Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna: Roman' von Eugen Ruge
4.5
4.5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna: Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:420
EAN:9783423283328

Rezensionen zu "Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna: Roman"

  1. Vulkanismus und andere Ismen

    Der wohl berühmteste Vulkanausbruch in der Antike war der Vesuv (79 n.Chr.) und hat viele Pompejianer überrascht. Noch heute sind die Abdrücke und ausgeformten Hohlräume ihrer Leichen in den ausgegrabenen Ruinen zu bestaunen. Angesichts dieses schauerlichen Denkmals fragt man sich, ob die Menschen nicht gewarnt waren und allerlei Gedankenspiele beflügeln die Vorstellung dieses Ereignisses. Eugen Ruge hat daraus seine ganz eigene Version komponiert.

    Die Zeit errechnet sich nach den verstrichenen Jahren der Gründung Roms, so schreiben wir die Jahre Achthundertund.... die Christen sind noch nur eine unbedeutende Sekte. Der auktoriale Erzähler ist Zeitgenosse und Augenzeuge der Vernichtung Pompejis und erinnert an die Geschehnisse davor, als die ersten toten Vögel am Fuße des Berges gefunden werden. In 18 Schriftrollen weiß er von allen wichtigen und emporsteigenden Persönlichkeiten der Stadt, von ihren Absichten und teils pikanten Unternehmungen zu berichten. Deshalb möchte er sein Zeugnis gut verschlossen wissen, denn "keine Katastrophe passiert zweimal auf dieselbe Art", den Toten kommt die Warnung zu spät, doch nachgeborene Generationen "mögen klüger, vernünftiger und reifer sein" und diese "Farce mit Vergnügen lesen".

    Jowna, alias Josephus, genannt Josse ist der tragische Held in dieser Geschichte. Er ist der Sohn eines pannonischen (ungarischen) Metzgers, der über Rätien (Bayern) nach Kampanien einwandert und also Ausländer in Pompeji, ein Protektorat Roms, ist. Ein Jahr bereits geht Josse zur Schule, als diese und auch ein Großteil der Infrastruktur durch ein Beben zerstört wird. Ab da lungert die Jugend des Städchens herum, die Erwachsenen murren, weil Hilfe aus Rom nicht anlaufen will und Spekulanten quetschen aus den Ruinen auch noch das letzte Bißchen Gewinn.

    Freizeit und Ventil wird im "Hühnerstall" gesucht, wo die Jugend sich versammelt, quatscht und streitet. Josse ist eher stiller Beobachter und aufsaugender Schwamm für Ideologien, Fremdwörter und Wissenschaftsvorträge. Unter anderem wollte man dem Vogelsterben auf den Grund gehen und ein geladener Experte behauptete, dass der Monte Somma, der viel größere Nachbar des Vesuvs, ein Vulkan sei, der ausbrechen werde. Fasziniert von dieser Idee, setzt Josse zu seiner ersten Rede an, die nur aus einem Satz besteht, nämlich dass man sich angesichts der Immobilität des Berges halt selbst von der Stelle bewegen müsste. Kurzum, der Vulkanverein wird gegründet und man zieht ans Fenster zum Meer (Küste), um nicht nur Korruption und Bevormundung zu entkommen, sondern auch eine eigene neue Stadt zu gründen.

    Diese Unabhängigkeit passt weder Rom, noch Pompejis Politiker und bald schon beginnt das Gezerre um die richtigen Leute. Josse gerät in die Arme einer schönen und mächtigen Frau, verrät Freunde. Geld und Macht locken, aber Josses fünfte und letzte Rede wird machtvoll und endgültig vom Vesuv selbst kommentiert.

    Ruges Roman mag aus der großen Sammlung von Büchern, Filmen und Dokumentationen zum Ausbruch des Vesuvs stammen und doch hat er hier ein Alleinstellungsmerkmal verdient, weil er aus den bekannten Ereignissen ausbricht. Sein fiktionaler Held durchlebt eine verunsicherte, unter römischer Knute unzufriedene und korrupte Gesellschaft im Schatten ihres Untergangs. Alle sind mit ihrem Aus- und Fortkommen derart beschäftigt, dass die unmittelbare Gefahr ignoriert wird. Dabei wird das Zeitgeschehen nur ein einziges Mal vorauseilend verlassen für den Bericht nach dem Ausbruch, ansonsten werden dem Wissen und den Möglichkeiten nichts Zukünftiges hinzugefügt, Pikantes allerdings auch nicht verschämt verschwiegen. Und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass Ruge mir etwas über meine Zeit und meine Entscheidungen erzählen will.

    Der Leser darf selbst beurteilen, ob er klüger, vernünftiger und reifer ist, um aus dieser, für uns vergnüglichen, Reise an den Schauplatz der verpatzten Entscheidungen die richtigen Schlüsse zu ziehen, denn diese bleiben für hier und heute ungesagt und sind doch mit jedem Satz latent sichtbar.

    Ruge weiß mit seinen Protagonisten umzugehen, er schont sie nicht, er stellt sie bloß, er lässt sie all das durchleben, was er anzuprangern sich zur Aufgabe gemacht hat. Dabei ist er vergnügt, augenzwinkernd und präzise, damit all seine Eindeutigkeiten ihre Zweitbedeutungen auf festen Füßen offen, verborgen zur Schau tragen können. Darin ist er ein gerngelesener, ungeschlagener Meister.

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  1. Von Wendehälsen und Scharlatanen

    Ich war ohne Einschränkungen begeistert davon, wie Eugen Ruge seine Figuren hier in den Untergang führt. Er tut es mir Humor und einem präzisen Blick auf die Verhältnisse, die herrschen, wenn Geld und Unvernunft die Welt regieren. Die Geschichte, die in Pompeji kurz vor dem legendären Ausbruch des Vesuv spielt, könnte fade sein, denn schließlich weiß der Leser der Gegenwart, dass diese Stadt zum Zeitpunkt der Erzählung bereits dem Untergang geweiht ist. Und dennoch bin ich der Story gebannt gefolgt und habe Seite um Seite verschlungen. Schließlich wird hier sehr deutlich, was menschliche Borniertheit und Gier anzurichten vermögen. Unnötig eigentlich zu betonen, dass man das Ganze auch als Menetekel für den drohenden Kollaps des Planeten insgesamt lesen kann. Wird es zu neuen Einsichten verhelfen? Herr Ruge schüttelt im Hintergrund schweigend den Kopf, schätze ich. Er hat Recht, sagt mir mein Gefühl. In allen Punkten der Anklage.

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  1. 3
    23. Mai 2023 

    Zuviel Häme

    Ruges neuer Roman verarbeitet einen bekannten Stoff. In seinem Pompeji, 17 Jahre nach dem großen Erdbeben, hält ein sizilianischer Wissenschaftler einen Vortrag, dessen Fazit lautet: Pompeji liegt auf einem Vulkan, der höchstwahrscheinlich bald ausbrechen wird.

    Anwesend bei diesem Vortrag ist der talentlose Jowna, alias Josse. Er ist nur ein Jahr lang zur Schule gegangen und hat seine Zeit seither mit „heroischem Nichtstun“ verbracht. Josse meldet sich zu Wort mit der Ansicht, dass, wenn der Berg sich nicht bewegen lässt, sich die Stadt bewegen muss - die erste der titelgebenden 5 Reden. Durch diese Äußerung erlangt Jowna unerwartete Popularität, die er zu nutzen weiß. Er setzt sich an die Spitze einer Aussteigergruppierung, die 20 Meilen entfernt an der Küste eine neue Stadt gründen will. Aber dann wird die Frau des Oberhaupts auf ihn aufmerksam – und Jownas Engagement zur Rettung der Stadt ist ihm nun eher hinderlich. Denn die schöne Livia ist Bauunternehmerin und investiert in Immobilien. Ein aufgegebenes Pompeji ist nicht in ihrem Interesse.

    Ruges Roman über die Stadt, die in Feuer und Asche unterging, ist kein historischer Roman, auch wenn viele gut recherchierte Details ein farbiges Bild der antiken Gemeinde ergeben. Pompeji ist eine Politsatire mit unübersehbaren Bezügen zur klimabedrohten Gegenwart. Alle sind da: Die Hippies, die einen Strand und Dope wollen, die Verschwörungstheoretiker, für die das Gerede über den Vulkan Fake News sind, die Prepper, die Heimatfreaks, die Neoliberalen und die Sozis, die beim Gang durch die Institutionen aufweichen.

    Ruge winkt nicht mit dem Zaunpfahl, er schwenkt gleich den ganzen Zaun. Das tut er mit viel Sprachwitz - man merkt bei der Lektüre, dass der Autor eine Menge Spaß hatte bei der Darstellung all dieser hohlen Zeitgenossen. Die einzige Aufrechte des ganzen Romans ist Josses Mutter, aber sie ist lediglich eine unwichtige Nebenfigur. Alle anderen Figuren des Romans sind so lächerlich und/oder verachtenswert in ihrer Unbelehrbarkeit und ihrem Vorrang für kurzfristige Ziele, dass man das Geschehen zwar amüsiert, aber auch distanziert verfolgt. Keine wächst einem genug ans Herz, um auf ihre Rettung zu hoffen. Stattdessen geht auf der Seite des allwissenden Erzählers jede Menge „Häme und Bösartigkeit“ auf sie nieder. Mir hat das, vor allem zum Ende hin, zunehmend Unbehagen bereitet. Soll die Leserschaft sich in diesen Idioten wiedererkennen? Das dürfte schwerlich funktionieren.

    Am Ende schafft es Josse, der Schulabbrecher, „getragen von stillem Größenwahn und einer schamlosen Bereitschaft, sich durch die Welt zu lügen“, bis an die Spitze der pompejanischen Gesellschaft. Blöd nur, dass im Moment des Triumphes seine Welt untergeht.

    Immerhin haben es offenbar 18 000 der 20 000 Bewohner Pompejis geschafft, rechtzeitig zu flüchten. So ganz verblendet können sie nicht gewesen sein. Aber das interessiert Ruge nicht; es geht ihm nicht darum, eine Geschichte zu erzählen. Die Story ist lediglich eine Folie für die Gegenwart und bleibt blutlos. (Das Feuilleton hat den Roman gar als Schlüsselroman über die Grünen erkannt.)

    Sei´s drum. „Schreiben ist und war schon immer die Rache der Machtlosen.“ Bei aller sprachlichen Brillanz und so unterhaltsam der Roman sich liest - uneingeschränkt empfehlen kann ich ihn nicht.

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  1. Eine unterhaltsame Parabel zu Verführbarkeit und Ignoranz

    Mein Hör-Eindruck:

    Eugen Ruge entführt seine Leser in das Pompeji kurz vor dem Vulkanausbruch, und dieser drohende Ausbruch ist es auch, der das Buch strukturiert und die Handlung bestimmt.

    Ein namenloser Erzähler liest Schriftrollen vor, die uns das Leben von Jowna, genannt, Josse, vorstellen: ein Junge aus einer Flüchtlingsfamilie der Unterschicht, dessen Vater sich nach seinem Bankrott zu Tode schuftet und dessen Mutter mit Korbflechten das Schulgeld für den Sohn erarbeitet. Was ihr dieser allerdings nicht dankt: er bricht die Schule ab, streunt herum und schließt sich einer Schlägerbande an – bis er eher zufällig auf den Vogelschutzverein trifft. Dieser Verein ist eine getarnte Gruppierung von aufmüpfigen Stadtbürgern unterschiedlicher Couleur; hier finden sich Epikureer, Kyniker, Platoniker, Pythagoräer und andere zusammen und debattieren die Lage.
    Und hier trifft Josse auf einen Geologen und erkennt, dass Pompeji auf einem Vulkan erbaut worden ist und dass alle Anzeichen auf einen baldigen Ausbruch hindeuten.

    Josse macht sich zum Anführer einer Aussteigergruppe, die die gefährdete Stadt verlässt und eine Neugründung am Meer beschließt, in der die Willensbildung in Form einer direkten Demokratie erfolgen soll.
    Ab hier gerät Josse ins Visier der städtischen Gesellschaft und ihrer Politik, die den aufrührerischen jungen Mann als Gefahr begreifen.

    Josse wird nun ein Wanderer zwischen zwei Welten: einmal der Aussteigerkolonie am Meer und auf der anderen Seite bekommt er Zutritt zu den Stadtpalästen der städtischen Aristokratie. Zugleich bekommt er Zugang zu den wirtschaftlichen Überlegungen dieser Aristokratie.

    Ruge zeichnet ein erschreckendes Bild dieser Demokratie: ein Netz aus korrupten und ausbeuterischen Kapitalisten, deren Gott der Gewinn ist. Sie reden zwar von Moral und den römischen Tugenden, aber verbrämen damit lediglich ihr unsoziales Verhalten und ihre kapitalistischen Interessen. Auch die Priesterschaft ist Teil dieses Netzes und lässt sich gegen Geld instrumentalisieren.

    Josse wird mit Sex und Luxusgütern in dieses Netz eingesponnen und erweist sich als korrumpierbar. Er ist ein politischer Wendehals, der der Versuchung der Macht nicht widerstehen kann und dank eines Rhetorik-Kurses seine neue Haltung demagogisch geschickt und glaubwürdig verkaufen kann.

    Dem Leser wird ziemlich schnell klar, dass Ruge keinen historischen Roman um der Historie willen schreibt. Spätestens wenn Sätze fallen wie „Ich liebe euch doch alle“ wird klar, dass Ruge hier eine Parabel erzählt über Verführbarkeit und Ignoranz im Angesicht einer Katastrophe, und es bleibt dem Leser überlassen, wie er die Parabel auflöst.

    Ruge macht durch seine Beschreibungen aus dem musealen Pompeji eine lebendige und farbige Stadt. Als Leser geht man mit seinen Figuren durch die Stadtpaläste und liegt mit ihnen zu Tisch, um Austern und Amseln zu verspeisen, man besucht das Forum und hört den Reden zu. Ebenso lebendig und detailliert zeichnet er seine Figuren, auch die Nebenfiguren, wobei einige seiner Figuren historisch bezeugt sind wie etwa Plinius der Ältere oder Julia Felix, eine Immobilien-Großbesitzerin.

    Das Hörbuch wurde eingelesen von Ulrich Noethen, der perfekt den leicht ironischen und augenzwinkernden Ton des Erzählers trifft.

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