Schwindlerinnen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Schwindlerinnen: Roman' von Kerstin Ekman
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Schwindlerinnen: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:448
EAN:9783492304245

Rezensionen zu "Schwindlerinnen: Roman"

  1. Die Welt will belogen sein

    "Lillemor, ich finde nicht, dass du das veröffentlichen solltest", sagt der Verleger Max zu seiner fast 80jährigen Autorin, "es ist so ganz anders als das, was du sonst schreibst." Und drückt ihr den Packen Blätter in die Hand. - In einem stillen Winkel einer Bibliothek macht sich Lillemor neugierig ans Lesen. Denn das Manuskript - sie nennt es fortan "paperasse" (= Papierkram) - ist ihr tatsächlich völlig neu. Obwohl ihr Name draufsteht!

    Das Rätsel, worum es hier geht, ist schnell gelöst: Die gefeierte Autorin Lillemor hat selbst nie etwas geschrieben. Vor vielen Jahren hat eine Bekannte, die unattraktive, etwas klotzige Barbro, genannt Babba, sie darum gebeten, eine von ihr (Babba) geschriebene Erzählung unter ihrem (also Lillemors) Namen einzureichen. Aus dem kleinen Betrug am Anfang entwickelte sich eine gemeinsame Schriftstellerkarriere, die in der Folge in allen Stationen referiert wird. Wir lesen Barbros "paperasse" kapitelweise im Wechsel mit Lillemors Kommentaren. Die beiden haben einen Autorinnennamen geteilt, sind aber recht gegensätzliche Persönlichkeiten. Wie ein Kritiker bei Amazon anmerkt: glamourös die eine, ruppig und struppig die andere. Doch das ist zu simpel ausgedrückt. Ekmans Charaktere sind nicht aus einem Guss, sondern gebrochen, widersprüchlich und von Sehnsüchten erfüllt - das gilt auch für Barbro, die sich im Lauf des Romans als lebenskluge, leidenschaftliche Person erweist. Nun hat Babba in diesem Roman, den sie - erstmalig - auf eigene Kappe unter Lillemors Namen an einen Verlag gesendet hat, den langjährigen Betrug aufgedeckt. Selbstverständlich wird Lillemor damit konfrontiert; es ist ja ihr Name, der auf dem Manuskript steht. Aber mit dessen Veröffentlichung würde sie sich selbst entlarven. Was kann sie tun?

    "Es war eine Frau, die sah eine große, dicke Kröte, welche gebären sollte. Die Frau sagte: Soll ich kommen und dir helfen, wenn es soweit ist? Es war natürlich ein Scherz. Eines Tages aber wurde die Frau zu einer Höhle unter einem Stein gerufen. Sie half dem Geschöpf, das kaum eine Kröte war, gebären. Und sie bekam Silberlöffel."(S.407)

    Ekmans Roman ist kein Thriller; eine reißerische Wendung sollte man nicht erwarten. Doch die zwei teils mit-, teils nebeneinander gelebten Leben, die uns präsentiert werden, haben ihre eigene Dramatik. Auf über 400 Seiten werden nicht nur zwei Frauenleben ausgebreitet, sondern eine ganze Sozialgeschichte des Literaturbetriebs. Und auch - nicht zuletzt - des Lesens.
    "Babba, die sich mit Sune über Literatur streitet. Politisches Denken sei systematisch-analytisch und schließe verworrene und widersprüchliche Teile der Wirklichkeit aus, (...) sagte sie einmal. Systematisch denkende Menschen schrieben Bücher, die gejäteten Beeten glichen. Man bekomme keinen Arthur Rimbaud oder James Joyce in einer gerechten und rechtschaffenen Volksbildungskultur wie der unsrigen. (...) Er erwiderte, dass er Analyse einem noch so literaturfördernden Gedankenwirrwarr vorziehe. 'Wirrwarr hast du ja trotzdem schon', sagte Babba. 'Freilich ist er nicht so umfassend, sondern läuft wohl vor allem darauf hinaus, dass etliche Bücher aus der Schulbibliothek rausgeschmissen werden sollen. Das wird nicht mehr lange dauern." (S.413)

    Jeder Versuch, die Detailfülle dieses bewundernswerten Romans anzudeuten, wäre unzulänglich. Einer der Kritiker bei Perlentaucher beschuldigt Kerstin Ekman der Geschwätzigkeit, und daran ist durchaus etwas Wahres. Es ist wohl zu viel an gelebtem Leben, was wir hier erlesen sollen. Doch worauf würden wir verzichten wollen? Lillemors Pilzesuchen (einschließlich beinahe naturkundlicher Beschreibungen aller Waldpflanzen), die hinreißenden Episoden Babbas mit ihrem trollhaften "Spielmann" Lasse, Lillemors trinkfeste Mutter, die piefige Atmosphäre in der Schwedischen Akademie, in die Lillemor (sehr gegen ihren Willen) gewählt wird? Es wäre naheliegend, in dieser Paarung Lillemor als die Stärkere anzusehen, weil sie diejenige ist, die im Rampenlicht steht. Aber ist das korrekt?

    Kerstin Ekman heißt übrigens mit zweitem Vornamen Lillemor. Aus der Schwedischen Akademie, in die sie 1978 berufen wurde (für Autorinnen eine Seltenheit), zog sie sich 1989 wieder zurück. "Hast du noch nie was von Autofiktion gehört? Das ist doch der letzte Schrei", sagte Lillemor auf der letzten Seite zu ihrem Verleger Max.

    Vielleicht sollte man nicht unbedingt mit diesem Roman beginnen, wenn man vorher noch nie etwas von Kerstin Ekman gelesen hat. Ich habe sie durch den Krimi "Geschehnisse am Wasser" kennen gelernt und war begeistert von ihren lebendigen, widersprüchlichen Hauptfiguren, ihren Milieuschilderungen aus dem ländlichen Leben in Schweden und insbesondere ihren bildhaften Naturschilderungen. "Schwindlerinnen" zeigt sie erneut als großartige Charakterdarstellerin. Über den Anteil der Autofiktion in diesem Buch kann jede Leserin nach Lust und Laune spekulieren - sicher hat sie selbst viel Spaß daran gehabt

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