tiefergelegten Autos flexen".
Auch die alkoholkranke Mutter Ümran und die große Schwester bekommen eine Stimme. Die Sicht der Frauen nimmt großen Raum ein in diesem Roman, der qua Titel den Vater zum Thema hat. Klar wird, dass Ümran nicht etwa unglücklich ist, weil ihr Mann sie verlassen hat, sondern weil absolut jedes Glücksversprechen in ihrem Leben unerfüllt blieb, seitdem sie aus ihrem vom Erdbeben zerstörten Heimatdorf nach Deutschland ging.
Ardas Briefe an den Vater sind nicht nur Abrechnung mit einem türkischen Macho, sondern entstehen auch aus der Hoffnung, ihm verzeihen zu können. Metin, „Held einer gescheiterten Revolution“, von Beruf Architekt und als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen, konnte sein Leben als Gastarbeiter und den erniedrigenden Job im Schlachthof nicht mehr ertragen.
Halt geben Arda seine Freunde, aus migrantischen Familien wie er, nachdem auch seine Schwester abgehauen und er mit seiner innerlich abwesenden Mutter allein zurückgeblieben ist. Gemeinsam ist der allgegenwärtige Rassismus besser zu ertragen. "In der Schule nennen sie mich Asylanten-Arda und Savaş nennen sie einfach nur Sucuk. Sie rufen, dass wir stinken und behaupten, wir wohnen im Müll. Sie fragen, warum wir hässlich sind, obwohl Döner schöner macht. Sie erzählen, wir hätten Läuse und weigern sich uns zu berühren. Das einzige Gute an unseren Mitschülern ist, dass sie Savaş und mich zwingen, immer ein Team zu sein.“
Auch über die Ohnmacht gegenüber den Behörden schreibt er, die seinen Aufenthaltsstatus immer wieder bestätigen müssen, obwohl Arda in Deutschland geboren wurde; die Familie verbringt absurd viele Tage wartend in Amtsfluren. Als Arda volljährig ist und die Einbürgerung beantragen kann, macht er sich Luft ausgerechnet in dem Text, den er zum Beweis seiner Deutschkenntnisse liefern muss:
„Ich werde eure Töchter vögeln, bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von eurem Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos.“
Aber auch nach Erhalt eines deutschen Passes gehört Arda nicht wirklich dazu: „Aber dann fallen mir … [die] Worte [meines Sachbearbeiters] wieder ein. Dass, wer eingebürgert wurde, auch wieder ausgebürgert werden kann. Scheiß drauf, denke ich. Das ist doch genau, was die wollen. Dass man sich nie zu sicher fühlt.“
Öziri ist jederzeit ganz nah dran an seinem Figuren. Seine Sprache hat einen ganz eigenen Sound und vollbringt das Kunststück, völlig hinter dem Gefühl zurückzutreten, das sie vermittelt – und das ist vor allem der Schmerz, der daraus entsteht, nirgendwo dazu zu gehören. Der Gedanke drängt sich auf, dass Ardas Erkrankung aus somatisiertem Schmerz entstanden ist.
Ein sehr lesbarer, vielschichtiger und intensiver Roman
Suche nach dem verlorenen Vater
Ich bin auf diesen Roman durch die Leseprobe anläßlich der Longlist zum diesjährigen Deutschen Buchpreis aufmerksam geworden. Die Leseprobe hat mir gefallen. Die anschließende Lektüre des ganzen Romans hat mich dann enttäuscht.
Geschildert wird das Schicksal des jungen Arda. Er und seine Schwester wachsen mit ihrer Mutter in einer Stadt im Ruhrgebiet auf. Seinen Vater lernt Arda nie kennen, denn er hat die Familie verlassen und ist allein in sein Heimatland, die Türkei, zurückgekehrt. Arda wächst in prekären Verhältnissen auf. Die Mutter ist überfordert, die Schwester haut ab und wächst bei Pflegeeltern auf, mit seinen Freunden lungert Arda bekifft und ziellos auf dem Bahnhofsvorplatz herum. Arda schafft es, aus diesem Milieu auszubrechen und studiert Literatur um Schriftsteller zu werden, landet schließlich wegen einer Autoimmunerkrankung auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses. Von hieraus reflektiert er sein Leben und schreibt einen Brief an seinen unbekannten Vater.
Der Leser erfährt u.a. wie die Mutter anfangs nach einem verheerenden Erdbeben in der Türkei nach Deutschland kam, und nach und nach die gesamte Familiengeschichte. Die Zeitsprünge von der der direkten brieflichen Ansprache des imaginären, unbekannten Vaters zur Vergangenheit Ardas, zur Vergangenheit seiner Familie und dann wieder zur Gegenwart auf der Intensivstation, fand ich verwirrend. Genauso verwirrend waren die die Verwandschafts- und Bekanntschaftsverhältnisse, die einzelnen Charaktere nicht immer leicht auseinanderzuhalten.
Dennoch liest sich der Roman flüssig, kommt aber m. E. nicht recht in Fahrt. Er mäandert quasi von Fragen an den Vater, warum dieser nun die Familie verlassen hat, zu Schilderungen des Schicksals der Mutter, zurück zu den Freunden, die am Bahnhof abhängen, dann wieder zur Schwester, die es nicht mehr bei der verlassenen Mutter aushält und abhaut. Mich hat das gelangweilt, umso mehr, als mich die Schicksale der Protagonisten nicht berühren konnten. Dabei ist das, was Arda, seine Familie und seine Freunde erlebt haben, zweifellos hart, man wünscht derartige Erfahrungen niemandem. Ich konnte die Geschichte jedoch nicht wirklich nachempfinden, merkwürdig emotionslos erschienen mir die Figuren. M. E. kratzt der Autor nur an der Oberfläche, ohne die Erlebnisse tiefgründig auszuleuchten.
Ich vergebe 3 Sterne.