Regenroman

Rezensionen zu "Regenroman"

  1. Die allgegenwärtige Nässe

    Das Schnäppchenhaus, das das Ehepaar Martina und Leon Ulbricht (ein Name, der im Umfeld des Buches kein Glück bringt) buchstäblich an Land zieht, ist ein renovierungsbedürftiges Häuschen in "Alleinlage" in einem entlegenen Dorf namens Priesnitz. Am Rand eines ostdeutschen Moors gelegen. Leon ist auf den ersten Blick begeistert von der Aussicht auf die unverbaubare Moorlandschaft - hier will er schreiben. Leon ist nämlich Dichter. Um das Haus bezahlen zu können, hat er indessen einen profanen Auftrag annehmen müssen, er schreibt die Biographie eines abgehalfterten und prolligen Boxers, der kein Pardon kennt. Leon soll gefälligst genau das aufschreiben, was er, der Ex-Boxer, will, sonst wird der Boxer sauer - was im weiteren Verlauf eines der Hauptthemen wird.

    Dass das Paar sich mit dem Haus übernommen hat, wird schnell klar. Die Grundmauern sind vollgesogen wie Schwämme, der Garten besteht aus aufgeschwemmtem Boden, in dem sich Molche und Schnecken tummeln. Leon schafft weder die nötigsten Reparaturen, noch kommt er mit dem Buch weiter. Martina beschäftigt sich lieber mit dem zugelaufenen Hund als mit dem Haushalt oder mit Leons Befindlichkeiten. Für zusätzliche Verwicklungen sorgen die beiden Nachbarinnen, zwei Schwestern: Kay grobknochig, männlich und tatkräftig, Isadora übermäßig dick, schamlos und ironisch. Und im ungünstigsten Moment schlagen auch noch der prollige Boxer und sein Zuhälterfreund in dem durchfeuchteten Haus auf.

    Karen Duve erzählt all das in einem sehr lockeren, unterhaltsamen Ton und mit einer stilistischen Leichtigkeit, die fast darüber hinwegtäuscht, dass das Buch die Chronik eines Untergangs ist. Der Leser sollte sich warm anziehen. Die Schneckeninvasion und der eklige Inhalt der Wasserrohre wird ebenso akribisch referiert wie der Ausbruch zerstörerischer Gewalt beim Besuch des Boxer-Duos. Rettung gibt es nirgends, weder in den Ratgeberbüchern, die Martina liest, noch in der Rückzugsstrategie Leons, der sich wie eine Schnecke im Häuschen versteckt. Dabei regnet es nicht mal ununterbrochen, wie der Titel andeutet. Die Fäulnis, die alles zusammenbrechen lässt, ist viel älter als ein paar Wochen Regen: es ist vielmehr die Essenz eines von Grund auf falschen Lebens bis zurück in die Kindheit der Protagonisten. Ist man auf der letzten Seite dieses Höllenritts angekommen (wenn wir mal kurz annehmen, dass die Hölle kein heißer, sondern ein nasser Ort ist), können wir immerhin aufatmen. Was aus den Personen wird, ist uns ziemlich egal, sie sind alle miteinander herzlich unsympathisch. Insoweit sind wir vielleicht am Ende zufrieden, aber - um nochmals die Metapher zu bemühen -: das Buch hat wirklich keinen Funken Wärme.

    Ich gebe vier Punkte, weil es wirklich lustig zu lesen ist, aber mehr als eine zynische Weltuntergangsvision kann ich nicht daraus ziehen. Die vorgeführten Lebensentwürfe sind derart verdreht, dass man kaum weiß, was davon man auf das eigene Leben anwenden könnte. Im Grunde kommt man wie der klassische Pharisäer aus dem Roman heraus: zum Glück bin ich nicht so, bei mir ist (fast) alles in trockenen Tüchern!

    Teilen