Raue Havel: Kriminalroman

Buchseite und Rezensionen zu 'Raue Havel: Kriminalroman' von Tim Pieper
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Raue Havel: Kriminalroman"

Ein Spionagefall nach wahren Begebenheiten. In einem alten Bootshaus an der Havel werden drei jahrzehntealte Skelette gefunden. Kurz darauf wird eine Journalistin ermordet. Sie recherchierte in einem Spionagefall aus dem Jahr 1949 um eine junge Frau, deren Identität bis heute unbekannt ist. Hängen die Todesfälle von damals und heute zusammen? Als Hauptkommissar Toni Sanftleben klar wird, dass er selbst familiär in den Fall verstrickt ist, ist es schon fast zu spät: Er bekommt es mit einem Gegenspieler zu tun, für den ein Menschenleben nicht viel zählt …

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:304
Verlag: Emons Verlag
EAN:9783740813659

Rezensionen zu "Raue Havel: Kriminalroman"

  1. 5
    03. Okt 2022 

    Militärstädtchen Nr. 7...

    In einem alten Bootshaus an der Havel werden drei jahrzehntealte Skelette gefunden. Kurz darauf wird eine Journalistin ermordet. Sie recherchierte in einem Spionagefall aus dem Jahr 1949 um eine junge Frau, deren Identität bis heute unbekannt ist. Hängen die Todesfälle von damals und heute zusammen? Als Hauptkommissar Toni Sanftleben klar wird, dass er selbst familiär in den Fall verstrickt ist, ist es schon fast zu spät: Er bekommt es mit einem Gegenspieler zu tun, für den ein Menschenleben nicht viel zählt… (Klappentext)

    Mit ‘Raue Havel’ legt der Autor Tim Pieper bereits den sechsten Band seiner Regionalkrimi-Reihe um Hauptkommissar Toni Sanftleben vor. Zwar lassen sich die Krimis unabhängig voneinander lesen, da sie in sich abgeschlossen sind, jedoch würde ich allein schon der Entwicklung der Charaktere wegen empfehlen, die Bücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen.

    Dieser Fall beginnt relativ harmlos. Es werden in einem alten Bootshaus in Potsdam drei vor Jahrzenten begrabene Skelette geborgen. Für die Ermittler ist es ein wenig wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen - es gibt kaum Anhaltspunkte. Doch dann erfährt Toni Sanftleben, dass eine Journalistin bei dem neuen Besitzer des Anwesens mit dem Bootshaus vorstellig geworden ist. Womöglich weiß sie etwas über mögliche HIntergründe des dreifachen Leichenfunds? Doch noch bevor Toni mit der Journalistin sprechen kann, wird diese ermordet. Was hätte sie verraten können?

    Geschickt verwebt Tim Pieper hier zwei Zeitebenen. Der gegenwärtige Handlungsstrang dreht sich um die Ermittlungen im Fall der toten Journalistin, wobei es schwierig ist herauszufinden, woran sie gerade arbeitete, denn alle ihre Unterlagen sind verschwunden, die Daten gelöscht. Doch so schnell geben Toni Sanftleben und seine Kolleg:innen nicht auf. Allerdings scheinen da im Hintergrund viele Fäden gezogen zu werden, um die Ermittlungen zu be- oder gar zu verhindern.

    Der Handlungsstrang in der Vergangenheit geht zurück ins Jahr 1949 und führt ins Militärstädtchen Nr. 7, in die (nun ehemalige) sowjetische Geheimdienststadt in Potsdam. Eine junge Frau wird dort eingeschleust, um einen dringenden Auftrag zu erledigen, und daraus entspinnen sich ungeahnte Folgen. Folgen, die bis in die Gegenwart reichen und Toni näher betreffen als ihm lieb sein kann. Doch wer zieht nach all den Jahrzenten noch alle Register, um zu verhindern, dass aufgedeckt wird, was damals geschah?

    Die stetigen Wechsel der Ebenen und Perspektiven, verbunden mit geschickt platzierten kleinen Cliffhangern, sorgen dafür, dass man das Buch bald schon nicht mehr aus der Hand legen möchte. Hinzu kommt, dass alle paar Seiten Unglaubliches geschieht. Ein Verwirrspiel der besonderen Art, und schon bald weiß Toni Sanftleben nicht mehr, wem er noch vertrauen kann, außer seinen engsten Kolleg:innen.

    Hier sei an dieser Stelle v.a. Phong hervorgehoben, der diesmal eindeutig über sich hinauswächst. Wenn man diesen Charakter mal mit dem ersten Band der Reihe vergleicht: was für eine Entwicklung! Aber auch Toni hat sich deutlich weiterentwickelt, was gerade gegen Ende dieser Folge mehr als ersichtlich wird. Die Entscheidungen, die er da trifft: Hut ab!

    Wie es der Zufall wollte, habe ich zumindest die erste Hälfte des Krimis während meines Urlaubs in Potsdam gelesen, ausgerechnet! So konnte ich einige der genannten Handlungsorte viel besser zuordnen, da ich sie selbst besichtigt hatte. Besonders bei dem Militärstädtchen Nr. 7 hat mich das sehr gefreut, denn so konnte ich mir die genannten Örtlichkeiten viel besser vorstellen. Aber auch die Glienicker Brücke, die das Cover ziert, war natürlich ein Teil der Besichtigungstour. Was für ein schönes Zusammentreffen! Das aber mal nur nebenher...

    Alles in allem habe ich das Buch jedenfalls verschlungen. Für mich ist es der bislang stärkste Krimi um Toni Sanftleben, hervorragend konzipiert mit glaubhafter Entwicklung der Charaktere, eine gelungene Mischung aus Spannung, historischen Hintergrundinformationen und persönlichen Angelegenheiten der Figuren. Auch der Schreibstil wirkt nicht mehr so hölzern wie z.T. noch im vorherigen Band, sondern flüssig und angenehm zu lesen. Ich würde sagen: Tim Pieper hat sich freigeschwommen!

    Chapeau also von meiner Seiten, und ich hoffe unbedingt, dass es noch einen Folgeband geben wird. Bitte!

    © Parden

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  1. Spionage mit Nachwirkungen

    s ist nun schon der sechste Fall, den uns Tim Pieper unter dem Titel RAUE HAVEL präsentiert. Dieser Ermittler hat auf irgendeine Art und Weise immer einen persönlichen Bezug zu seinen Fällen, bei diesem hier gilt das im Besonderen.

    Der Prolog führt uns in das Jahr 1946. Im Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes sitzen ein paar Jungs aus einer Schule in Potsdam. Die mochten keinen Russischunterricht und schwänzten diesen darauf mehrmals. Darauf wurden sie verhaftet und bis einen durch ein sowjetisches Militärgericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der eine, der jüngste, Frieder, wurde begnadigt zu zwanzig Jahren Gulag. Christoph, einer der Jungs hat eine Freundin namens Vera. Der soll Frieder irgendwann ausrichten, dass Christoph an sie denkt und dass sie Physik studieren soll. Vera gehört zu den tausenden Frauen, bei denen die Befreiung vor allem mit schrecklichen persönlichen Erlebnissen verbunden war. Christoph war zu ihrer Hoffnung geworden und hielt sie davon ab, sich selbst umzubringen.

    Jahrzehnte später findet die Polizei in einem Bootshaus drei eingemauerte Skelette, zwei Männer und eine Frau. Toni Sanftleben ist der leitende Ermittler der Mordkommission. Bei ihm hat sich seine in Portugal lebende Mutter angemeldet. Ihr Name ist Vera Sanftleben...

    Dem Fall der Jungs ist eine Journalistin auf der Spur, bei der eingebrochen wird...

    Und ein Professor hat ein Buch geschrieben über einen Spionagefall aus dieser Zeit...

    Vera kommt im Jahr 1949 in Kontakt mit dem britischen Geheimdienst. Da sie, das kommt im Laufe der Geschichte raus, russische Wurzeln hat, eignet sie sich als Dolmetscherin. So erhält sie eine Deckidentität in das Militärstädtchen Nr. 7 unweit des Schlosses Cecilienhof, da, wo einst die Potsdamer Konferenz stattfand...

    * * *

    Das Buch. Abwechselnd, das ist die „Piepersche Methode“, die besonders in den Havelkrimis immer wieder angewendet wird, führt uns Tim Pieper „hin und her“, wechselt unregelmäßig zurück in die Jahre 1946 / 1949 und in die Gegenwart. Die Geschichte der hingerichteten Schuljungen findet sich allerdings im Prolog, danach geht es um Vera im Jahr 1949.

    Von Beginn an hatte ich das Gefühl, ein sehr „schnelles“ Buch zu lesen. Zu Beginn erschien alles völlig logisch. Da gab es diese Vera der Nachkriegszeit und dann kommt Vera Sanftleben plötzlich in die Heimat. Allerdings geht es mit dieser Durchsichtigkeit nicht unbedingt weiter. Besonders der „Überläufer“ erzeugt Fragezeichen beim Rezensenten. So erzeugt man fortwährende Spannung. Als Vera DAS Angebot ihres Lebens erhält, dachte ich: Das wird nichts, wir haben erst die Hälfte des Romans gelesen.

    Es gehört heute zu Krimis, dass der agierende Ermittler, an gewisse Grenzen stößt, dienstrechtliche oder persönliche, vielleicht psychische oder alles zusammen. Toni Sanftleben wurde einst nur Polizist, um die Möglichkeiten der Polizei für die Suche nach seiner verschollenen Frau zu nutzen (Dunkle Havel). Er findet sie und sie verlässt ihn wieder (Kalte Havel). Nun gerät die Frau die er liebt und seine ceigene Mutter ins Visier... Schon einmal quittierte er den Dienst und fuhr mit Caren, der Staatsanwältin, die seine Gefährtin wurde, auf dem Hausboot bis nach Skandinavien. Nun verlässt er erneut den Dienst, fast ausgebrannt. Bringt Tim Pieper ihn zurück?

    * * *

    Nicht jeder der inzwischen sechs Romane, mit denen über Otto Sanftleben sind es acht, hat mich gleichermaßen überzeugt. Manchmal ging es sofort ab, gelegentlich fand ich erst im Laufe des Romans hinein. Dieser hier lies meine Gedanken in die Nachkriegszeit gleiten. Dass ein sowjetisches Militärgericht ein paar Schuljungen, die bis Mai 1945 höchstwahrscheinlich nationalsozialistisch erzogen wurden, verurteilte, weil es im Schwänzen des Russischunterrichtes eine antisowjetische Propagandatat bei angenommener Werwolf-Zugehörigkeit sah und hinrichteten ließ, will auch nach dreißig Jahren neuen Einblicks in die Geschichte nicht so richtig in meinen Kopf. Das gilt auch für die schier unglaubliche Menge an Vergewaltigungen, von denen Frauen und Mädchen betroffen waren. Gegen das Vergessen bedeutet auf alle Episoden in der Geschichte nicht nur des 20. Jahrhunderts aufmerksam zu machen, die von Unmenschlichkeit, Mord, Folter, staatliche Willkür zeugen.

    In diesem Sinne verweist Tim Pieper im Nachwort auf den Originalprozess, nennt Quellen, auch zu dem originären Spionagefall. Zudem führt er uns ins Militärstädtchen Nr. 7, die sowjetische Geheimdienstzentrale nach Kriegsende. Das ist einen Spaziergang wert. Pieper hat in allen sechs Romanen solche Ausflugsziele im „Programm. Da waren mal die Beelitzer Heilstätten (Kalte Havel) Tat- oder Ereignisort, der Sternenpark Westhavelland (Finstere Havel), die Villa Bogensee, in der J. Goebbels kurz wohnte (Stille Havel). So kann man sich auf die Spuren seiner Figuren bewegen, das macht Spaß. Hätte ich vor einigen Jahren gewusst, dass die Lestikow-Strasse in Potsdam mal in einem Roman auftaucht, dann hätte ich mehr eigene Bilder geschossen.

    So verweise ich hier auf die Webseite der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikow-Straße Potsdam.

    https://www.leistikowstrasse-sbg.de/geschichte/1945-1994-geheimdienststadt-militaerstaedtchen-nr-7/

    Es bleibt das Cover des Buches. Ein klein wenig hebt es sich von den Vorgängern ab. Es zeigt einen Teil der „Bridge of Spies“, der Glienecker Brücke an der Grenze von Brandenburg und Berlin. Ich überlasse es den Leserinnen und Lesern zu prüfen, welche Rolle die Brücke, über die drei der bekanntesten Austauschaktionen von Spionen, Agenten, Kundschaftern abgewickelt wurden, spielt.

    * * *

    Seit Jahren „fordere“ ich, dass Otto Sanftleben, der Urgroßvater mal wieder im Mittelpunkt steht. Nun hat Tim Pieper in der wie immer gut besuchten Leserunde bei Lovelybooks.de zumindest angedeutet, dass es eine Sanftleben-Gruppe werden könnte, also, dass wir vielleicht von einem weiterer Sanftleben lesen werden.

    Bleiben wir dran.

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