Stillhalten: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Stillhalten: Roman' von Nina Jäckle
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Stillhalten: Roman"

[Neuwertig und ungelesen,als Geschenk geeignet vier ]

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:190
EAN:9783863514518

Rezensionen zu "Stillhalten: Roman"

  1. 3
    23. Dez 2019 

    Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...

    Mein Fazit stelle ich dieses erste Mal ausnahmsweise voran: brilliante Formulierungen, die mich sehr anrührten! Und dennoch bin ich enttäuscht und kann es nun, obwohl ich das Buch aufgrund seiner guten Bewertung und seines extrem vielversprechenden Klappentextes, zweimal gekauft hatte um es zu Weihnachten zu verschenken, nicht verschenken. Der Beschenkte würde sich, ebenso wie ich, auf den Inhalt freuen, der so, wie beschrieben, meiner Ansicht nach aber gar nicht "statt findet".

    Die Protagonistin Tamara ist eine junge, ehrgeizige und aussichtsreiche Tänzerin, die sich zu Beginn der Nazizeit in Dresden dem Tanzstudium widmet und durch abendliche Auftritte im Kabarett den Maler Otto Dix kennen lernt, der sie porträtiert und mit dem sie eine Freundschaft verbindet. Sie träumt von einem glanzvollen Leben, lässt sich jedoch, auch auf Anraten ihrer um die Zukunft besorgten Mutter, auf den "erstbesten" Heiratsantrag ein, der ihr angetragen wird. Im Hinblick auf ihr zartes Alter von 21 Jahren vielleicht noch ihrem jugendlichen Leichtsinn zu zu schreiben, indes den "Rest" ihres Lebens, hätte sie besser wissen müssen und können.

    Hatte ich anfangs noch großes Verständnis über ihre Trauer über das versagte, nicht gelebte Leben:

    "Tamara ist bestürzt darüber, dass ein ganzes Leben im oberen Stockwerk des Hauses vergangen ist, dass ein ganzes Leben so schnell vergehen kann, dass die Erinnerungen an das Gute und Aufregende nicht verblassen...weil nichts und niemand darin etwas verderben kann."

    So war ich im Laufe des Buches, in dem die Protagonistin immer und immer wieder gebetsmühlenartig ihre Trauer, ihre Einsamkeit und ihre vertanen Chancen und sich selbst bemitleidet, verständnislos und habe kopfschüttelnd -auf eine Wendung wartend- weitergelesen. Und dennoch bleibt sie, bleibt bei dem verhassten, gefühlskalten Ehemann, im großen kinderlosen Haus, verlassen und verloren von der Welt, da mochte ich ihr zurufen und sie wachrütteln: "So geh´doch bitte, verlass´ diesen grausamen, besitzergreifenden, herzlosen Mann, geh` und lebe dein Leben, hör`auf dich zu bedauern! Zu Mensch und Tier war dieser verachtenswerte Ehemann offenbar gleichermaßen besitzergreifend und gefühllos.

    Ich konnte ihr Bleiben nicht nachvollziehen, hat es mir doch das sprachlich so vortrefflich anrührende Werk so derart vergällt. Auch die geschickt eingesponnene Geschichte der Freundschaft zum Maler Otto Dix und die Entwicklungen in der Nazizeit, sowie der Konflikt mit ihrer Mutter, die ihr stets Dankbarkeit anmahnte (wofür eigentlich, für ein Leben im goldenen Käfig und dem körperlichen und seelischen Verfall durch Selbstgeiselung und Alkohol? ), vermochten mich nicht zu versöhnen.

    Zudem fand ich wirklich schade, dass die Autorin, die ja in dem Werk über den Lebensweg ihrer Großmutter schreibt, die Geschichte derart gewählt hat, dass Tamara eine Fehlgeburt erlitt und fortan nie wieder mit ihrem Mann ein Bett teilte und deshalb lebenslang unter diesem Trauma litt. Mir persönlich fehlt da die Verbindung zur Autorin, wenngleich natürlich die künstlerische Freiheit in der Art der Gestaltung frei ist, hatte ich da einen Bogen erwartet.

    Am Traurigsten fand ich, dass die einsame Frau am Ende dann tatsächlich den Freitod wählt, statt mit Verkauf des Hauses und dem Bankrott ihres Ehemann versucht, wenn auch schwer vorstellbar, ein neues anderes eigenständiges Leben zu beginnen.... Schade!

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  1. 5
    19. Sep 2017 

    ein sehr persönlicher Roman

    Die Autorin Nina Jäckle hatte eine Oma, was an sich nicht ungewöhnlich ist. Denn jeder hat (te) mindestens eine Oma. Aber die wenigsten Omas waren in jungen Jahren Tänzerin, und die wenigsten Enkel schreiben ein Buch über ihre Oma. Nina Jäckles Oma war die Tänzerin Tamara Danischewski. Insofern ist der Roman "Stillhalten" ein sehr persönliches Buch, schildert er doch einen Großteil des Lebens eines Familienmitgliedes der Autorin. Tamara Danischewski wäre wahrscheinlich schon längst in Vergessenheit geraten, wenn nicht dieser Roman und ein besonderes Gemälde wären.

    Schlägt man das Buch auf, blickt man auf das Porträt "Bildnis der Tänzerin Tamara Danischewski mit Iris", gemalt von Otto Dix, in der Zeit als sie als junges Mädchen ihre Leidenschaft - das Tanzen - lebte. Und sofort existiert eine Verbindung zwischen dem Leser und Tamara.

    "Ein Duplikat des Bildes hängt über Tamaras Schreibtisch. In diesem Bild ist alles enthalten, was an Bedeutendem geschehen ist, gleichsam alles das, was daraus noch hätte entstehen können, jedoch nicht entstanden ist." (S. 10 f.)

    Auf dem Bild ist Tamara 21 Jahre alt. Entstanden ist es in den 30er Jahren in Dresden, wo sie Tanz studierte. Der Anfang ihrer tänzerischen Laufbahn war vielversprechend. Sie galt als sehr talentiert. Das Tanzen war ihr Leben und ihre Leidenschaft. Der Maler Otto Dix war von dem Mädchen und ihrer Ausstrahlung fasziniert. Er schien zu erkennen, dass Tamara die Verkörperung des Ausdruckstanzes war. Abends trat Tamara in einem Kabarett auf, um Studium und Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter zu finanzieren. Einen Ehemann und Vater schien es in dem Leben von Mutter und Tochter nicht zu geben. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, sah sich der Maler Dix gezwungen, das Land zu verlassen. Die Bilder des Kriegsgegners Dix wurden schnell zur entarteten Kunst erklärt.

    Durch die politische Entwicklung in Deutschland, geriet Tamara an einen Scheideweg. Sie musste sich entscheiden zwischen Versorgung in politischen Zeiten der Unruhe und glanzvoller Karriere einer Tänzerin. Der Versorgungsgedanke siegte, wozu ihre Mutter einen großen Teil beigetragen hatte. Tamara heiratete einen Mann, der Verbindungen zur neuen Macht in Deutschland hatte. In der Ehe mit ihm wurden ihr und ihrer Mutter ein sorgenfreies Leben ermöglicht, auch wenn die Welt um sie herum fast unterging. Jahre später, fast schon im letzten Abschnitt ihres Lebens angelangt, findet sich Tamara in einem großen Haus, irgendwo auf dem Land in der Einsamkeit wieder. Und sie wird bis an ihr Lebensende die Entscheidung, die sie in jungen Jahren getroffen hat, bedauern.

    "Immer wieder stellt sich Tamara die Frage, ob dieses Stück Himmel, dieser kleine Ausschnitt vom Ganzen, der sich ihr vom Fenster ihres Zimmers aus bietet, ausreichend gewesen ist, ob er am Ende ausreichend gewesen sein wird, ob sie nicht mehr vom Himmel, mehr vom Leben verdient hätte." (S. 16 f.)

    Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist von großer Distanz geprägt. Der Mann geht seiner eigenen Wege. Mal ist er zuhause, mal nicht. In dem großen und reichen Anwesen, in dem das Ehepaar lebt, scheint sie nur ein weiterer kostbarer Gegenstand zu sein. Den einzigen Kontakt zur Außenwelt hat sie über die Haushälterin und den Gärtner. Der einzige Freund, den sie hat, ist ein alter, unbrauchbarer Jagdhund, der dank Herrchens Gunst sein Gnadenbrot erhält. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich habe während der Lektüre dieses Romanes immer eine Symbolik in dem Hund gesehen. Fast schien es, als ob das Dasein des Hundes ein Spiegelbild des Lebens von Tamara darstellt.

    In einem Interview mit der Autorin Nina Jäckle habe ich gelesen, dass sie das Buch als Schriftstellerin und nicht als Enkelin geschrieben hat. Nun ja, diese beabsichtigte Trennung ist glücklicherweise nicht ganz gelungen. Denn in dieser melancholischen Geschichte schwingt viel Zärtlichkeit mit. Die Darstellung des Charakters der Tamara - insbesondere in den späteren Jahren - kann man fast schon als liebevoll bezeichnen. So kann man einen Menschen nur beschreiben, wenn man eine enge Beziehung zu ihm hat. Natürlich entwickelt sich beim Leser dadurch viel Empathie für Tamara. Die Handlung wechselt zwischen Szenen der Vergangenheit und dem Jetzt, unterbrochen von Erinnerungen und Gedankengängen von Tamara. Schnell wird klar, dass die ehemalige Tänzerin in der Vergangenheit gelebt hat und im Jetzt nur noch existiert.

    "Genauso wird Grausamkeit erst möglich, denn sobald man das Leid verschweigt, ist Mitleid nicht mehr erforderlich." (S. 167)

    Das Porträt, das Otto Dix seinerzeit von ihr gemalt hat, ist mittlerweile berühmt und reist durch die Welt, von Ausstellung zu Ausstellung, von Museum zu Museum. Tamara erhält regelmäßig Ansichtskarten von den Museen, in denen ihr Bild gerade ausgestellt wird. So "lebt" das Bild dasjenige Leben, das sich Tamara einst erträumt hat. Die Ansichtskarten machen ihr einmal mehr deutlich, dass ihr Leben auf falschen Entscheidungen und vertanen Chancen aufgebaut ist.

    Fazit:
    Dieser wunderschöne stille Roman strahlt viel Melancholie aus. Nina Jäckle hat einen sehr poetischen Sprachstil, der einfach nur gut tut. Es ist ein sehr persönliches Buch über eine Frau, die eine falsche Entscheidung getroffen hat und dadurch ihr Leben in die falsche Bahn gelenkt hat. Leseempfehlung!

    © Renie

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