Nach Mattias

Buchseite und Rezensionen zu 'Nach Mattias' von Peter Zantingh
4.5
4.5 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nach Mattias"

Amber singt an einem Konzert gegen ihren Schmerz an; Quentin läuft Kilometer um Kilometer, um der Trauer zu entkommen, und Kristianne möchte die wahre Geschichte ihres Sohnes erzählen. Diese Leben und das von fünf weiteren Menschen überkreuzen sich durch Mattias’ plötzlichen Tod auf schicksalhafte Weise. Wie Puzzlesteine fügen sich ihre Geschichten zu einem Abbild von Mattias und werden trotz aller Trauer zu Zeugen seiner Begeisterungsfähigkeit und seines unbeugsamen Mutes, sich dem Leben jeden Tag vorbehaltslos hinzugeben.

Lesern von "Nach Mattias" gefiel auch

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783257071290

Rezensionen zu "Nach Mattias"

  1. Rudimentär. Zu rudimentär. Viel zu rudimentär.

    Kurzmeinung: Ein wenig mehr braucht man schon, um ein gutes Buch zu schreiben. Ich betrachte diesen Roman als Schreibübung. Dafür wäre es gut. Und ich meine das nicht einmal negativ, es ist der Inhalt, den ich moniere .. nicht die Schreibweise.

    In seinem Roman „Nach Mattias“ nimmt der niederländische Autor Peter Zantingh den plötzlichen Tod von Mattias zum Anlaß, um der Leserschaft einige Menschen vorzustellen, mit denen Mattias in Kontakt war. Im Prinzip schreibt er einfach ein paar Kurzporträts.

    Das hat auch schon Simone Lappert getan in ihrem Roman „Der Sprung“, viel besser übrigens, aber auch bei ihr hat es mir nicht zugesagt, ein auslösendes Ereignis und darum herum gruppiert man ein paar beliebige Personen. Damit kann man Seiten füllen. Sind es erfüllende Seiten? Nein.

    Im vorliegenden Fall werden Mutter, Vater, Großeltern und Freundin betrachtet, dann sein best Buddy Quentin, der das Laufen angefangen hat und einige andere, denen Mattias mittelbar oder unmittelbar begegnet ist. Langweilig. Trotz frischem Schreibstil.

    Diese Kurzporträts sind mehr oder weniger aussagekräftig. Ich mochte das von Quentin, dem best buddy am liebsten, der seine läuferischen Fähigkeiten einem Blinden zur Verfügung stellte, der ebenfalls Laufen wollte und jemanden brauchte, der ihn führt.

    Ja, aber. Was mit Mattias war oder wer Mattias war, kommt höchstens ansatzmässig zur Sprache, die Informationen bleiben spärlich, auch sonst ist das Buch rudimentär. Denn die Kurzporträts sind, kurz gesagt, kurz. Zu kurz, um eine nennenswerte Wirkung zu erzielen und dazu noch beliebig. Eine Entwicklung kann weder von der personalen noch von der inhaltlichen Seite her festgestellt werden. Nicht einmal eine Conclusio.

    Fazit: Das Buch ist ganz nett geschrieben, der Schreibstil ist mehr als in Ordnung, der Roman hatte für mich aber keinerlei Lesegewinn.

    Kategorie: Unterhaltung
    Diogenes, 2020

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  1. Das leise Ticken eines sich drehenden Rades

    “Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends. Der lehnt dunkel und geduldig an der Wand, streckt sich in voller Länge über den Asphalt aus oder zeichnet hinter deinem Rücken die Silhouette einer graziös drohenden Schlange auf den zu lange nicht gemähten Rasen.”
    (Zitat)

    Mattias ist das Alpha und Omega, der Dreh- und Angelpunkt, das Immer und Nimmermehr dieses Buches. Für die Menschen, die ihn liebten, läutet sein Tod eine neue Zeitrechnung ein: vor Matthias, nach Matthias. Es geht um die Wirkung, die er zu Lebzeiten auf seine Mitmenschen hatte, und die Nachwirkung, die als unsichtbare Stimmgabel noch lange knochentief nachvibriert.

    Es geht um zwischenmenschliche Verbindungen:

    Die tiefen, die zwischen Menschen durch gemeinsame Trauer geknüpft werden, und die zufälligen, die im Nachhall von Matthias’ Tod entstehen und Relevanz erhalten.

    Das ist großartig geschrieben: mit jedem Kapitel entfaltet sich eine dieser Verbindungen vor dem Leser, und das liest sich komplex und auf leise Art bedeutsam. Hier wird die Tragweite einer Verbindung nicht vorverurteilt, niemandem wird seine Trauer abgesprochen – der Mutter ebenso wenig wie dem Onlinefreund, der Mattias nie im echten Leben begegnet ist, von dessem Tod jedoch dennoch bis ins Mark erschüttert wird.

    Es ist spannend, als Leser nach Querverbindungen zu suchen, und nach und nach entsteht aus unzähligen Erinnerungsfetzen ein kohärentes Bild:

    Aha, das war also Mattias.

    Es geht viel um die diversen Formen der Trauer – natürlich tut es das! –, aber vor dem Hintergrund dieser Trauer treten andere Emotionen glasklar hervor: Mitgefühl, Neid, Hilfsbereitschaft, Güte, Zorn, Freundschaft, Vergebung.

    Der Autor umschifft dabei sensibel Kitsch und Theatralik, schmälert jedoch nie die Bedeutsamkeit der Lücke, die Mattias hinterlässt. Er überhöht ihn nicht zu einer farblosen Lichtgestalt, lässt seine negativen Eigenschaften genauso mitschwingen wie die positiven, und gerade dadurch spürt man als Leser eine echte Verbindung zu ihm.

    Das war also Mattias, ja, im Guten wie im Schlechten.

    Wie Mattias tatsächlich starb, das erfährt man erst sehr spät, und die Art seines Todes wirft dann ein ganz neues Licht auf manche Kapitel. Das ist gekonnt konstruiert, ohne dass es zu bemüht oder effekthascherisch wirkt.

    Auch sprachlich konnte mich das Buch mühelos überzeugen.

    Der Stil ist knapp, der Autor findet Bilder, die so prägnant sind, dass man erst einmal tief Luft holt. Mir wird zum Beispiel immer das leise Ticken eines sich drehenden Rades in einer totenstillen Wohnung in Erinnerung bleiben – ein schlichtes, mehrfach wiederkehrendes Bild, das im Kontext sehr viel über das Wesen der Trauer sagt.

    Oder kurze Episoden wie diese:

    “Beim Saubermachen stieß ich ein Buch, in dem er gelesen hatte, von der Fensterbank. Auf dem Fußboden fiel das Lesezeichen heraus. Darüber habe ich eine Stunde lang geheult. Weil ich nun nicht mehr wusste, auf welcher Seite er gewesen war.”
    (Zitat)

    Aber auch für die positiven Dinge findet Zantingh Bilder ohne Kitsch:
    Für die zahllosen schönen Erinnerungen, die schon versprechen, bald zu einem kostbaren Erbe zu werden. Für die zaghafte Hoffnung. Für das Luftholen und Weiterleben.

    Ich denke an eine bestimmte Stelle ganz am Ende – aber die möchte ich hier nicht vorwegnehmen, sie entfaltet ihre Wirkung meines Erachtens erst, wenn man vorher die volle Bandbreite der möglichen Emotionen durchlaufen hat.

    Ein leiser Kritikpunkt:
    Nur gelegentlich kamen mir die “Stimmen” verschiedener Charaktere auf einmal stilistisch zu ähnlich vor, dann hatte ich immer das Gefühl, den Autor zu hören und nicht die Figur. Meist gelingt es ihm aber, die unterschiedlichen Persönlichkeiten deutlich hervorzustreichen.

    Fazit:

    “Nach Mattias” ist ein leises Buch über die Trauer, das indes nie schmalzig auf die Tränendrüsen drückt. Vor allem gibt es dem Leser einen kleinen Einblick in die unzähligen, verästelten Verbindungen von Mensch zu Mensch, über die jede noch so kleine Handlung und jedes noch so nichtige Erlebnis ein Echo hervorrufen.

    Der Schmetterlingseffekt, einmal als Widerhall und Wirkung der Trauer betrachtet.

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  1. 5
    28. Apr 2020 

    Das Leben geht weiter...

    Gerade einmal 240 Seiten umfasst dieser Roman des niederländischen Autors Peter Zantingh. Schnell gelesen, dachte ich im Vorfeld - und wurde eines Besseren belehrt. Neun Kapitel reihen sich hier aneinander, jedes davon geschrieben aus einer anderen Perspektive, manchmal nur wenige Seiten lang. Aber jedes Kapitel wartet mit einer enormen emotionalen Wucht auf, leise, nicht dramatisch oder theatralisch, sondern echt und authentisch.

    Menschen kommen zu Wort, die Mattias kannten - mal sehr gut, mal eher aus der Ferne, aber allen hat er auf seine Weise etwas bedeutet. Freundin, bester Freund, Großeltern, Mutter, Internetbekanntschaft, Vermieter eines Ferienhäuschens... Eine breite Palette, die deutlich macht, wie viele Kontakte man hat im Leben, und dass ein Mensch für jeden einzelnen etwas anderes bedeutet.

    Der Text wirft Spotlights auf die einzelnen Leben nach Mattias: ein kurzer Ausschnitt, Licht aus. Trotzdem erfährt man in dem kurzen Ausschitt doch so einiges über den jeweiligen Charakter. Manche Kapitel stehen fast beziehungslos hintereinander, andere bieten Übergänge, wieder andere überraschende Kleinigkeiten, die doch eine Verbindung einzelner Personen aufzeigen. Und aus alldem schält sich nebenbei allmählich ein mehrdimensionales Bild von Mattias heraus - von dem Menschen, der er einmal war.

    Mir gefiel der ständige Perspektivwechsel, auch wenn die einzelnen Szenen dabei sehr für sich stehen. Aber ist es nicht auch genau das: der Tod eines Nahestehenden lässt jeden für sich alleine dastehen, jeder trauert auf seine Weise, erstarrt und muss schauen, ob und wie er aus der Erstarrung herauskommt? Diese unterschiedlichen Perspektiven machen das sehr deutlich, finde ich. Jeder hatte einen ganz anderen Bezug zu Mattias, eine andere Rolle, doch verändert sein Tod jeden einzelnen von ihnen, zwingt ihn, sich im Leben neu zu positionieren.

    Bei aller Faszination für diesen Roman konnte ich allerdings immer nur ein Kapitel zur Zeit lesen, denn Trauer einerseits und die große Einsamkeit im Leben jedes einzelnen Charakters andererseits springt einen jedesmal geradezu an. Denn trotz der geradezu 'nüchternen' Schreibweise werden hier enorm viele Emotionen transportiert. Davon 'ertrage' ich meist nur eine wohldosierte Menge.

    Dabei gelingt es dem Autor allerdings auch, einen Spannungsbogen über den Kapiteln zu platzieren, der sich bis zum Ende durchzieht - denn die Frage, die sich der Leser bereits zu Anfang stellt und die allmählich immer drängender wird, ist: wie starb Mattias? Den Aufbau mit den unterschiedlichen Perspektiven, den überraschenden Entdeckungen von Verbindungen und Gemeinsmkeiten und besagter Fragestellung fand ich fein konzipiert und in meinen Augen bis hin zum passenden und hoffnungsvollen Ende sehr gelungen umgesetzt.

    Ein wundervoll konzipierter Roman, der viele Facetten von Trauer betrachtet und doch ein großes Ganzes bildet. Ein Highlight in diesem Jahr!

    © Parden

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  1. Vielfältige Facetten der Trauer

    Vielfältige Facetten der Trauer

    Im Roman " Nach Mattias" von Peter Zantingh beschreibt der Autor wie einige Charaktere aus Mattias Umfeld sich nach dessen Tod fühlen. Er beschreibt die individuellen Arten ihrer Trauer sehr einfühlsam, lässt aber auch viele Eindrücke über den Verstorben aufleben, dadurch wird Mattias trotzdem auf eine gewisse Art ein Teil des Ganzen. Am Ende des Romans meint man ein gutes Bild von ihm erhalten zu haben, dann fragt man sich allerdings aber auch, ob er dem Bild wirklich gerecht wird? Oder weiter gefragt, gibt es tatsächlich dieses eine Bild? Hat nicht jeder Menschen eigene Ansichten und daher sicher auch andere Eindrücke die sein Bild komplettieren? Bei der Trauer scheint dies ähnlich zu sein, sowohl bei der Form, der Dauer und auch der Intensität. Nur eins ist wichtig, die Person im Herzen zu behalten und einen Weg finden sein Leben mit dem Schmerz weiterzuführen.

    Vor dem lesen wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, wie viele verschiedene Facetten eine Trauer haben kann. Jeder Mensch hat, um auf den Roman zurückzukommen, eigene Erlebnisse, Erfahrungen mit Mattias gesammelt. Auch durchlebt seine Mutter diesen Schicksalsschlag sicher anders, als der beste Freund Quentin, die Lebenspartnerin Amber, oder Chris der Bekannte aus dem Internet, doch allen ist etwas gemeinsam, sie merken, dass ein wichtiger Teil aus ihrem Leben fehlt, es gibt eine Lücke, die nur schwer auszufüllen ist.
    Dann gibt es auch Menschen, die die Person im Grunde gar nicht kennen. Doch auch hier gibt es Überschneidungen, die nur durch den Tod eines geliebten Menschen entstehen. Die Welt verändert sich, auch wenn einem nicht bewusst wird das alles einer Gesetzmäßigkeit folgt, die auch vor dem Tod nicht halt macht. Hier im Roman ist es Nathan, bei dem ich ganz intensiv darüber nachdenken musste, wie sehr sein Leben durch den Tod von Mattias beeinflusst wurde, obwohl dieser es nicht mal bemerkt hat.
    Meiner Meinung nach sollte man diesen Roman einfach selbst lesen, der Bann der beim lesen aufkam, wird durch meine Rezension nicht annähernd verständlich. Ein Roman der mich wirklich überrascht hat, und das kommt mittlerweile bei mir nicht mehr oft vor.

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  1. Eine neue Zeitrechnung

    Ein junger Mann stirbt. Woran, wir wissen es lange nicht. Zurück bleiben die Menschen, die Mattias gekannt, geliebt haben, ihm auf die eine oder andere Weise nahe standen, vielleicht auch nur einen ganz indirekten Bezug zu ihm hatten und trotzdem von seinem Tod betroffen sind.

    „Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert.“
    Eine neue Zeitrechnung bricht an, die Zeit nach Mattias. Episodenhaft nimmt uns der niederländische Autor Peter Zantingh an die Hand, lässt uns schrittweise Mattias‘ Hinterbliebene begleiten. Die Freundin, die in Tränen ausbricht, als ihr das Lesezeichen aus dem von Mattias zuletzt gelesenen Buch fällt und sie nun nicht mehr wusste, auf welcher Seite er war. Den Freund, der seine Trauer mit Laufen kompensiert. Die schlaflosen Großeltern. Die trauernde Mutter. Es sind ganz normale alltägliche Begegnungen mit Menschen, die wir auf die eine oder andere Art selber kennen. Mit jeder Person erfahren wir mehr über Mattias, wer er war, was ihn bewegt hat und letztlich auch wie er gestorben ist.
    Was wollen wir hinterlassen am Ende des Tages? Was bleibt, wenn jemand für immer geht? Das sind die Fragen, um die es in Peter Zanthings Roman im Kern geht.
    Mit jeder Geschichte mehr und gleich einem Puzzle sehen wir erst mit dem letzten Teil ein ganzes Bild klar vor uns, verbinden die Wege, die sich gekreuzt haben, erkennen die Anstöße, die neue Richtungen vorgeben. Sehen eine Spur von Mattias, die geblieben ist. Wer war nun dieser Mattias: ein lebensfroher Mann, empathisch, leicht zu begeistern, einer der für seine Ideen brannte und sich manches Mal dabei verzettelt, der gerne „Football Manager“ spielte, der Musik liebte und Amber. Zurück bleiben die Menschen, die ihn kannten und liebten, mit ihren unterschiedlichen Erinnerungen an ihn und mit ihren unterschiedlichsten Formen, um ihn zu trauern.
    „Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends.“
    So vielschichtig wie das Leben ist auch die Art des Trauerns. Das mag für jeden von uns etwas anderes sein. Und wie uns Peter Zantignh mit seinem Buch zeigt, steht niemand für sich allein.

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  1. 4
    07. Apr 2020 

    Roman in Erzählungen

    In „Nach Matthias“ erzählt Peter Zantingh auf sehr ungewöhnliche Art und Weise, welche Spuren ein Mensch hinterlässt und wie das Leben ohne ihn bei Familienangehörigen, Freunden, Bekannten weitergeht.
    Es braucht nicht die Information im Text, um zu wissen, dass es in diesem Buch um einen Verstorbenen geht. Der Titel „Nach Matthias“ lässt da wohl schon keine Fragen mehr offen. Offen aber bleibt die Frage fast bis zum Schluss dieses Erzählungsromans, wie und warum Matthias aus dem Leben schied. Der Roman dann ist eine Folge von einzelnen Erzählungen, die jeweils aus der Perspektive und über eine Person erzählt wird, die in irgendeiner Form mit Matthias während seines Lebens verbandelt war. Das sind ihm so enge Personen wie etwa seine Partnerin, sein bester Freund oder auch seine Mutter, aber auch Personen, die ihn (fast) gar nicht kannten, wie etwa der Vermieter eines Ferienhauses oder die Mutter des Attentäters. Diese bunte Mischung von Personen begleitet Zantingh über eine kurze Zeitperiode hinweg, zu einer Zeit als Matthias Tod erst kurze Zeit vergangen ist. In den einzelnen „Erzählungen“ berichtet er weniger von Trauer über den Tod eines Menschen (Matthias), sondern viel mehr über das Weiterleben dieser Personen. Das macht für mich die Stärke dieses Buches aus, dass es den Tod von seiner zwar zutiefst traurigen Seite her betrachtet, aber vor allem auch von der Seite des Lebens her einen Blick auf ihn wirft. Dabei vermittelt er dem Leser sprachlich und stilistisch sehr treffend formulierte Einsichten in das Leben und die Analyse über dasselbe.
    „Wir saßen auf der äußersten Spitze der Maslow’schen Pyramide und hatten trotzdem noch die Stirn, die Fotos von der Aussicht mit einem Instagramm-Filter aufzuhübschen. Unsere Eltern waren zusammengeblieben und wohnten in Häusern, die wie selbstverständlich von Jahr zu Jahr mehr wert wurden.“
    Über Matthias Tod erfahren wir dann zum Schluss des Romans: Er ist erschossen worden von einem Amokläufer, wahllos und zufällig. Dieser Zufall also ist Ausgangspunkt für den Roman „Nach Matthias“.
    Mein Fazit:
    Ist „Nach Matthias“ überhaupt ein Roman?, habe ich mich immer wieder gefragt und ihn dann für mich einen Roman in Erzählungen genannt. Dabei ist nicht jede Erzählung, ist nicht jeder Teil des Romans von gleicher Güte. Einige haben sowohl einen engen Zusammenhang zu dem Thema und dem „roten Faden“ des Romans als auch einen sprachlichen Tiefgang, der das Denken über den Tod oder Vielmehr darüber: ‚Welche Spuren hinterlässt der Mensch mit seiner Lücke?‘ sehr stark anreizt. Bei anderen aber, fehlt ohne der einigende Titel der Erzählungen jeglicher Zusammenhalt und Verbund mit dem Roman und das von mir oben formulierte Thema findet dadurch auch nur in sehr eingeschränktem Maße statt. Dadurch erscheint mir der Roman an einigen Stellen etwas willkürlich und beliebig. Was aber bleibt ist die gut getroffene Anregung zu tiefem Nachdenken über ‚Was bleibt?‘ und dafür geben ich dem Buch sehr gerne 4 Sterne.

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  1. Wenn das Leben trotzdem weitergehen muss

    Mit einem Mal ist Mattias weg, tot. Und er lässt Familie und Freunde einfach zurück. Sein schicksalhaftes Verschwinden reißt eine Lücke in das Leben seiner Partnerin Amber, seiner Mutter Kristianne und seines Kumpels Quentin, die nun mit dem Verlust klarkommen müssen. Auch die Wege fünf weiterer Menschen haben sich vor seinem Tod mit Mattias gekreuzt. Was ist mit dem jungen Mann passiert? Und wie geht es für die Hinterbliebenen weiter?

    „Nach Mattias“ ist ein Roman von Peter Zantingh.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus neun Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird im ersten und letzten Kapitel aus der Sicht von Amber und ansonsten aus der Sicht von acht weiteren Personen, teils in der Ich-Perspektive und immer im Präsens. Die Handlung spielt an unterschiedlichen Orten in der Niederlande, die nicht näher bezeichnet werden. Dieser Aufbau wirkt gut durchdacht.

    Dem Autor ist es ausgezeichnet gelungen, den Stil jeweils an die unterschiedlichen Charaktere anzupassen. Eine Gemeinsamkeit ist es, dass er jeweils recht nüchtern daherkommt, aber dennoch eindringlich ist. In vielen der Kapitel tauchen schöne Sprachbilder auf. Manche Formulierungen kommen jedoch etwas seltsam daher, manche Wörter sind unverständlich, weshalb ich davon ausgehe, dass die Übersetzung leider Schwächen hat.

    Die Protagonisten sind authentisch und stellen eine interessante Auswahl an Personen dar. Es gibt nicht nur Menschen, die Mattias sehr nahestanden, sondern auch solche, mit denen die Verbindung nur lose oder weniger direkt war. So ergibt sich mehr und mehr ein Bild des Verstorbenen. Als Leser taucht man in die jeweiligen Leben der unterschiedlichen Personen ein, sodass fast der Eindruck einer Sammlung an Kurzgeschichten entsteht, die für sich allein jedoch keinen Sinn ergeben und nur durch das gemeinsame Element, also Mattias, verstanden werden können. Beim aufmerksamen Lesen sind auch Verknüpfungspunkte untereinander erkennbar, die der Autor geschickt – mal auffällig, mal weniger prominent – in den Roman eingeflochten hat und die sich am Ende vollständig erschließen.

    Die Thematik von Tod und Trauer macht die Lektüre sehr berührend, wobei mich jedoch nicht alle Kapitel emotional erreicht haben. Da der Roman inhaltlich auch zu anderen Themen wie Fußballsimulationen abdriftet, habe ich den Mittelteil als ein wenig langatmig empfunden. Eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt außerdem die Musik. Eine schöne Idee ist daher die Playlist mit passenden Titeln zum Roman.

    Die unterschiedlichen Schicksale und Lebensgeschichten der Protagonisten sorgen nicht nur für Abwechslung, sondern regen auch zum Nachdenken an. Dabei blitzt im Roman immer wieder auf recht dezente Art Gesellschaftskritik durch.

    Das für den Verlag typische Cover passt gut zum Roman, vor allem zum letzten Kapitel. Der knackige Titel ist treffend gewählt und erfreulicherweise wortgetreu aus dem niederländischen Original („Na Mattias“) übernommen worden.

    Mein Fazit:
    „Nach Mattias“ von Peter Zantingh ist ein raffiniert konstruierter Roman darüber, welche Spuren ein Mensch nach seinem Tod hinterlässt. Eine berührende, aber nicht kitschige Lektüre.

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  1. Mosaik verschiedener Perspektiven ergibt ein vollständiges Bild

    Der Roman „Nach Mattias“ mutet vom ersten Moment wie eine Sammlung von Erzählungen an, die alle dasselbe Thema haben, nämlich „Nach Matthias“. Mattias war ein junger Mann in den Zwanzigern. Plötzlich und unvermittelt ist er ums Leben gekommen. Auf welche Art und Weise bleibt lange das gehütete Geheimnis des Autors, wodurch man zwangsläufig zum Spekulieren animiert wird.

    Jedes der Kapitel ist mit dem Namen der Person überschrieben, aus deren Sichtweise es angelegt ist. Die Personen stehen nicht alle im engen Verhältnis zu Mattias, mitunter sind flüchtige Bekannte darunter oder der Zusammenhang mit dem Verstorbenen ergibt sich gar nur mittelbar. Dadurch entsteht eine Art Puzzlespiel: Erst, wenn man das letzte Teil an seinen Platz gerückt hat, ergibt sich das ganze Bild. Das Spannende ist, dass wir nicht nur schrittweise Mattias in all seinen Facetten kennenlernen, sondern auch sein Umfeld und die Umstände seines Todes.

    Seine Lebensgefährtin Amber kommt am Anfang und am Ende zu Wort, sie setzt quasi den Rahmen. Amber und Mattias haben zusammen gelebt. Nun lebt sie allein in der Wohnung zwischen all den Erinnerungen. Eine Woche nach seinem Tod wird zudem ein bestelltes Fahrrad geliefert, das fortan wie eine Mahnwache im Flur steht. „Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends.“ (S.7)

    Amber geht in den Park und wird Zeuge, wie ein Pitbull das kleine Hündchen einer alleinstehenden alten Frau angreift. Quentin, ein alter Freund von Mattias, joggt vorbei und greift beherzt ein. Amber begleitet die Seniorin zum Tierarzt, beide führen ein berührendes Gespräch über Verluste.

    Quentin wird uns im nächsten Kapitel wiederbegegnen. Mattias und er wollten gemeinsam ein Musikcafé eröffnen, bevor es passierte. Quentin läuft jetzt, um zu vergessen. Dieser Sport spielt ihm Chris zu, der als Jugendlicher nach und nach sein Augenlicht verlor und nun einen Sparringspartner zum Trainieren braucht. Beide Männer werden sich gegenseitig helfen, sie werden sich ein neues Ziel suchen. Auch Chris selbst kommt später noch zu Wort. Über seine Blindheit sagt er: „Das schwerste von allem ist der Verlust von Erinnerungen. Weil ich heute mit dem Akt des Erinnerns den schwarzen Schleier der Gegenwart über sie lege.“ (S. 173)

    Die schlaflosen Großeltern, denen Mattias zur diamantenen Hochzeit einen Netflix-Gutschein schenkte, damit sie die Nächte besser überstehen, bringen viel von ihrem eigenen Leben mit hinein: Bei den ihnen ist wahrlich nicht alles eitel Sonnenschein, die Nerven liegen zuweilen blank, aber: „Das Eis ist dick nach 60 Jahren. Da bricht man nicht so ohne weiteres ein.“ (S. 81)

    Naturgemäß leidet Mutter Kristianne entsetzlich. Sie muss wieder raus, deshalb fängt sie an, sich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren. Dort wird sie gebraucht, macht neue Erfahrungen und knüpft wertvolle Kontakte. Sie schöpft vorsichtig Hoffnung, als der Frühling anklopft und die Tage länger werden...

    Andere Abschnitte wie der von Verkaufstalent Nathan oder von Roadie Issam lesen sich zwar fesselnd, der Zusammenhang wird aber zunächst nur angetupft, das große Ganze ergibt sich wie erwähnt erst am Ende der Lektüre.

    Das Bild von Matthias wird immer genauer: Er war ein junger Mann mit Visionen und Ideen. Er war liebenswert, Freunde und Familie schätzten ihn sehr, konnte er doch gut zuhören, war empathisch und hilfsbereit. Mattias war kein Typ für den unverbindlichen Small Talk, er stritt sich nie.

    Das Buch wird gerne mit Simone Lapperts „Der Sprung“ verglichen. In der Tat kann man durchaus deutliche Parallelen in der Struktur der Romane erkennen: Ein einschneidendes Erlebnis hat Einfluss auf verschiedene Personen. Peter Zantingh gelingt es meiner Meinung nach aber noch besser, die einzelnen Puzzlesteine zusammenzufügen. Er behält den ernsten, jedoch nie hoffnungslosen Ton konstant bei. Wirklich jeder Abschnitt hat Tiefe und ist auf seine Art lesenswert, auch wenn der Bezug zum Protagonisten zunächst zu fehlen scheint.

    „Nach Matthias“ ist ein Buch über Trauer und wie man sie überwindet. Es ist ein geschickt gewebtes Mosaik aus verschiedenen einzelnen Erzählungen, die ein tragfähiges Ganzes bilden und Hoffnung machen. Großartig, dass der Verlag eine Playlist hintenangestellt hat, deren Musikstücke wunderbar zum Tenor des Romans passen.

    Ich hoffe, dass noch mehr Werke dieses talentierten Autors ins Deutsche übersetzt werden und spreche eine große Lese-Empfehlung aus.

    4,5/5 Sterne

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  1. "Was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr da sind."

    "Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert." (7)

    Bereits im ersten Satz des Romans wird der Titel aufgegriffen und der Bezugspunkt genannt. Was geschieht in der Zeit, nachdem Mattias gestorben ist.

    Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven:

    Im ersten Kapitel steht Mattias Freundin Amber im Mittelpunkt, die aus der Ich-Perspektive erzählt, wie sie sich fühlt.

    "Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends."(7)

    Während sie im Park ist und an glückliche Zeiten zurückdenkt, wird Amber Zeugin, wie ein Pitbull fast einen kleinen Hund tot beißt. Quentin, ein Freund Mattias, kommt ihr und der Besitzerin des Hundes zu Hilfe. Aus seiner Perspektive wird im 2.Kapitel ein Blick auf Mattias geworfen. Genau wie Amber stellt er seinen Freund als jemanden dar, der sich für Neues begeistern konnte, viele verschiedene Ideen hatte.

    "Er konnte sich immer noch für die gerade gehörten Newcomerbands begeistern, die er auf eine Popbühne bringen würde, und genauso sehr auch für die Schüler, denen er während des Rests der Woche Nachhilfeunterricht gab, weil sie zu ihm aufschauten und seinen Erzählungen lauschten und weil er auf die Weise wenigstens noch etwas damit anfing, dass er vier Jahre Geschichte studiert hatte." (13)

    Seine neueste Idee, von der Amber und Quentin sprechen, ist es, gemeinsam mit Quentin ein Café aufzumachen - wie genau dies aussehen soll, wird im Lauf des Romans aus anderer Perspektive erzählt.

    Amber beschäftigt es, dass sie darüber am letzten Tag gestritten haben, man erfährt jedoch nicht, wie Mattias gestorben ist. Auch das erschließt sich allmählich, wenn man - wie es auf dem Buchrücken heißt - alle "Puzzleteile" zusammengefügt hat.

    Neben Freundin und Freund kommen auch die Großeltern zu Wort, doch bei ihnen steht weniger Mattias als Enkel im Vordergrund, sondern ihre Ehe selbst, die lange Zeit, die sie schon zusammen sind, während die Mutter Kristianne das Bild eines anderes Mattias zeichnet - einen empathischen, jungen Mann in den Vordergrund rückt, der auf Harmonie bedacht gewesen ist. Dieses Bild vermittelt auch Issam, ein Roadie, der Mattias nur über das Internet gekannt hat.

    Was mir besonders gut gefallen hat, sind die zusätzlichen Verbindungen zwischen den Kapiteln - neben dem "Bindeglied" Mattias.

    So trainiert Quentin, der seiner Trauer mit Laufen begegnet, einen Blinden, Chris, der selbst zu Wort kommt und erzählt, was Quentin ihm über Mattias anvertraut hat. Und Tirra ist eine Frau, die Kristianne im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Arbeit für Flüchtlinge kennengelernt hat - so werden auch die Geschichten der Personen weiter geschrieben, die von der Zeit "nach Mattias" berichten. Wobei man sich auch der Antwort nähert, wie er gestorben ist.

    Bei einer Figur - Nathan, die aus ihrem Leben erzählt, weiß man zunächst nicht, was sie mit Mattias zu tun hat, das erschließt sich erst ganz am Ende.

    Insgesamt entsteht allmählich ein Bild dieses jungen Mannes, der tot ist, und gleichzeitig erfahren wir, wie das Leben "nach Mattias" weitergeht, wie Trauer "aussieht" für die Personen, denen er etwas bedeutet hat und auch für andere, deren Leben er nur am Rande berührt hat.

    5 Sterne!

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  1. Nicht nur Schatten

    Der Aufbau des Romans "Nach Mattias" des Niederländers Peter Zantingh erinnert an Simone Lapperts lesenswertes Buch "Der Sprung" aus dem Diogenes-Programm des Jahres 2019. Ist es bei Lappert die Frau auf dem Dach, die das Schicksal vieler Wartender nachhaltig beeinflusst, so gibt bei Zantingh der plötzliche Tod eines jungen Mannes dem Leben der acht Ich-Erzählerinnen und -Erzählern schlagartig eine neue Richtung. Nicht alle sind so direkt mit Mattias verbunden wie seine Freundin Amber, die Großeltern, die Mutter Kristianne oder der beste Freund Quentin. Manche kannten ihn gar nicht, wie Quentins blinder Tandemjogger Chris, Issam war nur über das Internet mit ihm in Kontakt und bei Nathan und Tirra habe ich sogar eine ganze Weile gerätselt, worin die Verbindung zu Mattias besteht. Aber ganz egal, wie nah oder fern sie ihm standen und wie groß dementsprechend ihre Trauer ist, ihr Leben nimmt mit seinem Tod eine Wende oder beeinflusst wenigstens ein bisschen dessen Verlauf.

    Was geschah
    Erst im siebten der neun Kapitel erfahren wir, welche tragischen Umstände zu Mattias‘ plötzlichem Tod führten, was mich zu ebenso wilden wie vergeblichen Spekulationen angeregt hat. Bis es dazu kommt, haben wir bereits sieben der acht Stimmen gehört, nur Amber sind mit dem ersten und letzten gleich zwei Kapitel vorbehalten. Mit Chris, dem blinden Familienvater, der Dank Quentins verzweifelter Lauferei einen Tandemjogger findet, ist es ausgerechnet einer, der Mattias nicht kannte, der die Todesumstände in Worte fassen kann. Neben ihm ist mir Amber besonders ans Herz gewachsen, Mattias‘ Freundin, die ihre Trauer zu Beginn so in Worte fasst:

    "Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends. [...] In diesen ersten Wochen wusste ich manchmal nicht, ob ich meinen eigenen Schatten sah oder den von jemandem, der sich mit den besten Absichten dicht neben mich gestellt hatte."

    Viele Stimmen
    Nicht nur die Todesumstände bleiben lange rätselhaft, auch die Person Mattias muss sich der Leser oder die Leserin aus dem multiperspektivischen Chor deren, die ihn oder zumindest Menschen aus seinem Umfeld kannten, erst allmählich zusammensetzen. Nicht alle schildern ihn gleich. Seine Mutter Kristianne hätte den Nachruf auf ihren Sohn bei der Trauerfeier ganz anders gehalten, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Allmählich entsteht trotzdem das Bild eines energiegeladenen jungen Mannes voller Pläne, der Ideengeber für andere war, seine Freundin trotz Differenzen liebte, allen zugewandt, gesellig und empathisch war, das Leben genoss und vor allem gut zuhören konnte.

    Trotz allem auch ein hoffnungsvoller Roman
    Auch wenn ich stilistische Unterschiede der verschiedenen Erzählstimmen kaum gespürt habe, sondern immer eher der Autor sprach, hat es mir doch viel Freude bereitet, die Verbindung der verschiedenen Erzählerinnen und Erzähler zu Mattias zu entschlüsseln und sein Bild aus Puzzleteilen zusammenzusetzen. Obwohl es ein Roman über Trauer ist, ist es kein tieftrauriges Buch. Vielmehr entwickeln alle Zurückbleibenden Überlebensstrategien, so dass es trotz der großen Lücke „nach Mattias“ für alle Hoffnung gibt.

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  1. 5
    26. Feb 2020 

    Was wäre, wenn ....?

    Es gibt Fragen, die möchte man sich nicht stellen. Es sind "Was wäre, wenn"- Fragen wie "Was wäre, wenn ich morgen vom Auto überfahren werde?"; "Mit dem Flugzeug abstürze?"; "Oder einem Terroranschlag zum Opfer falle?"; "Oder jemand, der mir nah steht, von einem Moment auf den anderen nicht mehr da ist?" Oder, oder, oder ...

    Diese aufwühlenden Fragen und damit verbundenen Gedanken verursachen großes Unbehagen. Denn wer beschäftigt sich schon gern mit dem Tod. Dennoch kann man sich nicht von diesen Gedanken freisprechen, denn sie sind immer latent vorhanden - mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Und irgendwann kommt jeder in die Situation, in der er sich mit der Frage konfrontiert sieht: "Was wäre, wenn ich oder jemand, der mir nah steht, nicht mehr wäre?"
    Und um diese und ähnliche Fragen geht es in dem Roman "Nach Mattias" des niederländischen Autors Peter Zantingh.

    Derjenige, der hier gerade gestorben ist, ist Mattias. Wir wissen nicht, wie alt Mattias war, als er starb, können aber den Aussagen über ihn entnehmen, dass er in den Zwanzigern oder Dreißigern war. Wir wissen auch zunächst nicht, warum oder woran Mattias gestorben ist. Das ist auch nicht wichtig. Die Konsequenz für Mattias ist dieselbe. Viel wichtiger ist, was sein Tod bei den Leuten auslöst, die ihn liebten, die ihm zumindest nah waren oder auch nur flüchtig mit ihm zu tun hatten.

    "Ein guter Freund liest mit gesenktem Blick etwas vom Blatt ab. Immer voller Pläne, sagt er. Er hatte immer was Großes vor. Vielversprechendes, Termine. Immer wieder mit was Neuem befasst.
    Ein Zweiter übernimmt, als dem Ersten die Stimme versagt. Er liest: Er wollte was. Wenn es ihm zu lange dauerte, wurde er ungeduldig. Scharrte mit den Hufen. Kommt, ihr Loser. ...
    Sie möchte sich erheben. Nein. So war er nicht."

    Am Beispiel von acht Charakteren, denen jeweils ein oder zwei Kapitel in diesem Buch gewidmet sind, erleben wir, wie diese Menschen mit dem Verlust von Mattias umgehen bzw. was die Trauer mit ihnen macht. Wir erfahren, welches Leben sie führen oder geführt haben - mit und ohne Mattias. Allen voran sind dies Mattias' Lebensgefährtin, sein bester Freund, seine Großeltern und seine Mutter, aber auch irgendjemand, den Mattias irgendwoher kannte. Natürlich überwiegen in diesem Buch Traurigkeit und Betroffenheit. Doch gleichzeitig wird man hier auch Hoffnung finden. Denn ein Verlust kann auch einen Neuanfang bedeuten.

    Die zentralen Fragen, die sich bei der Lektüre dieses Romans stellen, sind:
    Welche Spuren hinterlässt ein Mensch? Welche Erinnerungen an diesen Menschen bleiben bestehen? Was bewirkt der Verlust eines Menschen bei den Hinterbliebenen?

    Dies sind Fragen, die sich unmöglich allgemeingültig beantworten lassen. Anhand der Art und Weise wie Peter Zantinghs Protagonisten gelebt haben und "Nach Mattias" leben werden, entwickeln sich jedoch Denkansätze, die den Leser zur Selbstreflexion bewegen. Und dadurch wird dieser Roman zu einem sehr persönlichen und aufwühlenden Buch für den Leser.

    Dieses Buch kann wehtun, denn die Geschichten der einzelnen Charaktere kratzen an der eigenen Seele. Peter Zantingh hat mit seinen unterschiedlichen Protagonisten einen Querschnitt aus dem sozialen Umfeld eines jeden Lesers geschaffen. Daher ist es fast nicht zu vermeiden, dass man sich selbst anstelle des einen oder anderen Charakters sieht. Und man stellt sich die "Was wäre, wenn"- Fragen, die man am liebsten nicht stellen würde, weil sie einen Tabu-Bereich des eigenen Inneren betreffen. Und allein die Vorstellung des Verlusts eines lieben Menschen ist unerträglich.

    "Nein, das Schwerste von allem, ..., sei der Verlust von Erinnerungen. Weil ich heute mit dem Akt des Erinnerns den schwarzen Schleier der Gegenwart über sie legte. Und der bleibe: Beim nächsten Mal sei es schon eine Erinnerung an diese Erinnerung, eine Kopie einer Kopie. Bis eines Tages alle Formen und Farben weg seien."

    Mich hat dieser Roman bis ins Mark erschüttert. Ich bin in einem Alter, das man optimistisch als die zweite Hälfte des Lebens bezeichnet (pessimistisch gesehen ist es wohl eher das letzte Drittel). Daher taucht die Frage ohne Antwort, wieviel Zeit mir mit meinen Lieben "theoretisch" noch bleiben "könnte" (ein Hoch auf den Konjunktiv!), immer wieder auf. Doch ein Gutes hat diese Frage. Sie ist für mich eine Mahnung, bewusster zu leben und ich sehe mich in der Pflicht - sowohl mir, auch meinen Lieben gegenüber -, jede Minute des Lebens zu genießen, als wäre es die Letzte.

    Und diesen Gedanken nehme ich auch aus "Nach Mattias" mit.

    Mein Fazit:
    Ein Buch, das wehtut, auf das man sich einlassen muss, das aber am Ende sehr viel zu geben hat! Leseempfehlung!

    © Renie
    Buchbotschafterin (aus Überzeugung) für den Roman "Nach Mattias"

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  1. Was bleibt, wenn ich nicht mehr bin?

    Da mir der Roman wärmstens empfohlen wurde, ließ ich mich darauf ein und bekam etwas ganz anderes als ich erwartet hatte.

    In der Geschichte geht es um die Hinterbliebenen von Mattias, nicht nur Freunde und Familie, sondern auch andere Menschen, die mit ihm mal mehr, mal weniger Kontakt hatten. Wie verändert der Tod eines Anderen das eigene Leben?

    Ein beobachtender Erzähler lässt uns an neun Leben der unterschiedlichsten Menschen teilhaben, die in irgendeiner Form in einer Verbindung zu Mattias standen. Bei einigen ist sofort klar wo der Zusammenhang besteht, bei anderen eher weniger.

    Je mehr man vom Buch liest, desto mehr ergibt sich für den Leser ein Bild wie Mattias gewesen ist und das obwohl er selber keine Rolle in dem Ganzen hat, was ich echt spannend fand.

    Zu Beginn der Lektüre war ich ehrlich gesagt sehr skeptisch, weil sich alles ganz anders entwickelt hat als meine Erwartungen waren und es erstmal sehr unspektakulär ablief, aber die Geschichte wartet trotz der wenigen Seiten mit einer enormen Überraschung auf, daher sollte man unbedingt am Ball bleiben.

    Mich hat am meisten der Abschnitt um Tirra bewegt, da ich mir gut vorstellen konnte, dass es einen sehr hart treffen muss, wenn das eigene Kind sich nicht so entwickelt wie man es sich für es gewünscht hat.

    Ebenso berührt hat mich das Schicksal vom blinden Chris. Ich muss auch eine starke Brille tragen und für mich wäre es wirklich schlimm, wenn ich nichts mehr sehen und auch kein Buch mehr lesen könnte. Wie Chris dennoch sein Leben meistert, hat mich sehr positiv gestimmt und aufgemuntert.

    Die Lektüre hat mich sehr nachdenklich gestimmt, denn ich fragte mich was von mir eigentlich bleibt, wenn ich mal nicht mehr bin?

    Fazit: Ein berührender Roman über die Endlichkeit des Lebens und dass es auch ohne einen weitergeht und auch weitergehen muss. Lesenswert!

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