Pristina

Buchseite und Rezensionen zu 'Pristina' von Toine Heijmans
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Pristina"

Format:Broschiert
Seiten:345
EAN:9783981889451

Rezensionen zu "Pristina"

  1. 4
    13. Feb 2022 

    Mensch vs. Politik

    Denkt man an Pristina, denkt man an den Kosovokrieg der 90er Jahre. Nur wenigen war bis dahin der Name der kosovarischen Hauptstadt ein Begriff.
    Pristina spielt in dem gleichnamigen Roman des niederländischen Schriftstellers Toine Heijmans eine nicht unerhebliche Rolle. Bevor die Handlung dieses Romans tatsächlich nach Pristina führt, richtet sich das Augenmerk jedoch auf eine kleine niederländische Insel in der Nordsee – wie auch immer sie heißen mag.
    Diese Insel wurde in den 90er Jahren von den niederländischen Behörden gern als Übergangslager für Flüchtlinge unterschiedlichster Nationalitäten genutzt, die auf dem Weg nach wer- weiß-wohin waren - im besten Fall (aus Sicht der Behörden) wieder zurück in das Land, aus dem sie gekommen sind.
    Anfangs sträubten sich die Inseleinwohner gegen die fremdländischen Zwangsnachbarn. Doch die Insulaner sind Menschen, die zwar eine raue Schale haben, aber dennoch eine empathische Seele.
    Mit der Zeit arrangierte man sich mit den neuen Nachbarn, machte das Beste aus der Situation, aus Misstrauen und Ablehnung wuchsen Interesse und Toleranz. Man profitierte voneinander, und auf der Insel kehrte wieder Ruhe ein. Das Inselleben hätte so schön sein können, wenn die niederländischen Behörden sich mit der Zeit nicht daran erinnert hätten, dass das Leben der Flüchtlinge auf der Insel nach wie vor nur eine Übergangslösung bot. So wie die Flüchtlinge eines Tages überfallartig auf der Insel abgeladen wurden, so wurden sie eines Tages wieder eingesammelt und von der Insel geschafft. Alle, bis auf eine junge Frau namens Irina Past. Mit Hilfe von drei Inselbewohnern gelingt es ihr, von dem Radar der Behörden zu verschwinden. Sie macht sich unsichtbar und die Inselgemeinschaft hält dicht. Doch eines Tages taucht der Rückführungsbeamte Albert Drilling auf der Insel auf, der der jungen Frau auf die Schliche gekommen ist und alles Mögliche anstellt, um Aktennummer 9906.21.2038 wieder in ihre Heimat – wo auch immer die sein mag – zurückzuverfrachten.

    Pristina ist satirisch-amüsant und gleichzeitig stimmt dieser Roman sehr nachdenklich.
    Der amüsante Teil dieses Romans ist sicherlich dem Inselleben zuzusprechen. Auf dieser kleinen niederländischen Insel leben eigenwillige Schlitzohren, die zwar misstrauisch gegenüber allem und jedem sind, der nicht von hier kommt, aber gleichzeitig auch großen Spaß daran haben, ihre Lebensweise zu verteidigen, indem sie Menschen von außerhalb durch den Kakao ziehen, insbesondere, wenn es Rückführungsbeamte sind, die einer der Ihren schaden wollen. Und Rückführungsbeamter Albert Drilling ist als Opfer für die Insulaner prädestiniert: hyperkorrekt und pedantisch, ein Paragrafenreiter wie er im Buche steht und selbstherrlich genug, dass er nicht mitbekommt, wie er von den Insulanern an der Nase herumgeführt wird.
    Albert steht für die Flüchtlingspolitik seines Arbeitgebers, sprich den Niederlanden. In dem Roman ist er die Exekutive eines Ministers, dem es ausschließlich um die Karriere geht. Dieser Minister hat sich das Flüchtlingsthema zu eigen gemacht, um sich karrierewirksam in Szene zu setzen. Unnachgiebigkeit und hartes Durchgreifen bestimmen sein Handeln. Wichtig ist am Ende nur die Abschiebequote, Menschen, die den Makel „Flüchtling“ tragen sind dabei nebensächlich. Mit dieser Darstellung widerspricht der Autor dem Bild der toleranten und weltoffenen Niederlande – natürlich bezogen auf die Politik:
    „Niederländer sind nette Menschen, die für ihre hohen moralischen Standards in puncto Flüchtlingspolitik bekannt sind…“

    Er wird es wissen, denn schließlich greift Toine Heijmans auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurück. Als Journalist mit den Schwerpunkten Minderheiten und Asylsuchende befasst er sich seit vielen Jahren in seinen Reportagen mit dem Schicksal Asylsuchender. Für seine Arbeit erhielt er in 2004 den Antidiskriminierungspreis der Europäischen Union.

    Pristina ist ein politisches Buch mit einem hohen Unterhaltungswert. Herausragend sind die Dialoge der Kontrahenten in diesem Buch, insbesondere wenn Rückführungsbeamter Albert daran beteiligt ist, der die Flüchtlingspolitik seines Arbeitsgebers verkörpert. Gerade hier wird deutlich, wie zwei Welten aufeinanderprallen: Mensch und Politik. Und als Leser wünscht man sich so sehr, dass der Mensch am Ende siegen wird …..

    Leseempfehlung!

    © Renie

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