Schatten der Welt: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Schatten der Welt: Roman' von Andreas Izquierdo
4.85
4.9 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Schatten der Welt: Roman"

Thorn in Westpreußen, 1910. Der schüchterne Carl, der draufgängerische Artur und die freche Isi sind frohen Mutes, dass der Ernst des Lebens noch ein wenig auf sich warten lässt. Nicht einmal die Nachricht, dass ein Komet namens »Halley« die Menschheit zu vernichten droht, kann die drei Jugendlichen schockieren. Im Gegenteil – ungerührt verkaufen sie Pillen gegen den Weltuntergang, während Halley still vorbeizieht. Doch das Erwachsenwerden lässt sich nicht aufhalten: Carl beginnt eine Ausbildung zum Fotografen, Artur und Isi werden ein Paar. Als 1914 die große Weltpolitik über sie hineinbricht, reißt es die Freunde auseinander. Artur und Carl werden eingezogen, fernab der Heimat werden die beiden Teil eines Kriegs, der jede Vorstellungskraft sprengt. Derweil hat Isi zuhause in Thorn ganz andere Kämpfe auszufechten. 1918 ist der Krieg endlich vorbei. Nichts ist geblieben, wie es einmal war – und doch scheint ein Neuanfang möglich ... Mitreißend und mit viel Gefühl für seine Figuren erzählt Andreas Izquierdo die Geschichte dreier Jugendlicher, die in den Wirren des frühen 20. Jahrhunderts ihren Weg suchen. ›Schatten der Welt‹ ist Abenteuerroman, Coming-of-Age-Geschichte und spannender historischer Roman zugleich.

Format:Broschiert
Seiten:544
Verlag:
EAN:9783832164980

Rezensionen zu "Schatten der Welt: Roman"

  1. Eine Freundschaft in schweren Zeiten

    Thorn in Westpreußen, 1910: Isi, Carl und Artur sind Freunde. So unterschiedlich sie von ihrer Art auch sind, sie wollen alle aus ihren ärmlichen Verhältnissen heraus. Doch es dauert nicht lange bis der 1. Weltkrieg anbricht und sie auseinanderreißt, denn die Jungen werden Soldaten und Isi bleibt zurück. Niemand hat sich vorstellen können, wie schrecklich dieser Krieg wird – nicht nur für die Soldaten an der Front, sondern auch für die Daheimgebliebenen.
    Andreas Izquierdo erzählt diese Geschichte einfach gefühlvoll und packend.
    Carl und Artur sind befreundet. Artur ist eher draufgängerisch, während Carl etwas zurückhaltend und verträumt ist. Dann stößt Isi dazu, die voller Ideen ist. Die drei gehören einfach zusammen. Als alle den Untergang der Welt sehen, weil der Halleysche Komt auftaucht, machen sie unbeeindruckt ihre Geschäfte. Carl macht eine Ausbildung zum Fotografen und aus Artur und Isi wird ein Paar. Doch die unbeschwerte Jugend ist schnell vorbei. Die Politik verändert das Leben.
    Als der Krieg dann zu Ende ist, gibt es Hoffnung auf einen Neuanfang und ein besseres Leben. Aber das Erlebte im Krieg lässt sich nicht einfach beiseiteschieben. Für die, denen es schon immer besser ging, hat sich nicht viel verändert. Dafür geht es den Armen noch schlechter. Unzufriedenheit macht sich breit.
    Isi, Carl und Artur kämpfen jeder auf seine Weise gegen die Ungerechtigkeiten der Zeit. Es ist schön mitzuerleben, wie sie sich weiterentwickeln.
    Mir hat diese Geschichte gut gefallen und ich habe mit den Protagonisten mitgelitten und mitgehofft.

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  1. Freundschaft fürs Leben

    Carl, Artur und Isi scheinen Freunde fürs Leben. Zusammengeschweißt bei einem kuriosen Gaunerstück, als 1910 der Halley’sche Komet erscheint. Die drei ergänzen sich und geben sich gegenseitig Halt. Läuft in ihren Familien nicht alles rund, sind sie sich gegenseitig Familie. Als 1914 der erste Weltkrieg ausbricht werden die drei auseinandergerissen, Carl und Artur ziehen in den Krieg, Isi bleibt zurück.

    Erzählt wird die Geschichte aus Carls Sicht. Er ist der ängstliche und am wenigsten wagemutigste der Gruppe. Als Jude läuft er immer unter dem Verdacht ein gewissenloser Geschäftemacher zu sein. Artur hingegen will mehr vom Leben als Sohn des Wagners zu sein. Er denkt sich allerlei wagemutige Aktionen aus, die meist erfolgreich für die Gruppe ausgehen. Dabei verdienen die drei soviel Geld, dass sie sich ein Geschäft aufbauen können. Doch als der Krieg anfängt ist es vorbei mit dem Geld verdienen. Artur und Carl erleben an der Front vieles was sich nicht mit den Vorstellungen eines heroischen Krieges vereinbaren lässt und Isi kämpft zu Hause darum, dass Frauen nicht noch mehr ausgebeutet werden. Alle müssen Verluste hinnehmen und gehen nicht ohne Blessuren aus dieser Zeit heraus.

    Schatten der Welt war mein erstes Buch von Andreas Izquierdo. Ich war von seinem Schreibstil sehr begeistert, trotz der teilweise unschönen Themen liest man immer weiter und durch die kurzen Kapitel denkt man sich oft: Eines geht noch. So fliegt man durch dieses Buch und fiebert mit den dreien mit.

    Die Geschichte beleuchtet das endende Kaiserreich von mehreren Seiten. Kaiserverherrlichung und Willkürherrschaft der Adeligen sind ein Thema, der damalige Ehrbegriff und der Umgang mit Frauen und Töchtern. Und eben die Unzufriedenheit der Unterdrückten. Das Kriegsgeschehen und dessen Verherrlichung, sowie der Alltag an der Front, der mit den Bildern in Zeitung und Wochenschau eben nichts gemein hat.

    Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen. Das Ende lässt darauf hoffen, dass es einen weiteren Band mit den dreien geben wird, in dem wir hoffentlich erfahren, wie es nach dem Krieg mit ihnen weitergeht.

    Von mir eine Leseempfehlung!

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  1. Helle Jugend - finsterer Schatten Krieg

    Thorn in Westpreußen, 1910: Carl Friedländer, Sohn eines jüdischen Schneiders, und Artur Burwitz, dessen Vater Wagner und Trinker ist, sind Freunde, die unterschiedlicher nicht sein können. Carl, der besonnene, vorsichtige, kluge Bursche. Artur der bauernschlaue Draufgänger voller herrlicher und gefährlicher Ideen. Als Carl auf Isi trifft, wünscht er sich zunächst das Mädchen niemals kennengelernt zu haben, so unliebsam war seine erste Begegnung mit ihr. Doch die forsche, freche und mutige Lehrerstocher wird bald Dritte im Bunde dieser Freundschaft. Eine Freundschaft, die vielen Prüfungen ausgesetzt ist. Denn die Welt steht am Rande eines Abgrundes. Nach dem Ersten Weltkrieg ist nichts mehr wie es war und doch ist es die Zeit für einen Neuanfang.
    Der deutsche Drehbuchautor und Schriftsteller Andreas Izquierdo erzählt in seinem Roman „Schatten der Welt“ feinfühlig und bewegend von drei jungen Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Er erzählt von einer Zeit, in der die Welt, wie sie bisher war, nicht mehr existierte, vom Krieg, vom Umbruch und vom Aufbruch in andere Zeiten.
    Alles beginnt bei den Geburtstagsfeierlichkeiten für den Kaiser. Es ist der legendäre „Baracken-Bumms“, den Artur initiiert hat, ein militärischer Skandal. Dann folgt der Halley’sche Komet und mit nicht ganz astreinen Methoden kommen die Carl, Artur und Isi - die Leichtgläubigkeit der Mitmenschen ausnutzend - an eine kleine Summe Geldes. Sie sind fast noch Kinder, haben die ganze Welt vor sich. Jeder für sich hat trotz ihrer jungen Jahre eine Bürde zu trage. Carl Schneiderssohn, wie er oft neckisch von Isi genannt wird, muss sich mehr und mehr um seinen Vater kümmern, der immer mehr in die Vergesslichkeit abgeleitet. Artur erlebt den rauen Umgang mit seinem meist betrunken Umgang mit stoischer Ruhe. Isis Vater hingegen ist ein patriarchalischer Haustyrann, der Frau und Töchter gerne misshandelt und dessen politische Gesinnung am rechten Rand zu finden ist.
    Mit Staunen und Neugier richten sie ihre Aufmerksamkeit auf Neuerungen, die der Fortschritt bietet, während der Großteil in Thorn noch den Schlaf der Gerechten schläft. Es ist die Fotografie, die Carl begeistert und Artur erkennt das Potential von Lastkraftwagen und wird trotz seiner 17 Jahre zum erfolgreichen Unternehmer.
    „Carl! begann Artur von Neuem. Verstehst du denn nicht, was da heute Morgen passiert ist?
    Wir haben einen Lkw gesehen antwortete ich ratlos.
    Nein, wir haben die Zukunft gesehen!“
    Im hellen Licht ihrer Jugend wirft der Erste Weltkrieg einen finsteren Schatten auf eine verheißungsvolle Zukunft.
    „Ich scherzte, tröstete, warnte, pflichtete bei, lachte und beschwor, fühlte weder Hunger noch Durst, sondern nur den unstillbaren Drang, den Menschen das zu geben, was sie am meisten wollten: Lügen. Denn ich war Carl Friedländer, der Schneiderssohn, der alles erreichen konnte.“
    Carl ist die Erzählstimme dieses mitreißenden Romans. Anhand der Geschichte der drei Freunde wird Weltgeschichte lebendig. Izquierdo verpackt mit einer Leichtigkeit, schwungvoller Sprache und trotzdem großer Ernsthaftigkeit die Grausamkeit des Krieges, Schützengräben, Widerstand, militärische Propagandamaschinerie, Nationalismus, die Geringschätzung von Frauen, den aufkeimenden Sozialismus.
    „Isi hätte schreien können…..Männer wie ihr Vater regierten Thorn, sie regierten Preußen, das Deutsche Reich, die ganze Welt. Sie bestimmten die Regeln, die Religion, die Politik, verfälschten Tatsachen, machten Karriere, und wenn gar nichts mehr half, begannen sie Kriege und stürzten die Welt ins Chaos: Kaiser, General, Kanzler, Pfarrer, Vater. Doch was war mit ihr? Was war mit all den Frauen, die in ihren Schatten starben, so leise, dass man nicht mal wusste, dass sie überhaupt gelebt hatten? Zählten sie nicht? Nichts?“
    Diese Buch ist wie Kino, ein historisches Coing-of-Age mit viel Liebe zu den Protagonisten. Das Ende lässt Spielraum über. Aber wie wir wissen, hat sich bald ein neuer Schatten auf die Welt gelegt.

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  1. Ein spannendes Zeitbild

    „Damals erwachte in mir das unstillbare Verlangen, mir immer ein eigenes Bild zu machen. Ich wollte selbst beobachten, wollte wissen, wie sich die Dinge wirklich verhielten, und nicht von Beschreibungen anderer abhängig sein.“ (Zitat Pos. 551)

    Inhalt
    Sie sind Freunde und schon mit knapp vierzehn Jahren wissen sie, was sie nicht werden wollen: Carl Friedländer will Fotograf werden und nicht die väterliche Schneiderei übernehmen, Artur Burwitz will Erfolg haben und kein Wagner bleiben, wie sein Vater. Luise „Isi“ Beese will auf keinen Fall so werden, wie ihr strenger Vater Gottlieb Beese, Lehrer mit politischen Ambitionen. Sie haben kreative Geschäftsideen und können sie auch erfolgreich umsetzen, doch dann kommt das Jahr 1914 und damit der Krieg. Artur und Carl, beide achtzehn Jahre alt, werden sofort eingezogen. Die Jahre bis 1918 verlangen von jedem der drei jungen Menschen beinahe Unmögliches, und der Einfluss der mächtigen Gutsbesitzerfamilie Boysen, die feudal über ganz Thorn herrscht, reicht bis an die Front.

    Thema und Genre
    Im Mittelpunkt dieses historischen Romans, der gleichzeitig auch ein Abenteuer- und Entwicklungsroman ist, stehen drei mutige junge Menschen am Beginn des 20. Jahrhunderts, ihre Träume, Hoffnungen und die Realität. Wichtige Themen sind die Unterdrückung der Menschen im feudalen Ständesystem dieser Zeit, die schrecklichen Schlachten des Ersten Weltkrieges, Hunger, Schwarzhandel und der Kampf ums Überleben. Es geht aber auch um Familie, Tradition, Mut zum Neubeginn, Freundschaft, Vertrauen und Liebe.

    Charaktere
    Carl ist eher schmächtig, zurückhaltend und vorsichtig. Durch den draufgängerischen, ehrgeizigen Artur, der immer eine Idee hat, zu Geld und Erfolg zu kommen, oft am Rand der Gesetze, wird auch das Leben seines Freundes Carl abenteuerlich. Die unangepasste Isi entspricht absolut nicht den Vorstellungen dieser Zeit von einem wohlerzogenen Mädchen. Klug, keck und schauspielerisch begabt, nützt sie ihr gutes Aussehen für die Umsetzung ihrer Einfälle. Dazu kommen ihr Mut und ihre Willensstärke, sich nicht unterkriegen zu lassen.

    Handlung und Schreibstil
    Der Roman beginnt mit einer Vorstellung der drei Hauptfiguren: Carl, Artur und Isi. Die Handlung ist in fünf Abschnitte eingeteilt, diese wiederum in einzelne Kapitel. Die Ereignisse werden von Carl in der Ich-Form geschildert, chronologisch, ergänzt durch Rückblicke. Teilweise gleichzeitig an unterschiedlichen Orten stattfindende Episoden im Leben von Artur und Isi, von denen Carl nichts wissen kann, werden jedoch personal erzählt und stellen jeweils Artur oder Isi in den Mittelpunkt. Die Geschichte ist spannend und auch emotional fesselnd, da die einzelnen Figuren überzeugend und nachvollziehbar handeln. Die Sprache erzählt und beschreibt packend und einfühlsam und lässt auch den Humor nicht vermissen. „Es folgte eine lange Schimpfkanonade im breitesten Wiener Schmäh. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich fragte, wie ein Volk, das so melodisch fluchen konnte, einen solchen Krieg gewinnen wollte.“ (Zitat Pos. 4683).

    Fazit
    Ein spannender historischer Roman über die Hoffnungen und Träume einer Generation, die, kaum erwachsen, sich plötzlich in einem furchtbaren Krieg wiederfand. Jede der drei Hauptfiguren, die völlig unterschiedlich und doch durch eine tiefe Freundschaft verbunden sind, muss den eigenen Weg finden und aus Träumen werden Werte, für die es sich einzustehen lohnt, auch wenn der Einsatz das eigene Leben ist. Ein großartiges Leseerlebnis.

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  1. 5
    21. Jul 2020 

    Informativ, spannend, berührend und mitreißend...

    In Thorn, einer Militärstadt, gehen die Uhren 1910 noch anders. Nahe der Grenze zu Polen dauert es lange, bis Fortschrittliches oder auch weltpolitische Ereignisse ihren Weg in die abseits gelegene Stadt in Westpreußen finden. In einer Atmosphäre althergebrachter Strukturen wachsen die Jugendlichen Carl, Artur und Isi auf und nichts deutet darauf hin, dass sich daran so bald etwas ändern wird.

    Zu Beginn der Erzählung ist Carl 13 Jahre alt und lebt mit seinem alleinerziehenden Vater in einem winzigen Häuschen, das ihnen Wohn- und Arbeitsstätte zugleich ist. Dort gelangen allabendlich Kartoffeln auf den Küchentisch, gleichzeitig werden in der winzigen Stube Kunden empfangen, die sich vom Schneider Friedländer ein neues Gewand fertigen lassen wollen. Reich werden sie dabei nicht, zumal sie als Juden misstrauisch beäugt werden, aber irgendwie haben sie ihr Auskommen.

    Carl geht gerne zur Schule, doch schon in wenigen Wochen ist damit Schluss, denn das Realgymnasium kann sich der Vater nicht leisten. Mit ihm zur Schule geht Artur, der vierzehnjährige Sohn eines Wagners und bester Freund von Carl. Gegensätzlicher könnten die beiden nicht sein: Carl schmächtig und schüchtern, dabei gut in der Schule - Artur kräftig und voller Selbstbewusstsein, doch mit der Schule hat er kaum etwas am Hut.

    Als die beiden die Tochter des ortsansässigen Lehrers der Mädchenschule kennenlernen, ist gleich klar, dass Luise, genannt Isi, bestens zu ihnen passt. Dreist und unerschrocken trotzt sie den widrigen häuslichen Verhältnissen, ebenso wie Artur. Nur Carl hat zu seinem Vater ein liebevolles Verhältnis.

    "Männer wie ihr Vater regierten Thorn, sie regierten Preußen, das Deutsche Reich, die ganze Welt. Sie bestimmten die Regeln, die Religion, die Politik, verfälschten Tatsachen, machten Karriere, und wenn gar nichts mehr half, begannen sie Kriege und stürzten die Welt ins Chaos..." (S. 415)

    Artur und Isi überbieten sich in ihren verrückten Ideen, und Carl, eher erschrocken denn überzeugt, lässt sich ein ums andere Mal von den beiden mitziehen. Wichtig ist es den dreien, schnellstmöglich viel Geld zu verdienen, um eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen.

    Die Ereignisse um das Erwachsenwerden der drei Jugendlichen wird aus der Ich-Perspektive von Carl erzählt. Dabei dominiert bereits in der vermeintlich schönen Jugendzeit ein oftmals melancholischer Ton. Die armseligen Lebensbedingungen, die Dominanz des Militärs im Stadtbild, die Vergeblichkeit von Lebensträumen, der Standesdünkel, der Judenhass, der selbstherrliche und willkürliche Umgang der Mächtigen (ob nun Gutsherr, Gendarmeriekommandant oder tyrannischer Vater) mit den Schwächeren oder schlechter Gestellten - all dies erlebt der Leser emotional dicht am Geschehen mit.

    Glücklicherweise retten schlitzohrige Aktionen und die freche Dreistigkeit der drei Hauptcharaktere die Erzählung vor zu viel Schwere. Mit Beginn des Krieges allerdings wird der Ton ernster, und fortan wird das Geschehen abwechselnd aus der Perspektive der drei nun getrennt lebenden Freunde erzählt. Jeder der drei kämpft mit schweren Verlusten und letztlich auch einem Gefühl der Schuld, was angesichts der Ereignisse wohl unvermeidlich ist. Eine harte, brutale Art, erwachsen zu werden.

    Ich habe bereits mehrere Bücher von Andreas Izquierdo gelesen, und so unterschiedlich die Themen auch waren, eines hat sie geeint: der Faktor 'Menschlichkeit'. Auch in diesem historischen Roman, dem eine akribische und detaillierte Recherche attestiert werden muss, stehen die Charaktere im Vordergrund. Durch seine einfühlsame Art zu schreiben, schafft Izquierdo einen emotional dichten Zugang zu seinen Figuren, so dass der Leser zwangsläufig mitdenkt, mitempfindet, mitleidet.

    Dies war für mich nicht immer leicht zu ertragen. Wer Ungerechtigkeiten, Willkür und Menschenverachtung nicht gut aushält, der sei hiermit gewarnt. Immer wieder musste ich das Buch zwischendurch zur Seite legen, um Wut und Rachegelüste runterkochen zu lassen, bevor ich weiterlesen konnte. Gleichzeitig ist es genau das, was den Roman zu etwas Besonderem macht. Kriegsgräuel sind furchtbar, schon allein, wenn man darüber liest. Wenn man aber wie hier, daran auch emotional beteiligt ist, stehen diese Gräuel in ihrer ganzen Entsetzlichkeit vor einem und lassen den Leser an den monströsen Geschehnissen geradezu teilhaben.

    "...und der Tod begegnete mir allenfalls als friedliches weißes Kruzifix auf einem sonnenbeschienenen Friedhof. Doch unter dieser Erde lagen das zerrissene Fleisch, die gebrochenen Knochen und zerstörten Seelen. Unter dem Heldenkreuz verfaulte eine ganze Generation, deren Hoffnungen und sprühender Optimismus von alten Männern zu Angst, Ekel und Entsetzen verwandelt worden waren." (S. 484)

    Der Blick auf die damaligen Ereignisse ist ungeschönt und detailliert, und die damit verbundenen Traumata geradezu greifbar. Das Ende - es kann kein Happy End sein, das würde nicht passen. Aber doch bietet es einen kleinen hoffnungsvollen Ausblick, eine Möglickeit des Weiterlebens, trotz alledem.

    Und wie der Autor verriet: es wird einen zweiten Teil geben, frühestens im Herbst 2021 - die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sehr schön. Denn Carl, Artur und Isi würde ich sehr gerne nocht einmal begegnen...

    © Parden

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  1. Eine Welt im Umbruch

    „Schatten der Welt“, der neue Roman von Andreas Izquierdo, führt ins westpreußische Thorn im Jahr 1910. Dort lebt Carl, ein gewitzter, ein wenig schüchterner Junge zusammen mit seinem Vater, einem jüdischem Schneider Friedländer. Sein bester Freund ist Arthur, das genaue Gegenteil von ihm: groß und bullig, keine Leuchte in der Schule, aber bauernschlau und furchtlos. Dann kommt noch Isi dazu, die Tochter des bigotten Lehrers Beese, der die Rebellion in den Knochen steckt. Sie lehnt sich gegen die Vater auf, begeht kleinere Gaunereien und wird bald der Kopf des ungleichen Trios.

    Das Erscheinen des Halleyschen Kometen steht bevor und sie nutzen den Aberglauben und die Furcht der Menschen und ziehen den Leuten mit harmlosen Pillen und Gasmasken das Geld aus der Tasche. Später soll dieses Geld für sie ein Startkapital werden, aber der Große Krieg steht vor der Tür und beendet ihre Jugend abrupt.

    Dieser großartige Roman umfasst den Zeitraum von 8 Jahren, die nicht nur die unmittelbare Geschichte des Trios radikal verändert, auch die Welt ist nicht mehr die gleiche. Die Wege der Freunde trennen sich und doch bleibt ein unverbrüchliches Band zwischen ihnen bestehen.

    Was für eine wortmächtige Geschichte! Farbig erzählt, spannend und wie ich finde, sehr akribisch recherchiert. Ich konnte mich kaum losreißen, der Roman fesselte mich von der ersten Seite. Da ist einerseits das Leben in einer kleinen westpreußischen Stadt, immer ein bisschen dem Weltgeschehen hinterher, mit einer festgefügten Ordnung. Auf ihren Gütern beherrschen die Junker ihre Leute und in der Stadt die kaisertreue Obrigkeit die Bürger. Arm und Reich trennen Welten und wer sich dagegen auflehnt, bekommt es hart zu spüren.

    Izquierdo vereint in seinem Buch eine einfühlsame Beschreibung des Erwachsenwerdens, samt Gauner-und Schelmenstücken drei Protagonisten, die mich immer wieder schmunzeln ließen, mit einem großen historischen Roman. Erzählt wird das im Rückblick von Carl. Dieses Stilmittel bringt eine leise Melancholie in den Roman, denn selbst die Erinnerung an ihre Jugendstreiche ist für Carl mit Wehmut verbunden.

    Dieses Buch hat mich berührt und beeindruckt.

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