Sein Sohn

Buchseite und Rezensionen zu 'Sein Sohn' von Charles Lewinsky
4.25
4.3 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Sein Sohn"

Louis Chabos wächst in einem Kinderheim in Mailand auf. Nachdem er in Napoleons Russlandfeldzug den Krieg kennengelernt hat, möchte er nur noch eins: endlich zu einem menschenwürdigen Leben finden und Teil einer Familie werden. In Graubünden erlangt er ein kleines Stück des erhofften Glücks. Doch das verspielt er, als die Sehnsucht nach dem unbekannten Vater ihn nach Paris ruft und er zwischen Prunk und Schmutz seine Bestimmung sucht.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072105

Rezensionen zu "Sein Sohn"

  1. Wäre weniger in diesem Fall mehr?

    "Sein Sohn" von Charles Lewinsky ist der erste Roman, den ich von Lewinsky las. Ich hatte es zuvor mal mit "Melnitz" probiert, wofür aber der Zeitpunkt ungünstig gewählt war, so dass ich die Lektüre schnell abbrach. Umso neugieriger war ich auf den neuesten Roman des Autoren. 

    Lewinsky entführt die Leserschaft in die Zeit Napoleons. Louis Chabos wächst in einem Mailänder Kinderheim auf. Nach Erfahrungen mit den Schrecken des Krieges sehnt sich Louis vor allem nach einem menschenwürdigen Leben und einer Familie. Die Sehnsucht nach seinem unbekannten Vater treibt ihn an, bis sie ihn am Ende bis nach Paris führt. Zwischendrin begleiten wir Louis durch die unterschiedlichsten Situationen seines Lebens. Daber scheint es, dass oft der Zufall entscheidet, welchen Weg er zukünftig einschlagen wird. Alles läuft auf die eine Frage zu: Wo sind Louis Wurzeln?...

    Der Roman ist sehr temporeich erzählt. Ich hatte das Gefühl, permanent von einer Situation in die nächste geschleudert zu werden. Nirgendwo konnte man verweilen und wieder zu Atem kommen. In diesem Fall hat mich das Tempo sehr gestört, vor allem, da leider nichts nachhallte und mich weiter beschäftigte. Sehr schade! Ich hätte mir hier mehr Tiefgang gewünscht, gegebenfalls mehr Konzentration auf entscheidende Passagen im Leben von Louis. Weniger wäre für mich persönlich dann mehr gewesen. So hetzte ich durch den Roman, um am Ende vom Tempo niedergeschlagen und etwas frustriert, das Buch am Ende erleichtert zur Seite zu legen. Dennoch ist es eine flüssig erzählte Geschichte, die -vom Tempo einmal abgesehen - gut zu lesen ist. Der Autor kann schreiben, weswegen ich auch gerne noch einmal ein anderes Werk, wahrscheinlich dann noch einmal "Melnitz", von ihm lesen würde. Ich bin aber sicher, dass Lewinskys neuer Roman seine begeisterte Leserschaft finden wird. Für den Moment bleibe ich in diesem Fanclub noch außen vor. 

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  1. 4
    03. Okt 2022 

    Ein historischer Roman wie im Zeitraffer geschrieben...

    Wer sagt, dass historische Romane immer dicke Schinken sein müssen? Das ist in der Tat häufig so und mit einer der Gründe, weshalb ich von diesem Genre in der Regel die Finger lasse. Dass es auch anders geht, beweist Charles Lewinsky mit diesm Roman, der wie im Zeitraffer geschrieben wurde und doch nichts vermissen lässt. Großes Kino!

    Louis Chabos wird 1794 geboren und wächst anschließend in einem Mailänder Kinderheim auf - 18 Jahre wurde für ihn im Voraus gezahlt, von wem auch immer. Chronologisch wird von einem auktorialen Erzähler über das Leben des Louis berichtet, wobei er jeweils einzelne bedeutsame Szenen auswählt und von da aus weiterspringt, manchmal sehr rasch, und z.T. gleich mit einem Sprung über mehrere Jahre. Mit der Verarbeitung von traumatischen Ereignissen hält sich Charles Lewinsky jedenfalls nicht auf - so war es damals eben. Hier zählt das reine Überleben.

    Der Lebensweg des Louis ist alles andere als stringent, der Zufall entscheidet häufig über den weiteren Fortgang. So gibt es bereichernde Begegnungen, aber auch einschneidende Erlebnisse, die dem jungen Mann sehr zu schaffen machen. Nach schrecklichen Kriegserlebnissen in Russland, die Louis fast den Lebensmut kosten, sehnt er sich nach einem ruhigen Leben und findet dies in Graubünden in der Schweiz. Sein offenes, freundliches Wesen schmälert das Misstrauen der Bewohner des kleinen Dorfes, und so erlebt Louis erstmals so etwas wie ein friedliches Zuhause.

    Schließlich treibt es ihn aber wider alle Vernunft weiter, eine Spur seines Vaters scheint gefunden, Louis will ihn aufsuchen und kennelernen. Der Weg für ins laute, schmutzige, choleraverseuchte Paris mit seinen vielen armen Menschen. Doch Louis lässt sich in seinem Weg nicht beirren...

    Der häufig stakkatomäßig anmutende Schreibstil in kurzen Hauptsätzen passt zu dem enormen Tempo, in dem die dialoglastige Geschiche erzählt wird. Der Roman ist flüssig, süffig und spannend zu lesen, die Figuren sind aufgrund der Schnelligkeit der Erzählung oftmals nur oberflächlich gezeichnet, wirken aber trotzdem interessant. Atmosphärisch ist der Roman in meinen Augen jedenfalls sehr gelungen.

    Einzig den letzten Abschnitt in Paris empfand ich als zu gehetzt angesichts der vor Menschen und Eindrücken überbordenden Stadt. Und die Figurenentwicklung von Louis in diesem letzten Abschnitt war in meinen Augen zu krass, relativiert allerdings durch die Bemerkung einer Teilnehmerin der Leserunde, dass ein bestimmtes Ereignis tatsächlich stattgefunden habe und wohl noch in der Geschichte platziert werden sollte.

    Eingebettet ist die frei erfundene Geschichte in zahllose reale historische Bezüge, die zum Nachforschen im Internet anregen. Dabei versäumt es Lewinsky auch nicht, Kritik an politisch-gesellschaftlich-wissenschaftlichen Entwicklungen der damaligen Zeit zu äußern sowie erkennbar aktuelle Bezüge zur Gegenwart einzustreuen (Flüchtlingsproblematik, Pandemiegeschehen). Schöne Merksätze gibt es obendrauf.

    Flankiert wird der Roman durch eine Rahmenhandlung: das erste Kapitel schließt im Grunde an das letzte an, so dass der Leser / die Leserin bereits vorab weiß, wie der Roman endet. Die letzten vier Zeilen des letzten Kapitels sind zudem die ersten vier des ersten Kapitels, was ich als einen besonders gelungenen Kniff empfand.

    Lewinsky ist ein Geschichtenerzähler in bestem Sinne. Wie die Notiz auf der allerletzten Seite des Romans verrät, gab es vor Beginn des Schreibens nur eine einzige gesicherte Information. Alles andere ist Erfindung. Hut ab!

    © Parden

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  1. Unstillbare Sehnsucht

    Charles Lewinsky sucht sich nach eigenem Bekunden für seine Romane Stoffe, nicht Epochen. Deswegen ist "Sein Sohn" mehr noch zeitlose Geschichte vor bunt koloriertem historischem Hintergrund als historischer Roman. Über das real existierende Vorbild für den Protagonisten ist nur bekannt, dass er im Dezember 1794 geboren, in einem Waisenhaus in Mailand abgegeben wurde, wo sich seine Spur verliert, und wer seine Eltern waren. Damit hatte Charles Lewinsky alle Freiheit, Louis Chabos, wie er ihn nennt, ein ganzes Leben zu schenken mit zahlreichen Ortswechseln, vielen Schicksalsschlägen, aber auch unverhofften Höhen und vor allem mit einer übermächtigen Sehnsucht nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit.

    Dramatischer Beginn
    Louis Chabos‘ Start ins Leben hätte kaum schwieriger verlaufen können: Zuerst überlebt er nur knapp eine Fußgeburt, dann brennt die Amme durch. Nur der Platz im Waisenhaus ist ihm wegen des für 18 Jahre im Voraus bezahlten Kostgelds garantiert. Von den anderen Kindern geschlagen und gemobbt, lauscht der kleine, zierliche Junge ungläubig dem Märchen vom Waisenknaben, der sich als Königskind entpuppt und – wichtiges Detail – von seinem Vater per Herold gesucht wird.

    Nach zwölfjährigem Martyrium wendet sich Louis Chabos‘ Schicksal, als ihn ein verarmter Marchese aufnimmt und ihm beibringt, was er zum Überleben braucht: Manieren, Wehrhaftigkeit, Selbstbewusstsein und den Umgang mit der Angst.

    Auf und Ab
    Es folgen Jahre als jugendlicher Landstreicher unter anderen Außenseitern und als 15-jähriger Soldat im Elend von Napoleons Russland-Feldzug, die Rückkehr als Versehrter, Hoffnungslosigkeit, aber immer wieder eine helfende Hand und vor allem ein neues Ziel: die Herkunft klären, die Eltern finden. Was ihm zunächst das Leben rettet, wird zur fixen Idee, die Louis Chabos tragischerweise auch nicht aufgeben kann, als er in Ziziers im Kanton Graubünden sein Glück finden. 1830 folgt er einer Spur nach Paris, in die Stadt der Revolution, der Cholera und des neuen Bürgerkönigs Louis Philippe:

    "Wenn man auf einem Zusammensetzspiel plötzlich ein Bild erkennt, müssen die Teile in der richtigen Ordnung liegen." (S. 268)

    Spannend und unterhaltsam erzählt
    Charles Lewinsky schildert den historischen Hintergrund und das Schicksal eines Mannes auf der Suche nach seinen Wurzeln so fesselnd und lebendig, dass man sich bei der Lektüre mittendrin im Waisenhaus, im Gefängnis, im Krieg, im Hinterzimmer eines Apothekers, in der Psychiatrie oder bei den Pariser Lumpensammlern fühlt. Ich habe mitgefiebert, obwohl das Einstiegskapitel nichts Gutes verheißt, hätte Louis Chabos gern zugerufen, sein Glück nicht für eine Idee aufs Spiel zu setzen, aber nichts und niemand ihn hätte abhalten können.

    "Sein Sohn" ist ein spannender, routiniert erzählter, tragischer und doch oft komischer Roman mit hohem Unterhaltungswert. Die 106 kurzen Kapitel entfalten einen Sog und fliegen geradezu vorbei, die Handlung schreitet temporeich in großen Schritten vorwärts, Geschichte reiht sich an Geschichte und die bis zum Äußersten verknappten Sätze in moderner Sprache sind leicht lesbar. Auch wenn der Roman für mich nicht an Charles Lewinskys herausragendes Buch "Melnitz" heranreicht und nicht ganz die Originalität von "Der Halbbart" aufweist, kann ich ihn doch als vergnügliche, garantiert nie langweilige Lektüre für eine breite Leserschaft sehr empfehlen.

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  1. Das Leben des Louis Chabos

    Das Leben des Louis Chabos

    Charles Lewinsky ist mir bereits durch seinen Roman "Der Halbbart" bekannt. Da ich damals sehr angetan war von der Lektüre, wollte ich natürlich sehr gern sein neues Werk kennenlernen. So viel gleich vorweg, es hat mir wieder sehr gut gefallen. Lewinsky hat eine sehr unbeschwerte und unaufgeregte Art zu schreiben.

    Er erzählt zügig und dennoch spannend die Geschichte des Louis Chabos. Dieser wurde als Säugling im Martinit, einem Waisenhaus abgegeben. Sein Aufenthalt wurde bis zum 18. Lebensjahr im voraus bezahlt. Eine Situation, die die Oberste natürlich sehr erfreut hat. Ansonsten wirkte es mich nicht so, als ob ihr ihre Zöglinge sonderlich am Herzen lagen.
    Louis ist klein und schmächtig, und daher oft die Zielscheibe der anderen Insassen des Heims. Erst als er in den Dienst des Marchese tritt, gewinnt er an Lebensfreude und bekommt sehr viele Weisheiten des alten Herren anerzogen. Die Zeit dort mit dem alten Adeligen war nicht nur lehrreich, er impfte ihm auch eine dringend notwendige Portion Selbstbewusstsein ein. Als dieser stirbt und im Heim ein gemeiner Anschlag gegen Louis angezettelt wird, macht er sich Klamm heimlich aus dem Staub.
    Ein Umweg, der unter anderem über das Militär führt, bringt ihn irgendwann nach einigen Irrungen in ein kleines Städtchen, auf den Spuren seiner Mutter, wo er endlich Fuß fassen kann, und von Menschen umgeben wird, die ihn schätzen lernen. Er gründet eine Familie, doch seine eigenen Wurzel lassen ihm keine Ruhe. Seine Mutter ist in der Nähe untergebracht, doch sie lebt in der Vergangenheit, einen Bezug kann Louis so nicht mehr zu ihr aufbauen, da sie ihn nicht erkennt, sondern ihn für seinen Vater hält. So ist es eigentlich nur logisch, dass auch irgendwann der Drang seinen Vater zu finden in ihm wachsen wird……

    Hier an dieser Stelle zu verraten wer der leibliche Vater von Louis ist, würde zu viel von der Handlung vorweg nehmen.
    Das Ende und der Anfang schließen sich zu einem Kreis und als Leser kann man sich zurücklehnen und diese Geschichte im Nachhinein erneut Revue passieren lassen. Ein wirklich angenehmer Zeitvertreib, den ich sehr genossen habe. Für mich steht nach diesem Roman fest, dass ich definitiv weitere Bücher des Autors lesen werde. Absolute Leseempfehlung!

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  1. Packende Mischung aus Historie und Fiktion

    Charles Lewinsky ist ein unglaublich vielseitiger und versierter Erzähler. Es gibt kaum einen Stoff, aus dem er nicht eine fesselnde Geschichte zaubern kann. Gern nutzt er historische Figuren als Aufhänger, so auch in seinem jüngsten Roman „Sein Sohn“. Protagonist Louis Chabos wird 1794 als Kind einer ledigen Mutter geboren und wächst in einem Mailänder Waisenhaus auf. Das Kostgeld wird von unbekannter Seite auf 18 Jahre im Voraus entrichtet. Louis gehört dort zu den Kleinen und Schwachen, entsprechend schwer ist sein Stand, so dass er einiges an Schikanen während seiner Kindheit ertragen muss. Doch mit dem 12. Geburtstag ist das erst einmal vorbei. Er darf bei einem Gönner des Heims, Herrn Marchese, in die Lehre gehen. Der alte Mann trägt das Herz am rechten Fleck und bringt dem Jungen weit mehr bei, als für einen Diener notwendig ist, er wird für Louis zum väterlichen Vorbild und stählt ihn fürs Leben.

    Dasselbe geht höchst wechselhaft weiter. Nach dem Tod des Marchese treibt es Louis heimatlos in die Welt hinein. Dabei lernt er interessante Menschen kennen. Die Zeiten sind hart. Überall leiden die einfachen Menschen Hunger und werden von den Wohlhabenden ausgenutzt. Vom Weinberg spült es Louis in die Stadt, dann ins Gefängnis, schließlich in die französische Armee. Als versehrten Kriegsveteran speit ihn der Krieg lebensmüde wieder aus…

    Lewinsky erzählt schnell, fast atemlos. Fast jedes der kurzen Kapitel erzählt eine Station in Louis´ bewegtem Leben. Die Handlung könnte leicht auf das doppelte Seitenvolumen ausgedehnt werden, doch es fehlt nichts. Man kann der Handlung leicht folgen. Die Figuren werden mit Hingabe gezeichnet. Jede hat ihre Individualität, ihren eigenen Charakter. Die Szenen wirken sehr bildlich, die Dialoge fügen sich wunderbar ein. Immer wieder blitzt Weisheit und Lebensklugheit aus den Formulierungen hervor. Ganz beiläufig und lakonisch streut Lewinsky sie ein, so dass man kurz innehält und denkt: Stimmt, recht hat er.

    Louis ist der Sympathieträger. Dank seiner Fertigkeiten, die er als Diener gelernt hat, kommt er durchs Leben. Wenn es besonders brenzlig wird, oder er die Hoffnung gänzlich zu verlieren droht, reicht ihm jemand die Hand und hilft ihm weiter. Manche Wendung wirkt durchaus märchenhaft, doch man gönnt es dem jungen Kerl. Was ihm zunächst aus einer ernsten Krise heraushilft, wird später sein Verhängnis: die Suche nach den eigenen Wurzeln, insbesondere nach seinem Vater. Die Frage lässt ihn nicht los, wird seine Passion, sein Fanal. „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis!“, möchte man Louis zurufen, als er schließlich nach Paris aufbricht. Doch er hört nicht. So darf der Leser teilhaben an einer dramatischen Vatersuche in der von Hunger und Krankheit gepeinigten französischen Metropole. Hier nimmt der Roman noch einmal richtig Fahrt auf, als Louis glaubt, seinen Erzeuger endlich gefunden zu haben.
    Mir persönlich ging die Wandlung des Louis Chabos etwas zu weit. Ich konnte seinen Ideen, seiner Obsession nicht in Gänze folgen, die Figur büßt in meinen Augen einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit ein. In einer Leserunde haben wir trefflich darüber diskutiert – die Meinungen gingen auseinander. Einig indessen waren wir uns, dass Lewinsky mal wieder einen kurzweiligen, spannenden und sehr lesenswerten Roman geschrieben hat, der ein breites Publikum anspricht.

    Der Mann kann es einfach. Er ist der geborene Geschichtenerzähler alter Schule. Der Roman ist schlüssig konzipiert, sein Anfang passt perfekt zum Ende. Lewinsky versteht es, die Schwere aus dem Text zu nehmen, ohne ihn zum Leichtgewicht zu machen. Er hat ein hervorragendes Gefühl für Historisches und skizziert authentische Schauplätze für seine Handlung. Dass er wie nebenbei auch Parallelen zieht zu sehr aktuellen Themen wie Flucht, Seuche, Isolation, Reisebeschränkungen und einigem mehr darf man seinem außerordentlichen Erzähltalent zu Gute halten.

    Der Roman kommt meines Erachtens nicht ganz an Lewinskys große Werke „Melnitz“ oder „Der Halbbart“ heran. Deshalb muss ich ihm den fünften Stern leider versagen. Trotzdem: Große Leseempfehlung und ein ideales Geschenkbuch!

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  1. Auf der Suche nach dem unbekannten Vater

    Früher, also sehr viel früher, da saßen wir um ein Lagerfeuer und haben uns Geschichten erzählt. Manchmal kann man es noch bei unseren Kindern beobachten, dass sie vor dem Zubettgehen ein Geschichte hören wollen. Ab und zu kommt es vor, dass wir uns nach der Geborgenheit des Lagerfeuers sehnen und dann ist es Zeit, einen Meister seines Fachs zur Hand zu nehmen und abzutauchen. Abzutauchen in eine Welt, nicht allzu lang vor unserer Zeit und nicht allzu weit von uns fort.

    Louis Chabos hatte keine leichte Geburt. Unter Qualen und mit dem unzureichenden Wissen der Medizin um die Wende des 18. ins 19 Jahrhundert, gebar ihn seine Mutter, sein und ihr Leben aufs Spiel setzend. Das kleine Bündel Mensch wurde ihr sofort genommen und in ein Mailänder Kinderheim verbracht. Die Gebühr wurde für 18 Jahre im Voraus bezahlt und so legte niemand Wert darauf, dass der kleine Louis groß und stark wurde.

    Sein Prellbockdasein hat erst mit 12 Jahren ein Ende, als die Mutter Oberin des Heims beschließt, dass Louis etwas lernen und arbeiten soll.
    Louis lernt seinen ersten Menschen außerhalb des Heims kennen, den Marchese, und er meint es gut mit dem Jungen, auch wenn es anfänglich nicht so aussieht. Leider verstirbt sein erster Mäzen recht bald. Zurück im Heim erkennt Louis, dass es eine Welt draußen zu entdecken gibt, weit weg von Demütigungen und Hunger. Er haut ab.

    Lewinsky erzählt von seinen Begegnungen auf seiner Wanderschaft, lässt Louis in Napoleons Truppen mitmarschieren, hilft ihm, an Seele und Körper gebrochen, wieder ins Leben zurück, um ihn schließlich auf die Spur der Suche nach seinen leiblichen Eltern zu helfen. Dabei legt der Autor ein atemberaubendes Tempo vor, denn schließlich will ein ganzes Leben, von der Wiege bis zur Bahre, auf 370 Seiten erzählt sein. Und trotz dem unvermeidlichen Ende, mit dem man gleich zu Beginn des Romans konfrontiert wird, bleibt Louis Leben spannend und bunt und treibt uns durch die Geschichte mit einer Detailtreue, die ein Herr Lewinsky äußerst gut beherrscht.

    Denn es gab wirklich einen Louis Chabos und er wurde 1794 geboren und in einem Mailänder Waisenhaus abgegeben. Seine Mutter war eine Köchin in Graubünden, wo sie wohl auch die schicksalschwere Begegnung mit Louis Vater hatte. Das sind die Fakten und wenn ihr eine wirklich gute Geschichte dazu hören wollt, dann seid ihr bei Charles Lewinsky an der richtigen Adresse. Eine lebendige Erzählung, voller interessanter Figuren vor einem glaubhaften Hintergrund, mit stakkatohafter Eile dem Stillstand entgegenwirkend, als ob es noch so viel zu erzählen gäbe, bevor die Sanduhr durchgelaufen ist.

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  1. 5
    25. Sep 2022 

    Das Auf und Ab des Louis Chabon

    Dass Charles Lewinsky ein versierter Geschichtenerzähler ist, beweist er erneut mit seinem aktuellen Roman „ Sein Sohn“. Obwohl dieser nicht den Umfang von „ Melnitz“ oder „ Der Halbbart“ hat, die zwei erfolgreichsten Bücher des Autors, so erzählt er doch ein pralles Menschenleben von der Geburt bis zum Tod.
    Die Figur des Louis Chabon ist historisch verbürgt, wie wir in einer kurzen Anmerkung am Ende des Buches erfahren. Allerdings weiß man außer seiner Abstammung kaum etwas von ihm. Charles Lewinsky blieb also genug Freiraum, um seine Phantasie spielen zu lassen.
    Im Dezember 1794 kommt Louis als Sohn einer Köchin zur Welt. Kurz darauf wird er in einem Waisenhaus in Mailand abgegeben; sein Kostgeld war schon für 18 Jahre im Voraus bezahlt. Louis ist ein schwächliches Kind, das unter den Schikanen der größeren Jungs zu leiden hat. Aber er hat Glück und kommt mit zwölf Jahren in Dienst zu einem alten Marchese. Der bringt ihm zuerst Manieren bei und vermittelt ihm später eine Portion Selbstbewusstsein.
    Doch nach dem Tod seines Gönners muss Louis seinen eigenen Weg finden. Es folgen harte Zeiten, in denen Louis auf der Straße lebt und sogar ins Gefängnis kommt.
    Schließlich meldet er sich freiwillig zur Armee und zieht mit Napoleons Truppen nach Russland. An Seele und Leib versehrt kehrt er zurück.
    Trotz allem ist das Glück erneut auf seiner Seite, denn er trifft Menschen, die es gut mit ihm meinen. In Graubünden, wohin ihn die Suche nach seinen Eltern getrieben hat, wird er endlich sesshaft. Als angesehener Bürger lebt er einige Jahre glücklich mit seiner Frau , der gemeinsamen Tochter Mia und Laurin, einem Findelkind.
    Doch dann findet sich ein Hinweis, dass sein Vater Frankreichs „ Bürgerkönig“ Louis Philippe ist. Jener war auf seiner Flucht vor den Wirren der Französischen Revolution für kurze Zeit unter dem Namen Chabon als Französischlehrer in Reichenau und hat eine junge Köchin geschwängert.
    Als der König auf Louis Briefe nicht reagiert, beschließt dieser, selbst nach Paris zu reisen, in der Hoffnung, seinen Vater zu treffen. Doch in Paris wütet die Cholera.

    Mit viel Tempo erzählt Charles Lewinsky seine Geschichte, das muss er, wenn er auf nicht mal 400 Seiten ein ganzes, äußerst ereignisreiches Leben unterbringen will. Denn die Lebensgeschichte des Louis Chabon bietet Stoff und Dramatik genug, die Figuren hätten das Potential für mehr.
    Aber Charles Lewinsky erzählt zwar streng chronologisch ( wenn man vom Eingangskapitel absieht, das mit dem Schlusskapitel eine Klammer bildet ), doch er beschränkt sich auf einzelne Episoden, greift in kurzen Kapiteln schlaglichtartig Schlüsselszenen auf.
    Die Geburt des Jungen ist eine Lehrstunde der Gynäkologie, Anschauungsunterricht für angehende Ärzte. Was es heißt, im 18. Jahrhundert in einem Waisenhaus aufzuwachsen, wird danach auf wenigen Seiten geschildert. Und dann gelingt es dem Autor, mit kurzen Szenen die Schrecken und die Unsinnigkeiten eines Krieges ausdrucksvoll darzustellen. Drastisch beschreibt Lewinsky, welche furchtbaren Auswirkungen das „ Jahr ohne Sommer“ für die einfache Bevölkerung hatte und was sich in den Straßen von Paris während der Cholera abspielte. Bei all dem geschichtlichen Hintergrund lassen sich immer mal wieder Bezüge zur Gegenwart herstellen, ohne dass der Autor darauf explizit verweisen muss.
    Neben dem anschaulichen Gesellschaftsportrait ist „ Sein Sohn“ aber v.a. ein Entwicklungsroman. Als Leser begleitet man den Protagonisten auf seinem Weg. Man leidet mit ihm, will ihn bewahren vor falschen Entscheidungen. Gerade zum Ende hin, als die Vatersuche für ihn zu einer fixen Idee wird und Louis sein ganzes Glück aufs Spiel setzt. Andererseits kann man verstehen, dass die Kenntnis der eigenen Wurzeln wichtig für ihn sind. Zur wirklichen tragischen Figur wird Louis am Schluss. Das Bewusstsein seiner Selbst kommt im Grunde zu spät. „ Louis war kein Kind mehr. Er war Louis Chabons. Der Mann von Seraina. Der Vater von Laurin und Mia. Er brauchte diesen König nicht.“
    Auch die zahlreichen, z.T. skurrilen Nebenfiguren, die manchmal nur einen kurzen, aber prägnanten Auftritt haben, bleiben im Gedächtnis.
    Lewinsky erzählt sinnlich und in einer schönen Sprache. Pointierte Dialoge, Sätze voller Weisheit und Humor tragen außerdem zur Lesefreude bei.
    „ Sein Sohn“ ist ein packendes und berührendes Porträt eines Menschen und einer ganzen Epoche, spannend und unterhaltsam, ein absolutes Lesevergnügen für jeden.

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  1. Das außergewöhnliche Leben des Louis Chabos

    Von Stefan Zweig ist der Spruch ‚Wer seine Wurzeln nicht kennt, kennt keinen Halt‘ überliefert. Somit ist es für jeden Menschen fast zwingend notwendig, nach den eigenen Wurzeln zu suchen. (Und ich verrate wahrscheinlich nichts Neues, wenn ich erzähle, dass sich das im Alter noch steigert - nicht umsonst betreiben so viele ältere Herrschaften Ahnenforschung, wir übrigens auch!)

    Doch jetzt zum Protagonisten ‚Louis Chabos‘: nach einer schweren Geburt am 16.12.1794, in einem Waisenhaus in Mailand aufgewachsen (die Gebühr wurde für ihn 18 Jahre im Voraus bezahlt), hat er mit den verschiedenen Personen, auf die er nach seinem 12. Geburtstag trifft, großes Glück: sie helfen ihm und jeder bringt ihn auf seine eigene Art einen Entwicklungsschritt weiter - Louis kommt aber auch einfach mit seiner sympathischen Art gut an!

    Aber nicht nur seine spannende, abwechslungsreiche Lebensgeschichte fand ich sehr gut erzählt, sogar richtig süffig, sondern mich begeisterten auch die ganzen beeindruckenden Charaktere der Nebenrollen, der geschichtliche Hintergrund und auch die vielen lebensklugen Sätze, die sich dafür eignen, an die Wand gehängt zu werden. So erlebt der Lesende nicht nur verschiedene Handlungsorte im 19. Jahrhundert wie z.B. das Waisenhaus in Mailand, den französischen Rückzug in Russland, sondern auch – durch die Suche nach den Eltern bedingt - das ländliche Leben in Graubünden (inklusive dem – damals schon - traditionellen Gebäck ‚Totenbeinli‘, das beim Leichenschmaus gereicht wird) und natürlich Paris, wo die Cholera wütete.

    In kurzen, knappen Kapiteln eingeteilt, las sich das Buch wie in einem Rausch. Mit den letzten drei Seiten schließt sich auch der Kreis zu den ersten drei - ein genialer Schachzug! Und dieses Werk wäre nicht von Charles Lewinsky, wenn der aufmerksame Leser nicht zwischen den Zeilen lesen und auch Parallelen zur jetzigen Zeit entdecken könnte. Es regt außerdem an, sich näher mit den geschichtlichen Ereignissen zu beschäftigen.

    Das Buch ‚Sein Sohn‘ war einfach ein Genuss und ich bedauerte sehr, als ich es schließen musste. (Es hätte ruhig noch ein paar Hundert Seiten mehr haben dürfen!) 5 begeisterte Sterne vergebe ich und empfehle es allen, die Freude an interessanten und spannenden Geschichten mit historischem Hintergrund haben!

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  1. Ein echter Lewinsky

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    Cover des Buches Sein Sohn (ISBN: 9783257072105)Christian1977s avatar
    Rezension zu Sein Sohn von Charles Lewinsky
    Ein echter Lewinsky
    von Christian1977 vor 11 Stunden

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    Christian1977s avatar
    Christian1977vor 11 Stunden
    Mailand, zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Im Waisenhaus Martinitt fristet der kleine Louis Chabos ein unglückliches Dasein. Von den größeren Jungen wird er drangsaliert, und auch von den Erwachsenen erfährt er keine Liebe. Als ihn die Mutter Oberin an seinem zwölften Geburtstag zu sich ruft, ahnt er noch nicht, dass sich sein Leben in den nächsten Wochen und Monaten komplett ändern wird. Denn nun, da er "erwachsen" ist, ist es Zeit für seinen ersten Job. Beim alten Marchese wird er fortan als Diener eine neue Moral und die Werte des Lebens kennenlernen. Und erfährt erstmals so etwas wie Respekt und Zuneigung...

    Der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky sagte auf einer Lesung zu seinem damaligen Roman "Der Stotterer" einmal, sein Ziel sei es, mit jedem seiner Bücher eine ganz neue Geschichte zu erzählen. Bei Diogenes ist nun sein aktueller Roman "Sein Sohn" erschienen - und erneut gelingt es Lewinsky, aus einer minimalen historischen Information eine ganze Lebensgeschichte zu entwickeln.

    "Sein Sohn" ist eine Mischung aus historischem Coming-of-Age- und klassischem Abenteuerroman, die sich weniger durch sprachliche oder literarische Extravaganzen als durch die Kunst des Erzählens selbst auszeichnet. Denn dass Lewinksy ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, stellt er mit diesem Werk einmal mehr eindrücklich unter Beweis.

    Hervorzuheben ist dabei, wie es Lewinsky gelingt, die Leserschaft an den Protagonisten Louis Chabos zu binden, diesem Jungen und Mann, auf der Suche nach sich selbst und nach seinen Eltern. Denn obwohl die Sätze kurz und knapp sind, die Sprache des auktorialen Erzählers eher distanziert ist, leidet und hofft man als Leser:in mit diesem Louis. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse, die ihm in den Weg gelegt werden, hat man das Gefühl, dass Louis nie verloren ist, dass es immer eine helfende Hand gibt, die ihm aus dem Schlamassel befreit.

    So folgt man Louis Chabos auf seinem gesamten Lebensweg, den Lewinksy episodenhaft erzählt. Besonders gelungen ist der Beginn, wo sich Louis' Geburt direkt an eine einleitende Beerdigunsszene anschließt. Selten lagen in der Literatur Tod und Geburt so nah beieinander.

    Ständig tauchen im Anschluss neue Nebenfiguren auf, die für Louis' Werdegang mal mehr, mal weniger wichtig sind. Gerade in Louis' Kindheit fühlte ich mich dadurch häufig an die Serie "Sans Famille" nach dem Roman von Hector Malot erinnert. Und so schnell, wie die Charaktere auftauchten, sind sie auch schon wieder verschwunden, denn Lewinsky legt ein fast schon abenteuerlich schnelles Erzähltempo vor. Dies ist sogleich Vor- und Nachteil des Buches. Einerseits sorgt das temporeiche Erzählen für kurzweilige und spannende Unterhaltung, doch andererseits fehlt den Nebenfiguren dadurch auch ein wenig Tiefe. Man ist geneigt, sie recht schnell wieder zu vergessen. Sprachlich gestaltet sich der Roman in diesen Phasen relativ einseitig. Kurze pointierte Hauptsätze wechseln sich vor allem mit Dialogen ab.

    An zwei Stellen experimentiert Lewinsky mehr mit der Sprache und entwickelt sogleich etwas Rauschhaftes. In einer Nahtoderfahrung Louis' verschwimmen plötzlich die Grenzen des linearen Erzählens und all seine Erinnerungen wirbeln nicht nur den Helden durcheinander, sondern auch die Leser:innen, die blitzlichtartig gewisse Dialoge und besonders wichtige Stellen noch einmal und dadurch Louis' Rausch selbst miterleben. Eine sehr gelungene Extravaganz, von denen ich mir durchaus mehr gewünscht hätte.

    Dennoch ist "Sein Sohn" alles andere als eine Enttäuschung. Die Geschichte ist spannend genug, um die knapp 400 Seiten zu tragen, vermutlich hätte sie selbst die doppelte Seitenanzahl gut ausgefüllt. Denn ein echter Lewinsky langweilt eben nie - und erzählt jedes Mal etwas ganz Neues.

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  1. 4
    20. Sep 2022 

    Von Söhnen und Vätern in Zeiten der Cholera

    Wenn man zu einem Buch von Charles Lewinsky greift ist es, wie wenn man einen guten Wein aus einer Winzerei bezieht, deren Qualität man kennt und lieben gelernt hat. Natürlich können sich die Weine aus verschiedenen Anbaujahren in ihrer Qualität leicht unterscheiden, trotzdem wird man keine schlechten Erfahrungen machen. Man weiß halt, worauf man sich einlässt.

    In seinem neusten Buch legt Lewinsky nach altem Rezept einen historischen Roman vor, der sich diesmal in der Zeit von Napoleons Herrschaft bis zu der von Louis-Philippe I., König von Frankreich, und dem Cholera Ausbruch in Europa. Wir begleiten von Geburt bis zum Tode den Protagonisten Louis Chabos; als Waisenkind in Mailand aufgewachsen, als Soldat mit der Armee Napoleons bis nach Russland marschiert, dann in der noch jungen Schweiz als Winzer und Weinhändler sesshaft und glücklich geworden und doch bis zuletzt gefährlich-wahnhaft auf der Suche nach seinen Eltern gewesen.

    Wie immer süffig und flott erzählt Lewinsky die Geschichte des Waisenjungen Louis, der bei viel erlebtem Elend doch immer wieder mit seiner freundlichen Art nette Menschen trifft, die ihm irgendwie weiterhelfen auf seinem Lebensweg durch Europa. So muss man selten richtige Angst um Louis haben und kann sich ganz auf die unterhaltsame Lektüre konzentrieren. Leicht erzählt uns Lewinsky von historischen Zusammenhängen, die durch die Romanform für die heutigen Leser:innen greifbarer denn je werden. Im Gegensatz zu einem Geschichtsbuch fiebert man oft richtiggehend mit Louis mit und hofft nur das Beste für ihn. Da man „einen Lewinsky“ liest, kann man sich während der Lektüre relativ sicher darauf verlassen, dass sich der Protagonist schon irgendwie durchwursteln und damit sehr charakteristisch ausgearbeitete Nebencharaktere treffen wird. Das macht auch dieses Buch zu Unterhaltungsliteratur mit historischem Hintergrund erster Güte.

    Sehr gut haben mir Querverweise auf der Metaebene innerhalb des Romans sehr gut gefallen. Hier erwähnt der Biograf eines Medizinprofessors, in dessen Biografie sollte die komplizierte Geburt von Louis ein extra Kapitel erhalten. Wir wissen zu diesem Zeitpunkt schon: Lewinsky hat das für ihn schon zu Beginn des Romans übernommen. Auch schließt sich mit dem letzten Kapitel des Romans der Kreis und man kann gleich noch einmal das erste Kapitel lesen. Sehr schön gemacht.

    Allein ein wenig gestört hat mich das mitunter doch sehr gehetzte Springen von einer Lebenssituation Louis‘ zur nächsten. Da hätte sich der Autor gern etwas mehr Zeit lassen und an der ein oder anderen Stelle etwas mehr in die Tiefe schreiben können. Da man diesen knapp 370 Seiten langen Roman im Handumdrehen weggelesen hat, hätte es auch nicht gestört, wenn ihn der Autor 200 Seiten länger oder gar doppelt so lang gemacht hätte. Er kann so flüssig schreiben, dass nie Langeweile aufkommt, ob nun über 370 oder 700 Seiten.

    Somit empfand ich die Lektüre des Romans wirklich als sehr unterhaltsam und trotzdem mit einem gewissen literarischen Anspruch. Im Vergleich zu den beiden Vorgängern „Der Stotterer“ und „Der Halbbart“ musste ich ob der rasanten Geschwindigkeit des Romans einen kleinen Abstrich machen, komme aber immer noch auf glatte 4 Sterne. Wieder einmal eine sehr lesenswerte Lektüre vom Autor Charles Lewinsky. Damit kann man eigentlich nichts falsch machen.

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  1. Die Geister, die ich rief

    Klappentext:
    „Louis Chabos wächst in einem Kinderheim in Mailand auf. Nachdem er in Napoleons Russlandfeldzug den Krieg kennengelernt hat, möchte er nur noch eins: endlich zu einem menschenwürdigen Leben finden und Teil einer Familie werden. In Graubünden erlangt er ein kleines Stück des erhofften Glücks. Doch das verspielt er, als die Sehnsucht nach dem unbekannten Vater ihn nach Paris ruft und er zwischen Prunk und Schmutz seine Bestimmung sucht.“

    Da ist er wieder - Charles Lewinsky ist, nach „Der Halbbart“, mit einem neuem Werk präsent. „Sein Sohn“ hat ebenfalls so einen gewissen „Zauber“ inne wie sein letztes Buch. Auch hier erleben wir anhand einer Kinderseele namens Louis einerseits ein Menschenschicksal aber eben auch eine geschichtliche Entwicklung aber und nun kommt das ABER, Lewinsky führt nicht den gleichen Stiefel hier weiter sondern sein Protagonist Louis Chabos darf natürlich seine eigene Geschichten durchlaufen. Diese ist sprachgewaltig, besonders und erfährt immer wieder Schnelligkeit aber auch das Gegenteil. Lewinsky lässt seine Figur all das durchleben was wir Menschen auch manches Mal verlangen aber was ist, wenn man es hat nach dem man giert? Wie verändern wir uns und wie entwicklen wir uns dadurch und machen unsere Erfahrungen? Louis scheint DIE Chance zu erhalten die man ihm gönnt aber er hat auch die Verpflichtung diese gekonnt und ein wenig wehmütig zu nutzen. Louis schöpft aber aus den Vollen und alles kommt anders. Sie wollen wissen was und warum? Lesen Sie dieses Werk! Es ist wahrlich eine Bereicherung und Lewinsky schafft es immer wieder den Leser zu fesseln. Er tut dies nicht nur mit seinen Worten sondern auch mit den Bilder die er mit Worten erzeugt und dem unweigerlichen Kopfkino. Er schreibt immens viel zwischen den Zeilen und man muss hier feinfühlig lesen, aufmerksam und die Worte genau interpretieren. Lewinsky bietet ebenfalls wieder Raum für eigene Gedanken. Die sind auch nötig denn Louis bringt einen manches Mal um den Verstand! Der Wechsel zwischen Reich und Arm, Gut und Böse ist so extrem gekonnt und hier und da auch scharfzüngig beschrieben, dass man nur sagen kann, Lewinsky hat einfach ein perfektes Gespür, seine Umgebung genau zu beobachten und diese aus der Zeit zu reißen und in fast lyrische Worte zu verpacken. Er vermag immer den richtigen Ton zu treffen und die Situationen bestens zu stricken und dennoch macht Louis hier was er will. Lewinsky zeichnet das Auf und Ab des Lebens in unverblümter Sprache, er zeichnet Emotionen wie kaum ein Anderer - 5 von 5 Sterne für dieses Werk!

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