Nachttod

Rezensionen zu "Nachttod"

  1. Atmosphärische, langsame Spannung

    Als Leser:in bekommst du schnell einen Eindruck davon, wie die wichtigsten Charaktere ticken, was sie umtreibt und wo mögliche Abgründe lauern. Liebenswert sind sie beileibe nicht alle, aber Johanna Mo hat ihre Protagonisten gut durchdacht; da ist kaum einer dabei, der mir nicht glaubhaft erschien.

    Es handelt sich dabei um sehr unterschiedliche Gestalten: zum Beispiel eine jugendliche Schlägerin aus problematischem Hause, die Grundschulkindern das Geld abknöpft und mit Hasch dealt; eine Mutter, die sich ihrer Affäre geradezu erbärmlich an den Hals schmeißt und gleichzeitig die Ehe aufrechterhalten will; und natürlich das Opfer, der 15-jährige Joel. Künstlerisch begabt, sensibel, hübsch und von zarter Gestalt, und daher schon seit frühster Kindheit das Opfer von Mobbing.

    Ich hatte jeweils schon sehr schnell das Gefühl, sie zu kennen – im Guten wie im Schlechten.

    Der Sympathieträger des Buches, neben Joel, ist für mich indes nicht Protagonistin Hannah, sondern ihr neuer Kollege Eric Lindgren. Der reißt sich quasi ein Bein aus, um ihr entgegenzukommen und ihr das Gefühl zu geben, dass sie willkommen ist – was sie oft abblockt. Endlich mal ein Ermittler ohne traumatische Vergangenheit, ohne Alkoholsucht, ohne Eheprobleme. (Jedenfalls bisher.)

    Ermittlerin Hannah Duncker ist zwar durchaus glaubhaft, aber eine ziemlich anstrengende Persönlichkeit. Obwohl sie den Ruf hat, eine sehr fähige Ermittlerin zu sein, wirkt sie oft unsicher und ist anscheinend keine Teamplayerin. Wortkarg lässt sie sich von Eric jedes Wort aus der Nase ziehen, fühlt sich sehr schnell angegriffen, hinterfragt alles zigmal, wird mürrisch und ruppig. Sie reagiert gereizt darauf, dass die Menschen des Ortes sich immer noch an den Mordfall ihres Vaters erinnern, obwohl damit nun wirklich zu rechnen war, macht es sich selber immer wieder schwer.

    Sie ist immer noch ein sehr interessanter Charakter, liest sich durch diese Eigenschaften jedoch etwas mühsam. Ich fand keinen richtigen Zugang zu ihr.

    Wenig überzeugend erschien mir, dass die Mutter des Opfers früher ihre beste Freundin war, und Hannah dennoch nicht wegen persönlicher Befangenheit von diesem Fall abgezogen wird. Im echten Leben wäre sie wahrscheinlich auf der Stelle von den Ermittlungen ausgeschlossen worden! Andererseits nehmen es viele Krimis und Thriller da nicht so ganz genau…

    Anhand des Klappentexts hätte ich damit gerechnet, dass Hannah in diesem ersten Band der Reihe zumindest schon ein Stück weit erfährt, was damals, als ihr Vater angeblich einen brutalen Mord beging, wirklich passiert ist. Tatsächlich ist dieser Mord bisher jedoch nur Begründung für Hannahs paranoide Art einerseits und Hintergrundambiente andererseits – auf die Auflösung werden wir also auf jeden Fall bis zum nächsten Band warten müssen, möglicherweise sogar bis zum dritten.

    In diesem Band wird nur der tragische Fall von Joel aufgeklärt, aber der bietet eigentlich auch schon Stoff genug für ein Buch. Sehr gut gefiel mir, dass die Handlung immer wieder hin und her springt zwischen Kapiteln, die die Ermittlungen in der Gegenwart beinhalten, und Kapiteln, in denen die Leser:innen Joel durch seinen letzten Tag folgen und die Geschehnisse aus seiner Sicht erleben. Dadurch kommt man ihm posthum sehr nahe – mir blutete das Herz – und fiebert umso mehr mit.

    Die Spannung baut sich zwar eher langsam auf, das passt aber gut zur Atmosphäre und dem zwangsläufig konfliktbeladenen Zusammenspiel der wichtigsten Charaktere und hat mich daher nicht gestört. In diesem Ort scheint keiner so richtig den Mund aufzukriegen, wenn es nicht unbedingt sein muss, was die Ermittlungen empfindlich ausbremst! Aber der Fall ist komplex und hat seine unerwarteten Wendungen zu bieten, sodass auch das Ende überraschen kann.

    Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und recht detailverliebt, was sich für mich gut in diese eher melancholische, langsame Spannung fügte – das liest sich alles wie aus einem Guss.

    Fazit

    Ein Teenager wird ermordet aufgefunden. Ermittlerin Hanna Dunker übernimmt den Fall, obwohl der Junge der Sohn ihrer ehemals besten Freundin war, was alte Wunden aufreißt. Denn Hanna ist nach 16 Jahren Abwesenheit gerade erst zurückgekehrt nach Öland, wo man sich noch allzu gut daran erinnert, dass ihr Vater Lars damals einen grausamen Mord beging…

    Die Charaktere sind interessant und glaubhaft geschrieben, aber ausgerechnet Hanna macht es Leser:innen durch ihre wortkarge, paranoide Persönlichkeit etwas schwer. Dennoch: der Fall ist gut aufgebaut und konnte mich fesseln, obwohl sich die Spannung nur langsam aufbaut; der Schreibstil liest sich stimmig und baut Atmosphäre auf.

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