Nochmal von vorne: Roman
Dana von Suffrin erzählt in diesem Roman die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, und es ist die jüngste Tochter Rosa, die diese Geschichte erzählt. Der Leser / die Leserin folgt dem Gedankenstrom der Frau, der es obliegt, die Wohnung ihres gerade verstorbenen Vaters aufzulösen. Tief taucht die Erzählung ein in die Vergangenheit, in Rosas Erinnerungen, nicht chronologisch sondern assoziativ und damit wild in den Zeiten sowie in den Orten hin und her springend. Dies ist verbunden mit einem herausfordernden Schreibstil mit teilweise ellenlangen Schachtelsätzen, die Wesentliches mit Nebensächlichkeiten zu knäuelartigen, unübersichtlichen Gebilden verzwirbeln, schon ein anstrengendes Leseerlebnis.
"Sie ist auch eine dieser Personen, die nie fragen würden, wie es einem geht, denn sie wüsste selbst einfach keine Antwort darauf, und sie würde minutenlang nachdenken und schließlich seufzen, dass sie dazu leider nichts sagen könne, denn um zu wissen, wie es einem geht, muss man ihrer Meinung nach nicht nur die individuelle Stimmungslage und den gesundheitlichen Zustand berücksichtigen, sondern auch die eigene und die globale sozioökonomische Situation und weitere Parameter, die mir nicht einfallen wollen, und plötzlich werde ich fast wütend, weil ich denke, dass Nadja mich wieder einmal mit allem alleinlässt, denn während sie immer so tut, als würde alles, womit wir nichts zu tun haben, sie etwas angehen, zum Beispiel irgendwelche destabilisierten politischen Systeme in Südmittelamerika oder der Krieg zwischen Palästinensern und Israelis, den wirklich niemand begreifen kann; aber unser kleiner, grotesker, sicherlich einer Vielzahl psychoanalytischer Studien würdiger Familienkosmos hingegen, der aus nichts weiter als ein paar neurotischen, höchst bedürftigen Individuen bestand, ist für sie schon immer die größte Zumutung gewesen." (S. 14)
Viel Einsamkeit gab es in der Familie Jeruscher, niemand stand für den anderen ein, niemand hörte dem anderen zu, jede:r hatte eigene Macken. Der Vater Mordechai als Sprössling einer letztlich entwurzelten Familie (vertrieben aus Rumänien, später Ungarn hin nach Israel), dazu mit seinen eigenen traumatisierenden Kriegserfahrungen, über die er nie sprach und mit einem Sonnyboy als Bruder, aus dessen Schatten er nie heraustreten konnte. Er kam nach Deutschland, um dort Geld zu verdienen, doch seine Ausbildung als Chemiker war nicht ausreichend, um die gewünschte Professorenstelle zu erhalten, stattdessen arbeitete er in einem Labor und überprüfte Wasserproben. Stur, depressiv, oftmals sprachlos - das einzige vor sich selbst zugelassene Gefühl war Wut, für alles andere fehlten ihm die Worte.
Die Mutter, die eigentlich in den Bruder Mordechais in Israel verliebt war als sie dort als junge Frau ein Jahr lang arbeitete, dann aber bei der Wiederbegegnung in Deutschland offenbar mit "dem Spatz in der Hand" vorlieb nahm, Mordechai heiratete und statt ihr Studium zu beenden fortan Mutter und Hausfrau war. Keine Erfüllung für sie, was sie ihren Mann ständig spüren ließ. Die Eltern ließen gegenseitig kein gutes Haar am anderen, gestritten wurde täglich, lediglich mit kurzen Atempausen zum Verschnaufen.
Die Schwestern Rosa und Nadja teilten sich ein gemeinsames Zimmer, die Jüngere schaute zur Älteren auf, die aber kaum ein Interesse an ihr zeigte. Rosa wirkte als Kind/Jugendliche verträumt, malte in der Schule vor sich hin statt zuzuhören, oftmals Familienmitglieder als Motiv. Die Gedanken kreisten offenbar damals schon oft um ihre Familie, aber es blieb wohl keine andere Art des Audrucks als die Bilder - mit wem sollte sie darüber sprechen? Rosa als die Jüngste konnte immer nur beobachten, hatte keinen großen Einfluss auf das Handeln der anderen Familienmitglieder. Und sie erwähnt, dass sie mittlerweile nicht mehr zu ihrem Therapeuten geht - offenbar gab es viel aufzuarbeiten, was die oftmals larmoyant wirkende Aufzählung der negativen Erinnerungen eindrücklich demonstriert.
Es ist schwierig, den Inhalt zusammenzufassen, denn hier zerfasert zu viel. Und auch die Aussage, die Intention hinter dem Roman wollte sich von mir nicht wirklich greifen lassen. Was sollte hier erzählt werden? Über mögliche Andeutungen geht es hier nie hinaus.
Eine Familiengeschichte in Kontrasten? Der jüdisch-entwurzelte Vater mit dem familiären Hintergrund der Shoa und der Drangsalierungen durch die rumänische Diktatur, sowie mit den eigenen Kriegserfahrungen in Israel im Gepäck - und dagegen die katholisch-bayrische Mutter, deren Eltern offenbar während der Regierungszeit der Nationalsozialisten keine Gegner des Holocaust waren, die durch ihre Ehe mit einem jüdischen Mann womöglich etwas wieder "gutmachen" wollte? Die Darstellung der Auswirkugen von generationenübergriefenden Traumata innerhalb einer Familie? Eine Identitätsfindung von Rosa? Der Konflikt zwischen Rosa und ihrer Schwester Nadja, der letztlich zu etlichen Kontaktabbrüchen führte - und nun ein neuer Versuch? Die literarische Verarbeitung eines toxischen Familiengefüges, geprägt womöglich von eigenen Erfahrungen der Autorin? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
Trotz einiger schöner Formulierungen und eindringlicher Schilderungen beklemmender Szenen lässt mich der Roman in erster Linie ratlos und achselzuckend zurück. Vieles bleibt mir zu vage, das Herauslesen zwischen den Zeilen ist mir offenbar nicht gelungen. Schade eigentlich, denn irgendwie mochte ich den Roman auch.
Ein Kandidat für den kommenden Deutschen Buchpreis? Ich bin gespannt...
© Parden
Als Rosas Vater, Mordechai Jeruscher, seinem Krebsleiden erliegt, fällt es Rosa, seiner jüngsten Tochter, zu die Wohnung aufzulösen und sich um alles weitere zu kümmern. Eigentlich gibt es da ja noch ihre ältere Schwester Nadja, zu der sie aber nur sporadisch Kontakt hat, und die aktuelle Telefonnummer sucht sie vergebens in der Wohnung ihres Vaters.
Rosa organisiert, räumt aus, wirft weg, und erinnert sich an ihre Kindheit. Eine Kindheit, geprägt von den Streitigkeiten der Eltern. Der Vater war Jude, die Mutter Katholikin, dass, was am Anfang schön war, wurde schnell zu einem Drama. Und mittendrin die beiden Mädchen…..
Nadja war immer die rebellische der beiden Kinder. Sie hielt meist zur Mutter, die ebenfalls oft mit ihrem Verhalten provozierte. Rosa hielt hingegen eher zum Vater, sie war die stillere, und sie konnte es nicht ertragen wenn alle auf dem. Aber herumhackten, so dass sie sich eher auf seine Seite schlug. Es ist schlimm, wenn die Eltern nicht in der Lage sind ihre Differenzen ohne die Kinder auszutragen. Ebenso tragisch ist es, wenn Kinder sich gezwungen sehen Partei ergreifen zu müssen, was in dieser Familie leider an der Tagesordnung stand.
Die Handlung verläuft nicht chronologisch. Mal erzählt Rosa von den Ereignissen kurz vorm Tod des Vaters, mal aus der Kindheit. Sie erzählt von Besuchen in Israel, bei der Großmutter, die mittlerweile im Heim lebt, weil Arie, der Onkel der Mädchen, sie dorthin abgeschoben hat. Mordechai hat starre Grundsätze, nicht nur was seine Religion angeht, es wirkt so, als erdrücke er die Familie mit seinen Grundsätzen.
Er hatte große Pläne, als er nach Deutschland kam, doch seine Abschlüsse als Chemiker wurden nicht anerkannt, so dass er nun als einfacher Laborant arbeiten muss.
Seine Frau verliert ihnen Job, weil sie sich daneben benimmt, provokant ist. Nun muss ein Gehalt der Kaufsucht der Mutter trotzen. Neuer Brennstoff für die eh schon gereizte Stimmung. Und dann irgendwann ging die Mutter……
Für mich war es sehr anstrengend diesen Roman zu lesen. Die Dispute standen im Vordergrund, die schwierige Beziehung zwischen Nadja und Rosa, und der Tod des Vaters, der dieses Gedankenkarussel bei Rosa in Gang bringt.
Durch eine Leserunde an der ich teilgenommen habe, kam die These auf, dass die Autorin mit dem Buch die jüdische Geschichte am Beispiel der Jeruschers aufarbeiten möchte. Für mich ließ sich dies allerdings nur am Rande erahnen und auch nur, weil ich quasi mit der Nase drauf gestoßen wurde. Schade, so war es lediglich eine Aneinanderreihung von unterschiedlichen Kränkungen, die sich die Familienmitglieder über die Jahre angetan haben.
Ein Elternteil stirbt und eines der Kinder beginnt das Elternhaus zu räumen und sich zu erinnern. Das ist ein beliebter Ausgangspunkt für unzählige Romane, gelungene und missratene.
Auch hier bei Dana von Suffrin steht der Tod des Vaters am Beginn und Rosa, die jüngere Tochter und Ich- Erzählerin, geht in Gedanken zurück und blättert nach und nach die Geschichte der Familie Jeruscher auf.
Die Großeltern väterlicherseits sind von Rumänien nach Israel ausgewandert. Sie haben zwei Söhne, Arie und Mordechai. Letzterer geht nach Deutschland, stolpert über die Beine einer jungen Frau und heiratet kurz darauf deren Freundin. Die beiden bekommen zwei Töchter, Nadja und Rosa.
Leider entwickelt sich daraus nicht eine vorbildliche Liebesgeschichte zwischen einem jungen Israeli und einer bayrischen Christin. Das Ehepaar streitet unablässig.
„ Unsere Eltern …passten überhaupt nicht zueinander, und die Widersprüche zwischen beiden ließen sie beinahe jeden Tag aneinandergeraten. Sie versöhnten sich fast nie, sie sammelten nur in den kurzen Pausen, in denen sie nicht stritten oder schimpften, Kraft, um dann wieder übereinander herzufallen.“ Man fragt sich, warum die beiden zueinander fanden? War es die Schwangerschaft? Oder wollte die Mutter mit ihrer Obsession für den Holocaust mit ihrem jüdischen Ehemann ein Zeichen setzen? Ihr spießiges Nazi- Elternhaus schockieren? Man weiß es nicht. Tatsache ist, dass beide Elternteile zutiefst unzufrieden waren mit ihrem Leben. Die Mutter hat, nachdem sie durch eine Prüfung fiel, das Studium abgebrochen, um fortan mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zu hadern. Als die Töchter älter sind, verlässt sie alle und findet auf ihrem Ego-Trip in Thailand ( vermutlich) den Tod. Aber auch der Vater, zusätzlich traumatisiert von seinen Erlebnissen im Jom Kippur Krieg, ist vom Leben enttäuscht . Seine beruflichen Träume muss er begraben; stattdessen arbeitet er jahrzehntelang als Laborant bei den Stadtwerken. Die ständigen Zwistigkeiten zwischen den Eltern führen aber nicht dazu, dass die Schwestern sich verbünden. Nein, auch hier gekränkte Gefühle. Rosa fühlt sich von der rebellischen Schwester im Stich gelassen. Und auch die Mutter Zsazsa in Israel lässt kein gutes Haar an ihrer deutschen Schwiegertochter , die umgekehrt über ihre Schwiegermutter lästert. Eine dysfunktionale Familie wie aus dem Bilderbuch.
So weit, so gut. Was die Lektüre dieses Romans so quälend macht ist weniger der Inhalt, sondern vor allem die Erzählweise. Die Autorin berichtet nicht chronologisch, sondern springt zwischen den Zeitebenen hin und her. Das ist noch kein Problem, so etwas kennt man als Leser zeitgenössischer Literatur. Rosa erinnert sich assoziativ, aber auch ein solcher Gedankenstrom kann fesseln. Doch Dana von Suffrin verpackt ihre Erinnerungen in ellenlange Sätze, sie kommt vom Hölzchen auf Stöckchen und am Ende dieser endlosen Monologe kann man sich kaum erinnern, was einem hier erzählt werden soll. So viel Banales wird ausgebreitet, manche Dinge einfach mehrmals wieder aufgegriffen. Und man fragt sich ziemlich ratlos, was hier die Aussage sein soll. Auch dass in dieser Familie „ ein ganzes Jahrhundert voller Gewalt und Vertreibung nachwirkt“ -wie der Klappentext behauptet- wird kaum deutlich.
Die Autorin, eine promovierte Historikerin, setzt an den Anfang und das Ende des Romans, sowie irgendwo dazwischen, kurze historische Exkurse. Lässt sich die Bedeutung dahinter zu Beginn noch erschließen, so lässt sich das später nur mit sehr viel gutem Willen. Allerdings hat sich bis dahin der gute Wille des Lesers längst aufgebraucht.
Sicher, es gibt einige schöne Formulierungen, doch die können das Buch auch nicht retten. So z.B. „… und der Boden war wie überall in Israel aus Terrazzo, und genauso wie er bestand Zsazsas Erinnerung nur aus braunen, roten und weißen Steinchen, die man in neuen Formationen sortieren konnte, die aber letztlich nie einen Sinn ergaben.“ So besteht der ganze Roman aus vielen Steinchen, nur selten aus farbigen, sondern aus vielen farblosen und sie ergeben auch keinen Boden.
Schade! Mein Erwartungen an den zweiten Roman von Dana von Suffrin waren hoch, hat mir doch ihr Debut „ Otto“ sehr gut gefallen. Auch dort haben wir es mit einem Vater und zwei Töchtern zu tun, allerdings wird jene Geschichte originell und witzig erzählt.
Meine Empfehlung: lesen Sie „ Otto“ !
Ich hatte etwas Probleme in diese Geschichte hineinzufinden, da die Zeitebenen hin- und herspringen. Der Roman beginnt recht humorvoll mit dem Treffen verschiedener Außenminister im Jahr 1940, die über die Region Siebenbürgen entscheiden - ein Treffen, das tatsächlich stattgefunden hat.
Die Region, in der die Großeltern der Protagonistin leben, wird Ungarn zugesprochen.
Im 1.Kapitel erfährt Rosa in ihrem Viererbüro, dass ihr Vater im Krankenhaus gestorben ist. Danach ist sie "in dem Zustand (...), den (sie sich) mir immer gewünscht ha(t): an gar nichts denkend, vollkommen leer." (S.13)
Während sie an ihre ältere Schwester Nadja denkt, wird sie wütend, da diese sich der Familie regelrecht entzogen hat, sie sei verantwortungslos, aber nicht abgestumpft. Nachdem sie im Krankenhaus war, fährt Rosa in die Wohnung ihres Vaters, der in einem Mietshaus gewohnt hat, in dem auch viele Studenten leben, und offensichtlich ein komischer Kauz gewesen ist:
"Mein Vater muss den Nachbarn als Sonderling gegolten haben, als alter, dürrer Typ, der kein >>ch<< ansprechen konnte (und der, wenn er in Wut geriet, ständig alle Buchstaben verwechselte, worüber wir früher in einer grenzenlose, unsinnige Heiterkeit verfallen waren)" (S.22); "Er lebte wie ein Schatten" (S.23).
Insgesamt entsteht der Eindruck einer dysfunktionalen Familie, die rebellische Schwester Nadja, der schwermütige Vater und die Mutter, die ihre Familie verlassen hat, und irgendwo dazwischen steht Rosa.
Ihr jüdischer Vater, der in Israel groß geworden ist, ist zwar Chemiker, seine Abschlüsse wurden in Deutschland jedoch nicht anerkannt, so dass er als Laborant arbeiten muss und die Familie nur wenig Geld zur Verfügung hat. Sein Bruder Arie ist in Israel geblieben, Rosas Oma Zsazsa ist in einem Altenheim in Tel Aviv untergebracht.
Die Erinnerungen Rosas sind sehr assoziativ - erzählt wird im inneren Monolog, teilweise mit langen, verschachtelten Sätzen. Ausgehend vom Tod denkt Rosa an alles Mögliche zurück. Wie ihre Eltern sich kennengelernt haben, wie chaotisch das Familienleben verlaufen ist. In ihrer Erinnerung streiten immer alle miteinander. Die Mutter, die aus Bayern stammt und ihr Studium nicht abgeschlossen hat, ist unzufrieden mit ihrem Leben als Mutter und Hausfrau. Es bleibt die Frage, warum die Eltern geheiratet haben, wenn sie sich doch offenkundig nicht mögen. Konsequenterweise verlässt Veronika die Familie, kurz bevor auch Nadja auszieht und Rosa mit dem Vater allein lässt. Obwohl Rosa positive Kindheitserinnerungen an ihre Schwester hat, denkt sie in der Gegenwart stets negativ an Nadja.
Nebenbei werden auch geschichtliche Ereignisse eingeflochten - der Jom Kippur Krieg in Israel und das Ende der deutschen Besatzung in Siebenbürgen, das den jüdischen Großeltern die Freiheit zurückgebracht hat.
Im Versuch den Inhalt zusammenzufassen, wird wieder deutlich, wie zerstückelt alles erzählt wird und wie es zunehmend schwieriger wird, das Puzzle vollständig zusammenzusetzen. Hinzu kommt, dass vorwiegend Banales erzählt wird, Nebensächlichkeiten, die in jeder Familie vorkommen können. Das einzig Besondere scheint zu sein, dass Rosa in einer halbjüdischen Familie aufgewachsen, einer Familie, deren jüdischer Teil von der Shoa geprägt ist. Es gelingt der Autorin jedoch nicht, die Bedeutung der Shoa auch für die kommenden Generationen greifbar zu machen.
Trotz der teilweise recht ansprechenden Sprache hat mich der Roman v.a. im Mittelteil gelangweilt, im letzten Teil steigert er sich dadurch wieder, dass die Schwestern sich erneut begegnen und einige Fragen geklärt werden.
Insgesamt hat mich der Roman jedoch nicht überzeugt, so dass ich ihn auch nicht weiter empfehlen kann.
Lieber nicht! Denn die im Klappentext angekündigten Streitereien, versuchten und gelungenen Fluchten, Sehnsüchte und enttäuschten Hoffnungen sind durchaus als buchfüllend ernstzunehmen.
Frau von Suffrin nimmt uns mit in die Familie Jeruscher, oder vielmehr stellt sie uns Rosa Jeruscher vor, die vor der Aufgabe steht, die Wohnung ihres verstorbenen Vaters aufzulösen. Die Mutter ist schon ein paar Jahre tot, allerdings verließ sie vorher ihre Familie für einen neuen Lebensentwurf. Rosa hat noch eine ältere Schwester, Nadja. Sie scheint sich auch diesesmal vor aller Verantwortung zu drücken. Außerdem kennt Rosa ihr Telefonnummer nicht. Auf der Suche nach einer Nummer in der Münchner Wohnung des Vaters, hängt Rosa ihren Gedanken nach und rekonstruiert nach und nach ihre Familiengeschichte für uns Leser.
Die deutsch-jüdische Ehe stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Mordechais Eltern stammten ursprünglich aus einem Dorf in Rumänien, dass im 2.WK mit einem Strich auf der Landkarte Ungarn zugesprochen wurde. Die Shoah vertrieb sie nach Israel, der jüngere Sohn Mordechai wanderte als junger Mann dann nach Deutschland aus. Die erhoffte Berufskarriere begrub er bald, heiratete dafür die christliche Bayerin Veronika, die wiederum den älteren Bruder Arie bei einem Kibbuzaufenthalt in Israel kennengelernt hatte. Zsazsa Jeruscher, die Mutter Mordechais und Aries bombardiert diese Verbindung mit herablassenden Sprüchen und Verachtung.
Aber auch innerhalb der Münchner Familie läuft es nicht. Nadja ist mit ihrer Volljährigkeit regelrecht geflohen, Rosa fühlte sich daraufhin im Stich gelassen. Die Mutter haut ab und der Vater ist unzufrieden mit seinem Beruf, seiner Familie und seinem Leben.
Wir erfahren von zänkischen Auseinandersetzungen, aber auch von den kleinen schönen Momenten. Das Problem sind die geschichtlichen Einschübe der Shoah und das Schlusskapitel einer rumänischen Aufarbeitung. Sie stehen mahnend, aber völlig isoliert im Raum. Eine Zusammenführung der Ereignisse, eine Erklärung für den durchblitzenden Hass bekommt der Leser nicht. Es fällt schwer, diese Arbeit selbst zu leisten, eine Hilfestellung seitens der Autorin wäre schön gewesen. Der Text selbst hat auffällig viele Fehler, sodass der Eindruck entsteht, dass er nicht der Mühe wert war. Schade, denn ein Verständnis für jüdisches Empfinden wird so nicht gefördert.
Wirre Erinnerungen einer Tochter an die unglückliche Ehe der deutschen Mutter mit einem israelischen Vater, dazu Schwestern-Probleme
Selten hat mich ein Buch so gelangweilt, selten empfand ich ein Buch als so nichtssagend wie dieses. Und daran ist nicht die karge Handlung Schuld, die schnell erzählt ist:
Der aus Israel stammende Vater der Ich-Erzählerin Rosa ist nach schwerer Krankheit gestorben. Die Tochter muss sich um Begräbnis und Wohnungsauflösung alleine kümmern, obwohl es noch eine Schwester gibt, die Rosa später besucht.
Was ist es dann, das mich das Buch so negativ sehen lässt? Während Rosa sich nach dem Tod des einsamen unglücklichen Vaters um einige Formalitäten kümmert – die Mutter scheint in Thailand ums Leben gekommen zu sein - gehen ihr '1000 Gedanken' durch den Kopf und der Leser erfährt - verstreut in den Text, in ihrem Gedankenfluss - einiges über sie und ihre Familie, 'den kleinen, grotesken Familienkosmos, der psychologischer Studien würdig wäre' (14).
Der Vater leidet möglicherweise an einem Kriegstrauma (Jom-Kippur-Krieg) und an der Tatsache, dass er als ausgebildeter Chemiker lediglich im Labor Arbeit findet; die Mutter hat zwar ihr Studium nach Schwierigkeiten doch noch beendet, sich dann aber der Erziehung der beiden Töchter gewidmet und ist damit überaus unzufrieden. Rosa beschreibt ihre Mutter als 'giftig, melancholisch' und 'in einer einer traurigen Gedankenwelt' lebend. Die ältere Schwester Nadja verlässt die Familie mit 18 Jahren, zwei Monate später geht auch die Mutter. Bis dahin haben sich die Eltern täglich gestritten und der Leser fragt sich, warum sie überhaupt geheiratet haben. Es sind Bösartigkeiten, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen, z.b. der Vater: Rosa habe 'von der Mutter die Dummheit geerbt' (60), die Mutter: Vater sei 'emotional verkrüppelt' (71). Aber auch die beiden Schwestern haben kein gutes Verhältnis zueinander und Rosa bricht den Kontakt mehrfach ab.
Es ist sehr schwierig, im Wirrwarr dieser familiären Erinnerungen und Banalitäten nachzuvollziehen, warum Personen so und nicht anders handeln oder beschrieben werden. Für mich als Leser ergeben sich keine einleuchtenden Erklärungen. So ist überhaupt nicht klar, warum Rosa ihre Großmutter in Israel so negativ darstellt (Brüste wie Kürbisse, etc.) und vieles andere wird auch nicht geklärt. Es gibt inhaltliche Unstimmigkeiten und Klischeesätze und -vorstellungen: 'Vom Tod aus betrachtet, ist das Leben eine Aneinanderreihung letzter Male' (99) oder die reichen Senioren mit Alfa Romeos (139). Bei einigen Kapiteln ist die Funktion völlig unklar, z.B. eines über Trumpeldor oder das Ende.
Fazit
Wie man unschwer erkennen kann, hat mir das Buch überhaupt nicht zugesagt. Daran ist noch nicht mal der Gedankenstrom mit seinen Erinnerungsfetzen und Gedankensprüngen Schuld. Ich kann keine Aussage erkennen, nichts, was das Buch mir gegeben hätte, keine Anregungen zum Nachdenken, keine Sprache, die mir gefällt, einfach nichts, nur endlose Berichte von Streitereien und Banalitäten. Gelesen und schon wieder alles vergessen, ohne einen Eindruck hinterlassen zu haben außer Ärger und Widerwillen. Ein Satz hat mir gefallen und der passt zum Buch: 'Zsazsas Erinnerung bestand aus braunen, roten und weißen Steinchen, die man in neuen Formationen sortieren konnte, die aber letztlich nie einen Sinn ergaben.' (176)
Für mich ergibt das ganze Buch keinen Sinn.
Kurzmeinung: Kein großer Roman - aber ein wichtiger.
„Noch mal von vorne, aber bitte ganz anders“, so könnte Rosa denken, die Erzählerin dieses Romans von Dana von Suffrin. Sie kommt gerade aus dem Krankenhaus, ihr Vater ist vor einigen Stunden verstorben. In dessen Wohnung überkommen sie die Erinnerungen an ihre dysfunktionale Familie. Oder ist ihre Familie gar nicht dysfunktional gewesen, sondern einfach nur „normal unglücklich?“
DER KOMEMNTAR UND DAS LESERLEBNIS:
Um den Roman „Nochmal von vorne“ entweder zu entschlüsseln oder ihm einen Sinn zuzuschreiben, muss man zwischen den Zeilen lesen und ihn interpretieren. Macht man das nicht, bleibt er verschlossen und leider auch langweilig.
Vordergründig erinnert sich Rosa wahllos in einem endlosen breiförmigen Bewusstseinsstrom an ihre unfrohe Kindheit. Es reiht sich Erinnerung an Erinnerung, beziehungsweise ihre Erinnerungen reihen sich nicht, sie purzeln durcheinander. Das allerbanalste Geschehen ist für Rosa erinnerungswürdig. Oder war es gar nicht so banal, letztendlich?
Hintergründig ist die Familie Jeruscher nämlich durch die wie ein Nebel über der Familie hängende Depression des Vaters eine beschädigte Familie. Der Vater ist Jude, zweite Generation nach der Shoah, Mutter und Großvater wurden aus Rumänien vertrieben; haben unter dem dortigen Regime gelitten und der Großvater wurde gefoltert. Die Familie wanderte nach Israel aus. Der Vater Rosas, der gerade verstorbene Mordechai Jeruscher, kam zum Studium nach Deutschland und blieb dort hängen, heiratete eine Nichtjüdin, nämlich die lebensfrohe Bayerin Veronika, bekam 2 Töchter, eine davon ist die Erzählerin Rosa. Die Familie reist von München aus in größeren Abständen nach Israel, um die Großmutter und den Vaterbruder zu besuchen. So weit. So gut.
Der unreflektierte Bewusstseinsstrom Rosas ist anstrengend, das soll nicht verhehlt werden. Die Einzelheiten, die sie erzählt, sind an sich unbedeutend, Ausflüge, gemeinsames Fernsehen, Abende mit der Familie, der Vater bringt sie zur Schule und ist peinlich, die Schwester ist unnahbar schon von Kind an. In einem ständigen larmoyanten Gedankenfluss gehen wichtige Informationen unter: Rosa arbeitet sich an dem Benehmen ihrer älteren Schwester ab, die sich der Familie frühzeitig entzog, und Rosa im Stich ließ, der Vater hat nie gelernt, Gefühle auszudrücken, daran scheitert die Ehe, obwohl Rosa die Schuld der Mutter gibt. Die Mutter argwöhnt, dass ihre eigenen Eltern NaziSympathisanten waren und hält ihre Ehe für eine Fehlentscheidung, sie ist eine unbeholfene Israelsympathisantin, kann sich aber mit niemandem adäquat austauschen über die Shoah, die sie nicht loslässt. Manchmal verhält sich die Mutter inadäquat. Da hat Rosa ganz recht, trotzdem ist sie noch die sympathischste in der Familie.
Die Autorin macht es der Leserschaft mit ihrer quengeligen Protagonistin Rosa schwer, Sympathie für die Familie Jeruscher, für Rosa, für die Story selbst aufzubringen. Ganz willkürlich werden da und dort Unterkapitel eingeschoben, was im Zweiten Weltkrieg so passiert ist, Geschehnisse, die auf den ersten Blick gar nichts mit den Jeruschers zu tun haben, aber es ist immer ungerechtfertigtes Leid, das Juden zugefügt wurde. Nur dadurch wird es klar, dass wir es mit dem Trauma der Shoah zu tun haben. Ihren Nachwirkungen. Weder Rosa noch die Familie thematisieren, dass sie die dritte Generation der Überlebenden sind. Oder realisieren die Schatten der Shoah. Aber wir wissen es. Und die Autorin weiß es.
Fazit: Die Auswirkungen der Shoah sind nicht zu unterschätzen. Sie wirken bis heute nach. Meistens unbewusst.
Niemals vergessen, das ist unsere Aufgabe. Dass sich die Autorin in Andeutungen erschöpft und niemals ganz deutlich sagt, was Sache ist, ist ein guten Kniff. Mir hat er gefallen.
Kategorie: anspruchsvolle Literatur
Verlag: Kiwi, 2024
Wenn viel geredet, aber wenig gesagt wird
„Nochmal von vorne“ möchte ich der Autorin zurufen – mach es bitte noch einmal, aber ohne Exkurse, Schachtelsätze und Nichtigkeiten, stattdessen mit einem fließenden roten Faden, der diesem Roman leider so sehr fehlt. Das sieht man schon daran, dass es sehr schwerfallen würde, eine inhaltliche Zusammenfassung des Romans zu geben, selbst einzelne Kapitel direkt nach der Lektüre zu umreißen, würde kaum gelingen. Dies liegt an dem plätschernden Stil, der sich in allgemeinen und belanglosen Details verliert, vom Hölzchen aufs Stöckchen gerät und dies dann noch in endlos langen Sätzen verpackt. So hat man am Ende des Kapitels nicht nur vergessen, worum es anfänglich und überhaupt eigentlich mal ging, auch am Ende der Sätze weiß man kaum noch, wo einem der Kopf steht. Immer wieder musste sich mein Bewusstsein an irgendeiner interessanteren Begebenheit festklammern, um einigermaßen die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten.
Dabei fand ich die Erzählerin und ihren Erzählstil zu Beginn der Lektüre noch sehr begeisternd. Der Gedanken- und Gefühlsstrom war mir sehr nah, authentisch und überzeugend erhält man treffsichere Einblicke in den Charakter und die Seele der Protagonistin. Leider, leider nutzt sich die elaborierte Syntax aber zunehmend ab, ermüdet und zermürbt den Leser zunehmend, sodass man sich bald schon fast zur Lektüre zwingen muss, zumal auch immer so wenig hängenbleibt, denn unglücklicherweise verfügt der Roman über keine erzählenswerte Geschichte. Mit viel Aufwand und nur wenn man als Leser willens ist, den kaum ausformulierten und sehr vage konstruierten Zusammenhang zwischen Shoah und Familiengeschichte zentral zu setzen, gibt es überhaupt ansatzweise einen tieferen Sinn in dem Roman. Da diese Wahrnehmung aber schon äußerst viel Kreativität und Arbeit seitens des Lesers erfordert, würde ich den Roman als in dieser Hinsicht gescheitert bezeichnen. Er funktioniert einfach nicht. Und da ohne diesen künstlich generierten Bezug lediglich eine etwas eigenwillige, aber sehr alltägliche, Familiengeschichte bleibt, kann ich für „Nochmal von vorne“ leider keine Leseempfehlung aussprechen. Dem Roman und der Story fehlt leider das gewisse Etwas, der Anreiz, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, die nächste Seite umblättern zu wollen. Hier wird einfach zu viel geredet und zu wenig gesagt.