Selbstporträt mit Bienenschwarm

Buchseite und Rezensionen zu 'Selbstporträt mit Bienenschwarm' von Jan Wagner
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Inhaltsangabe zu "Selbstporträt mit Bienenschwarm"

Diskussionen zu "Selbstporträt mit Bienenschwarm"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:256
EAN:9783596296521

Rezensionen zu "Selbstporträt mit Bienenschwarm"

  1. Schwebe ohne Eile, Eule...

    Zugegeben: ich bespreche dieses Hörbuch als selbsterklärter Lyrik-Laie. Ja, ich lese viel - aber für gewöhnlich Belletristik. Mein Mann ist derjenige, auf dessen Nachttisch sich die Gedichtbände stapeln, und meine Kenntnis der Poesie beschränkt sich mehr oder weniger auf das, was er mir erzählt.

    Selbstverständlich hatte er mir (schon vor meiner Begegnung mit diesem Hörbuch) von Jan Wagner, dem vielfach ausgezeichneten Lyriker erzählt. Auf dessen Wikipedia-Seite hat die Rubrik "Auszeichnungen" übrigens 30 Einträge, darunter zum Beispiel der Anna-Seghers-Preis (2004), der Ernst-Meister-Preis für Lyrik (2005), der Wilhelm-Lehmann-Preis (2009), der Friedrich-Hölderlin-Preis (2011) und zuletzt der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik (2015) für seinen Band "Regentonnenvariationen", von dem sich viele Gedichte auch auf den CDs dieses Hörbuchs wiederfinden.

    Das Hörbuch zog natürlich auf Wunsch meines Mannes hier ein, kurz nachdem das Buch Anfang Februar seinen Ehrenplatz ganz oben auf dem wackligen Nachttischstapel fand. Am Anfang hörte ich, ich muss es gestehen, nur mit einem Ohr zu, wenn er die CDs laufen ließ, aber es dauerte nicht lange, bis mich Jan Wagners Lyrik völlig gefangen nahm.

    Deswegen möchte ich mich in meiner Rezension nicht nur an die Connaisseure der Lyrik wenden, sondern ausdrücklich auch an Leser wie mich, die bisher eher Kostverächter waren, was Gedichte betrifft! Mich hat Jan Wagner mit seinen Gedichten mühelos überzeugt, dass Lyrik nicht nur zum Nachdenken anregen, sondern auch Spaß machen kann (und darf).

    Viele seiner Gedichte sind kurze, prägnante Momentaufnahmen, auf das Wesentliche reduziert und verdichtet, während andere kleine Geschichten erzählen, die das Außergewöhnliche zeigen - und das Gewöhnliche aus außergewöhnlichen Blickwinkeln. Ich habe öfter gelacht, manchmal gestutzt, gelegentlich die Stirn gerunzelt, aber immer einen Nachhall in mir verspürt. Viele Gedichte erzählen ihre Geschichten mit feinem Humor und Wortwitz, der meines Erachtens nie platt oder abgedroschen wird, während andere leichthin Themen wie Tod und Vergänglichkeit ansprechen.

    Man kann den Satz "Jan Wagners Gedichte sind..." nicht mit einem Wort beenden, denn sie sind vieles: witzig, feinsinnig, elegant, hintergründig, überraschend, pointiert... Er spielt virtuos mit der Sprache, mit Wortklang und Rhytmus - aber auch mit den Erwartungen des Lesers bzw Hörers.

    Da finden sich Haiku (Kurzgedichte japanischer Form) wie dieses

    "bleib, sprach das dunkel,
    und dein gesicht löst sich auf
    wie ein stück zucker."
    (aus "Regentonnenvariationen")

    genauso wie augenzwinkernde Wortakrobatik:

    "trägt sein gebirge übern paß,
    bepackt mit seide, einem sack
    voll reis, gerät auf schmalstem grat,
    nicht aus dem tritt, dem takt; vorbei
    am flugzeugwrack, der yetispur,
    in seinem stall himalaya,
    vor weißgezackten gipfeln: yak."
    (Auszug aus "lamento mit yak")

    Autoren sind nicht unbedingt automatisch die besten Sprecher für Vertonungen ihrer Bücher, aber Jan Wagner liest mit einer sehr angenehmen Sprechstimme und Sprachmelodie. Auch das Tempo ist meiner Meinung nach genau richtig: Zeit genug, das Gehörte sacken zu lassen, aber nicht schleppend.

    Fazit:
    Dürfen Gedichte unterhaltsam sein? Absolut! Die Gedichte von Jan Wagner kann man ganz feierlich im ruhigen Lesezimmer hören und danach wirken lassen, sich aber auch zwischendurch im Auto auf dem Weg zum Bäcker vorlesen lassen (und das ganz wunderbar). Sie fordern zum Mitdenken und Hinterfragen auf, auch zum Schmunzeln, immer aber zum genauen Hinschauen.

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