Nebelsilber

Buchseite und Rezensionen zu 'Nebelsilber' von Tanja Heitmann
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nebelsilber"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
Verlag: cbt
EAN:9783570161210

Rezensionen zu "Nebelsilber"

  1. Gar schaurig ist's, übers Moor zu gehen...

    Die meisten Menschen kennen ihn aus dem Deutschunterricht: den Erl(en)könig, wie er zum Beispiel in Goethes Ballade beschworen wird: :

    "Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -
    Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
    Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? -
    Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."

    Tanja Heitmann spinnt auf Grundlage dieser alten Legende eine eindringliche, zeitlos märchenhafte und doch moderne Geschichte von düster-poetischer Magie, die auf mich eine unwiderstehliche Sogkraft ausübte. So sollten moderne Märchen in meinen Augen sein: eine Hommage an die alten Geschichten, aber dennoch originell und frisch, mit Charakteren, mit denen auch junge LeserInnen sich identifizieren können. Und das gelingt der Autorin hier wunderbar.

    Edie und ihre neuen Freunde sind starke, unverwechselbare Charaktere, die mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben werden!

    Edie selber ist sich schon seit frühster Kindheit bewusst, dass sie Dinge sieht, die andere Menschen nicht wahrnehmen, und sie hat jung erkannt, dass sie das besser vor den Erwachsenen versteckt. Ihr Gabe hat sie nachdenklich gemacht, wenig interessiert an Partys, Alkohol oder albernen Mädelsabenden. Auf oberflächliche Schönheit gibt sie wenig, für sie zählen die inneren Werte. Im Laufe der Geschichte entdeckt sie ihren eigenen Mut, ihre Entschlossenheit, und dass wahre Freunde für sie sehr wichtig sind.

    Zu ihren besten Freuden zählen der extravagante Addo, der auch in der Schule Anzüge und feine Schuhe trägt und schon bei der Vorstellung Schnappatmung kriegt, sich dreckig zu machen oder sich mit irgendwelchen Viren zu infizieren. Aber so ängstlich und schrullig er auch wirkt, so bedingungslos loyal ist er auch. Dass er für alles doppelt so viel Mut braucht, macht es umso bewundernswerter!

    Das zweite Mädchen im Bund ist Marischka, deren bester Freund Silas vor zehn Jahren im Nebel verschwand. Seither sucht sie nach einem Weg in Silas Märchenwelt, sehnt sich danach, wieder durch die Schranken der Realität sehen zu können, wie sie das früher mit ihm konnte. Sie ist kreativ, mutig, denkt nie in geordneten, vorgegebenen Bahnen und schert sich keinen Deut um das Gerede der Leute (solange es nur sie selbst betrifft und nicht ihre Freunde).

    Und dann gibt es natürlich noch Silas, das geraubte Kind, den Edies Herzschlag nach über zehn Jahren aus seiner Gefangenschaft befreit. Er kann sich an diese Jahre nicht erinnern und wirkt wie eine Mischung aus dem unschuldigen Kind, das er vor seiner Entführung war, und einem jungen Mann, den seine schrecklichen Erlebnisse, auch wenn er sich nicht bewusst an sie erinnern kann, weit über seine 17 Jahre hinaus haben altern lassen. Wie sagte Nietzsche so schön: Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein?
    Ich fand die Geschichte durchweg unheimlich spannend, denn es gibt immer wieder neue Entwicklungen, so dass ich schnell feststellte, dass die Dinge doch weit verwickelter und komplexer sind, als sie erst erscheinen! Die wahre Natur des Erlkönigs und seines Volkes, aber vor allem, wie sich die Berührung mit dieser Welt auf Silas ausgewirkt hat, hat mich immer wieder überrascht, und mit dem Ende hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

    Den Schreibstil fand ich großartig, voller dunkler und doch bestechend schöner, atmosphärischer Bilder.

    "Die Decke aus Kristallen breitete sich wie von Zauberhand über die Stämme aus und verwandelte die Bäume in etwas, das mehr war als Wurzeln, Rinde, Astwerk und Blatt: Sie wurden zu einem Kunstwerk, dem ein eigenes Leben innewohnte. Die Erlen, begriff Edie. Sie gehören ihm. Er ruft sie, hüllt sie in seinen Zauber ein, Doch wer war er?"

    Die Liebesgeschichte fand ich wunderschön und überhaupt nicht kitschig, denn es ist die zaghafte Annäherung zweier ungewöhnlicher Seelen, die von der selben dunklen Macht berührt wurden und nicht so recht wissen, wie seit sie sich selber oder sich gegenseitig vertrauen können.

    Fazit:
    "Nebelsilber" ist meiner Meinung nach ein grandioses Beispiel für eine gelungene Mischung alter Sagen mit moderner Fantasy. Das Leben vier moderner Jugendlicher - Edie, Addo, Marischka und Silas - wird berührt von einer uralten Sage; der Sage des Erlenkönigs, der in der Nacht Kinder raubt, die dann niemals wieder gesehen werden.

    Schreibstil und Atmosphäre fand ich bestechend, die Charaktere wunderbar lebendig und die Auflösung des Rätsels unvorhersehbar und gelungen.

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