Singe ich, tanzen die Berge

Buchseite und Rezensionen zu 'Singe ich, tanzen die Berge' von Irene Solà
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Singe ich, tanzen die Berge"

Gewitterwolken schürfen über den Rücken der Pyrenäen und ein Blitz erschlägt den dichtenden Bauern Domènec, dessen junge Frau Sió mit ihrem Schwiegervater und ihren Kindern allein zurückbleibt. Doch das Leben geht weiter. Teilnahmslos beobachten die Berge das Werden und Vergehen derer, die dort leben. Die junge katalanische Schriftstellerin Irene Solà, die für diesen Roman 2020 mit dem Europäischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, erschafft und belebt eine vielstimmige und poetische Welt, erzählt durch starke Frauen und mystische Stimmen von Großeltern, Eltern, Kindern, Tieren, Geistern, dem Wald und den Wolken. Sie alle bilden diese Geschichten, die auf eine schöne und magische, aber auch tragische Art und Weise miteinander verbunden sind. Alle vereint im Kreislauf von Geburt, Leben und Tod. Solà erzählt die Geschichte der Berge, die die Erinnerung an Jahrhunderte, an geologische Epochen, politische Konflikte und die Verbindung mit der Natur umfasst.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
EAN:9783986970000

Rezensionen zu "Singe ich, tanzen die Berge"

  1. 4
    07. Mai 2022 

    Ungewöhnliche Form, ungewöhnliche Geschichte

    „Singe ich, tanzen die Berge“ ist ein Buch, in welches ich nicht ganz so einfach reinkam, was mich zwischendurch bei manch einem Kapitel nicht ganz abholen konnte, aber dann doch häufiger glänzte als enttäuschte.

    Die katalanische Autorin Irene Solà packt in ihren zweiten Roman die Geschichte einer Familie und eigentlich eines ganzen katalanischen Bergdorfes über mehrere Generationen hinweg, im 20. Jahrhundert zeitlich verortet. Der Vater einer jungen Familie stirbt durch den Einschlag eines Blitzes. Das Interessante daran: Wir Leser:innen bekommen dies aus Sicht des Gewitters erzählt, erfahren aber später auch mehr aus Sicht des Vaters, später aus der seiner Frau, Kinder aber auch anderer Dorfbewohner über das weitere Leben der Familie nach Verlust des Vaters bis hinein in das Erwachsenenleben der Kindes- und Kindeskindergeneration. Immer wieder werden von Kapitel zu Kapitel dieses Buches die Erzählperspektiven gewechselt. Und zwar nicht nur, wie schon angedeutet, zwischen den menschlichen Protagonisten, sondern es kommt auch mal ein Rehbock, eine Hündin, Pilze oder ganz andere Entitäten und Naturphänomene zu Wort. Das ist nicht nur interessant gemacht, sondern sorgt auch für ein bisschen Rätselraten, wohin wohl die Reise in diesem oder dem nächsten Kapitel gehen wird. Auch die Rahmenhandlung um die Menschen des katalanischen Bergdorfes ist teilweise rätselhaft, nicht sofort weiß man beim Lesen gleich Bescheid, wer das jetzt eigentlich ist und in welcher (familiären oder anderweitigen auch mal ferneren) Beziehung diese oder jene Person zu schon bekannten Protagonisten steht. Manchmal eröffnet sich ein Zusammenhang erst einige Kapitel später. Das macht die Lektüre aber auch nie langweilig, sondern durchaus anspruchsvoll.

    Zugegeben einige Kapitel konnten mich mehr begeistern, andere weniger. Im Mittelteil wird das Buch recht experimentell und auch sehr poetisch, ohne jetzt zu viel verraten zu wollen. Dort konnte es mich das Buch am wenigsten erreichen. Aber gerade das "Hunde"- und "Rehbock"-Kapitel gefielen mir sehr gut und konnten mich ob ihrer Beschreibungen wirklich erwärmen. Auch die Hauptgeschichte um die Menschen hat mich bis zum Schluss noch so richtig eingewickelt und ich fieberte im letzten Kapitel mit den Protagonisten stark mit.

    Insgesamt handelt es sich hier um eine wirklich lesenswerte Lektüre. Man sollte jedoch grundsätzlich offen für die nicht lineare Erzählweise und auch sowieso für die verschiedenartigen Erzählinstanzen, sowie eine gute Portion „Sagenhaftes“ (katalanische, mystisch angehauchte Legenden spielen eine größere Rolle) sein. Dann wird die Lektüre auch zu einem sehr schönen, naturnahen Leseerlebnis.

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  1. Das Erzählexperiment

    Dies ist ein Roman, der vollste Aufmerksamkeit und dichte Lesezeit benötigt, denn „Singe ich, tanzen die Berge“ ist kein Buch zum Entspannen für Zwischendurch oder Nebenbei. Der Text ist ungewöhnlich, besonders und zeitweise auch ein wenig experimentell, er hat sehr starke Passagen, aber durchaus auch ein paar, die einfach so an einem vorüberziehen, mehr der Atmosphäre zu dienen scheinen. Der Sinn einiger Abschnitte, gerade zu Beginn, erschließt sich dazu erst mit fortschreitender Lektüre. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einem reizvollen Leseerlebnis belohnt, das allerdings eher durch die Ungewöhnlichkeit als die eigentliche Story bedingt wird.

    Die Autorin Irene Solà erzählt die eigentlich nicht sonderlich interessante und auch – kritisch bemerkt – noch nicht einmal erzählenswerte Geschichte eines Dorfes, seiner Menschen und seiner Umgebung nicht auf erwartbare, herkömmliche Weise, sondern fächert die Erzählung multiperspektivisch auf. Die eine verlässliche Erzählinstanz gibt es hier nicht, denn das Geschehen kann durchaus auch mal vom Rehbock, vom Hund oder von den Bergen selbst erzählt werden. So wird der Roman zu einem kleinen Überraschungspaket, da man sich in jedem Kapitel erst einmal orientieren muss, wo in der Handlung mit welcher Erzählstimme man sich befindet, denn nicht immer sind die Kapitelüberschriften hier wegweisend. Da der Roman seine Geschichte auch nicht chronologisch erzählt, kann es gerade zu Beginn noch zu einiger Verwirrung kommen, zumal einige Passagen ungemein archaisch anmuten, wie aus der Zeit gefallen wirken, sodass man völlig davon überrascht wird, wenn man sich plötzlich einem Auto gegenübersieht. Je mehr man aber in den Bann dieses Romans gerät, umso deutlicher werden die Zusammenhänge und die Melodie dieses Textes. Sprachlich ist der Roman bis auf die eine oder andere kleinere Entgleisung fast poetisch, ausgestattet mit einem ganz eigenen Klang, passend zum Bild des Singens aus dem Titel.

    Wer sich vor ungewöhnlicher, experimentell anmutender Literatur außerhalb der gewohnten Bahnen nicht scheut, wird „Singe ich, tanzen die Berge“ zu schätzen wissen.

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  1. Naturmystik . Naturlyrik.

    Romane, in denen der Inhalt zwischen den Zeilen gesucht werden muss, können mitunter reizvoll sein. Im vorliegenden Roman „Singe ich, tanzen die Berge“ beschreibt die Autorin genau so, das Leben in den Pyrenäen. Die Natur ist groß, der Mensch klein, aber er behauptet sich. So wie er selber Leid erfährt, fügt auch er Leid zu, nämlich der Natur und seinesgleichen.

    Rund um die Familie Matavaques lässt die Autorin die Naturgewalten sprechen. Es beginnt damit, dass der Familienvater Domenec schon in jungen Jahren vom Blitz erschlagen wird und zwei Kinder, Hilari und Mia zurücklässt und seine Frau Sió. Es spricht: der Blitz!

    Die Familie, die Armut, Schicksalsschläge, die Einsamkeit, die Nachbarn und immer wieder die Natur sind Themen dieses Buches. Die Natur könnte trösten und aufrichten, auch wenn das Leben in ihr und mit ihr hart ist. Die Menschen finden einen Weg, zusammen mit den Tieren. Da jeder eine Seele hat und eine Stimme über den Tod hinaus. Aber da ist der Mensch als Tier an sich. Der böse Krieg. Er zerstört alles und bringt Entstellung und Entsetzen in die Bergwelt. Die Geister der Verstorbenen sind noch da, können aber nicht eingreifen. Wenn das Leid überhand nimmt, blüht die Mystik. Die Natur wird personalisiert.

    Fazit: Reine Naturlyrik beziehungweise Naturmystik - das geht Hand in Hand. Dafür muss man empfänglich und aufgelegt sein.

    Kategorie: Belletristik. Mystik.
    Verlag: Trabanten, 2022

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