Nichts weniger als ein Wunder
Dies ist die Geschichte der fünf Dunbar-Brüder. Nach dem Tod der geliebten Mutter und dem Weggang ihres Vaters leben sie nach ihren ganz eigenen Regeln. Sie trauern, sie lieben, sie hassen, sie hoffen und sie suchen. Nach einem Weg, mit ihrer Vergangenheit klarzukommen, nach der Wahrheit und nach Vergebung. Schließlich ist es Clay – angetrieben von den Erinnerungen an ihren tragischen Verlust –, der beschließt, eine Brücke zu bauen. Eine Brücke, die Vergangenheit zu überwinden und so sich selbst und seine Familie zu retten. Dafür verlangt er sich alles ab, was er geben kann, und mehr: nichts weniger als ein Wunder.
13 Jahre hat Markus Zusak, der vor allem durch 'Die Bücherdiebin' weltberühmt wurde, an diesem 640 Seiten starken Roman gefeilt und gearbeitet. Eine lange Zeit voller Zweifel und stetiger Änderungen, und doch wollte und konnte Zusak nichts anderes schreiben. Und für mich kann ich sagen: ich bin froh darum...
'Bridge of Clay' lautet der Originaltitel des Romans, in meinen Augen aussagekräftiger und passender als der sperrigere deutsche Titel, auch wenn sich dieser im Verlauf der Lektüre ebenfalls erschließt. Doch wer ist nun dieser Clay?
Clay ist der vierte der fünf Dunbar-Brüder, einer australischen Familie, deren Geschichte hier erzählt wird.
"Es gab einen Jungen, einen Sohn, einen Bruder. Ja, für uns gab es immer einen Bruder, und er war derjenige von uns fünfen, der alles auf seine Schultern lud. Wie immer, sagte er ruhig und besonnen zu mir, und natürlich traf er damit ins Schwarze." (S. 9 f. )
Und nun sitze ich hier und zerbreche mir den Kopf, wie ich diesem so besonderen Roman mit einer Rezension gerecht werden kann? Ich fühle mich überfordert, maßlos. Denn diese Erzählung ist ein Erlebnis - man kann davon berichten, aber man versteht es erst, wenn man es selbst gelesen hat.
Der Inhalt lässt sich nicht beschreiben, ohne zu viel zu verraten - oder zu wenig. Soll ich schreiben, dass Zusak hier eine Familiengeschichte präsentiert? Eine Erzählung voller wilder Jungen, einer Mutter und einem Vater, die trotzig dem Schicksal begegnen? Einem Schicksal, das die Familie sprengt und den Vater für die Jungen zum Mörder werden lässt? Clay, der viel auf seine Schultern lädt und der eine Brücke baut, in der viel Arbeit und noch mehr von ihm selbst steckt - und die so vieles symbolisiert? Wer soll das verstehen? Schreibe ich aber mehr, so entzaubere ich den Roman für jeden, der mit dem Gedanken spielt, ihn zu lesen - und ich wünsche ihm, dass das viele sein werden.
Dieser Roman ist anders als 'Die Bücherdiebin', vollkommen anders. Und wer mit der Hoffnung beginnt, hier auf ein ähnliches Werk zu stoßen, wird womöglich enttäuscht sein. Aber wer bereit ist, sich auf ein ganz besonderes Leseerlebnis einzulassen, der wird, zumindest wenn man sich an den eigenwilligen Schreibstil gewöhnt hat, unbedingt belohnt.
Dabei ist nicht nur die Geschichte auf eine ganz eigene Art gewoben, episodenhaft und immer wieder wechselnd in Perspektive und Zeitebene, wodurch sich die Figuren und ihre Entwicklung fast mosaikartig und wie aus grob behauenem Stein ganz allmählich herausschälen. Es ist vor allem der Schreibstil, der hier erwähnenswert ist, und der vor allem zu Beginn fast schon experimentell wirkte und sich für mich etwas sperrig las, dabei aber rasch einen ganz eigenen Zauber entwickelte.
Voller Bilder und Metaphern, befrachtet mit einer nicht immer gleich verständlichen Symbolik, durchzogen von altgriechischen Heldensagen (die auch Einfluss auf die eigenwillige Namensgebung der Haustiere hatten), oft nur in angerissenen Satzfragmenten, erzeugt diese Art des Schreibens einen zunehmenden Sog, der einen das Buch kaum noch aus der Hand legen lässt. Und trotz der oft fast sachlichen Darstellung - schließlich schreibt hier der älteste der Dunbar-Brüder die Ereignisse aus seiner Sicht - sorgt manchmal ein einzelnes Wort, ein kleiner Satz dafür, dass einem beim Lesen die Luft wegbleibt und die Tränen kommen.
Ein Roman, durchzogen von Melancholie und Schmerz, Liebe und Hoffnung, Zusammenhalt und Verzweiflung, Schuld und Vergebung, Trauer und Humor. Und am Ende legt Markus Zusak gekonnt das letzte Steinchen in das Mosaik dieser Familienerzählung, und alles bekommt einen Sinn, jedes Teilchen ist an seinem rechten Platz, alle Fagezeichen lösen sich auf. Kunstvoll gewebt ist diese Geschichte, und damit umgarnt der Autor den Leser und zieht ihn in eine emotionsgeladene und stimmungsvolle Erzählung hinein, aus der er sich erst nach der letzten Seite allmählich wieder zu lösen vermag.
Ein leiser Roman von ungeheuerer Wucht, ein Leseerlebnis, das seinesgleichen sucht - es lohnt sich unbedingt, sich darauf einzulassen! Und einmal am Ende angekommen, würde man am liebsten gleich von vorne anfangen, weil man beim zweiten Mal womöglich auf einer tieferen Ebene liest. Wirklich ein besonderes Werk...
© Parden
Nichts weniger als ein Wunder habe ich erwartet, als ich gleichnamigen Roman von Markus Zusak das erste Mal aufschlug. Denn mit seinem Roman "Die Bücherdiebin" hat er vor etlichen Jahren einen Erfolg rausgehauen, der kaum zu toppen ist. Wenn ein Autor es also schafft, hier noch einen drauf zu setzen, grenzt dies an ein Wunder.
Und der neue Roman steckt voller Wunder. Ich war verwundert. Vieles in diesem Roman ist wunderlich. Doch am Ende fügt sich alles zu einem wundervollen Ganzen.
Ich gebe zu, anfangs hatte ich meine Startschwierigkeiten mit diesem Roman. Der Sprachstil von Markus Zusak ist sehr speziell. Das Textbild erinnert stellenweise an Lyrik, die Sätze wirken fragmentarisch. Hinzu kommt eine Symbolik, die überfordert ... so meint man zumindest. Denn wenn man den Fehler macht, diese Symbolik und Vieldeutigkeit im Detail verstehen zu wollen, beißt man sich die Zähne daran aus. Bei diesem Roman zählt das Gesamtpaket. Viele Dinge erklären sich im Verlauf des Romans, so dass sich rückblickend alle Fragen beantworten lassen. Man muss sich nur darauf einlassen.
"Wir träumten in unseren Zimmern und schliefen.
Wir waren Jungen, und wir waren wundersam.
Wir lagen da, lebendig und atmend -
denn das war die Nacht, in der er uns umbrachte.
Er hatte uns im Schlaf ermordet."
Entgegen meiner bisherigen Vorgehensweise beim Schreiben von Rezensionen, in ein paar Sätzen den Inhalt eines Buches zu skizzieren, beschränke ich mich hier auf ein absolutes Minimum. Dies tue ich nicht, weil es nichts zum Inhalt zu berichten gibt. Nein, ganz im Gegenteil. Zusak hat sehr viel zu erzählen. Aber tatsächlich ist dieser Roman eine Wundertüte und steckt voller Überraschungen. Ich habe diese Überraschungen sehr genossen und möchte keinen Leser um seinen persönlichen Spaß bringen. Daher liefere ich hier nur ein paar Stichworte:
Es geht um die Familie Dunbar in Australien: 5 Söhne (wovon einer der Ich-Erzähler dieses Romans ist), Vater Michael und Mutter Penelope sowie diverse Haustiere mit den schönen Namen der klassisch griechischen Mythologie (einen Goldfisch "Agamemnon" zu nennen, ist schon sehr eigenwillig. Man fragt sich, warum die Viecher der Familie Dunbar so heißen)
Es geht um Michaels und Penelopes Vergangenheit, wie sie sich kennen- und liebengelernt haben.
Es geht um einen Jungen, "der mit einem Lächeln geboren wurde".
Es geht um eine wilde Familienbande und innige Bruderliebe.
Es geht um eine Brücke, irgendwo in der australischen Einsamkeit.
Es geht um Pferderennen.
Es geht um Michelangelo und ums Klavierspielen.
Es geht um Liebe, Wut, Schuld, Scham, Angst, Traurigkeit, Freude und, und, und...
Natürlich geht es noch um viel viel mehr.
"Es war irgenwie poetisch, aber nicht im besten Sinne.
Sie brachte uns Mozart und Beethoven bei.
Und wir ihr das Fluchen."
Man wundert sich, wie solch verquere Ansätze am Ende zu einem Roman werden. Aber Markus Zusak hat das Kunststück geschafft. Wo sich jeder andere verzettelt hätte, schafft Zusak es, die Irrungen, Verschlingungen und Schleifen am Ende zu einem farbenprächtigen und einzigartigen Erzählkunstwerk zu verknüpfen, das man so schnell nicht vergessen wird.
Also merke:
Wer sich von den anfänglichen Startschwierigkeiten dieses Romanes abschrecken lässt, bringt sich um den Spaß an einem opulenten Roman, der zu Herzen geht, fesselt und seinesgleichen sucht.
Natürlich Leseempfehlung!
© Renie
Matthew, Rory, Henry, Clayton und Thomas: Das sind die fünf Dunbar-Brüder. Ihre Mutter ist tot, der Vater hat sich davongemacht. Nun leben die Brüder nach ihren eigenen Regeln. Sie schlagen sich durchs Leben. Dann beschließt Clay, angetrieben von den negativen Erinnerungen, eine Brücke zu bauen…
„Nichts weniger als ein Wunder“ ist ein Roman von Markus Zusak.
Meine Meinung:
Der Roman besteht aus acht Teilen, die wiederum in mehrere Kapitel untergliedert sind. Sie werden eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Matthew. Immer wieder gibt es rätselhafte Rückblenden und Vorausdeutungen, was das Verständnis nicht erleichtert. Insgesamt ist die Geschichte jedoch sehr raffiniert konstruiert.
Auch sprachlich ist der Roman besonders. Starke Bilder, allerlei gelungene Metaphern und poetische Formulierungen konnten mich begeistern. Doch der Schreibstil ist auch verwirrend, wirft viele Fragen auf und schafft unklare Bezüge. Manchmal wird der Leser direkt angesprochen, was aber nicht heißt, dass alles dadurch verständlich ist.
Der Einstieg in die Geschichte fiel mir nicht leicht. Sie erfordert ein sehr aufmerksames Lesen. Vor allem durch den ersten Teil muss man sich kämpfen, bevor man sich an die Art des Erzählens gewöhnt hat. Doch allmählich entwickelt der Roman einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.
Im Vordergrund stehen die fünf Dunbar-Brüder, von denen vor allem Clay eine besondere Rolle spielt, wie schon gleich zu Beginn verraten wird. Nicht immer konnte ich ihr Verhalten nachvollziehen, doch der Leser leidet und fiebert mit ihnen mit.
Inhaltlich geht es immer wieder um die Schwierigkeiten des Lebens: um Schmerz, Verlust, Scheitern, Schuld, Gewalt, Trauer. Aber es geht auch um Liebe und Hoffnung. Diese elementaren Themen sind es, die mich bewegen konnten.
Nach und nach fügen sich die Puzzleteile zu einer kompletten Geschichte, der Tragödie um die Dunbar-Brüder und ihre Eltern, zusammen. Auch darin zeigt sich das schriftstellerische Talent Zusaks. Die Handlung ist durchweg schlüssig. Auch das Ende konnte mich überzeugen und mich mit dem schwierigen Start in den Roman wieder größtenteils versöhnen.
Der deutsche Titel weicht stark vom englischsprachigen Original („Bridge of Clay“), das ich treffender finde, ab. Das Cover ist ansprechend und passt zum Inhalt.
Mein Fazit:
„Nichts weniger als ein Wunder“ von Markus Zusak ist ein aufwendig konstruierter Roman, der dem Leser einiges abverlangt. Es ist keine einfache, aber eine am Ende lohnenswerte Lektüre für diejenigen, die über ein wenig Durchhaltevermögen verfügen.
Eine sprachliche Wundertüte ist der neue Roman von Markus Zusak „Nichts weniger als ein Wunder“, mit einer Geschichte über fünf Brüder, die den viel zu frühen Verlust ihrer Mutter verkraften mussten und sich allein durch Leben schlagen, zusammen stehen obwohl es auf den ersten Blick nach Zersplitterung und ewigen Jungskämpfen aussieht.
Gegen den Strich und ungewohnte Konzentration abfordernd ist die Sprache, zerpflückt und zersprungen, danach neu und sehr poetisch zusammengesetzt bildet sie eine Einheit mit und zu der Geschichte der raufbeinigen Dunbar-Brüder, die ebenfalls zersplittert scheinen und sich neu zusammenfügen müssen.
Als die Dunbar-Jungs noch viel zu klein dafür sind müssen sie ihre Mutter Penelope beim Sterben begleiten. Der Vater Michael unterscheidet sich in seiner Hilflosigkeit nicht wirklich von seinen Söhnen, die Familie lebt monatelang im Ausnahmezustand mit „diesem Sterbekram“ ihrer Mutter. Sie rücken zusammen, nah an Penelope, die Jungs schwänzen Schule um bei ihr am Bett zu sein, raufen, streiten und lieben sich.
Der älteste Sohn Matthew erzählt die Geschichte um die Erinnerungen, tippt sie oft zunächst nur an, um sich dann wieder zurückzuziehen und später mit voller Wucht anzusprechen, und was ihm und seine Brüder schmerzt tut auch beim Lesen entsetzlich weh. Die Geschichte pendelt zwischen der Vergangenheit von Penelope und von Michael, des Kennenlernens und der Liebe von Penelope und Michael, dem Sterben der Mutter und der Gegenwart, in der Clay dem Vater beim Bau einer Brücke hilft, hin und her. Unsagbar viele Kleinode an Erinnerungssplittern prägen in allen Zeiten das Bild einer versehrten Familie, die auf völlig verrückte Weise mit Schmerz umgeht, jeder der Brüder auf seine Weise, und dennoch mehr auszuhalten vermag als man ihr zunächst zutraut.
Man braucht Zeit, um in die Geschichte hinein zu finden, die anfangs aus vielen Fäden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, gewoben ist. Es scheint so, als wolle Zusak in ersten Teil zunächst das Durchhaltevermögen seiner Leser testen, bevor er sie im zweiten Kapitel an der Hand nimmt und durch sein Gespinst führt, und es entwickelt sich ein großer Sog, zwar immer noch mit vielen Anfangen ohne Ende, doch auch mit dem klaren Gefühl, dass sich am Ende alles irgendwie fügen wird. Und dies ist kein leeres Versprechen des Autors an den Leser, denn am Ende ergibt wirklich alles einen Sinn.
Und auch wenn es zunächst nicht so wirkt ist das Buch „Nichts weniger als ein Wunder“ ein zwar lange Zeit rätselhaftes und fast verwunschenes, aber eben auch sehr tröstliches und hoffnungsvolles Buch, das eine großartige, fesselnde Geschichte erzählt, völlig ohne Pathos, Gemeinplätze vermeidend, und eben gerade dadurch äußerst berührend, nachhallend und glaubhaft. Es lohnt sich, den verwirrenden und episodenhaften Beginn des Buches durchzustehen, sich an die fast märchenhafte, symbolträchtige Sprache zu gewöhnen, denn dann eröffnet sich ein wirklich gelungener, Roman, soghaft und voller Licht, in dem in einer leidgeprüften und scheinbar absolut kaputten Familie großartige Liebe und Zusammenhalt bestehen bleibt.
Fazit
Auch wenn ich mir zu Beginn eine etwas weniger poetische Sprache und einen leichteren Zugang gewünscht hätte, ergibt am Ende alles einen Sinn, bewundernswert fügt sich jedes noch so kleine Teilchen ins große Ganze und dieses wirklich bewegende Buch kann ich nur empfehlen.
Denn: letztlich muss alles so sein, und eine kürzere, unkompliziertere Geschichte hätte ich im Nachhinein betrachtet nicht gerne lesen wollen.
Hört man den Namen Markus Zusak, dann denkt man unweigerlich an „Die Bücherdiebin“, diesen fulminanten Roman, der vor 13 Jahren die Leserschaft der ganzen Welt im Sturm nahm und mittlerweile in 40 Sprachen übersetzt worden ist. Entsprechend hoch waren auch die Erwartungen an den nachfolgenden Roman. Über ein Jahrzehnt hat der Autor seine Fans warten lassen, bis „Nichts weniger als ein Wunder“ publiziert worden ist.
Darin erzählt Zusak die Geschichte von fünf Brüdern. Die Geschwister Dunbar müssen nach dem Tod der Mutter und dem Fortgang des Vaters alleine zurecht kommen. Entsprechend wild und chaotisch gestaltet sich dieser Haushalt der fünf jungen Männer. Es scheint, also könnte diese Gemeinschaft nichts auseinander bringen. Doch es kommt anders. Clay, einer der Brüder, entscheidet sich eine Brücke zu bauen und geht.
Dazwischen erfahren wir nach und nach immer mehr Details aus der Vergangenheit der anderen Familienmitglieder, etwa von Mutter Penelope oder Vater Michael, so dass sich am Ende das ganze Mosaik dieses Romans stimmig zusammensetzt.
Zugegeben, ich bin mit hohen Erwartungen an das neue Buch von Markus Zusak herangegangen. Ich wollte es mögen. Aber ich habe es nicht geschafft und bleibe nach der Lektüre ein wenig ratlos zurück. Der Plot ist Klasse. Markus Zusak kann schreiben und fabulieren, ohne Frage. Aber dieses Buch hat mich nie gefangen. Dieses gewisse Etwas, das manche Bücher so außergewöhnlich macht und in der Erinnerung hält, hat für mich gefehlt. Vielleicht lag das an dem konfus wirkenden Anfang, einem wahren Gedankenfeuerwerk, oder den unzähligen Szenenwechseln, die den Lesefluss für meinen Geschmack zu oft abwürgten.
Deshalb sind es bei mir leider nur drei Sterne.
Er gräbt eine Schlange aus, einen Hund und eine alte Schreibmaschine, Matthew, der älteste der fünf Dunbar-Brüder. Genau auf dieser Schreibmaschine wird er ihre Geschichte niederschreiben und die der Eltern. Ihre geliebte Mutter ist gestorben und ihr Vater hat sie verlassen. Etwas, womit junge Menschen unmöglich klarkommen können. Doch die Dunbar-Brüder halten zusammen. Sie nehmen es als Lebensaufgabe an, sie müssen weiterleben, ihre Mutter hätte es so gewollt. Clay, der zweitjüngste der Fünf, ist es, der sich aufmacht zum Vater, um eine Brücke zu bauen, um die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden.
Nahezu jeder kennt „Die Bücherdiebin“, der herausragende Roman, mit dem der Autor bekannt wurde. Lange galt es auf den nächsten großen Roman zu warten. Und nun ist es soweit, die Geschichte der fünf Dunbar-Brüder ist erschienen. Gespannt blickt man auf das Buch und fragt sich, ob das neue Werk mit dem Vorgänger mithalten kann. Der Anfang ist dabei vielversprechend, man erwartet eine skurrile aber dennoch anrührende Geschichte, in der die Brüder den tragischen Tod ihrer Mutter überwinden müssen. Doch nach dem vielversprechenden Beginn fängt man erstmal an, sich „Die Bücherdiebin“ zurückzuwünschen. Zu sperrig und verworren sind die ersten Seiten des Buches. Man fragt sich, ob die Begeisterung über „Die Bücherdiebin“, die fast in einer Nacht verschlungen war, übertrieben in Erinnerung geblieben ist, ob man das erste Buch nochmal lesen sollte oder ob man das aktuelle Buch wie das Erste lieber auf Englisch lesen sollte, um den Zauber zu empfinden.
Zum Glück lassen sich die verschiedenen Fäden, die die Handlung zusammenhalten, entwirren. Es ergibt sich ein fesselndes und anrührendes Buch über fünf ungewöhnliche Kinder und Jugendliche, die vor der Zeit erwachsen werden müssen und die diese Aufgabe mit dem gebotenen Unperfektionismus meistern. Die Dunbar-Brüder raufen sich im wahrsten Sinne des Wortes, doch sie raufen sich auch zusammen. Ihre Mutter wird immer in ihren Herzen sein, doch die Trauer kann nicht ewig dauern. Der Tod wirft die Jungen in ein Tal, das unendlich tief erscheint. Jedoch auch das tiefste Tal erreicht ein Sonnenstrahl. Das mag ein Hund oder eine Katze sein, vielleicht ein Mädchen. Die Erinnerung bleibt allerdings, an eine Mutter, die ihren Kindern alles gab, insbesondere sich selbst.
Ein Buch, mit dem man sich anfreunden sollte, damit man nichts verpasst.
Der Roman heißt im Original Bridge of Clay (Die Brücke des Clay) und das trifft den Kern gut. Wie bei einer Brücke, bei der Weg, Pfeiler und Fluss sich in drei Dimensionen ausstrecken, überspannt der Roman drei Zeitebenen, die sich ergänzen und ein großes Ganzes bilden.
Die Pfeiler bilden die Kapitel „Vor dem Anfang“ und „Nach dem Ende“. Dies ist die Gegenwart. Matthew Dunbar, der älteste von fünf Brüdern, fährt in eine Stadt, in der er noch nie war, gräbt dort im Hof fremder Leute eine alte Schreibmaschine und die Knochen eines Hundes und einer Schlange aus. Er nimmt alles mit und fährt wieder nach Hause. Dort beginnt er, die Geschichte seiner Familie aufzuschreiben.
Diese Geschichte ist es, die in den Kapiteln „dazwischen“ in zwei weiteren Zeitebenen (Brücke und Fluss) erzählt wird.
In der jüngeren Vergangenheit leben die fünf Brüder allein in einem Haus
wie ein wildes Rudel junger Hunde. Die Mutter ist tot und der Vater ist weg. Der Erzähler Matthew ist mit knapp 19 Jahren der Älteste und versucht, alles zusammen zu halten. Komplettiert wird die Villa Kunterbunt durch die Haustiere: ein Fisch, ein Kater, eine Taube, ein Hund und ein Maultier, die allesamt Namen aus der griechischen Mythologie tragen. Da erscheint eines Tages der Vater und bittet die Jungen, ihm beim Bau einer Brücke zu helfen. Nur Clay, der Viertälteste der Jungs schließt sich ihm an.
Parallel zu dieser Brücken-Geschichte wird in jedem Kapitel aus dem Fluss der ferneren Vergangenheit berichtet. Es beginnt mit der Geschichte Penelopes (Penny), der Mutter der Jungs, und geht weiter mit der Geschichte des Vaters Michael. Matthew erzählt, wer seine Eltern waren, wie sie sich kennenlernten, verliebten, heirateten und fünf Söhne bekamen. Fünf Jungen aufzuziehen war eine Herausforderung. Doch Penny meisterte sie. Das Rudel schlug sich und vertrug sich. Ihre Liebe schweißte sie immer wieder zusammen. Dann wird Penny krank. Die Ärzte sagen, sie habe nur noch sechs Monate zu leben.
Ich gebe zu, ich hatte Schwierigkeiten mit diesem Buch. Gerade am Anfang werden in filmischer Manier Szenen beschrieben, abgebrochen und neue begonnen. Es werden unablässig neue Fragen aufgeworfen. Wieso hat der Vater die Jungen verlassen und warum nennen sie ihn „Mörder“? Warum trägt Clay ständig eine Wäscheklammer mit sich herum? Warum hilft er dem Vater beim Bau der Brücke? Fragen über Fragen, die sich im Verlauf der Geschichte langsam klären. Am Ende ergibt alles ein stimmiges Bild.
Markus Zusak schreibt sehr bildstark, verwendet ausgezeichnete Formulierungen und Methaphern. Zeitweise erinnert der Stil an Lyrik. Gerade deshalb ist der Roman nicht leicht zu verdauen. Der Genuß braucht Zeit.
Obwohl die Geschichte berührt und der Plot stimmig ist, ist bei mir leider die echte Begeisterung ausgeblieben. Ich glaube, meine hohen Erwartungen an den Roman wurden anfangs fast enttäuscht und davon hat sich der Gesamteindruck nicht wirklich erhohlen können. So schön die Formulierungen und heraufbeschworenen Bilder sind, für meinen Geschmack war es etwas zu viel, und die eine oder andere Metapher war für mich zu gewollt. Daher gibt es von mir nur vier Sterne.
Auf dem Cover des Romans "Nichts weniger als ein Wunder" von Markus Zusak sieht man den Umriss eines jungen Mannes, der auf einer schönen, antik anmutenden Brücke sitzt. Dieser junge Mann ist Clay, der tragische Held des Romans. Er ist einer von fünf jungen Brüdern, die alle zusammen in einem Haus am Rand von Sidney wohnen. Matthew, der älteste der Dunbar - Jungen, erzählt uns Lesern die Geschichte seiner Familie und die besondere Rolle, die sein Bruder Clay darin gespielt hat.
Im ersten Kapitel heißt es:
"Ich will dir von meinem Bruder erzählen,
von dem vierten der Dunbar - Jungen namens Clay
Ihm ist alles passiert
Und er hat uns alle verändert."
Diese vier Zeilen geben einen Eindruck von dem besonderen Schreibstil, in dem der Roman geschrieben ist. Passagen mit flüssig und spannend zu lesener Prosa werden unterbrochen durch kurze Zeilen, die teilweise wie Gedichte wirken. Es ist eine eher indirekte Art, eine Geschichte zu erzählten: über Dialoge und Andeutungen, die man nicht immer auf Anhieb versteht. Ich fand den Roman nicht leicht zu lesen. Er erfordert doch etwas Geduld und Konzentation, zumal er mehr als 600 Seiten lang ist. Manchmal war es mir ein wenig zu viel des Guten, zu viel Metaphern und bedeutungsschwere Sätze.
Insgesamt aber hat mich der Roman doch berührt. Die Geschichte der Familie Dunbar wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Die Mutter der Jungen stirbt an Krebs als der älteste 17, der jüngste 6 Jahre alt war. Clay, der sensibelste und freundlichste der Jungen trägt am meisten an dieser Tragödie. Der Vater der Familie verschwindet einige Zeit nach dem Tod seiner Frau, so dass sich die Jungen allein durchschlagen müssen. Matthew arbeitet auf dem Bau, um sich und seine Brüder zu ernähren. Wir Leser dürfen an der raubeinigen Art des Zusammenlebens der Brüder teilhaben. Hier spürt man deren Liebe zueinander in jedem Satz.
Zwischen den Söhnen und dem Vater besteht eine tiefe Kluft. Nach einigen Jahren taucht der Vater wieder auf. Er lebt allein im Outback an einem Fluss, der nur bei starkem Regen Wasser führt. Überraschenderweise bittet er nun seine Söhne mit ihm zusammen eine Brücke über dieses Flussbett zu bauen.
Nur Clay ist bereit, dies auf sich zu nehmen. Er baut mit fast übermenschlicher Anstrengung eine wunderschöne und stabile Brücke. Wird es auch eine Brücke zwischen den Brüdern und dem Vater werden? Eine Brücke zwischen der Vergangenheit und Zukunft? Stück für Stück setzt sich in dem Roman - während die Brücke gebaut wird - das ganze Bild der Familientragödie zusammen. Ein Bild von Schuld, Verrat und Trauer. Aber auch von tiefer Liebe zueinander.
Als Fazit kann ich sagen, dass es sich für mich gelohnt hat, den Roman zu lesen. Es ist ein Roman über große Gefühle. Er erzählt von Verlust und Trauer und von der fast schmerzhaften Liebe in einer Familie. Es ist ein Roman, der unter die Haut geht.
2005 erschien Zusaks Roman “The Book Thief”, der 2008 unter dem Titel “Die Bücherdiebin” ins Deutsche übersetzt wurde. Das Buch erregte international sehr viel Aufmerksamkeit, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde 2013 verfilmt. Dementsprechend warteten zahllose Leser weltweit mit Spannung auf Zusaks nächsten Roman.
Und warteten. Und warteten.
Dreizehn Jahre lang.
Und in all der Zeit schrieb Zusak an ein und demselben Buch.
In einem Interview mit ‘The Sydney Morning Herald’¹ sprach Zusak 2014 über den lähmenden Druck, der auf ihm lastete. Über die Selbstzweifel. Über die hunderte von Seiten, die er wieder verwarf. Doch im gleichen Jahr sprach er in einem Vortrag im Sydney Opera House auch über den Nutzen des Scheiterns. Über die kreativen Höhen, für die es der Antrieb sein kann. Dass dies keine leeren Worte waren, bewies er, indem er ungebrochen weiterschrieb.
Das ist Entschlossenheit und Hingabe.
Nach dreizehn langen Jahren materialisierte sich aus der Asche der vielen verworfenen Seiten das langerwartete Werk “Bridge of Clay”, das nun unter dem Titel “Nichts weniger als ein Wunder” auch nach Deutschland kommt. Aber kann das Buch dem Erwartungsdruck überhaupt standhalten?
Die Meinungen gehen stark auseinander, aber meiner Meinung nach waren die dreizehn Jahre es wert.
Die Geschichte ist originell, einfallsreich, auf beste Art anders und gleichzeitig seltsam vertraut. Man begegnet sich als Leser selbst in den Seiten des Buches. In den Träumen und Wünschen der Charaktere findet man sich wieder, in ihrer Liebe und ihrer Hoffnung – aber auch im äußersten Gegenteil: in ihrem Scheitern, ihrem Schmerz, ihrer Trauer.
Gerade wegen dieser Vertrautheit entwickelt das Buch eine emotionale Wucht, die im Herzen widerhallt.
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Die Handlung:
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Die Geschichte folgt den fünf Dunbar-Brüdern, die sich nach dem Tod der Mutter und dem Verschwinden des Vaters allein durchs Leben schlagen. Matthew, der älteste Bruder, übernimmt die Vaterrolle für Rory, Henry, Clay und Tommy.
Doch es ist nicht Matthew, sondern Clay, der loszieht, um im wahrsten Sinne des Wortes eine Brücke zu bauen. Eine Brücke aus Stein über ein leeres Flussbett, aber auch eine Brücke aus Hoffnung über eine Kluft aus Schuld und Sehnsucht.
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Körperliche Aggression ist ein wesentlicher Bestandteil dieser kleinen Familie.
Die Jungen lieben sich und schlagen sich gegenseitig blutig, bei einem Konflikt wird gar nicht erst versucht, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Sogar positive Emotionen wie Liebe oder Trost werden auf ruppige, oft wortwörtlich schmerzhafte Art zum Ausdruck gebracht. Wie sie sich gegenseitig zurichten, das ist schwer zu lesen, schwer zu ertragen.
Aber so sind die Dunbar-Jungs nun mal: Schmerz und Gewalt sind quasi ihre Sprache, bei aller Liebe.
“Er sprach plötzlich mit solcher Schwere, mit solchem Schmerz, wie mit der Wucht eines Klaviers. Die leisesten Worte waren die schlimmsten. »Es muss ihm so wehtun, dass es ihn fast umbringt«, sagte er, »denn das ist unsere Art zu leben.«”
(Zitat)
Der Tod ihrer Mutter hat die Brüder geprägt, und der Tod zieht sich durch die Geschichte wie ein Leitmotiv. Nicht nur der Tod und was er zerstört, sondern auch der Tod und was er in Gang setzt, vielleicht sogar erschafft. Dabei gelingt es Zusak wunderbar, ohne Kitsch und falsches Pathos über den Tod zu sprechen.
Überhaupt ist Zusaks Schreibstil bemerkenswert.
“In der Geschichte der Menschheit war dieser Mörder wohl der erbärmlichste:
Mittelgroß, etwa eins fünfundziebzig.
Mit fünfundsiebzig Kilo mittelschwer.
Aber lass dich nicht täuschen: Er war ein ödes Land in einem Anzug, eine Biegung nach unten, ganz und gar zerbrochen. Er lehnte sich der Luft entgegen, als ob er erwartete, dass sie ihm dem Garaus machte, aber das tat sie nicht, nicht heute, denn mit einem Mal wusste er, dass dies nicht der Tag war, an dem ein Mörder etwas geschenkt bekam.”
(Zitat)
Über die Spraches des Buches ließe sich vieles sagen: ungewöhnlich, stimmungsvoll, eindringlich, voll roher Emotion… Mal ist sie ungeheuer expressiv und bildhaft, dann wieder knapp und auf Wesentliche reduziert
Zusak geht mit seinem Schreibstil Wagnisse ein, die sich auszahlen.
Er findet ungewöhnliche Bilder, die an Ausdruckskraft kaum zu überbieten sind.
Die Wortwahl, vor allem die Metaphern, fand ich oft so grandios, dass ich innehielt und einen Satz zweimal, dreimal, viermal las. Dann wiederum gab es Passagen, mit denen ich mich schwertat und die mich rettungslos verwirrten. Aber das traf für mich vor allem auf die ersten Leseabschnitte zu.
Je weiter man kommt in der Geschichte, desto mehr liest man sich ein in den Schreibstil – als würde man eine Fremdsprache erlernen –, und desto mehr realisiert man, dass Zusak seine Worte so meisterhaft benutzt wie ein Maler Farbe und Pinsel.
Da passt alles, anders erzählt hätte das Buch nicht annähernd die gleiche Wirkung.
Deshalb eine Bitte: lieber Leser, gib das Buch nicht zu schnell auf. Der erste Abschnitt verlangt dem Leser einiges ab, aber es wird einfacher, und es lohnt sich.
Ich lese selten ein Buch zweimal, aber dieses Buch werde ich auf jeden Fall noch einmal lesen. Vieles – ach was, ALLES –, was mir in den ersten Kapiteln noch verwirrend und konfus erschien, wird in späteren Kapiteln wieder aufgegriffen und macht auf einmal so viel Sinn…
Ich bin mir sicher, dass ich mir beim zweiten Lesen oft an den Kopf packen werde: Ach, so ist das.
FAZIT
Nach dem Tod ihrer Mutter werden die fünf Dunbar-Brüder von ihrem Vater kläglich im Stich gelassen. Jahre später setzt Clay, einer der Brüder, sich noch einmal mit dieser Vergangenheit auseinander und versucht, sie nicht nur selber zu überwinden, sondern auch für seine Brüder eine Brücke zu bauen – indem er ganz wortwörtlich eine Brücke aus Stein über einen leeren Fluss baut.
Das Buch ist in den ersten Kapiteln schwierig – kompliziert und sperrig –, doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Markus Zusak erzählt eine bewegende Geschichte in einer einmaligen und wundervollen Sprache.
Wie soll man dieses 635 Seiten starke Kleinod beschreiben? Wie soll ich eine Rezension schreiben, die dem Roman gerecht wird, die dem Interessenten einen guten Eindruck vermittelt, ohne zu viel vom Inhalt vorweg zu nehmen? Es wird schwer, aber ich will es versuchen.
Der Roman ist in 10 Teile gegliedert: „Vor dem Anfang“, Teile 1 – 8, die wiederum in überschaubare Kapitel unterteilt sind, und „Nach dem Ende“. Der Erzähler ist Matthew, der älteste der 5 Dunbar-Brüder, der die Geschichte seines Bruders Clay aufschreibt. Clay wird dadurch zur Hauptperson, im Original heißt der Roman „The Bridge of Clay“. Dieser Junge kann nicht lachen, hat immer eine kaputte Wäscheklammer in der Tasche, kämpft beständig ohne gewinnen zu wollen, hat eine Sonderstellung und wird von den anderen ziemlich drangsaliert, was er als seine Strafe hinzunehmen scheint.
„Es gab einen Jungen, einen Sohn, einen Bruder.
Ja, für uns gab es immer einen Bruder, und er war derjenige von uns Fünfen, der alles auf seine Schultern lud.“ (S. 9)
Schon während der ersten Seiten wird die „tragische Bruchbude von einer Familie“ vorgestellt: Matthew, Rory, Henry, Clayton und Thomas. Sie alle wohnen in der Archer Street Nr.18, die Mutter ist tot, der Vater, der fast das gesamte Buch über nur „der Mörder“ genannt wird, hat die Jungen verlassen. Zur Familie gehört ebenso ein „kleiner Zoo aus dysfunktionalen Haustieren“ – von der Taube bis zum Maultier ist einiges dabei. In direkter Nachbarschaft ist das sogenannte Umfeld, zu dem eine (später stillgelegte) Galopprennbahn gehört und die viel Bewegungsmöglichkeit bietet. Die Jungen haben zu Hause eine Art Villa Kunterbunt, niemand schreibt irgendwelche Regeln vor. Aber es ist kein Paradies, trotz aller Ausgelassenheit herrscht eine unbestimmte Schwere auf der Szenerie, die den Leser neugierig macht und regelrecht einfängt. Die Jugendlichen gehen äußerlich recht grob miteinander um, im Zuge der Geschichte wird aber deutlich, wie sehr sie sich umeinander sorgen und Verantwortung füreinander übernehmen.
Der Mörder kommt zurück, um seine Söhne um Hilfe zu bitten. Er wohnt nun weiter weg auf dem Land und will eine Brücke bauen, die ihm den Zugang zu seinem Haus auch gewährleisten soll, wenn der inzwischen ausgetrocknete Fluss wieder Wasser führt. Dafür braucht er Hilfe. Clay ist der einzige, der sich entschließt, mit dem Mörder zu gehen – gegen den erklärten Willen seiner Geschwister.
In den folgenden Teilen wird die Familiengeschichte der Dunbars erzählt. Dies geschieht in der Regel abwechselnd, ein Handlungsstrang spielt in der Gegenwart und handelt unter anderem vom Brückenbau, einer führt uns in die Vergangenheit an verschiedene Stationen.
Die Mutter Penelope (Penny) stammt aus Polen, kam über Umwege nach Australien. In ihrem Gepäck hatte sie die Bücher ihrer Kindheit in englischer Sprache, die Ilias und die Odyssee von Homer. Die Liebe zu diesen Büchern gibt sie an ihre Kinder weiter, Anspielungen darauf durchziehen den gesamten Roman. So gibt es erdschwarze Augen, ein weinrotes Meer oder Tiere mit Heldennamen. Clay ist derjenige, der diese und andere Geschichten am meisten liebt. Dadurch erfährt er mehr als die anderen.
Durch einen Zufall lernt Penelope Michael kennen und lieben, der auch eine Vergangenheit hat, die auf ihm lastet. Beide scheinen füreinander bestimmt zu sein und bekommen diese fünf Söhne.
„Am Anfang gab es uns alle, und jeder von uns hatte eine kleine Rolle im Ganzen. Unser Vater hatte bei jeder Geburt geholfen, ihm wurden wir als Erstes in die Arme gelegt. Penelope erzählte uns immer, dass er neben dem Bett gestanden hatte, hellwach, strahlend, tränenüberströmt. (…) Für Penelope war das die Welt.“ (S. 286)
Das harmonische Familienleben wird vom Schicksal erschüttert, als Penny schwer erkrankt und sie alle lernen müssen, damit klarzukommen.
„Genau wie in der Odyssee und in der Ilias, wo die Götter sich einmischten, bis alles in eine Katastrophe mündete, so war es auch im Hier und Jetzt. Sie (Penny) versuchte, sich wieder zusammenzusetzen, die Fragmente zu ordnen, dass sie sich wieder ähnlich sah, und manchmal glaubte sie sogar daran.“ (S. 566)
Zutiefst berührende Szenen wechseln mit aufgelockerten Begebenheiten ab, auch mit teilweise humorvollen Dialogen. Zu keinem Zeitpunkt driftet Zusak in Kitsch und Tränen ab.
Clay verliebt sich in Carey, ein Mädchen, das seine Berufung im Rennsport sieht. Diese intensive Freundschaft bereichert bald sein Leben. Rory hat Schwierigkeiten in der Schule, die überwunden werden müssen. Thommy liebt seine Tiere, die manchem Bruder lästig sind. Vieles klingt alltäglich.
Doch die Krankheit und schließlich der Verlust der Mutter schwebt über allem, insbesondere Clay scheint stark zu leiden. Er ist auch derjenige, der sich akribisch auf den Brückenbau vorbereitet, bis zur Erschöpfung daran arbeitet. Diese Brücke hat natürlich enorme Symbolkraft und wirkt in verschiedene Richtungen.
Zusak erzählt in einer einzigartigen Sprache. Er verwendet viele Bilder und Metaphern. Teilweise formuliert er sehr poetisch, dann auch wieder in normaler Prosa. Manche Sätze sind kurz:
„Ich war der Vernünftige.
Der ausdauernde Brotverdiener.
Rory war der Unüberwindliche.
Die menschliche Fußfessel.“ (S. 36)
Sie erinnern an ein Versmaß, schaffen große Intensität, schweben einen Moment im Raum. Manchmal spricht uns der Erzähler direkt an, legt Fährten aus, lässt Andeutungen fallen, die auf Zukünftiges schließen lassen. Das tut er geschickt. Spätestens ab dem dritten Teil war ich eingesponnen, eingesogen von diesem wunderbaren Schreibstil, der Rhythmik der Worte, dieser traurig-melancholischen Grundstimmung.
Das hätte ohne die tragfähigen Handlungsstränge jedoch nicht funktioniert. Die Schauplätze wechseln, die Stimmungen verändern sich, es wird nie langweilig.
Ja, und dann das Ende. Ein Ende, an dem alle Fäden zusammenlaufen, an dem der Nebel sich lichtet, an dem aus Vermutung Wahrheit wird. Ein Ende, an dem angelangt man sofort noch einmal von vorne anfangen möchte zu lesen, um auch wirklich alles zu verstehen und kombinieren zu können. Das ist große Kunst, das ist Literatur vom Feinsten.
„Nichts als ein Wunder“ reiht sich in die Liste meiner 10 Lieblingsbücher ein. „Die Bücherdiebin“ gehört übrigens auch dazu. Bitte lasst euch nicht vom 1. Teil des Romans abschrecken, denn er liest sich noch ein bisschen holprig, weil man die Zusammenhänge noch nicht kennt. Danach wird es klarer und man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Ein großer Wurf, volle Lese-Empfehlung!
Irgendwann ist es Zeit nach Hause zu kommen
Irgendwann ist es Zeit nach Hause zu kommen
Die fünf Dunbar-Brüder, Matthew, Henry, Rory, Clay und Tommy, blicken auf eine bewegte Zeit zurück. Sie schlagen sich seit geraumer Zeit allein durch, ihr Vater verließ sie nach dem Tod der Mutter. Schnell steht fest, dass Matthew, der ältere der Brüder, die Verantwortung übernimmt. Als Michael, der Vater der fünf, unerwartet auftaucht und vorschlägt eine Brücke zu bauen, lehnen alle ab, nur Clay macht sich auf den Weg.
Markus Zusak schafft zu Beginn eine verwirrende Szenerie, die mich fast aufgeben ließ. Es gehört eine gehörige Portion Durchhaltevermögen dazu am Ball zu bleiben. Doch dies lohnt sich auf jeden Fall.
Im weiteren Verlauf wird vieles klar, einiges bleibt dennoch bis zum Ende verborgen. Die Handlung wechselt zwischen verschiedenen Erlebnissen. Der Leser erfährt viel über die Vergangenheit der Mutter, Penelope Dunbar. Erlebt anhand von Geschichten, wie sie Michael kennenlernt, die Jungs werden geboren. Eine schöne Zeit beginnt, die dann von einem schrecklichen Leiden abgelöst wird. Der Leser erfährt ebenso von der ersten Beziehung des Vaters mit Abbey Henley. Erlebt mit, wie Carey Novak, Clays große Liebe in sein Leben tritt. Lernt die Haustiere kennen, die die Dunbar-Jungen anschaffen, um ihr Haus nach dem Tod der Mutter wieder mit Leben zu fühlen. Aber es ist nicht nur das, was man erfährt, wenn man aufmerksam liest, es ist so viel mehr.
Was genau soll dies sein? Diese Frage habe ich mir fast bis zum Ende des Romans gestellt. Worauf läuft alles hinaus? Was hat sich der Autor dabei gedacht?
Ich habe meine Antwort gefunden: Es ist ein Roman, der den Weg einer zerbrochenen Familie beschreibt, um sich wieder neu zusammenzusetzen. Ein Weg der Bemühungen, Fehlschlägen, Missverständnissen, Schicksalsschlägen, ein Weg, der am Ende zum Ziel führt.
Zusak hat mich damals mit seinem Roman: "Die Bücherdiebin" begeistert. Als ich ich seinen neuen Roman began, erwartete ich vom Stil etwas vergleichbares. Aber man kann diese beiden Werke nicht vergleichen. Zum einen wegen der Thematik, aber vor allem wegen des Erzählstils, der sehr unterschiedlich ist. Wie oben schon erwähnt, hatte ich zu Beginn zu kämpfen, doch im Nachhinein muss ich sagen, dass mir dieses Buch sehr gefallen hat. Es fordert heraus, es möchte dem Leser alles preisgeben, aber alles zu seiner Zeit, und das macht den Reiz aus. Man muss einfach darauf vertrauen, dass sich alles zusammenfügt, wenn die Zeit reif ist, alle Geschichten erzählt sind. Auch die einer klapprigen Schreibmaschine, mit der diese Reise beginnt.