Palast aus Staub und Sand

Buchseite und Rezensionen zu 'Palast aus Staub und Sand' von Haroon Gordon
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Palast aus Staub und Sand"

Eines Abends ist er einfach da. Baptiste, der scheue, junge Mann, von dem niemand in der verschlafenen Ortschaft in der Provence weiß, woher er gekommen ist. Und er scheint dort sein Glück zu finden, bis Jahrzehnte später seine verschwiegene Vergangenheit aufersteht.

Mit aller Macht ziehen ihn die Erlebnisse vergangener Tage wieder in ihren Bann, und mit ihnen die Erinnerungen an Abda, das längst vergessene Frauengefängnis in der algerischen Wüste, in dem eine ungewöhnliche, tiefe Freundschaft, aber auch sein dunkelstes Geheimnis begraben liegen. Eines, das in einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit immer weiter an die Oberfläche drängt...

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Rezensionen zu "Palast aus Staub und Sand"

  1. 4
    06. Aug 2017 

    Poetisch, berührend und empfehlenswert...

    Eines Abends ist er einfach da. Baptiste, der scheue, junge Mann, von dem niemand in der verschlafenen Ortschaft in der Provence weiß, woher er gekommen ist. Und er scheint dort sein Glück zu finden, bis Jahrzehnte später seine verschwiegene Vergangenheit aufersteht. Mit aller Macht ziehen ihn die Erlebnisse vergangener Tage wieder in ihren Bann, und mit ihnen die Erinnerungen an Abda, das längst vergessene Frauengefängnis in der algerischen Wüste, in dem eine ungewöhnliche, tiefe Freundschaft, aber auch sein dunkelstes Geheimnis begraben liegen. Eines, das in einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit immer weiter an die Oberfläche drängt …

    Baptiste ist ein alter Mann, als die Erzählung beginnt. Er lebt schon lange in der Provence, seit er als junger Mann wie aus heiterem Himmel dort auftauchte, nie ein Wort über seine Vergangenheit verlierend. Obwohl zurückhaltend und in sich gekehrt, begegnete ihm vor Jahren in dem kleinen Dorf seine große Liebe. Und mit Claire hat er seitdem jedes einzelne Jahr geteilt, doch das Glück scheint sich nun zu wenden. Vor kurzem nahm ihm ein schwerer Unfall nicht nur seine Tochter, sondern auch seinen Schwiegersohn und das gerade geborene Enkelkind. Und nun ist auch seine Frau krank, schwer krank - und es führt kein Weg daran vorbei, dass sie sterben wird. Das Leben ist für Baptiste nur noch geprägt von Verlusten.

    Ihr eindringlicher Blick taf Baptiste bis tief ins Mark, und in die Stille seiner Hilflosigkeit mischte sich die Bitterkeit des Kämpfers, der langsam zur Einsicht seiner Niederlage kommt. - Nun hob sich ihre Stimme, um ihm ein versöhnliches Angebot zu unterbreiten. "Weißt du, was mir wichtig ist? ich möchte ein letztes Mal mit dir verschmelzen. Ich möchte ein letztes Mal ein Stück Eiskonfekt in meinem Mund halten, bis mich der kalte Kern belohnt. Ich möchte im Kino an deiner Schulter um Jeanne d'Arc weinen und in der Nacht einen perfekten Wein entkorken. Ich möchte noch einmal aus deinem Mund Candide hören. Ich kann das alles nur mit und vor allem durch dich haben und nur, wenn du verstehst, dass dies wunderbar und die beste aller Welten ist. Wenn du das nicht spürst, kann ich es nicht erleben, denn dann wirst du uns in deiner Trauer ertränken." (S. 109)

    Nach dem Tod seiner geliebten Claire verfällt Baptiste in eine tiefe Trauer. Selbst schon alt, kommen auch Gedanken auf, was er überhaupt noch vom Leben erwartet. Als er sich bei einem Sturz einen Bruch zuzieht, erklärt er sich einverstanden, für die Zeit seiner Rekonvaleszenz in ein Pflegeheim zu gehen, denn er sieht ein, dass er so nicht für sich sorgen kann. Doch in seine Überlegungen hinein, vielleicht für den Rest seiner Tage in dem Heim zu bleiben, stößt Ella, eine junge Frau, die mit einer kleinen Gruppe aus Algerien in die Provence gekommen ist, um Werbung für ihr Projekt zur Unterstützung der ärmsten aller Kinder zu machen. Algerien - Baptistes Vergangenheit meldet sich zu Wort. Und er beschließt, die jungen Leute in ihrem Engagement nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern bricht in Frankreich alle Zelte ab, um sich seiner Vergangenheit zu stellen.

    Claires Tod hatte über Nacht alle Gegenstände, alle Bücher, Bilder, Möbel, einfach alles und jeden, verstummen lassen (...) Wohl weil Claires Tod alle Geräusche absorbiert hatte und hier kein Mensch mehr war, der noch genug Leben in sich hatte, um Geräusche überhaupt zu hören. (S. 42)

    Drei Geschichten werden hier zu einer Erzählung verwoben und bilden nur als ganzes eine fast vollkommene Komposition. Abwechselnd wird hier erzählt aus der Perspektive des alten Baptiste - trauernd am Ende seines Lebens angelangt und nun noch einmal die Möglichkeit ergreifend, etwas Neues zu beginnen, das aber gleichzeitig auch in seine Vergangenheit führt - und aus der Sicht Ellas, der jungen Frau, die auf der Suche nach sich selbst die Welt bereist und in Afrika mit dem Waisenhausprojekt ihre Aufgabe gefunden zu haben scheint. In Algerien angelangt, drängt die Vergangenheit Baptistes zunehmend in den Vordergrund, so dass rückblendend seine Kindheit und Jugend erzählt werden und so als dritter Handlungsstrang eine zunehmende Bedeutung erfahren.

    "Mein Schatz, du hast einmal gesagt, dass Liebe nur für die Lebenden gut sei und der Tod zu profan, als dass er etwas Verklärendes verdiene. Aber nun stehe ich hier und alle Worte, die du je zu mir gesprochen hast, hallen in mir. Jede Berührung, die du mir je geschenkt hast, durchfährt mich. Alle Blicke, die du je für mich erübrigt hast, ruhen auf mir." Baptiste schloss die Augen und beugte sich vor. Er legte sein Gesicht auf Claires Hände, die im Schoß gefaltet waren (...) (S. 80 f.)

    Während ich die Passagen um den gealterten Baptiste sehr berührend und oftmals poetisch fand, gelang es mir nicht wirklich, Ella nahezukommen. Sie blieb für mich immer etwas nebulös, und ihre Handlungen waren für mich nicht alle nachvollziehbar. Gelungen fand ich im Großen und Ganzen die Komposition der drei Handlungs-stränge, wobei jedoch die Erzählung um das Geschehen in Baptistes Vergangenheit eher als Block eingefügt wurde und damit die anderen Handlungsstränge für diese Zeit komplett beiseite schob und ihnen die Position einer Rahmenhandlung zuwies. Diese geballte Darstellung der Vergangenheit Baptistes habe ich als etwas zu geballt empfunden, auch wenn die Erzählung selbst interessant war. Doch insgesamt war dies eine zauberhafte Lektüre, die für mich dem magischen Realismus in der Tradition südamerikanischer Literatur zuzuordnen ist. Themen wie Freundschaft, Liebe, Loyalität und Verrat werden hier auf spannende Art mit überraschenden Wendungen neu beleuchtet.

    Poetisch, berührend und empfehlenswert - das bleibt als Fazit zu benennen.

    © Parden

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