Nach dem Schmerz: Thriller

Buchseite und Rezensionen zu 'Nach dem Schmerz: Thriller' von Lucas Grimm
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4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nach dem Schmerz: Thriller"

Die gefeierte Cellistin Hannah Gold berührt die Menschen mit ihrer Musik, doch an sie selbst kommt nichts und niemand heran: Seit sie vor 25 Jahren gefoltert wurde, kann Hannah keinen Schmerz mehr empfinden. Die damals Siebenjährige wurde vor den Augen ihres Vaters, einem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium der DDR gequält, um geheime Informationen aus ihm herauszupressen. Er schwieg - aber schwieg er mit Absicht, um den Preis ihres Lebens? Hannah hat ihren Vater nie wieder gesehen, bis er eines Abends plötzlich in einem ihrer Konzerte sitzt. Von da an wird sie in einen Strudel aus alten und neuen Machenschaften hineingezogen. Wird verfolgt, angegriffen, gejagt. Es gibt keinen sicheren Ort mehr für sie, und sie begreift, dass es nur einen Ausweg geben kann: Sie muss hinter das Geheimnis ihres Vaters kommen.

Autor:
Format:Broschiert
Seiten:320
Verlag: Piper
EAN:9783492057783

Rezensionen zu "Nach dem Schmerz: Thriller"

  1. 4
    29. Apr 2017 

    düster und spannend

    In zwei Jahren werden wir den 30. Jahrestag der Maueröffnung feiern. Die Machenschaften des ehemaligen DDR-Regimes liegen also schon lange zurück, haben aber immer noch, nach so langer Zeit, große Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen. Von diesen Auswirkungen erzählt der spannend-düstere Thriller "Nach dem Schmerz" von Lucas Grimm.

    Die Kindheit der heute 34-jährigen Star-Cellistin Hannah Gold nahm ein brutales Ende, als sie im Alter von 7 Jahren im Keller der russischen Botschaft in Ostberlin aufs grausamste gefoltert wurde. Ihr Vater, Max Gold, musste dabei zusehen. Als hoher DDR-Funktionär war er Geheimnisträger vieler brisanter Informationen über Ost und West. Mit der Gewalt an seiner Tochter versuchte man, bestimmte Geheimnisse aus ihm herauszupressen, die er jedoch nicht Preis geben konnte oder wollte. Hannah kam damals mit dem Leben davon, ihr Vater nach Sibirien, wo er während seiner Gefangenschaft verstarb.

    Heute, nach 27 Jahren, ist Hannah zwar eine gefeierte Cellistin, doch aller Ruhm lenkt nicht davon ab, dass sie damals in Berlin massive seelische Schäden erlitten hat, die sie ihr Leben lang begleiten werden. Einige Zeit nach dem entsetzlichen Vorfall stellte man fest, dass sich Hannahs Schmerzempfinden verändert hatte. Sie kann bis heute keine körperlichen Schmerzen empfinden.

    "'... Noch vor vier, fünf Jahren habe ich in den Fingerkuppen die Saiten gespürt. Ich habe gespürt, wenn ich über die Windungen geglitten bin. Seitdem wird es immer weniger. Ich fühle die Saiten nicht mehr. Weißt du, was das heißt? Vielleicht ist es egal, wenn man Bläser ist, oder Paukist, aber nicht, wenn man ein Streichinstrument spielt. Das ist wie ein Koch, der seinen Geschmackssinn verliert. Irgendwann werde ich gar nichts mehr fühlen.'" (S. 186)

    Hannah versucht, mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen. Denn die Frage, die sie permanent begleitet und nicht zur Ruhe kommen lässt, ist die nach der Schuld ihres Vaters. Konnte er die heiß begehrten Geheimnisse, die der Anlass für ihre Folterei waren, nicht zur Verfügung stellen, weil er sie nicht hatte? Oder wollte er die Informationen nicht zur Verfügung stellen, weil diese ihm wertvoller erschienen als die Gesundheit seiner Tochter?
    Sie erhofft sich Antworten auf diese Fragen, indem sie herausfinden will, um welche Geheimnisse es damals ging.

    Auch heute noch scheinen diese Informationen einen unermesslichen Wert zu haben. Warum tauchen auf einmal Leute auf, die sich immer noch für diese Informationen interessieren und auch nicht davor zurückschrecken, diese mit aller Gewalt zu erhalten.

    Unterstützung erhalten sowohl Hannah als auch ihre Feinde von dem Journalisten David Berkoff, der sich vor einiger Zeit einen Namen als Kriegs- und Enthüllungsreporter gemacht hat, seinen besten Zeiten aber schon lange hinterher rennt. Er ist eher ein abgewrackter Schreiberling als ein strahlender Starreporter, wozu sein Alkohol- und Drogenkonsum einiges beiträgt. So spielt er also ein doppeltes Spiel, das er sich fürstlich entlohnen lassen möchte. Er präsentiert sich Hannah als Retter und Unterstützer in der Not und hofft so, an die wichtigen Informationen zu geraten, für die seine Auftraggeber bereit sind zu töten.

    "Aber die meiste Zeit war sein Alkoholpegel hoch genug gewesen, um zu glauben, er sei nicht wirklich bestechlich. Er könnte sich moralisch sauber halten. Wenn der Pegel allerdings, wie jetzt, unter ein Promille fiel, sah er, dass das eine Lüge war." (S. 123)

    Hannah und Berkhoff geben eine interessante Paarung ab. Beide sind mit einem labilen Seelenkostüm ausgestattet, beide ecken bei ihren Mitmenschen an, beide sind auf ihren eigenen Willen fixiert und versuchen, diesen ohne Rücksichtnahme auf andere durchzusetzen.

    Auffällig ist, dass in Lucas Grimms Thriller kein Charakter dabei ist, auf den man als Leser mit Sympathie reagiert: Hannah hat mit ihrer Schmerzlosigkeit etwas von einem Freak, Berkhoffs unmäßiger Alkoholkonsum ist ekelerregend, sein falsches Spiel gegenüber Hannah liefert auch keine Sympathiepunkte, und seine Auftraggeber nebst Entourage sind die Verkörperung von Skrupellosigkeit und Boshaftigkeit.

    Dieser Thriller ist megaspannend. Lucas Grimm beschreibt in seinem Roman einige dunkle Abgründe, in die sich ein Mensch begeben kann. Beim Lesen wird man kein Wohlgefühl empfinden sondern eher Beklemmung und Fassungslosigkeit über die geschilderten Machenschaften. Besonders gelungen sind die Verfolgungsjagden in dieser Geschichte. Verfolgt wird i. d. R. Hannah. Da der Roman u. a. aus ihrer Perspektive geschrieben ist (eine weitere Erzählperspektive ist die von Berghoff), spürt man die Bedrohung, der Hannah ausgesetzt ist, fast schon körperlich. Der Adrenalinpegel steigt daher beim Lesen fast schon ins Unerträgliche an.

    "Sie spürte, dass ihre Wut stärker wurde. Wechsel von Moll zurück nach Dur. Irgendeine schwere Tonart. Fis-Dur, weil es mit seinen sieben Kreuzen synästhetisch Wut bedeutet." (S. 34)

    Eine Besonderheit dieses Thrillers ist seine Sprache. Denn Lucas Grimm unternimmt - ganz im Sinne seiner Protagonistin - immer wieder sprachliche Ausflüge in die Musik, indem er Stimmungen in Tonarten beschreibt. Dadurch ergibt sich ein faszinierender Kontrast zwischen der Schönheit von Musik und der Hässlichkeit der hier geschilderten menschlichen Abgründe.

    Fazit:
    Ein sehr gelungener Thriller, der uns Einblick in verstörende seelische Abgründe verschafft und durch seine kontrastreiche Sprache besticht. Der Leser wird unter Hochspannung gesetzt, zum Durchatmen kommt er erst zum Ende des Romans. Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. 4
    19. Mär 2017 

    The Pain has Gone

    Heute ist Hannah Gold eine bekannte Cellistin. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR war sie als Tochter eines hohen politischen Beamten in einer besonderen Situation. Im Jahr 1989 wurde ihre Kindheit jäh beendet. Ihr Vater geriet in die Fänge des Geheimdienstes und um ihm seine Geheimnisse zu entlocken, wurde die damals 7jährige Hannah vor seinen Augen gefoltert. Seit damals nimmt Hannahs Fähigkeit, körperliche Schmerzen zu empfinden, immer mehr ab. 27 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis taucht der totgeglaubte Vater plötzlich wieder in Berlin auf. Der abgehalfterte Journalist David Berkoff ist seit Jahren hinter einer bestimmten Story her. Ist jetzt seine Chance gekommen?

    Wenn man eigentlich glaubt, man habe mit der Vergangenheit abgeschlossen, rechnet man keinesfalls damit, dass sie eines Tages vor der Haustür steht bzw. ein Konzert aufsucht. Doch genau das geschieht in Hannahs Leben. Völlig unerwartet besucht ihr totgeglaubter Vater eine ihrer Aufführungen. Nur wiederwillig trifft sich Hannah mit ihrem Vater. Sie will wissen, was damals wirklich geschah. Offensichtlich will auch ihr Vater etwas von ihr wissen. Doch für Hannah fühlt es sich so an als stünde ein Fremder vor ihr. Sie kann sich nicht überwinden, mit ihrem Vater zu sprechen. Just als sie beginnt ihren Entschluss zu hinterfragen, wird ihr Vater bei einem Anschlag getötet.

    Eine Tochter auf der Suche nach der Wahrheit, ein Journalist auf der Suche nach der Wahrheit. Doch haben die beiden das selbe Ziel? Zunächst scheinen sie sich ergänzen zu können, doch jeder scheint auch ein eigenes Spiel zu spielen. Und mehr als nur ein Geheimdienst macht sich auf die Spur der Wahrheit. Werden Berkoff und Hannah Gold von den verschiedenen Diensten ausgenutzt und gegeneinander ausgespielt? Und schließlich ist es mit der Wahrheit wie mit den Geistern, die man rief und die man dann nicht mehr los wird? Äußerst spannend entwickelt sich die Jagd nach der Wahrheit. Berkoff muss dabei einiges mit seinem Gewissen ausmachen, schließlich sollte für die Story vielleicht doch nicht absolut jedes Mittel recht sein. Was aber, wenn man sich mit allen überworfen hat, die einem Arbeit verschaffen könnten. Und Hannah hat nach ihren schweren Erlebnissen eine besondere Persönlichkeit entwickelt. Schwer vorstellbar, keinen Schmerz empfinden zu können. Was im ersten Moment eine Erleichterung sein könnte, wird bald zu einer Unfähigkeit und einer Belastung. Schließlich sorgt ein Schmerz ja auch dafür, innezuhalten und einer Gefahr auszuweichen. Mit seinem Debütroman hat der Autor zwei ungewöhnliche Personen zu einem unfreiwilligen Team zusammengefügt, bei dem man sich fragt, ob und wie lange es funktioniert. Gepackt geht man dieser Frage nach und auch der Frage nach der Wahrheit.

    Ein fesselnder Thriller, der sehr deutlich macht, dass die Vergangenheit viel länger wirken kann als einem mitunter lieb ist.

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