Oriana Fallaci: Ein Frauenleben

Rezensionen zu "Oriana Fallaci: Ein Frauenleben"

  1. 5
    03. Mai 2017 

    Oriana Fallaci

    Eine starke Frau, diese Oriana Fallaci, die zusammen mit ihrer Herkunftsfamilie alle Klischees sprengt. Äußerlich wie auch innerlich …

    Was sie alles als Frau in einer männerdominierten Welt geleistet hat, ist wirklich enorm.

    Oriana, deren Namen aus Marcel Prousts Figuren stammt. Wer die sieben Proust-Bände gelesen hat, ist eine Madame Oriane Guermante mehr als vertraut ... Wie kamen die beiden Eheleute Edoardo und Tosca Fallaci zu Proust? Zuerst etwas zur Herkunft. Oriana kam im Juni 1929 zu Welt. Geboren wurde sie in Florenz und sie war das erste Kind von drei weiteren Kindern. Die Eltern waren sehr arme Leute. Aber sie besaßen recht viele Bücher. Die Wohnung besaß wenige materielle Güter, aber sie war reich an Büchern. Obwohl die Fallacis sehr wenig Geld zur Verfügung hatten, kauften sie sich die Bücher, wenn auch nur auf Raten. Sie waren sehr belesen. Ganz untypisch für eine arme Familie. Die Bücher hatten für sie einen hohen ideellen Wert. Dies allein hatte mir schon sehr imponiert, dass Bücher einer armen Familie so bedeutend sein können. Die Fallacis betrachteten die Bücher als das Tor zur Welt, und so wuchs Oriana auch mit dieser Bücherliebe auf. Das Tor zur Welt passt exakt zu Orianas Leben, die im erwachsenen Alter überall auf der Welt journalistisch tätig wurde. Ihre journalistische Schule absolvierte sie in ihrem geliebten Land Amerika.

    Orianas Kindheit und Jugend ist nicht ganz einfach verlaufen. Sie musste als die Erstgeborene den Jungen in der Familie ersetzen. Der politisch aktive Vater Edoardo nahm seine Tochter überall mit, denn

    "… auch als Mädchen kann man dienen. (…) Um zu vermeiden, dass seine Frau sich allzu sehr ängstigt, teilt Edoardo seiner Frau Tosca nicht mit, wann er seine Tochter auf Einsatz schickt." (2016, 19).

    Oriana wuchs in einer sehr kalten Welt auf. Sie war gerade mal zehn Jahre alt, als der Faschismus in Italien ausgebrochen ist. Der Vater mischte sich als Antifaschist unter die Partisanen und kämpfte im Untergrund für Freiheit und Gerechtigkeit. Oriana bekam vom Vater den Auftrag, antifaschistische Flugblätter zu verteilen, d. h. sie war schon recht früh politisch aktiv … Früh trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters.

    Oriana hat viel Elend gesehen und hat dadurch auch den Glauben an Gott recht früh verloren. Sie bezeichnete sich selbst als eine Atheistin, als ihr eine Ungerechtigkeit mit den Nonnen widerfahren ist:
    Die Nonnen im Kloster sagen zu ihr, sie solle alles als Geschenk für den Heiland am Altar zurücklassen.

    >>Kurz darauf bin ich heimlich noch einmal in die Kirche zurück, um nachzusehen, ob das Jesuskind alles aufgegessen hatte, und das Essen war weg. Doch nicht einmal die Bananenschale lag mehr da, und auch das Silberpapier der Schokolade war verschwunden. Mir kam der Verdacht. Ich verließ die Kirche, ging einen Flur entlang, und da saß auf einem Mäuerchen die Nonne, die meine Banane aß.<< (39f)

    Oriana geht nach der Schule auf die Universität und versucht es mit einem Medizinstudium, das sie aber wegen der Armut selbst finanzieren muss. Das wurde ihr mit der Zeit zu anstrengend, und sie brach das Studium wieder ab und engagierte sich hauptsächlich journalistisch …

    Oriana hatte eigentlich den Wunsch, Schriftstellerin zu werden, da sie aber nicht wusste, wie sie sich diesen Wunsch erfüllen konnte, blieb sie weiterhin journalistisch tätig. Ihre Art zu schreiben ist nach deutscher Art sehr ungewöhnlich. Sie pflegte einen polemischen Ton, aber immer mit Herz und Verstand bei der Sache. Vorurteile konnte sie schnell ablegen, sobald sie sich als falsch erwiesen haben. Oriana wurde als Kriegsberichterstatterin viel in Krisengebieten eingesetzt, wie z. B. im Iran, Indien, Türkei, Südamerika etc. Mit der Zeit genoss sie international große Beliebtheit … Sie hatte Erfolg, sie verschaffte sich auch bei den Patriarchen hohen Respekt. Für mich erwies sich Oriana Fallaci nicht wirklich als Italienerin, für mich war sie ein Weltmensch …

    Und dennoch, durch Orianas genossene Erziehung zahlte sie auch einen hohen Preis. Sie lebte nicht wirklich ihre Rolle als Frau, und war auch nicht beziehungsfähig, und erlebte mehrere Zusammenbrüche was die Partnerwahl betraf. Dadurch blieb auch ihr Kinderwunsch unerfüllt. Selbst durch den Beruf, umgeben von vielen Menschen, war sie bis zu ihrem Tod eine sehr einsame Frau.

    Weiteres ist dem Buch zu entnehmen …

    Mein Fazit zu dem Buch?

    Meine Lesepartnerin Tina und ich hatten dieselben Empfindungen. Wir sind beide der Ansicht, dass Oriana Fallaci eine sehr bedeutende Persönlichkeit war, die viel Achtung verdient hat, und trotzdem war sie uns auch zu anstrengend, dass wir uns eine Freundschaft mit ihr schwer vorstellen konnten.

    Und wir haben uns die Frage gestellt, was aus ihr geworden wäre, wenn vor ihr ein Junge geboren wäre? Sicher, sie bekäme eine klassische Mädchenerziehung. Aber Oriana hatte noch drei Schwestern, die alle eine gute Schulausbildung erhielten, und sich wahrscheinlich die ältere Schwester zum Vorbild nahmen, da auch sie politisch aktiv und journalistisch tätig wurden. Den Eltern war es also schon wichtig, auch den anderen Mädchen trotz der Armut eine hohe schulische Ausbildung zukommen zu lassen.

    Auf meinem Blog hat das Buch 12 von 12 Punkten bekommen.

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  1. 5
    26. Mär 2017 

    Was für eine Persönlichkeit - ich bin beeindruckt

    Du wirst nicht viel Zeit haben, um die Dinge zu begreifen und sie zu erledigen. Die Zeit, die man uns gibt, in dem, was man Leben nennt, ist viel zu kurz. Und so ist es nötig, dass alles in großer Eile geschieht.

    Heute möchte ich Dich auf eine interessante Frau aufmerksam machen. Eine Frau, die schon sehr früh erwachsen werden musste, da sie schon als Kind den Krieg miterlebte und im Untergrund arbeitete. Eine Frau, die sich mit ihrer Berufswahl eine Männerdomäne eroberte.

    Am 4. September 2006 kehrt Oriana Fallaci nach Florenz zurück. Ihr Neffe begleitet sie auf ihrem Flug. Ihr Krebs ist im letzten Stadium, weshalb sie ein Privatflugzeug nehmen musste. Keine Fluggesellschaft wollte sie als Passagier haben.
    Die letzten 50 Jahre lebte sie in New York. Doch zum Sterben möchte sie dahin, wo alles begann. Sie igelt sich auf ihrem Sitz ein und erinnert sich:

    Als Oriana Fallaci 1929 in Florenz geboren wurde, war ihrem Leben keine erfolgreiche Karriere vorherbestimmt. Ihre Mutter musste für die Familie des Mannes das Aschenputtel spielen und sie bat ihre Tochter oft: Lerne, studiere, schau dir die Welt an. Und als Oriana 1977 den Ehrendoktortitel am Columbia College in Chicago annimmt, sagt sie in ihrer Dankesrede:

    Ich widme diesen Ehrentitel meiner Mutter Tosca Fallaci, die nicht die Universität besuchen durfte, weil sie in einer Zeit, in der arme Frauen nicht studieren durften, arm war und eine Frau.

    Oriana bekommt noch zwei Schwestern und viel später, als sie selbst schon erwachsen waren, noch eine Adoptivschwester. Es gab keinen Stammhalter, und so zog Orianas Vater sie wie einen Jungen auf.

    Die entscheidende Rolle für ihre spätere Berufswahl spielte ihr Onkel väterlicherseits: Bruno Fallaci. Er gehört der Welt der Schreibenden an, ist mit der Schriftstellerin Gianna Manzini verheiratet und selbst ein erfolgreicher Journalist. Einer seiner Ratschläge, die Oriana immer wieder zitiert: „Vor allem eins: Den Leser NIEMALS langweilen!“

    Orianas Kindheitserinnerungen sind eher trauriger Natur. Die Mutter hungert öfter, damit die Kinder etwas in den Magen bekommen. Aber sie sorgt auch dafür, dass man der Familie die Armut äußerlich nicht ansieht. Aus Alt mach Neu war ihre Devise. Und der Vater schreinerte Möbel, nur einen Geschäftssinn hat er nicht – er war eher ein Künstler.

    Schon als Kind interessierte sich Oriana für ihre Vorfahren. In einer Truhe gab es jede Menge Andenken an frühere Familienmitglieder. 1944 wird die Truhe samt Haus bei einem Bomenangriff total zerstört. Nur weil Oriana einige Briefe der Vorfahren abschrieb, blieben diese erhalten. Sie hat damals schon begriffen, „dass jedes Ding eine Sprache hat und zu einer Geschichte werden kann – man muss nur gut zuhören können“.

    Die Fallacis haben schon immer gegen die Obrigkeit aufbegehrt. Aber um die Politik kümmerte sich der Vater. Die Mutter teilte zwar die Meinung, hatte aber gar keine Zeit, den Kindern zu erklären, warum Mussolini schlecht war. Es war halt so.

    Oriana wird ein Kind des Krieges. Diese Zeit hat sich ihr tief ins Gedächtnis eingegraben. „Ich war ein Mädchen, das sich mit Hunger, mit Kälte und Angst auskannte.“ Und sie kämpfte als Kind schon mit ihrem Vater im Untergrund.

    Orianas Vater wird denunziert und ins Gefängnis geworfen. Man foltert ihn, sodass sie ihn, als sie ihn endlich besuchen dürfen, gar nicht erkannten.

    Nach dem Krieg, Florenz liegt in Trümmern, macht der Vater in der Aktionspartei Gewerkschaftsarbeit. Oriana wurde als einfacher Soldat aus der italienischen Armee verabschiedet. Da war sie 16 Jahre jung.

    Das dritte Kapitel hat die Überschrift „Ein Haus voller Bücher“ und ich war ganz traurig, dass es nur acht Seiten hat. Die Autorin lässt Oriana hier eine kleine Geschichte erzählen, die ich unbedingt aufschreiben muss, weil ich sie so schön finde:

    „Als ich noch klein war, kaufte meine Mutter Wolle im Strang, die sie dann zu einem Knäuel aufwickelte. Den Anfang des Knäuels knotete sie immer um ein zerknülltes Stückchen Papier, ob es nun ein weißes Blatt, ein Stück Zeitung oder eine Quittung aus dem Lebensmittelladen war. Mich brachte die Neugier jedes Mal schier um, wenn ich zusah, wie das Knäuel beim Stricken immer kleiner wurde, weil ich es nicht erwarten konnte zu erfahren, was sie wohl diesmal reingesteckt hatte. War das Knäuel zu Ende, hielt ich das Stück Papier ganz fest und drehte es in meinen ungeduldigen, kleinen Fingern hin und her. Wie gesagt, kam es durchaus öfters vor, dass es nur ein unbeschriebenes Stück Papier war, und in diesem Fall war die Enttäuschung groß. Stand jedoch etwas darauf, gab ich es sogleich der Mama, damit sie es mir vorlas, und lauschte ihr verzückt. Selbst die Rechnung aus dem Kaufladen erzählte mir eine Geschichte.“

    Was für ihre gesellschaftliche Herkunft eher ungewöhnlich ist, ist, dass Orianas Eltern leidenschaftliche Leser sind. Sie kaufen ihre Bücher auf Raten.

    Diese acht Seiten haben es in sich. Ich möchte sie euch am liebsten abschreiben, aber das geht leider nicht.

    Oriana verliebt sich nach den ersten Seiten von „Ruf der Wildnis“ von Jack London in den Hund Buck und London selbst war ihr erstes Vorbild. Er ist für sie „der Inbegriff des schriftstellernden Journalisten, in dem sich Neugier und Abenteuerlust mischen“.

    Da ihr jederman sagte, der Beruf des Schriftstellers wäre nur etwas für reiche oder alte Leute, arbeitete sie darauf hin, Journalistin zu werden.
    Sie weiß, dass sie in diesem von Männern dominierten Beruf besser sein musste als alle anderen und arbeitete akribisch.

    Arrigo Benedetti, Herausgeber des „Europeo“, sagte zu ihr:

    Du musst aufpassen. Du bist gut und wirst dir in unserer Branche keine Freunde machen, weil das alles Primadonnen sind, die einer Frau wenig zugestehen. Genauer gesagt, gar nichts. Tatsache ist, dass du dir einfach alles nehmen musst, ohne darauf zu warten, dass sie es dir geben, und damit wirst du dir nicht viel Sympathie verschaffen.

    Und da Florenz zu klein für sie wurde, ging sie für den „Europeo“ nach Rom, wo aber erst einmal eine Zeit des Hungers begann.

    Hiermit schließe ich und hoffe, ich habe Dich neugierig gemacht auf das Leben von Oriana Fallaci.

    Nur noch so viel: Oriana Fallaci arbeitete auch für renommierte internationale Zeitungen. Sie berichtete 1956 über den Ungarn-Aufstand und wurde beim Massaker von Tlatelolco durch Schüsse verletzt. Sie interviewte berühmte Menschen, darunter auch Ayatollah Chomeini und schrieb Bücher, die in 20 Sprachen übersetzt und in 31 Ländern veröffentlicht wurden.

    Nach ihrer Reise nach Ungarn schrieb Oriana das, was mir heute dauernd durch den Kopf geht:

    Wie können wir als Männer und Frauen mit Bewusstsein uns denn noch für die Liebschaften von Filmstars interessieren, für die Skandale der High Society oder für die Filmpremieren, die man im Smoking und tiefem Dekolleté besucht?

    Eine absolut interessante Biografie. Mich hat sie so neugierig gemacht, dass ich nun noch etwas Geschriebenes von Oriana Fallaci lesen möchte. „Wir, Engel und Bestien – Ein Bericht aus dem Vietnamkrieg“ habe ich mir schon besorgt.

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