Sungs Laden: Roman

Rezensionen zu "Sungs Laden: Roman"

  1. 4
    06. Dez 2015 

    Die weltoffene Woche

    In der Schule des kleinen Minh wird kurz vor Weihnachten eine weltoffene Woche veranstaltet. Was ist das denn? Zu der Schule gehen Kinder mit einem Herkunftshintergrund verschiedenster Nationen und sie sollen etwas vorstellen, was typisch für die Kultur ihres Herkunftslandes ist. Ganz schön schwierig, etwas zu finden, denn es darf nichts zum Essen sein. Doch Minhs Großmutter hat eine tolle Idee, sie holt ihre Holzmarionette hervor, die sie selbst aus Vietnam mitgebracht hat. Mit dieser Puppe, die eigentlich zu einem traditionellen Wasserpuppentheater gehört, erzählt sie während der Schulveranstaltung eine Geschichte, die die Neugier der Kinder, Lehrer und Eltern weckt.

    Angefangen mit den vietnamesischen Vertragsarbeitern der DDR bis zu den vietnamesischen Läden und dem Straßenhandel im heutigen Berlin schlägt dieses Buch eine wahre Brücke zwischen den Kulturen. Wie wenig weiß man im alltäglichen Leben doch von den anderen. Doch stellt dieser Roman einen Wunsch dar, von dem man hofft, er möge häufiger in Erfüllung gehen. Denn aus einer kleinen Idee des Schulleiters, die eigentlich eher widerwillig geboren wird, folgt eine Veränderung der näheren Umgebung. Haben sich die Leute vorher etwas abweisend gezeigt, wird durch die Schulveranstaltung das Interesse an dieser fernöstlichen Kultur geweckt. Und es scheint, dass ein Ruck durch den Stadtteil geht, dieser vielfältiger wird und seinen vietnamesischen Anteil als bereichernd empfindet.

    Wie schön wäre es doch, wenn es immer so wäre. Sowohl für Einheimische als auch für Fremde könnte das jeweils andere eine Bereicherung des Eigenen darstellen, ihm eine zusätzliche bunte Facette geben. Wie schön wäre es, wenn das gegenseitige Misstrauen zu einer gegenseitigen Neugier würde, zu einer Offenheit, die auf beiden Seiten nicht immer in dem Maße vorhanden ist.
    Der Roman wirkt wie eine wunderbare Utopie einer idealen Gesellschaft, die eine Integration schafft, wie man sie sich nur wünschen kann. Etwas, woran man sich im wahren Leben ein Beispiel nehmen sollte.

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  1. 4
    22. Aug 2015 

    Revolution am Prenzlauer Berg...

    Im Dezember findet alles seinen Anfang. Eine Grundschule im Prenzlauer Berg ruft eine 'weltoffene Woche' aus. Der Schulamtsleiter hatte dies angeordnet, weil ein paar Sechstklässler einen Zweitklässler aus Gambia drangsaliert hatten. Dem Direktor passt das gar nicht, denn schließlich haben die Lehrer genug zu tun mit den Weihnachtsbasteleien und Adventsfeiern. Um den Aufwand möglichst gering zu halten, sollen alle Kinder mit Migrationshintergrund etwas aus ihrer Hintergrundkultur mitbringen und in einem kleinen Festakt in der Aula präsentieren.
    Doch nicht nur die Lehrer bringt dieses Ansinnen zum Schwitzen, auch die Schüler müssen grübeln, welches Mitbringsel denn dafür geeignet wäre. Minh, einem kleinen vietnamesischen Jungen, fällt dazu erst einmal gar nichts ein.

    "Ein Kulturgut?" Sung schaute Minh fragend an."Na, eben ein Ding, irgendetwas, das aus Vietnam kommt. Alles, nur nichts zu essen." (S. 13)

    Doch auch Sung ist ratlos, und so schickt er seinen Sohn weiter zur Großmutter. Und am nächsten Morgen schleppen ein kleiner vietnamesischer Junge von knapp acht Jahren und eine kleine vietnamesische Frau von knapp sechzig Jahren eine große hölzerne Holzpuppe von mehr als achtzig Jahren zwischen sich den Gehweg zur Schule entlang. Vor den beiden stellen schon einige andere Schüler ihre 'Dinge der Welt' vor, und in den Stuhlreihen herrscht einges an Unruhe.

    "Da straffte sich Hiềns kleiner Körper und ohne Vorwarnung gellte ihre durchdringende, ein bisschen raue Stimme durch den Raum: 'Good Morning, Vietnaaaaaaam!' " (S. 19)

    Und mit nun ungeteilter Aufmerksamkeit verfolgen Schüler wie Lehrer das Spiel der alten Puppe, die mit Hiền deren Geschichte erzählt - vom Krieg in Vietnam, Nord gegen Süd, von großer Armut, von einem Leben als Vertragsarbeiterin in der DDR, von der Lieblosigkeit der Bedingungen zu der Zeit. Und diese Geschichte, dieser Auftritt ist wie der Flügelschlag eines Schmetterlings - leise aber unbeirrbar wird eine Lawine losgetreten.

    Kegelhüte tauchen plötzlich im Straßenbild des Prenzlauer Bergs auf, Bambusbrücken verbinden Gebäude und Kulturen, die Hồ-Chí-Minh-Flagge weht auf dem Bezirksamt. Am Prenzlauer Berg wächst zusammen, was zusammengehört - die Grenzen zwischen den Kulturen verschwimmen.

    Ein schönes Märchen hat Karin Kalisa da geschrieben, eine Utopie, sicherlich. Schnörkellos und doch warmherzig, humorvoll, skurril und liebenswert skizziert sie eine hoffnungsvolle Vision des Zusammenlebens verschiedener Kulturen, die gerade angesichts heutiger Probleme hoffnungsfroh stimmt.

    "Ihre Wege kreuzten einander an einem Punkt mehr oder minder kurz nach der Mitte des Lebens; gerade dort, wo das Leben begann, etwas weniger von ihnen zu fordern, und sie spürten, dass es gar nicht so falsch wäre, den Spieß noch einmal umzudrehen und selbst ein paar kleine Forderungen zu stellen." (S. 88)

    Für alle weht ein frischer Wind durch den Prenzlauer Berg, eine Aufbruchstimmung, die jeden dort mitreißt. Ein wenig schade, dass die Autorin zunehmend versucht, dieses 'alle und jeden' auch in der Erzählung festzuhalten, den Staffelstab des Miteinanders an immer neue Personen weiterzureichen und die Geschichte sich dadurch für mich ein wenig zerfasern lässt. Lieber wäre mir gewesen, wenn Sung und seine Familie mit einigen anderen Charakteren im Fokus der Geschehnisse geblieben wären.

    Dennoch konnte mich die Idee begeistern und die Leichtigkeit und Poesie der Sprache in ihren Bann ziehen. Eine kleine, stille Revolution, die niemandem wehtut. Ein schönes Märchen, aber eines, das eben wirklich sein KÖNNTE... Es bringt Farbe in unser ewiges Nebeneinander. Und das hat mir gefallen!

    © Parden

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