Nadjas Katze

Buchseite und Rezensionen zu 'Nadjas Katze' von Ulrich Ritzel
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nadjas Katze"

Auf der Suche nach vergessenen Autoren – ihrem Hobby – entdeckt die pensionierte Lehrerin Nadja Schwertfeger in einem Antiquariat eine Erzählung über das Kriegsende 1945. Stunden vor dem Einmarsch der US-Army hören in einem kleinen Dorf Einheimische, Flüchtlinge und versprengte Soldaten gemeinsam die Rundfunkübertragung zu Hitlers 56. Geburtstag. Als der Strom ausfällt, läuft die Zusammenkunft aus dem Ruder … Eine Erfindung? Nadja stolpert über ein seltsames Detail: die Beschreibung einer schwarzen Stoffkatze mit rosa Tatzen. Sie selbst besitzt eine solche Katze – die einzige Verbindung zu ihrer Mutter, die sie nach Kriegsende einer anderen Frau überlassen musste. Nadja recherchiert. Hat es ein solches Dorf gegeben? Bald wird sie wirklich fündig. Doch niemand dort will mit ihr reden. Schließlich wird sie auf jemanden verwiesen, der hier ebenfalls aufgewachsen ist und später Polizist wurde: Den ehemaligen Kriminalkommissar Hans Berndorf, der schließlich mit ihr auf eine Zeitreise geht …

Format:Taschenbuch
Seiten:448
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442715817

Rezensionen zu "Nadjas Katze"

  1. Ein Stofftier führt in die Vergangenheit

    Ulrich Ritzels Kriminalromane mit dem eigenwilligen Kriminalkommissar Hans Berndorf sind Garanten für intelligente Fälle, die - wie in "Der Schatten des Schwans" - in die dunkelste Vergangenheit unserer Geschichte führen. So auch dieses Mal.

    Worum geht es?
    Die pensionierte und geschiedene Lehrerin Nadja Schwertfeger entdeckt in einem Antiquariat ein dünnes Heftchen.

    "Über den verblichen-gelben Umschlag zieht sich in schwarzer Flammenschrift der Titel Die Nachtwache des Soldaten Pietzsch, als Autor ist ein Paul Anderweg angegeben." (S.7f.)

    1947 im Selbstverlag erschienen und in Nördlingen gedruckt.

    Nadja sammelt Bücher, Erzählungen und Veröffentlichungen vergessener Autoren und aus einem unbestimmten Grund nimmt sie dieses Heftchen mit.
    Beim Lesen bleibt sie an einem Absatz hängen,

    "Haben schwarze Katzen rosa Tatzen und eine rosa Schnauze?" (S.10)

    Ihre altes Schmusetier, Maunz, sieht genauso aus, wie in der Erzählung beschrieben. Sie ist das einzige, was Nadja von ihrer leiblichen Mutter mit auf den Weg bekommen hat. Sie wurde als vier Wochen altes Baby im Februar 1946 von Roswitha Schwertfeger, wohnhaft in Ravensburg, und deren Mann adoptiert. Ihr richtiger Name lautet Nadeshda Helena, ihre Mutter, eine Polin oder Russin, habe Roswitha das Kind anvertraut.

    Voller Neugier liest Nadja die Erzählung Anderwegs, die aus der Perspektive des Soldaten Pietzsch das Geschehen in der Nacht vom 19.April 1945 in einem kleinen Dorf in Württemberg schildert. Im Schulhaus, das sehr genau beschrieben wird, lebt eine Flüchtlingin mit ihrem 4jährigen Sohn Lukas, es gibt einen russischen Militärarzt und eine Truppe SS-Männer, die auf der Flucht vor den Alliierten sind. Im Schulhaus wird in dieser Nacht getanzt und besonders ein Akkordeon-Spieler sorgt für gute Stimmung. Pietzsch ist in der Nacht im Haus des Dorfbürgermeisters, dessen Schwiegertochter eben jenes Stofftier-Unikat näht, das sich in Nadjas Besitz befindet.

    Aufgerüttelt von der Erzählung beschließt Nadja, jenes Dorf zu suchen und stellt fest, dass der Gauleiter Murr von Württemberg sich am 19.April über das Kloster Urspring ins Große Walsertal abgesetzt hat. Es ist also durchaus möglich, dass die Erzählung wahre Erlebnisse schildert.
    Gemeinsam mit einer Freundin landet sie schließlich in Wieshülen und wird mit einer Mauer aus Schweigen konfrontiert.
    Über den neuen Besitzer des Schulhauses geraten sie an Carmen Weitnauer, die wiederum ist eine alte Schulfreundin von Hans Berndorf, der seine Kindheit in Wieshülen verbracht hat. Inzwischen ist er Privatdetektiv in Berlin und Nadja beschließt ihn zu kontaktieren.
    Nachdem Berndorf die Erzählung gelesen hat, ist sein persönliches Interesse geweckt - doch er offenbart seine Motive zunächst nicht.
    Er schlägt Nadja vor, etwas über den Autor Paul Anderweg herauszufinden - gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach Nördlingen und stoßen auf einen Journalisten, der für die Zeitung gearbeitet hat.
    Langsam aber sicher entschlüsseln Berndorf und Nadja die Figuren aus der Erzählung, decken dunkle Geheimnisse des Ortes auf und nähern sich der Antwort, wer Nadjas Eltern gewesen sein könnten, während ihr Verhältnis sehr unterkühlt bleibt - beide sind Einzelgänger.

    Zwei weitere Erzählungen Anderwegs führen in dunkle Kapitel deutscher Geschichte und geben einen Einblick, welche Rolle die Russische Befreiungsarmee ROA am Ende des 2.Weltkrieges gespielt hat. Im Gespräch mit seiner Lebensgefährtin Barbara äußert Berndorf auf die Frage, wo sie in ihren Recherchen hingeraten seien:

    "In den Wald der Erinnerungen. (...) Da darf man keinen Schritt zur Seite tun. Und das Gebüsch am Wegrand nicht zur Seite schieben. Nicht in diesem Land. Überall liegen noch Skelette herum." (S.250)

    Bewertung
    Obwohl es in der Vergangenheit, im April 1945 einen Mordfall gegeben hat, ist der Roman kein Krimi im klassischen Sinn. Das Aufdecken der Tat geschieht sozusagen nebenbei - während der Suche nach Nadjas Mutter. Die vielen Figuren in der Gegenwart und der Vergangenheit verwirren zunächst, glücklicherweise findet sich am Ende eine Übersicht, so dass man den Faden nicht verliert.
    Der verschlungene Weg zur Wahrheit ist dennoch recht verworren und man darf nicht querlesen - sonst ist er doch wieder weg, der rote Faden.
    Nadjas Wunsch herauszufinden, wer ihre leibliche Mutter gewesen ist, steht für mich gar nicht so sehr im Vordergrund der Geschichte, sondern eher die Auseinandersetzung mit den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte. Es sind viele Verbrechen, die im Roman aufgedeckt und bewusst gemacht werden. Sei es die Beteiligung der Musiker an der Erschießung von Juden oder die Vergewaltigung der Nichte durch den Onkel, der Installateur in einem Heim für behinderte Kinder gewesen ist, die bis zu Beginn der 1940er Jahre ebenfalls vergast wurden. Berndorf, der unsentimentale, nüchterne Ermittler deckt längst vergangenes Verbrechen auf, auch solches, das nicht verjährt.
    Dabei gerät seine eigene Kindheit in den Fokus und auch er erfährt Überraschendes über seine Mutter - jene Flüchtlingin aus Paul Anderwegs Geschichte.

    Ein lesenswerter, spannender und interessanter Krimi gegen das Vergessen.

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  1. 4
    04. Feb 2018 

    Der Fährmann

    Nadja Schwertfeger wurde bereits als Baby adoptiert. Inzwischen ist sie pensioniert und ein Hobby von ihr ist die Suche nach vergessenen Autoren. In einem Antiquariat entdeckt sie eine Beschreibung aus den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges. Dort wird eine Spielzeugkatze genauso beschrieben wie ihr Maunz, das einzige, was ihre leibliche Mutter ihr gegeben hat. Nadja zweifelt, ob sie noch nach ihrer wahren Herkunft suchen soll, doch Ruhe lässt es ihr nicht. Sie beginnt nach dem Ort zu suchen, der in der kleinen Veröffentlichung beschrieben wird. Eine überraschende Hilfe ist ihr der ebenfalls pensioniert und nun als Privatermittler tätige Hanz Berndorf.

    Kurz nach dem Krieg geboren, muss sich Nadja mit ihrer Suche beeilen, wenn sie noch Zeugen finden will, die ihr helfen könnten, ihre Mutter zu finden. Ihre energische Freundin Wally reist zunächst mit ihr durch das württembergische Land, um nach dem kleinen Ort zu suchen. Eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen? Eher durch Zufall stoßen die Freundinnen auf eine Ort, auf den die Beschreibung passt. Doch keiner der Einheimischen will wirklich mit den beiden reden. Erst der Hinweis auf Berndorf, der ebenfalls von dort stammt und der bei der Polizei gelandet ist, scheint sie voranzubringen. Irgendwie scheint Berndorf selbst noch eine Rechnung offen zu haben.

    Es wird Zeit. Möchte man heute noch etwas aus den letzten Kriegstagen wissen, möchte man Zeitzeugen befragen, ist Eile geboten, die Zeugnisse zu dokumentieren. Die Befreier standen vor den Toren der Städte. Doch einige meinten noch, sie müssten das Reich verteidigen. Nahrung und Wohnraum war knapp. Menschen wie die Flüchtlingin aus der gefundenen Geschichte, wurden an fremde Orte verschlagen, stachen heraus und zogen nicht nur Sympathie auf sich. In diese Szenerie hinein forscht der verschwiegene Berndorf, der sich mit seiner Auftraggeberin ebenso wenig anfreunden kann wie sie sich mit ihm. Beide jedoch sind begierig darauf, zu erfahren, was damals in dem Dorf geschah. Und so wie sie sich anzicken, ergänzen sie sich doch in ihren Nachforschungen.

    In seinem zehnten Fall bekommt Hand Berndorf einen wirklich besonderen Auftrag, der ihn in seine eigene Vergangenheit führt. Vielleicht eine Vergangenheit, mit der er sich nicht unbedingt beschäftigen wollte, die ihn aber doch nicht loslässt. Das ausgerechnet diese beinahe unerträgliche pensionierte Lehrerin ihn darauf bringt, ist schon ein gediegener Zufall. Gemeinsam oder auch gegeneinander steigen sie in die Tiefen einer Dorfvergangenheit. Ruhig, akribisch und stetig - so entsteht eine formidable Spannung aus der Langsamkeit und den Eigenheiten eines Menschenschlags.

    Ein Buch das Seite für Seite genossen werden kann, mit einer Geschichte, die sich in ihren vielen Facetten nach und nach entfaltet.

    4,5 Sterne

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