Raumfahrer: Roman

Lukas Rietzschel hatte 2018 großen Erfolg mit seinem Debutroman „ Mit der Faust in die Welt schlagen“. Nun legt er mit „ Raumfahrer“ seinen zweiten Roman vor, der ebenfalls in der ehemaligen DDR spielt. Er erzählt darin die Geschichte zweier Familien von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart.
Jan, der Protagonist, 1989 geboren, wohnt mit seinem Vater in einer Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand von Kamenz, im Schatten der alten Plattenbauten. Jan arbeitet im Krankenhaus, er bringt Patienten zu ihren Terminen und holt sie wieder ab. Doch das Krankenhaus ist , wie so vieles hier, von der Schließung bedroht. Dort, wo früher die Schule und der Sportplatz waren, steht heute ein Supermarkt. Viele Menschen von hier sind längst weggezogen. Über allem liegt eine Stimmung von Trostlosigkeit und Resignation.
Eines Tages bekommt Jan von einem älteren Patienten einen Schuhkarton mit Aufzeichnungen, Dokumenten und alten Photographien, an ihn adressiert. Jan ist irritiert; schließlich kennt er den Patienten kaum. Doch es scheint eine Beziehung zwischen den beiden Familien zu geben. Sein Vater aber reagiert auf Nachfrage höchst unwirsch. Jan beginnt nachzuforschen.
Gab es eine Verbindung zwischen seiner Mutter und Günter Kern, dem Vater des Patienten? Was für eine Frau war die verstorbene Mutter wirklich? Welche Rolle spielte dabei der im Westen sehr erfolgreiche Maler Georg Baselitz, der Bruder von Günter Kern?
Langsam baut der Autor die Spannung auf und erst am Ende erklären sich die Beziehungen. Doch nicht alle Fragen sind danach beantwortet.
Lukas Rietzschel geht dabei nicht chronologisch vor, sondern wechselt in kurzen Kapiteln nicht nur Zeit und Ort, sondern auch die Perspektive. Das erfordert einen aufmerksamen Leser.
Die Sprache ist meist einfach, lakonisch, dann wieder voller poetischer Bilder. Sehr gut wird die Atmosphäre getroffen. Rietzschel beschreibt Menschen, die nicht richtig irgendwo dazugehören, unfähig sind, miteinander zu reden.„Mutter. Vater. Für Jan waren sie Raumfahrer. Schwebten in einer Zwischenwelt, ihrem Ausgangspunkt entrissen. Während sie schwebten, hatte sich die Welt schon ein Dutzend Mal weitergedreht. Sie sahen dabei zu, streckten die Hände aus. Versuchten, vor- oder zurückzukommen. Hoch, runter. Aber wo sie sich befanden, gab es keine dieser Richtungen im Raum. Und Jan stand auf der Erde und richtete sein Fernglas auf sie.“
In vielen Episoden wird die Vergangenheit der Figuren lebendig und es wird gezeigt, wie alles miteinander zusammenhängt. Sehr gut werden auch Bilder von Georg Baselitz in den Text eingearbeitet.
„ Raumfahrer“ ist ein Roman für Leser, die sich für Familiengeheimnisse, die Aufarbeitung der DDR- Geschichte und die Umbrüche danach interessieren .
Die Raumfahrer und ihre alles ordnende Behörde
Schon mit seinem Vorgänger "Mit der Faust in die Welt schlagen" schafft es der 1994 geborene Autor mich zu beeindrucken, ein recht wahrheitsgetreues Bild bestimmter Gruppen unseres Landes zu zeichnen. Ein erschreckendes Bild! Ja. Aber kein falsches Bild. Wir, die wir im Osten leben, kennen genau solche Leute. Und leider gibt es davon so einige. Aber man muss darüber reden, miteinander reden, der Polemisierung nicht das Feld überlassen. Gerade der Umgang mit Corona zeigt besonders in Sachsen die Gefährlichkeit solcher Gruppen. Ist interessant, wer sich immer so mit Dingen auskennen will, von denen er oder sie absolut keine Ahnung hat. Ich bin eine von denen in den Krankenhäusern, die in den Coronastationen gearbeitet hat und gesehen hat, wie dieses Sterben der Leute ist!!!
In der Rezi zu "Mit der Faust in die Welt schlagen" hatte ich bemängelt, dass ein Blick in die DDR fehlt. Genau diesen Blick bringt Lukas Rietzschel jetzt in "Raumfahrer". Einen interessanten Blick! Etwas ungeordnet, aber deshalb nicht uninteressant. Die Wahrheit hinter dem System präsentierte sich den DDR-Bürgern ja auch nicht auf dem Silbertablett, sondern eher auf verschlungenen Wegen. Und in diesem Buch liest man welche Wege die Stasi genommen hat, zu was diese Institution bereit war. Und da skandieren Menschen heute etwas von Bevormundung im jetzigen Deutschland oder von einer nicht bestehenden Meinungsfreiheit. Man kann doch sagen was man will! Wie beschreibt man denn dann unsere Vergangenheit? Wie blind muss man denn sein? Zu empfehlen wäre zu den hier geschilderten Themen auch die Serie "Weissensee"! Aber auch "Raumfahrer" zeigt einen Teil der DDR-Vergangenheit und die Möglichkeiten der lenkenden DDR-Behörde und ihre ganze Menschenverachtung. Und Lukas Rietzschel zeigt, was dies mit den Betroffenen gemacht hat, zeigt aber auch, was mit den Tätern, den Raumfahrern nach der Wende geschah. Und dann wieder mit deren Kindern, die für die Machenschaften der Eltern nichts konnten, aber damit leben müssen, sofern sie von den Taten der Eltern erfahren, wie das Jan in dem Buch geschieht. Ein weit gefächerter Blick, den der Autor hier schafft und den ich toll finde. Allerdings muss man für so einen Blick bereit sein! Und nicht die Augen davor verschließen. Obwohl ich auch das Augenverschließen verstehen kann. Denn die DDR ist lange vorbei und eine Reduzierung der Ostbürger darauf lässt sich wohl 2021 langsam nicht mehr begründen!!! Oder?
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