Nussschale
Sein oder nicht sein - heißt in diesem Fall "noch nicht sein", denn die Geschichte des Ich-Erzählers spielt vor seiner Geburt. Aus der Perspektive des Ungeborenen erleben wir, wie dessen Mutter mit ihrem Liebhaber einen Mord plant, und zwar am Vater des Babys. McEwan löst das Problem, dass der Erzähler die Welt, in die er geboren werden wird, eigentlich noch nicht schildern kann, elegant über Podcasts, die seine Mutter hört und die ihm etwas über die Welt beibringen. Außerdem wird das Äußere der Mutter beispielsweise über die Äußerungen des Vaters erzählt, der als erfolgloser Poet und Poetry-Dozent sein Leben fristet. Die Mutter hat ihn aus dem gemeinsamen Haus rausgeworfen, doch er betet sie immer noch an und widmet ihr Gedichte.
McEwan erzählt gewandt, hin und wieder sehr witzig und pointiert, manchmal etwas zu bemüht manieriert über die Welt. Er entwickelt das Drama spannend und mit überraschenden Wendungen, und langsam enthüllt sich, dass die Intrige die ist, die wir schon aus Hamlet kennen, nur dass in dieser Handlung der Rest nicht Schweigen, sondern irgendwann das Babygebrüll sein wird ...
Ein Lesegenuss für alle, die McEwans clevere Erzählungen lieben. Shakespeare-Vorkenntnisse nicht nötig, aber hilfreich ;-) Leseempfehlung!
Der englische Schriftsteller Ian McEwan überrascht mich mit jedem neuen Buch. In „Nussschale“ ist die Erzählperspektive die er wählt.
Trudy Cairncross ist im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft, aber schon längst ist ihr die Ehe mit John lästig. Sie hat seinen Bruder Claude zu ihrem Liebhaber gewählt und beide trachten nun das Haus Johns in ihrem Besitz zu bekommen. John selbst ist auf Bitten Trudys ausgezogen, hofft aber immer noch auf einen Neubeginn, während seine Frau und sein Bruder ein mörderisches Komplott schmieden.
Der Zeuge, der diese Pläne verfolgt, kann weder sehen, noch sprechen. Alle seine Empfindungen, seine Gedanken werden gefiltert durch den Mutterleib und die Nabelschnur ist die Verbindung zur Welt. Dabei ist dieses Ungeborene von einer über den Dingen stehenden Weisheit und Weitsicht. Aus Radiosendungen und Gesprächen zieht er sein Wissen über die Welt und teilt seine Anschauungen und philosophischen Betrachtungen dem Leser mit. Genau wie er die Speisen und vor allem die Weine und andere Alkoholika – er scheint keine Kostverächter zu sein – kommentiert, so kommentiert er auch den Fortgang der tödlichen Intrige seiner Mutter und ihrer Liebhabers. Dabei scheint seine Lage aussichtslos, er ist zum stummen Abwarten verdammt, ohne selbst eingreifen zu können.
Die klassische Dreieckskonstellation mit tödlichem Ausgang ist schon seit der Antike und später bei Shakespeare bekannt. Ich könnte mir kaum jemanden vorstellen, der diese Geschichte so erstaunlich witzig und bitterböse präsentieren kann, wie McEwan. Die von ihm gewählte Perspektive des unschuldigen, aber immer parteiischen Beobachters, hat mir ausgesprochen gut gefallen.
Nussschale von Ian McEwan
Trudy ist ihres Mannes John überdrüssig. Seine Leidenschaft ist das dichten, doch Trudy langweilt sich nur noch, vergnügt sich lieber mit Claude, Johns Bruder. Den armen John schmeißt sie kurzer Hand aus dem Haus, und erbittet sich eine Auszeit. Trudys bereits weit fortgeschrittene Schwangerschaft ist für sie kein Hindernis diesen Weg fortzusetzen. Das Johns Haus, in dem sie lebt, einen beachtlichen Marktwert hat bringt Trudy und Claude auf eine Idee. John muss weg! Es muss ein Plan her, ein Plan der nicht auf die beiden hindeutet....
Das interessante an dieser Story ist und bleibt für mich die Perspektive des Erzählers. Habe noch nie einen Roman gelesen, der aus der Sicht eines Fötus geschildert wird. Es hat zum einen etwas komisches aber teilweise auch kritisches. Zumal McEwan bei der ein oder anderen Begebenheit richtig Biss bewiesen hat.
Natürlich darf man nicht zuviel hinterfragen, denn jedem dürfte bewusst sein, dass dies alles fiktiv ist und kein Fötus solche Gedankengänge ausformulieren kann. Dennoch kauft man dem Autor die Geschichte ab, sei es auch nur weil man sich rundum gut unterhalten fühlt.
Die Anzahl der Charaktere ist überschaubar.
Trudy war mir von Anfang an ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass sie ihren Mann mit seinem Bruder hintergeht, sie schert sich überhaupt nicht um die Gesundheit des Lebens, dass in ihr heranwächst. McEwan verpackt diese Infos sehr flapsig aus Sicht des Fötus, doch das kann den Leser nicht über den Ernst der Lage hinwegtäuschen.
Claude war mir auch von Anfang an unsympathisch. Seine Beweggründe hatten für mich direkt einen schalen Nachgeschmack. Ich kaufte ihm den treusorgenden Partner einfach nicht ab.
John Cairncross, Noch-Ehemann und Vater des Kindes, erschien mir äußerst gutgläubig. Ergreifend habe ich dazu die Gedanken des Kindes empfunden. Es hoffte und bangte um seinen Vater, war sich der wenigen Möglichkeiten bewusst, die es selbst nur hat.
Das Zusammenspiel der Charaktere empfand ich als sehr interessant. Der Autor baute immer wieder interessante Ereignisse ein, die aus Sicht des Kindes beschrieben, manchmal auch ein wenig wirr wirkten. Einige Passagen musste ich mehrfach lesen, bis der Aha-Moment sich einstellte. Der machte die Mühe aber durchaus wett.
Das Ende des Romans ist nicht spektakulär, aber ich konnte mich gut damit arrangieren. Obwohl einige Dinge unausgesprochen bleiben, und so dem Leser nur Vermutungen bleiben, ist doch alles stimmig.
Ein Roman der von mir mit Genuss gelesen wurde. Habe mich sehr gut unterhalten gefühlt. Nussschale hat mich überrascht, und genau das sollte ein gutes Buch schaffen. Ian McEwan hat es geschafft.
Als ich das erste Mal hörte, worum es in dem aktuellen Roman von Ian McEwan geht, hatte ich doch erhebliche Zweifel, ob dieses Buch etwas für mich ist. Dafür hörte sich die Story, die hier erzählt wird, einfach zu merkwürdig an: ein ungeborenes Kind erzählt aus dem Mutterbauch heraus, wie seine Mutter und ihr Liebhaber den Vater beseitigen wollen. Wie kann solch eine schräge Geschichte funktionieren? Aber McEwan macht es möglich. Die Geschichte funktioniert sogar erstaunlich gut, was nicht nur an dem herausragenden Sprachstil des Autors liegt.
Worum geht es in diesem Roman?
Wie bereits erwähnt planen die hochschwangere Trudy und Claude den Tod von Trudies Mann John. Belauscht werden sie dabei von dem Kind im Mutterbauch. In seiner mittlerweile doch sehr engen Behausung bekommt es Trudies und Claudes Pläne zur Beseitigung Johns im Detail mit. Vom Beginn seiner Entwicklung an, nimmt es sämtliche Geräusche wahr. Angefangen beim Herzschlag der Mutter, aus dem das Kind ihre jeweilige Stimmungslage interpretieren kann, Radio- und Fernsehsendungen, die zur Gestaltung seines Weltbildes beitragen, bis hin zu den Gesprächen zwischen Trudy, Claude und John. Man wundert sich, wieviel Lebensweisheit und Philosophie sich innerhalb kürzester Zeit anhand von Radio- und Fernsehprogrammen in einem Menschlein heranbilden kann.
Der Roman ist natürlich aus der Sicht des Ungeborenen geschrieben, das streckenweise über den Sinn seines anstehenden Lebens philosophiert. Das mag an manchen Stellen zu viel des Guten sein. Doch in weiten Teilen lässt man sich von dem Gedankenspiel des Kindes mitreißen. Erstaunlicherweise erscheint das Ungeborene in seinen Ansichten und seiner Sprachkompetenz fähiger und erfahrener zu sein als die Erwachsenen.
"Ich teile mir gern ein Glas Wein mit meiner Mutter. Womöglich haben Sie es längst vergessen oder auch nie erlebt, wie herrlich ein durch die Plazenta dekantierter Burgunder schmeckt (die mag sie am liebsten) oder ein Sancerre (mag sie ebenfalls)." (S. 17)
Die Welt, in die das Kind hineingeboren werden soll, ist nicht sehr ansprechend. Das Haus ist verkommen und Trudy ist eine Schlampe, die sich nicht daran stört, in Müll und Chaos zu leben. Schwangerschaft hin oder her, sie genehmigt sich gern ein paar Gläschen Wein. Claude steht ihr darin in nichts nach.
Das Kind verabscheut Claude, den Liebhaber seiner Mutter - nicht nur, weil es das Liebesspiel von Trudy und Claude notgedrungen ertragen muss (in Mutters Bauch ist es eng geworden ;-)), sondern auch, weil Claude nicht besonders helle ist und das Risiko besteht, dass dieser nach Johns Ableben die Rolle des Stiefvaters einnehmen wird. Mit der Mutter verbindet das Kind eine Zweckbeziehung. Einerseits kann es ihr Vorhaben, seinen Vater umzubringen, nicht tolerieren. Andererseits ist es ihr ausgeliefert. Sie hält es am Leben und ist der einzige Mensch, der für es da ist - wenn auch gezwungenermaßen. Es liebt seine Mutter. Wen soll es auch sonst lieben?
So verbringt das Kind die letzten Tage der Schwangerschaft im Mutterbauch und sinniert darüber, was ihm die Zukunft bringt und ob sein Leben überhaupt lebenswert sein wird.
"Könnte meine Mutter, die noch nie eine feste Stelle hatte, es als Mörderin zu etwas bringen? Ein harter Job, nicht bloß in der Planung und Durchführung, sondern auch hinterher, wenn die Karriere eigentlich beginnt. Denk doch, möchte ich ihr zurufen, wenn schon nicht an die Moral, dann an die Unannehmlichkeiten: Gefängnis oder Schuldgefühle, möglicherweise auch beides. Überstunden, Wochenend-, Nachtschichten, dein Leben lang. Keine Bezahlung, keine Vergünstigungen, keine Rente, nur Reue. Sie macht einen Riesenfehler." (S. 117)
Als Leser erlebt man die Vorbereitung auf das Verbrechen als stiller Zuhörer durch die Ohren des Ungeborenen. Da bleibt viel Raum für Spekulationen, denn schließlich können Ohren trügen. Die Spekulationen ziehen sich durch den kompletten Roman. Machen Trudy und Claude tatsächlich von ihrem Plan Gebrauch? Kommen Sie damit durch? Wie gut ist der Plan? Werden die beiden zur Rechenschaft gezogen? Ian McEwan hat es verstanden, ein geschicktes Verwirrspiel zu inszenieren, so dass man als Leser bis zum Schluss mit allem rechnet. Dabei brilliert er mit seiner unvergleichlichen Sprache. Er fabuliert nach Herzenslust, immer mit viel trockenem Humor und Sarkasmus. Er lässt kaum ein gutes Haar an seinen erwachsenen Charakteren. Einzig das ungeborene Kind kommt in seiner Hilflosigkeit und seinem Ausgeliefertsein gut weg.
"Kein Kind, erst recht kein Fötus, hat je die Kunst des Smalltalks gemeistert, würde es auch nie wollen. Smalltalk ist was für Erwachsene, ein Pakt mit Falschheit und Langeweile." (S. 94)
Fazit:
Als Leser muss man sich auf die ungewöhnliche Erzählperspektive dieses Romanes einlassen. Es gibt Momente, in denen man sich wundert, wie das Ungeborene manche Dinge außerhalb des Mutterbauches wahrnehmen kann. Man sollte dieses Szenario jedoch nicht in Frage stellen, sondern einfach als gegeben hinnehmen. Denn erst dann wird man richtig Spaß an diesem besonders humorvollen und spannenden Roman haben.
Ich schätze den besonderen Sprachstil von Ian McEwan und habe daher schon einige Bücher von ihm gelesen. Ich habe ihn jedoch noch nie als komischen Schriftsteller wahrgenommen. Doch genauso präsentiert er sich mit diesem Roman und es steht ihm richtig gut. Sein brillanter Sprachstil wird ergänzt durch einen trockenen Humor, der diesen Roman zu einem echten Lesehighlight machen.
© Renie
Trudy und ihr Mann John leben getrennt. Trudy hat es geschafft, John war derjenige, der auszog, obwohl es sich bei dem Haus um sein Elternhaus handelt. Mit ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft sieht sich Trudy im Recht. Ihre Affäre mit Johns Bruder hat damit nichts zu tun. Claude ist der erfolgreichere Unternehmer, John hat nur einen kleinen Verlag für Poesie, der mehr schlecht als recht läuft. Doch ist Claude auch der bessere Partner, zumindest ist ihm der Wert des Hauses sehr bewusst, dass zwar in schlechtem Zustand ist, sich aber in einer bevorzugten Lage Londons befindet.
Dieses Buch wird aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive heraus erzählt, die allerdings schon im Klappentext verraten wird. Quasi von innen heraus wird über den Gang der Ereignisse berichtet. Vor dem Leser entblättert sich dabei ein Blümchen, eine Geschichte, die schier unglaublich scheint. Mit jedem einzelnen Blütenblatt, dass man von der Blüte zupft, entdeckt man eine neue Facette des sehr zweifelhaften Charakters der werdenden Mutter. Eigentlich sollte sie sich doch zurücklehnen und in froher Erwartung auf die Ankunft ihres Kindes harren. Anstatt dessen schmieden sie und ihr dummdreister Geliebter jede Menge kruder Pläne, treiben Spielchen im Bett und malen sich eine finanziell gesicherte Zukunft aus. Doch reden lässt es sich leicht, was geschieht, wenn Pläne Realität werden.
Mit witzigen und wie immer prägnanten Worten schildert Ian McEwan ein paar Tage aus dem Leben von Trudy. Eine Schilderung, bei der man wahrlich mitgeht. Nein, wie blöd, denkt man manchmal, wie unsympathisch diese Personen, doch wieder und wieder hält der Autor einen Cliffhanger parat und zwingt die Gedanken in eine andere Richtung. Bis schließlich der Berichterstatter die Initiative ergreift und die Geschichte zu einem Finale führt, mit dem man als Leser sehr einverstanden sein kann. Spannend, ironisch und mit unerwarteten Wendungen erfreut und unterhält der Autor seine Leser. Ein Werk, das zu lesen sich lohnt.
Ich habe den Roman im Rahmen einer Leserunde hier gelesen, auf der wie immer diskutiert wurde - dieses Mal vor allem über die ungewöhnliche Erzählperspektive.
Die Erzählperspektive
Da ich im Vorfeld überhaupt nichts über den Roman gelesen habe, hat mich der erste Satz sehr überrascht:
"So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau." (S.9)
Es hat dann noch ein paar weitere Zeilen gebraucht, bis ich mir sicher war, dass in diesem Roman der Erzähler ein ungeborenes Baby im neunten Monat der Schwangerschaft ist. Es macht sich Sorgen,
"denn ich höre Bettgeflüster, das von einer tödlichen Intrige kündet, und zittere bei dem Gedanken an das, was mich erwartet." (S.10)
Bevor diese Intrige näher erläutert wird, legt uns der Erzähler dar, dass er glücklich ist, in der zivilisierten Welt mit ihren Vorzügen wie "Hygiene, Ferien, Narkosemittel, Leselampen, Apfelsinen im Winter" (S.12) aufzuwachsen. Gleichzeitig sieht es Europa als "verkalkt und überwiegend altersmilde, von den eigenen Geistern heimgesucht, wehrlos gegen Brutalität und Tyrannei, seiner selbst unsicher und zugleich ersehntes Ziel Millionen Leidender." (S.12)
Woher diese Weit- und Weltsicht? McEwan hat eine clevere Antwort darauf gefunden, die er größtenteils bis zum Ende beibehält. Das Baby bezieht sein Wissen aus dem Radio und aus Podcasts, vorwiegend Ratgeber, die seine Mutter hört. Und natürlich nimmt es das Gesagte um sich herum wahr - die differenzierte Weltsicht und die philosophischen Gedanken muten nur zu Beginn seltsam an, dann hat man sich als Leser/in daran gewöhnt, dass hier eine besondere Form des allwissenden Erzählers vorliegt, der trotzdem nicht über seine "Grenzen" hinaussehen kann. So bleibt er in einigen Situationen auf Spekulationen angewiesen, was erheblich zur Spannungssteigerung beiträgt.
Inhalt
Trudy, die Mutter des Ich-Erzählers, hat ihren Ehemann, den Dichter John Cairncross,verlassen, um mit seinem Bruder, einem windigen Bauunternehmer zusammenzuleben - und zwar in Johns Haus.
Die beiden wollen John loswerden und das Haus verkaufen - so viel zur tödlichen Intrige.
Der Zustand des Hauses ist desolat - es müsste dringend renoviert werden und überall liegt Müll, was das Chaos der Umstände verdeutlicht.
Claude, der intellektuell eher minderbemittelt scheint, "dieser schwachköpfige Tölpel" (S.35), ist keiner Situation wirklich gewachsen.
Trudy hat den Wunsch den zukünftigen Vater ihres ungeborenen Kindes zu beseitigen, damit sie ein neues Leben anfangen kann. Ihre Beziehung scheint auf sexueller Begierde und dem Wunsch nach Reichtum zu gründen. Trotzdem ist das Baby in einer Art Hassliebe mit seiner Mutter verbunden, nährt sie es doch - auch mit Alkohol. Das sind die verstörendsten Szenen im Roman. Trudy trinkt einfach zu viel und macht aus ihrem Ungeborenen einen Weinexperten - kann man durch die Nabelschnur diese Nuancen wirklich schmecken?
Großartig sind die Schilderungen der sexuellen Aktivität des Paares aus der Sicht des ungeborenen Kindes - das ist wirklich komisch, denn Claude drängt sich dem Ungeborenen wortwörtlich auf.
John taucht zunächst gar nicht auf, so dass man geneigt ist, ihn als Opfer zu sehen, da das Ungeborene Folgendes annimmt,
"dass er nichts von Claude weiß, dass er nach wie vor bis über beide Ohren in meine Mutter verliebt ist und hofft, eines Tages wieder mit ihr zusammenzuleben (...). Dass er ein erfolgloser Dichter ist, aber dennoch weitermacht. Dass er einen bettelarmen Verlag besitzt und leitet (...). (S.23)
Da es sich um einen Kriminalroman handelt, wird von der weiteren Handlung nicht mehr verraten, um die Spannung, die sich im Laufe des Romans steigert, nicht vorwegzunehmen.
Bewertung
Ich muss zugeben, dass mich diese ungewöhnliche Erzählperspektive von Anfang an fasziniert hat. Natürlich weiß der Säugling mehr, als er wissen kann und verlässt trotz allem nie ganz die Grenzen seiner Erkenntnis. Seine Ansichten über die Welt und seine philosophischen Gedanken heben den Roman über einen Krimi hinaus und machen ihn zu einem klugen, satirischen und außergewöhnlichen literarischen Werk.
"Keine Wahrheit schränkt das Leben so sehr ein wie die folgende: Es ist immer jetzt, immer hier, nie dann und da." (S.56)
Dass McEwan ein besonderer Erzähler mit guter Beobachtungsgabe ist, ist mir auch beim Roman Honig bewusst geworden. Er vermag die Leser/innen gekonnt zu täuschen, auch wenn bei "Nussschale" das Ende nicht ganz so überraschend, aber durchaus schlüssig und natürlich ist.
Faszinierend ist neben der unbedingten Liebe des Säuglings auch sein übermächtiger Wunsch zu leben, er will unbedingt werden, diese Welt da draußen kennen lernen.
Ein Hommage an das Leben, ein satirischer Kriminalroman über Liebe, Verrat und Leidenschaft, kluge Ansichten über die Welt, philosophische Exkurse - was will man mehr?
Hamlet! Oder so...
Zugegeben, bislang hatte ich noch keine Begegnung mit einem Buch von Ian McEwan. Vorgenommen hatte ich es mir schon lange, aber irgendwie kam es nie dazu. Doch hier, bei seinem neuesten Werk, wurde ich neugierig. Und bereits auf den ersten Seiten wurde klar: das ist ein Roman für mich!
Worum es geht, ist rasch skizziert: Mann, Frau, Liebhaber. Einer zu viel. Der Stoff, aus dem große Dramen entstehen. Doch halt, so ganz neu ist der Stoff wohl nicht. Schon die Namen einiger Personen deuten in die Richtung, in der man suchen muss. Trudy heißt die Frau und Claude der Liebhaber - und wem hier Hamlet von Shakespeare in den Sinn kommt (die Königin Gertrude und Claudius, der Bruder und Mörder des Königs und späterer Gemahl von Gertrude), ist auf der richtigen Spur. Auch bei McEwan ist Claude der Bruder von Trudys Ehemann - und die beiden planen die Ermordung des werten Gatten.
"Er merkt nicht, wie ungeduldig sie darauf wartet, dass er wieder geht. Wie pervers die Verbannung ist, die sie ihm (...) auferlegt. Ist er denn wirklich ein so bereitwilliges Werkzeug seines eigenen Untergangs? (...) ein Riesennarr, der es für klug hält, seiner Frau jenen 'Raum' zu geben, den sie angeblich braucht." (S. 29)
Doch auch Shakespeare hatte seinerzeit so seine Quellen - die Geschichte selbst ist also noch viel älter. Mir hat die Entdeckung dieses Zusammenhangs einfach viel Freude gemacht. Wichtiger jedoch ist nun zu schauen, worin das Besondere in dem Werk von McEwan liegt.
Da wäre zunächst einmal die überaus ungewöhnliche Perspektive zu nennen, aus der die Geschichte erzählt wird. Eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste, Person wurde bislang nämlich noch nicht benannt. Trudy ist im neunten Monat schwanger - und das Ungeborene erzählt hier die Ereignisse um seine Mutter, seinen Vater und seinen Onkel, all die Abgründe menschlichen Lebens, eine Geschichte von Intrige und Verrat. Durch die besondere Situation sind dem Erzähler die Hände gebunden, so dass er nichts tun kann, um das geplante Verbrechen zu verhindern, was ihm zwischenzeitlich sehr zusetzt.
Wer jetzt stutzt angesichts der Erzählperspektive - ja, das Erleben hatte ich beim Lesen auch. Wie kann denn ein Ungeborenes derart allwissend sein, die Situation analysieren, Überlegungen anstellen? Und nicht nur das: es beschreibt sinnliche Erfahrungen wie den Geschmack des Weins, den seine verantwortungslose Mutter täglich in sich hineinschüttet, oder auch über das Erleben von Farben. Darüber hinaus philosophiert das Ungeborene immer wieder auch über die verschiedensten Themen fröhlich vor sich hin. McEwan selbst hat die Antwort parat: Radio, Fernsehen, Podcasts, alles aufgesogen in den neun Monaten seines Daseins im Bauch der Mutter. Natürlich ist das wenig realistisch, aber irgendwie doch unwiderstehlich albern. Und das Ungeborene ist in bester Erzähllaune, so viel sei hier verraten. Wenn es gelingt, diese Erzählperspektive einfach als gegeben hinzunehmen, ist das Lesen ein wahres Vergnügen...
"Nicht jedermann weiß, wie es ist, den Penis des Rivalen seines Vaters nur wenige Zentimeter vor der eigenen Nase zu haben. In diesem späten Stadium sollten sie sich mir zuliebe eigentlich zurückhalten (...) Jedes Mal, bei jedem Kolbenhub fürchte ich, er könnte durchstoßen, könnte meinen weichen Schädel aufspießen und meine Gedanken mit seiner Essenz besamen..." (S. 37)
Ian McEwan hat hier eine besondere Mischung geschaffen aus Drama, Krimi und Satire, gewürzt mit allerlei philosophischen Betrachtungen. Böser schwarzer Humor versüßt dabei selbst die düstersten Darstellungen. Und bei all dem ist zu merken, wie viel Vergnügen der Autor selbst beim Schreiben gehabt haben muss.
Manche Passagen hinsichtlich der Reflexion des Weltgeschehens oder über die Natur der Menschheit sind für meinen Geschmack ein wenig zu ausschweifend geraten. Ein wenig so, als hätte McEwan selbst noch ein Fläschchen Wein geöffnet und den Philosophen rausgeholt, um über Gott und die Welt zu schwadronieren. Da geriet die Handlung für mich zu sehr ins Stocken. Doch die Schreibkunst des Autors, seine subtilen Beobachtungen zwischenmenschlichen Handelns, die hier fein herausgearbeitet sind, versöhnten mich wieder mit diesen Abschweifungen.
Insgesamt jedenfalls fühlte ich mich von dem Roman bestens unterhalten und habe jetzt Lust bekommen, weitere Werke des Autors kennenzulernen!
© Parden