Nachmittage

Buchseite und Rezensionen zu 'Nachmittage' von Ferdinand von Schirach
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nachmittage"

Ferdinand von Schirach erzählt von milden Frühsommermorgen, verregneten Nachmittagen und schwarzen Nächten. Seine Geschichten spielen in Berlin, Pamplona, Oslo, Tokio, Zürich, New York, Marrakesch, Taipeh und Wien. Es sind kurze Geschichten über die Dinge, die unser Leben verändern, über Zufälle, falsche Entscheidungen und die Flüchtigkeit des Glücks. Schirach erzählt von der Einsamkeit der Menschen, von der Kunst, der Literatur, dem Film und immer auch von der Liebe.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:176
EAN:9783630877235

Rezensionen zu "Nachmittage"

  1. Wie immer ein literarischer Genuss

    REZENSION – Jeder Versuch, die seit fast 15 Jahren veröffentlichten Werke des deutschen Bestseller-Autors und Juristen Ferdinand von Schirach (58) einem bestimmten Genre zuzuordnen, muss scheitern. Ob Erzählungen, Romane, Essays, Theaterstücke, philosophische Gespräche oder ganz persönliche Ansichten und Einsichten – mit fast jedem neuen Band dieses Autors wird man aufs Neue überrascht. Dies gilt auch für Schirachs aktuelles Buch „Nachmittage“, im August 2022 beim Luchterhand Literaturverlag erschienen. Dieser schmale Band, den man zum Titel passend, an zwei ruhigen Nachmittagen genießen sollte, gleicht mit seinen kurzen, nur selten längeren Erzählungen, Erinnerungen und Gedanken einem Querschnitt aus allem.
    Wir lesen von Kriminalfällen des einstigen Strafverteidigers, von Begegnungen mit fremden und vertrauten Menschen sowie persönliche Erinnerungen und Eindrücke aus Lesereisen – oft alles in nur einer Erzählung. Es sind „Geschichten über die Dinge, die unser Leben verändern, über Zufälle, falsche Entscheidungen und die Flüchtigkeit des Glücks“, verspricht der Verlag. Nicht nur die Vielfalt der Handlungsabläufe, auch die Vielfalt der Themen „von der Einsamkeit der Menschen, von der Kunst, der Literatur, dem Film und immer auch von der Liebe“ zeugt von Intellekt und Lebenserfahrung des Schriftstellers und macht auch diesen Band wieder zu einem literarischen Leckerbissen hohen Niveaus. Wo andere Autoren Romane schreiben, reichen Ferdinand von Schirach nur wenige Sätze. Seine Erzählungen gehen nicht in die Breite, sondern tauchen in die Tiefe und treffen punktgenau die psychische Befindlichkeit seiner Figuren, von denen man nie weiß, ob sie real oder fiktiv sind.
    In einer seiner 26 Erzählungen wird der Autor in Marrakesch im Garten des Hotels von einem Deutschen angesprochen. Schirach hatte dem des Mordes Angeklagten einst zum Freispruch verholfen. Der homosexuelle Fabrikant war erpresst worden, der alkoholisierte Erpresser auf dem Anwesen des Fabrikanten in den Tod gestürzt, also ein Unfall. Doch nach Jahren stellt sich Schirach beim Wiedersehen nun die Frage, ob der Freispruch gerechtfertigt und der nun in Marokko lebende Geschäftsmann nicht doch ein Mörder war. Bei einer anderen Begegnung mit einer alkoholisierten Witwe erfährt Schirach während seines Urlaubs in Venetien von einem besonders tragischen Unglücksfall: Franziska hatte einst ihren Ehemann, einen erfolgreichen und geschätzten Tierarzt, für den von der Polizei gesuchten Exhibitionisten gehalten. Bei einer Auseinandersetzung zwischen beiden während einer Autofahrt, bei der sie deshalb die Scheidung verlangte, kam es zum Unfall. Der Mann wurde tödlich verletzt, Franziska überlebte. „Vier Tage nach Alexanders Beerdigung … wurde, ganz in der Nähe der Tierarztpraxis, der Exhibitionist festgenommen.“
    Doch nicht nur über das Schicksal anderer Menschen, auch über sich selbst verrät der Autor manches, der sich als „Literatur-Star wider Willen“ jedem Rummel um seine Person gern entzieht: „Ich rauche weiter auf dem Balkon in dem Hotel in Zürich. Es schneit immer noch, ...“ Er sinniert über sein Leben: Das berufliche Scheitern und die Haltlosigkeit seines Vaters bis zu dessen Tod veranlassen den an Literatur begeisterten Internatsschüler, entgegen seiner Absicht nun doch nicht Autor zu werden, sondern Jura zu studieren: „Ein bürgerliches Leben würde Halt geben, ich wäre sicher, glaubte ich. Erst viel später, erst nach einem halben Leben, begann ich wieder zu schreiben“, hält der bald 60-Jährige Rückblick auf sein Leben, dessen zweite Hälfte er erst 2009 als 45-Jähriger mit der Veröffentlichung seines Erzählbandes „Verbrechen“ begann.
    Wer sich in Schirachs neues Buch „Nachmittage“ vertieft, wird leicht die Zeit vergessen. „Jede Komposition besteht zwar aus strengen Zeitangaben, aber wenn du spielst gibt es keine Zeit“, sagt die Komponistin in einer Erzählung. „Es gibt dann nur noch die Musik, .... Alles andere ist belanglos, es findet nichts sonst statt.“ Wie die Komponistin aus Angst vor dem Burnout hat auch Ferdinand von Schirach vor 15 Jahren seinen Beruf als Strafverteidiger aufgegeben, um für sich selbst und das Schreiben Zeit zu haben: „Der Wind geht durch die leichten Vorhänge, eine geisterhafte Bewegung vor dem fahlen Weiß des Morgens. Ich zünde eine Zigarette an und bleibe sitzen.“

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  1. Stories für Zwischendurch...

    Ich habe bereits diverse Erzählbände von Ferdinand von Schirach gelesen und freute mich nun sehr auf dieses Werk.

    Die dargestellten Geschichten stammen aus Begegnungen, die der Autor gemacht hat, sowie aus Beobachtungen und Notizen und so geht es vorrangig um Menschen, ihre Verhaltens- und Lebensweisen.

    Auch wenn mich "Kaffee und Zigaretten" mehr abgeholt hat, so habe ich auch diesen Erzählband gern gelesen, weil die nüchterne Erzählweise des Autors auch ohne viel Schnickschnack mich gerührt und zum Nachdenken anregt hat. Und der große Clou ist immer das unerwartete Ende, was einen öfter mal überrascht und für "Ahs" und "Ohs" beim Lesen sorgt.

    Mir haben am besten die Geschichten rund um menschliche Verfehlungen gefallen, einfach weil das Leben nun mal nicht eitel Sonnenschein ist und mancher gemachte Fehler eher bereichernd und nicht belastend ist.

    Das ideale Buch für einen Nachmittag im Garten mit einem Glas Rotwein und wer mag einer Zigarette.

    Spannend fand ich, dass man mittels dieses kleinen Werkes lesend die halbe Welt bereist.

    Nicht so gut fand ich die sehr kurzen Stories, da ich aufgrund der Kürze (maximal eine Seite) manchmal keinen Zugang zur Handlung gefunden habe.

    Fazit: Ein typischer Schirach, der besonders für Fans des Autors geeignet ist. Allen Schirach- Neulingen würde ich aber eher erstmal zu "Verbrechen", "Schuld" und "Strafe" raten, bevor sie sich an dieses Werk wagen.

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