Nora Webster: Roman

Rezensionen zu "Nora Webster: Roman"

  1. Verstaubtes Frauenbild!

    Kurzmeinung: Erstaunlich, was alles so als Meisterwerk gilt.

    Colm Tóibín ist Jahrgang 1955 und er ist Ire. Mit dem Schreiben hat er laut Wiki-Auskunft relativ spät begonnen, erst in seinen Dreißigern. Für diese Zeit schiebt sein Roman „Nora Webster“ ein viel zu mäusiges Frauenbild durch die Gegend. Wenn das, was Tóibín schreibt, Emanzipation sein soll, fresse ich einen Besen.

    Der Roman „Nora Webster“ spielt irgendwie um 1969 (bis 1972) herum, das weiß man, weil Noras ältester Sohn ganz versessen darauf ist, die Übertragung der Mondlandung nicht zu verpassen. 1969 bricht der Nordirland-Konflikt auf, dessen Ursachen weit zurückreichen. Thematisiert wird er nur am Rande, die Unruhen in Derry setzen 1972 ein. Nora und ihre Familie sind beunruhigt. Revolten im TV. Noras Schwester demonstriert in Dublin. Ansonsten ist die Familie aber unpolitisch. Natürlich hat man eine einseitige Meinung und liest Newspaper, klar, aber das wars schon.

    Der Roman konzentriert sich auf die Emanzipation Noras, die vor einiger Zeit Witwe geworden ist. Als ihr Mann Maurice im Sterben liegt, begleitete Nora den langen Sterbeprozess. In dieser Zeit muss sie ihre beiden heranwachsenden Söhne, Conor und Donal hintenansetzen. Der Riß, der durch diese Vernachlässigung in der Mutter-Söhne-Beziehung entstanden ist, lässt sich nie mehr ganz kitten. Zwei ältere Töchter sind schon aus dem Haus.

    Der Kommentar:
    Colm Tóibín schildert anschaulich den Spagat, den man in einer Krise machen muss. Hier der Kranke und seine Nöte und dort die restliche Familie. Ein unlösbarer Konflikt, an dem Nora lange knappert. Thema ist der Trauerprozess, das Zurücktasten in den Alltag und das sich Lösen von einem dominanten Partner: Nora hat sich in allem untergeordnet. Sie hatte eine eigene Meinung, behielt sie aber stets für sich.

    Die Figur der Nora liebzugewinnen ist nicht einfach. Warum hat sie sich so untergeordnet, dass ihre Persönlichkeit kaum mehr zum Vorschein kam? Es ging so weit, dass ihr Mann sogar bestimmte, wie lange man auf einer Party bleibt. Entscheidungen hat Nora während ihrer Ehe nie getroffen. Man fragt sich, wie das möglich sein soll. Man ist ja längst nicht mehr im Mittelalter. Sind die Iren so rückständig?

    In der Beziehung zu ihren Töchtern, ist mir Nora suspekt. Man hat den Eindruck, dass es sie kaum kümmert, wie es ihnen geht und was sie machen, wie sie den Tod des Vaters verarbeiten, während Nora sich intensiv um die Jungs und deren Gefühlslage kümmert. Frauen kümmern sich um sich selber, Jungs brauchen innige Zuwendung? Narrischkeit. Sie neidet ihrer Tochter Fiona sogar, dass diese als Lehrerin gut verdient. Besser als sie selbst, die in der Kleinstadt einen Job beim hiesigen Fabrikanten annehmen und unter ihrer früheren Intimfeindin knechten muss. Nora ist egozentrisch. Nicht in ihren Handlungen, sie fragt sich ständig, was sagen die Nachbarn, aber in ihren Gedanken. Sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ist nicht so ihr Ding. Nur Donal, der ihr am ähnlichsten ist, bringt sie zu mütterlichen Höchstleistungen.

    Man merkt, ich kann Nora nicht leiden. Der ganze Roman wirkt eigenartig altertümelnd. Nora ist so eine Art Pucki oder Nesthäkchen. Nur ohne deren Wärme. Nora ist eine kalte Person.

    Die Emanzipation Noras, wie sie der Autor ja eigentlich beschreiben will, eine Entpuppung sozusagen, beschränkt sich auf ein paar Hausrenovierungen und darauf, dass sie anfängt sie selber zu sein. Hätte sie das aber nicht schon zwanzig Ehejahre lang sein sollen? Maurice mochte keine Musik. Nora schon. Jetzt singt sie im Chor und kauft sich Platten. Und das ist alles? Warum ist sie in der Ehe zu einem unkenntlichen Menschen verschwommen, der sich nach der Meinung aller möglichen Menschen richtete?

    Fazit: Eine Emanzipationsgeschichte wie höchstens Männer sie für Frauen gutheißen. Viel zu kurz gesprungen!

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: Penguin, 2014

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