Siegfried

Buchseite und Rezensionen zu 'Siegfried' von Antonia Baum
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3 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Siegfried"

Eine Frau – Mutter, Partnerin, Versorgerin – fährt eines Morgens nicht zur Arbeit, sondern in die Psychiatrie. Am Abend hat sie sich mit ihrem Partner gestritten, vielleicht ist etwas zerbrochen, jetzt muss sie den Tag beginnen, sie muss die Tochter anziehen, an alles denken, in der Wohnung und ihrem Leben aufräumen. Doch sie hat Angst: das Geld, die Deadline, die Beziehung, nichts ist unter Kontrolle, und vor allem ist da die Angst um ihren Stiefvater, der früher die Welt für sie geordnet und ihr einen Platz darin zugewiesen hat. In der Psychiatrie, denkt sie, wird jemand sein, der ihr sagt, wie ihr Problem heißt. Dort darf sie sich ausruhen. Siegfried ist ein Roman über alte Ordnungen und neue Ansprüche, über Gewalt und das Schweigen darüber, über eine Generation, deren Eltern nach dem Krieg geboren wurden und deshalb glaubten, er sei vorbei.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag: Claassen
EAN:9783546100274

Rezensionen zu "Siegfried"

  1. 2
    04. Aug 2023 

    Warum Siegfried?

    Bis Seite 150 ein ständiger Abbruchkandidat, danach etwas schlüssiger. Nein, Antonia Baum konnte mich mit dieser Befindlichkeitsprosa nicht so richtig erreichen.

    Die Ich-Erzählerin des vorliegenden Romans ist eine Mitte 30jährige Schriftstellerin in einer Schaffens-, Finanz- und Beziehungskrise. Wobei hier alles sich gegenseitig bedingt und auch noch stark von der Kindheit der Erzählerin geprägt ist. Aber noch einmal einen Schritt zurück. Die Erzählerin begibt sich, nachdem sie ihrem Partner/Vater der gemeinsamen Tochter einen Seitensprung mit ihrem Lektor gebeichtet hat, in die ambulante Sprechstunde der Psychiatrie. Dort solle ein ganz sympathischer Oberarzt tätig sein und auf diesen wartet sie nun im Wartezimmer. Während der Wartezeit reminisziert sie nun über ihre Kindheit, die sie mit den Streitigkeiten der Mutter mit dem Stiefvater (Siegfried) und - wenn diese zusammen verreist waren - in der Obhut der Großmutter Hilde (Mutter von Siegfried) verbracht hat. Sie lebte in finanzieller Sicherheit, um nicht zu sagen in gut situierten Verhältnissen, in Lehre, Niedersachsen. Mit den Jahren ist Siegfried - immer adrett gekleidet, Firmeninhaber, Bauleiter, der vorwiegend in ostdeutschen Städten baut - scheinbar zum Nonplusultra der Lebensführung für sie geworden. Dieses kindliche Vorbild kollidiert nun mit ihrem Leben als mittellose Schriftstellerin mit einem Partner, der nicht nach den Konventionen lebt, also ab in die Psychiatrie.

    Dieser Roman war wirklich ein anstrengendes Stück Arbeit. Aber nicht im Sinne von der lohnenswerten Arbeit, die darin steckt, z.B. einen anspruchsvollen Text zu lesen und zu verstehen, sondern die Arbeit lag eher darin, bei der Sache zu bleiben und nicht entnervt vorab abzubrechen. Die Autorin hat nämlich ein Problem, welches die Erzählerin - wir erinnern uns, ebenso Schriftstellerin - auch im Roman mit ihrem ewig unvollendetem Roman hat: das Plot-Problem.

    Auf Seite 152 des Buches heißt es: „Und dann tranken wir schnell etwas, Benjamin [der besagte Lektor] lehnte sich wieder zurück, sprach über […], aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn mich beschäftigte seine Kritik an meiner Schwachstelle, das Plot-Problem. Die starke Erzählung, die fehlte, die im Nebel lag. Ich war traurig, wütend, ich wollte aus der Stelle verschwinden, aber ich lächelte, nickte.“

    Exakt an diesem Problem leidet auch der Roman „Siegfried“. Es fehlt der ziehende Plot, die starke Erzählung. Zumindest auf den ersten 150 Seiten wirkt es einfach nur wie das Gefühlschaos einer überforderten Schriftstellerin, Partnerin, Mutter. Ohne, dass Zusammenhänge hergestellt werden zu den Ursachen, verhalten sich die Figuren zueinander nicht nachvollziehbar. Es wird mal hier mal dort eine Andeutung gemacht, die absolut nichts erklärt. Es wird ausschweifend u.a. über Hilde schwadroniert und Siegfried, die titelgebende Figur, bleibt nur am Rande erwähnt. Man fragt sich die ganze Zeit, was das denn soll, warum hier einfach nur behauptet wird, Siegfried sei der scheinbare Retter - oder besser: Ritter in schillernder Rüstung - für die Erzählerin. Da der Text über weite Strecken zusammenhangslos wirkt, war ich mehrfach kurz davor, das Buch anzubrechen, habe aber dann doch noch bis zum Ende durchgehalten. Und hier muss man zugeben: Das Buch wird nach diesen ersten 150 Seiten stärker, wenn vielleicht auch nicht gleich „stark“. Erst danach wird hergeleitet, warum die Protagonistin so tickt, wie sie tickt. Das ist dann durchaus im Sinne einer Reinszenierung ihrer Kindheitserfahrungen psychologisch nachvollziehbar. Insgesamt bleibt aber zu viel in diesem Roman blass. Der Ost-West-Konflikt wird immer mal wieder angeschnitten, hat aber auch irgendwie keinen Halt in der Geschichte und sagt wenig aus. Dieser eine Tag, den die Protagonistin im Wartezimmer in der Psychiatrischen Institutsambulanz verbringt, ist nur ganz, ganz dünn gestrickte Rahmenhandlung und könnte ebenso wegfallen. Mal davon abgesehen, dass das vollkommen unrealistisch dargestellt wird.

    Insgesamt bin ich froh, noch die letzten 100 Seiten des Buches gelesen zu haben, so erschienen nachträglich die durchgequälten ersten 150 Steinen nicht mehr ganz so sinnlos verschwendete Lesezeit. Trotzdem gibt es durchaus bessere, zeitgenössische Roman, die das Thema der Erforschung eigener Befindlichkeiten in einer Beziehungskrise mit dem Hintergrund einer nicht ganz so blendend weißen Kindheit literarisch ansprechender bearbeiten.

    2,5/5 Sterne

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  1. "Gedrängte Lage"

    Atemlos berichtet die namenlose Ich-Erzählerin, Autorin und Mutter einer kleinen Tochter, von ihrem streng getakteten Alltag, Beziehungsproblemen, Geldnöten und Schreibblockaden. Nach einer von Albträumen geplagten Nacht, in der sie die Angst befällt, ihr Stiefvater Siegfried könnte gestorben sein, scheint alles über ihr zusammenzubrechen. Sie kann Siegfried nicht erreichen, sehnt sich nach einer Verschnaufpause. Die Psychiatrische Klinik scheint ihr der geeignete Ort, um ein wenig Ruhe zu finden. Sie wünscht sich Ordnung in ihrem Leben; jemanden der weiß, was sie tun soll.
    Während sie viele Stunden im Wartezimmer verbringt, überlässt sie sich ihren Erinnerungen und Gedanken.
    Finanziell war ihre Herkunftsfamilie bestens gestellt, doch hinter der Fassade herrschte ein rauher, liebloser Ton. Siegfried war häufig auf Geschäftsreise, immer begleitet von seiner Ehefrau, die seine Untreue und seine Gewaltausbrüche fürchtete. Die Ich-Erzählerin verbrachte daher als Kind viele Wochen bei ihrer exzentrischen Großmutter Hilde, Siegfrieds Mutter, mit ihren eigenwilligen Vorstellungen und Erziehungsmethoden. Am siebten Tag der Woche pflegte Hilde stolz „gedrängte Lage“ aufzutischen. Ein Gericht, das aus sämtlichen Essensresten der vorangegangenen sechs Tage bestand, aufgeschichtet zu einem Auflauf. Dabei spielte es weder eine Rolle, ob die Reste geschmacklich zueinander passten noch ob sie unverdorben waren. Gegessen wurde, was auf den Tisch kam.
    Für mich steht dieses Gericht sinnbildlich für den psychischen Zustand der Protagonistin, ihre prägenden Erlebnisse, ihre verinnerlichten Glaubenssätze, ihre Bedrängnis, die sie letztendlich zusammenbrechen lässt.
    Siegfried ist trotz seiner meist psychischen Abwesenheit immer im Leben seiner Stieftochter präsent. Er hat ihre Sicht auf die Welt geprägt. Noch als Erwachsene beurteilt sie Menschen durch seine Brille, fragt sich, was Siegfried wohl dazu sagen würde. Als sie sich in einen Mann aus einem ganz anderen Milieu verliebt, weiß sie, dass Siegfried ihn als "weichen Versager" nicht gutheißen wird. Trotzdem bleibt sie mit ihm zusammen, genießt ihre Beziehung sehr, gerade weil er so anders ist. Doch als der Alltag durch Geldnöte und die Versorgung eines Kleinkindes immer stressiger wird, fallen ihr plötzlich all die „Makel“ auf, die Siegfried längst in ihrem Partner gesehen hat. Sehr geschickt zeigt Antonia Baum wie mächtig die Prägungen unserer Herkunftsfamilien fortwirken, wie schwer es fällt, sich von diesen zu lösen, vor allem dann, wenn wir unter großen Belastungen stehen.
    „Siegfried“ ist ein eindringlicher, lakonisch erzählter Roman, in dem Herkunft und gesellschaftliche bzw. eigene Erwartungshaltungen verhandelt werden. So unscheinbar das Cover, so kraftvoll und zugleich müde und verzweifelt liest sich der Text, der vor allem die Zustandsbeschreibung einer Familie liefert und als erste Bestandsaufnahme Einblicke in die psychische Verfassung der Ich-Erzählerin gewährt. Das offene Ende war für mich unbefriedigend, passt letztendlich aber gut und bietet Raum für eigene Gedanken. 4,5 Sterne!

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  1. Selbstfindung

    Von Anfang an merkt man direkt, unter welchem Druck die Erzählerin steht. Das Erzähltempo vermittelt mir durch die Seiten schon ein ziemlich hohes Stresslevel – ich bin am anderen Ende des Buches gleich mit aus der Puste und möchte eigentlich am liebsten schon nach den ersten Seiten laut „Pause!“ rufen.
    Im Verlauf der Geschichte geht es vermehrt um die Kindheit der Erzählerin. Sie schildert ihre Erinnerungen, Eindrücke und Gefühle. Es wird deutlich, wie sehr ihre Kindheit die Frau in der Gegenwart geprägt hat. Es ist eine tiefe innere Zerrissenheit spürbar, die sich auch in ihrer Beziehung zu ihrem Lebensgefährten widerspiegelt.

    Die Beziehung zu ihrem Stiefvater wird nie so ganz wirklich beleuchtet. It's all about Siegfried – er ist eigentlich immer präsent. Er ist der Maßstab, an dem sich alle anderen Menschen zwangsweise messen lassen müssen.
    Die Grundidee gefällt gut und vom Klappentext her hatte ich gewisse Erwartungen an das Buch. Leider ist bei mir der Funke nicht übergesprungen. Mir persönlich liegt der Fokus zu sehr auf der Kindheit, mir fehlte oft die Anknüpfung an die Gegenwart. Die Beziehung zu anderen Menschen bleibt weit hinter der zu Siegfried zurück. Wobei es leider keine Aufklärung darüber gibt, warum dieser Mann der Erzählerin so nahesteht. Ich hätte mir gewünscht mehr aus dem Hier und Jetzt zu erfahren. Welches Fazit zieht die Erzählerin aus ihrer Einlieferung? Was passiert hinterher bzw. was erhofft sie sich hinterher?

    Ich habe mich recht schwer getan damit und mir hat es nicht so gut gefallen.

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