Rosewater: Roman

Rezensionen zu "Rosewater: Roman"

  1. Auftakt einer schrägen, faszinierenden Science-Fiction Trilogie

    Nigeria 2066: Die Stadt Rosewater hat sich um eine riesige Bio-Kuppel von etwa 50 km Durchmesser gebildet. Einmal im Jahr öffnet sich die gigantische Kuppel, setzt unbekannte heilende Substanzen frei und wird zum Anziehungsort zahlreicher Kranker, Pilger und Schaulustiger.
    Kaaro gehört zu den sogenannten „Empfängern“, einer Gruppe von Menschen mit angeborenen übernatürlichen Fähigkeiten. Sie haben Zugriff auf die „Xenosphäre“, über die sie in die Gedanken anderer Menschen eindringen und diese lesen können. Eine Empfänger-Fähigkeit prädestiniert für das Auffinden verloren gegangener Menschen und Gegenstände, aber auch für das Durchführen von Verhören, Abwehr von Hacker-Angriffen und Ähnlichem. Eine Sondereinheit der Regierung zeigt daher auch großes Interesse an Kaaro und lässt ihm immer wieder Spezialaufträge zukommen. Als Leser:in wird man hineingeworfen in diese fremde, mysteriöse Welt, die sich nicht sofort erschließt, letztendlich aber über das gesamte Buch stimmig entwickelt und mehr als eine faszinierende Erkenntnis bereit hält. Tade Thompson erzählt sprunghaft. Die Handlung in der Gegenwart wird immer wieder unterbrochen durch Rückblenden, deren Sinn sich manchmal erst einige Zeit später offenbart. Als sich eine tödliche Krankheit unter den Empfängern ausbreitet, ist auch Kaaros Leben in Gefahr und es gilt, die Ursache herauszufinden. „Rosewater“ spielt hauptsächlich in Nigeria und so fließen Kolonialismuserfahrungen in die Geschichte ebenso ein wie mythologische und kulturelle Vorstellungen der Yoruba. Tade Thompson wartet mit zahlreichen kreativen, teilweise auch sehr schrägen Ideen auf. Sein Hauptprotagonist Kaaro ist ein antriebsloser Mittvierziger, der eher widerwillig durch diese Geschichte schlittert und impulsiv auf Situationen reagiert. Er lässt niemanden wirklich an sich heran, agiert regelmäßig sexistisch, wird häufig in Gewalt verwickelt, die er verabscheut. Er verspürt echte Zuneigung zu einem Straßenhund und neuerdings auch zu einer Frau. Genau genommen möchte er ein geruhsames Leben führen, Musik hören und Sex haben. Doch die Spezialeinheit hat ihn aufgrund früherer Vorkommnisse in der Hand und so wird er immer wieder für Aufträge herangezogen, die eine unvorhergesehen Dynamik entwickeln. Rosewater bietet spannende Unterhaltung in einem für das Genre ungewöhnlichen Setting.
    Ich bin gespannt auf den zweiten Band.

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  1. 5
    26. Feb 2022 

    Tiefgründige Science-Fiction aus Nigeria

    Dieser Roman von Tade Thompson bringt schon spannende Grundvoraussetzungen mit, ohne dass man ein Wort daraus gelesen hat. Denn der Autor ist ein nigerianischer Psychiater, der sich hier eine ausufernde Welt in nicht allzu ferner Zukunft des Jahres 2066 ausdenkt, in der die Außerirdischen bereits lange auf der Erde angekommen sind. Und sie sind vielleicht laut Plothistorie 2012 erstmals in London angekommen, aber tatsächliche Auswirkungen zeigen sie - ganz ungewohnt - eben nicht in Europa oder Amerika, sondern auf dem afrikanischen Kontinent, speziell auf dem Gebiet Nigerias. Somit krempelt dieser Roman schon einmal vollkommen die Lesegewohnheiten von uns mitteleuropäischen Sci-Fi-Leser:innen gehörig um.

    Im Zentrum des Geschehens steht Kaato, ein Mitte 40-Jähriger sogenannter "Empfänger". Er hat seit seiner Kindheit "übernatürliche" Fähigkeiten (welche später noch sehr gut wissenschaftlich fundiert erklärt werden), durch welche er - einfach gesagt - die Gedanken anderer Menschen lesen kann. Das ist jetzt stark verkürzt dargestellt, denn eigentlich ist er fähig, sich in die sogenannte Xenosphäre einzuklinken. Diese besteht aus zahlreichen miteinander vernetzten pilzartigen Organismen, die durch die Luft schweben und für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar sind. Prinzipiell handelt es sich um ein ausgeweitetes Informationsnetzwerk, auf welches nur wenige Menschen (ich lasse hier mal offen weshalb) zugreifen können. Kaato lebt in Rosewater, einer Stadt, die sich nach dem Auftauchen einer außerirdischen Entität, einer riesigen Kuppel mit einem Durchmesser von 50 km, um diese Kuppel herum gebildet hat. Denn - wieder entgegen der altbekannten Seh- und Lesegewohnheiten - zeigt sich die Entität nicht angriffslustig, sondern gütig in Form von Heilungen kranker Menschen, die einmal pro Jahr in ihrer Nähe stattfinden. Um Kaato entwickelt sich ein fast schon Agenten-Plot, da er aufgrund seiner Fähigkeiten von einer Regierungsbehörde angeworben wurde.

    All dies erfahren wir durch verschiedene Erzählstränge, die jedoch stets beim Ich-Erzähler Kaato bleiben. Allein die Zeitebene wechselt ständig. Die so betitelte "Jetzt"-Zeit spielt 2066, dann gibt es noch Rückblicke in die "Früher"-Zeit beginnend mit 2031 bis ca. 2059, welche viel Wissen um Kaatos Fähigkeiten und die Geschehnisse bis aktuell vermitteln, sowie "Zwischenspiele" oder "Missionen", die besondere Ereignisse/Missionen in den letzten 10 Jahren von Kaatos Leben bis jetzt darlegen, mit dem Fokus auf seine "Agenten"-Tätigkeit. Das ist tatsächlich der verwirrendste Part dieses Romans. Meines Erachtens hätte es die gesondert betitelten "Zwischenspiele" nicht gebraucht bzw. wirkten diese ab und an überfordernd, wenn man sie gedanklich versucht, in das Gesamtbild chronologisch korrekt einzuordnen. Aber das ist eine minimale Kritik im Rahmen meiner allgemeinen Begeisterung für diesen Roman.

    Denn dem Buch merkt man im allerbesten Sinne die Berufung des Autors als Psychiater an. So entwirft er die Charaktere des Romans nicht nur glaubwürdig sondern stellt psychologische Zusammenhänge, die sich aus der Fähigkeit des "Gedankenlesens" ergeben, schlüssig und fachlich fundiert dar. Auch das mykologische Konstrukt um die außerirdische Entität herum ist plausibel erschaffen. Der technische Fortschritt ist authentisch an das Jahr 2066 angepasst und wird gut erklärt. Was mich aber besonders am Roman begeistert hat: Thompson spart nicht an Gesellschaftskritik. So wird immer wieder das Thema der als "illegal" eingeordneten Homosexualität in Nigeria, welche in unserer Zeit 2022 vorherrscht, aber im Roman auch noch in 2066 dort besteht. Die Verfolgung dieser Menschengruppe bis zum Tod durch den Mob. Weiterhin findet die Vergangenheit Nigerias, als ein durch die Kolonialisierung traumatisiertes Land, Eingang in die Erzählung. Eine despotische, korrupte Herrscherrieger darf natürlich auch in 2066 nicht fehlen. So legt Thompson mit seinem als Science-Fiction "getarnten" Roman den Finger in gleich mehrere gesellschaftliche und politische Wunden seines Heimatlandes.

    Insgesamt bin ich also äußerst begeistert von diesem ungewohnten Lektüreerlebnis. Science-Fiction mit Tiefgang auf mehreren Ebenen. Wirklich empfehlenswert für alle, die sich grundsätzlich auf die oben beschriebenen Grundannahmen einlassen können.

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