Ökotopia: Roman

Rezensionen zu "Ökotopia: Roman"

  1. Was wäre wenn?

    Klappentext:

    „Der Roman »Ökotopia«, 1975 verfasst, verblüfft durch seine Aktualität: Elektrotaxis, Biogemüse, Smartphones, mächtige Politikerinnen, Solarenergie – beim Lesen glaubt man sich immer wieder in eine parallele Gegenwart versetzt. Doch der kleine Staat Ökotopia an der US-amerikanischen Südwestküste, der sich in Callenbachs Zukunftsszenario von den Vereinigten Staaten abgespalten hat, ist einfach nur seiner Zeit weit voraus.

    Entsprechend staunt auch der New Yorker Journalist William Weston, der über die skurrile Hippie-Republik mit der guten Luft berichten soll, und wirft seine Vorurteile bald über Bord. Spätestens als er sich in eine Ökotopianerin verliebt, will er gar nicht mehr zurück. Doch um bleiben zu können, muss er nicht nur die Wahrheit über einen von der US-Regierung vertuschten Krieg herausfinden, sondern auch beweisen, dass er eine gleichberechtigte Beziehung führen kann ...“

    Nach beenden des Buches steht für mich fest, es ist erstaunlich wie weit der Autor seine Phantasie hier hat schweifen lassen und wie erstaunlich aktuell doch dieser Roman ist. 1975 bereits an Umweltschutz zu denken wo doch gerade jeder Schornstein eine Menge Unrat in die Welt ballert uvm., ist wahrlich visionär. Die Geschichte rund um die kleine Stadt Ökotopia ist eine Art Utopie der damaligen Zeit. Wer weiß was diese Gedanken aber noch in der Zukunft bringen werden? Autor Ernest Callenbach hatte vorausschauende Gedanken für die Welt und bediente sich den aktuellen Gesellschaftsentwicklungen. Die Hippies haben hier genau so eine Stimme wie die kritischen Journalisten-Stimmen damals, die alles was diese Generation auch anstellte, verurteilte. Hier kommen wir um Klischees nicht drumherum und die auch noch in großer und breiter Mehrzahl. Generell ist der Schreibstil etwas spröde und dumpf. Ich hätte mir hier mehr Tiefe gewünscht. Genau die Tiefe, die Callenbach bei seinen Zukunftsvisionen benutzt. Man sucht nach den Menschen Ökotopias und findet irgendwie nur Hüllen und Phrasen. Es geht um so vieles in diesem Buch (Mülltrennung, E-Mobilität, Sex, Emanzipation und generelle Regeln achten oder auch nicht?! und noch so viel mehr) und man muss schon mit Bedacht lesen um sich nicht selbst zu verzetteln. Man kommt in dem Buch nicht umher als auch seine eigenen Gedanken einfließen zu lassen. Wie würde man selbst reagieren? Wie würde man dort leben? Wie mag es für Weston wohl sein, sich in eine Bewohnern zu verlieben wo er doch eigentlich ganz andere Ansichten hat? uvm.. Das Gedankenkarussel wird hier ordentlich angeschoben und ja, es bleibt genug Raum für eigene Gedanken und genau das fand ich spannend.

    Fazit: Auch wenn der Schreibstil nicht meinen Geschmack traf, habe ich die Geschichte rund um Ökotopia und natürlich auch um Journalist Weston gern gelesen. Die eigenen Gedanken werden hier definitiv viel beansprucht und man staunt über den Autoren-Geist aus dem Jahre 1975. Ich vergebe gute 3 von 5 Sterne.

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  1. Eine Reise ins Unbekannte

    Der amerikanische Journalist William Weston reist irgendwann gegen Ende der 1990er-Jahre nach Ökotopia - ein Gebiet im Südwesten, das sich rund 20 Jahre zuvor unabhängig von den Vereinigten Staaten erklärt hatte. Als erster US-Journalist überhaupt soll er in Reportagen über das Leben und Arbeiten der Ökotopianer berichten. Was sind das für Menschen, die ihren Müll recyclen, nur 20 Stunden in der Woche arbeiten und bei denen eine Frau im Präsidentinnenamt die Richtung vorgibt?

    Ernest Callenbachs utopischer Roman "Ökotopia" stammt ursprünglich aus dem Jahre 1975. Während sich der Autor zunächst vergeblich auf die Suche nach einem Verlag machte, gilt das Werk mittlerweile als moderner Klassiker. Bei Reclam ist nun eine deutsche Neuübersetzung von Holger Hanowell erschienen.

    Auf knapp 300 Seiten folgt die Leserschaft diesem William Weston und spürt dabei Schritt für Schritt, wie der Journalist seine anfängliche Skepsis überwindet. Rein formal und unter literarischen Aspekten betrachtet, ist das wenig aufregend und recht vorhersehbar. Westons sachliche Reportagen wechseln sich mit seinen emotionaleren Tagebucheinträgen ab. In den Zeitungsartikeln stellt Weston die verschiedenen Bereiche des Lebens in Ökotopia und dessen Hauptstadt San Francisco vor. Diese wirken mal paradiesisch (Verbot von Autos, lediglich Elektromobilität erlaubt), mal albern (Kriegsspiele von erwachsenen Männern, um ihre Aggressionen zu kontrollieren und keinen echten Krieg zu starten) und mal bedenklich (Gettoisierung der schwarzen Bevölkerung in einem Stadtteil namens "Soul City"). In den Tagebucheinträgen gibt Weston hingegen Auskunft darüber, was ihn wirklich bewegt und dass ihn diese insgesamt doch fortschrittliche Idylle offenbar doch gar nicht so abstößt wie es in seinen ersten Reportagen noch klingt.

    Diese Tagebucheinträge sind für die eigentliche Handlung des Romans die wichtigeren, wenn sie auch nicht frei von Schwächen sind. Eines der vermeintlich überzeugendsten Argumente für ein Leben in Ökotopia ist aus Westons Sicht nämlich eine Frau namens Marissa, in die er sich während seines Aufenthalts verliebt. Letztlich sind die Figuren aber so blass gezeichnet, dass man das Gefühl bekommt, diese Liebe werde eben nur behauptet. Denn man spürt sie zu keinem Zeitpunkt. Dafür spielt die Sexualität eine große Rolle in nahezu allen sanften und härteren Gangarten. Wobei auffällt, dass es bei allem Fortschritt lediglich heteronormative Beziehungen gibt.

    Was macht bei aller Kritik also "Ökotopia" dennoch zu einem lesenswerten Roman?

    Es ist die Kühnheit von Ernest Callenbach und der Zeitpunkt der Erstveröffentlichung. Man sollte als Leser:in immer im Hinterkopf haben, dass dieses damals sicherlich revolutionäre Werk im Jahre 1975 entstanden ist - und eben in den USA und nicht in Europa. Während Deutschland in den 1980er-Jahren langsam begann, den Müll zu trennen, beschäftigen sich die US-Haushalte selbst heutzutage nur im Ansatz mit diesem Thema. Doch Callenbach hatte diese Vision bereits 1975! In Ökotopia trennen die Menschen ihren Müll nach Plastik, Papier und Glas. Callenbach sah das Comeback der Elektromobilität voraus, als E-Autos trotz ihrer frühen Erfindung fast völlig vom Markt verschwunden waren. In Ökotopia haben Frauen zudem einen ungeheuren Einfluss auf Politik und Wirtschaft.

    Es ist eine Freude und große Überraschung, diese Visionen aus heutiger Sicht zu lesen. Fast fühlt man sich wie ein Detektiv, der bei jedem kleinsten ökotopischen Fakt herauszufinden versucht, ob und in welcher Form sich diese Vision durchgesetzt hat. Nur um entweder mit Bedauern festzustellen, dass ein Autoverbot in den Städten heute noch genauso undenkbar scheint wie damals oder eben um erleichtert zu sein, dass die Fernsehsender in Demokratien eben doch ihre Neutralität wahren und nicht als bloße Plattform der einzelnen Parteien dienen. US-Ausnahmen bestätigen glücklicherweise die Regel.

    Sollten Sie also die Reise nach Ökotopia antreten, überlegen Sie sich selbst, welche Vor- und Nachteile ein dortiges Leben haben würde. Seien Sie am Beispiel William Westons aber gewarnt: Es könnte sein, dass Sie nicht zurückkehren wollen...

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