Unter uns das stille Land

Rezensionen zu "Unter uns das stille Land"

  1. Ein bemerkenswerter historischer Roman

    Mein besonderer Dank geht an den Louisoder Verlag, der mir dieses Rezenszionsxemplar zur Verfügung gestellt hat.

    Inhalt

    Die Handlung des Romans beginnt im Jahr 1953, am 2. Juni, an dem Tag, an dem junge Elisabeth zur Königin gekrönt wird. Linda Morrison, geborene Schoolcraft, erhält einen Anruf vom British Red Cross, in dem ihr mitgeteilt wird, dass der von ihr gesuchte Ben den Absturz überlebt habe und unter einem anderen Namen in Oslo sei. Worauf Linda nach sofort nach Norwegen aufbrechen möchte.

    Dann springt die Handlung zurück zum 20.August 1940 und der Erzähler führt die Leser/innen behutsam an die Figur Ben Whitleys heran, indem er zunächst seinen Vorgesetzten bei den Jägern der britischen Luftwaffe, den Tschechen Barta, auf einem Fest der Royal Air Force im Städtchen Wells in einem inneren Monolog über Ben nachdenken lässt. Über seine Auszeichnung als Fliegerheld und das Geheimnisvolle, das diesen Jungen umgibt. Auch über die zweite Hauptfigur - Linda Schoolcraft - sinniert der Tscheche und über deren Vater, dessen Tod ebenfalls geheimnisumwoben ist.

    Dann wechselt die Perspektive und zunächst wird aus der personalen Sicht Lindas über Ben Whitleys plötzliches Erscheinen am 12.2.1933 in England berichtet und die Bitte ihrer Klassenlehrerin, sich um den neuen, traumatisierten Jungen zu kümmern. Dieser wird zunächst von allen als Schwächling verachtet, dann aber aufgrund seines Talents beim Fußball allmählich akzeptiert. Es entsteht schließlich so etwas wie eine Freundschaft zwischen Linda und Ben, der sich zunehmend heimisch in Little O - Lindas Elternhaus - fühlt, obwohl Gwen - Lindas Mutter - ihn ablehnt, während Lindas Vater Charles ihn als Ziehsohn ansieht.

    Unter mysteriösen Umständen stirbt Charles am 1.9.1939, nachdem er einen Telefonanruf erhalten hat, und vieles deutet daraufhin, dass er für die Nazis spionierte und mit einer deutschen Spionin eine Liebesaffäre hatte. Die Familie verlässt das kleine Städtchen Wells und kehrt erst im Juni 1940 zurück. Linda meldet sich ebenfalls zur Royal Air Force, verlässt Wells und ist in Coventry stationiert, während Ben eine Affäre mit ihrer Mutter beginnt, nachdem ein deutscher Bomber in den Garten von Little O gestürzt ist. Linda hingegen wird bei dem denkwürdigen Angriff auf Coventry schwer verletzt und von dem amerikanischen Fotographen Summers gerettet.

    Sie fällt daraufhin in eine tiefe Depression und beschließt dann diesen Fotographen aufzusuchen, der in jener denkwürdigen Nacht seine große Liebe -Peggy - in Coventry gefunden und den König vor der zerstörten Kathedrale fotografiert hat. Ein Bild, das letztlich zu Lindas Rückkehr nach Little O führt. Dort trifft sie wieder auf Ben und erfährt schließlich sein Geheimnis und der Kreis zum Beginn des Romans schließt sich.

    Bewertung

    Ein außergewöhnlicher Roman um Liebe und Verrat und fast eine Art Krimi.

    Das Interessante an dieser Geschichte ist vor allem, dass die Handlung keineswegs so stringent erzählt wird, wie es in der Zusammenfassung erscheint. Einerseits wechselt die Erzählperspektive häufig und andererseits wird regelmäßig in Rückblenden erzählt. Wenn eine neue Figur auftaucht, wird im folgenden Kapitel diese zunächst vorgestellt.

    Oder eine besonders spannende Szene wird erzählt, wobei man im Unklaren darüber gelassen wird, wer sich hinter den Personen verbirgt:

    "Mit durchgestreckten Armen stand sie auf einmal vor ihm in der Zinnmertür, nur mit einem Hemd und einem Höschen bekleidet, mit wirrem Haar und gespenstischem Blick, die schwarze Armeepistole in beiden Händen und zielte, keine drei Meter von ihm entfernt, auf seinen Kopf." (S.347).

    Ganz behutsam nähert man sich anschließend an diese Szene an, wie es dazu gekommen ist und warum die Protagonisten so handeln. Es gibt auch immer wieder eingestreute Szenen von zwei alten Menschen auf einem Dachboden in Deutschland. Der Zusammenhang erschließt sich erst am Ende des Romans, obwohl man natürlich schon eine Ahnung hat..

    Neben dieser erzähltechnischen Finesse beleuchtet der Roman auch die Lebenssituation in England, vor allem in London, die tägliche Gefahr der Bombardierung, die Angst vor den deutschen Angriffen -wenn auch das Schicksal Ben Whitleys und das Lindas im Mittelpunkt stehen.

    Am Ende bleiben trotz allem einige Fragen offen und als Leser/in kann man spekulieren, was aus Gwens Mutter geworden ist oder welche Verbindung genau es zwischen ihr und der feindlichen Spionin gegeben hat.

    "Aber was spielte das schon für eine Rolle?" (S.486).

    Ein wunderbarer Roman, der große Gefühle mit Zeitgeschichte und erzähltechnischer Raffinisse vereint.

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