Mr. Crane: Roman

Rezensionen zu "Mr. Crane: Roman"

  1. Das hätte Mr. Crane gefallen!

    In der Lungenheilanstalt zu Badenweiler wird im Jahre 1900 der charismatische amerikanische Schriftsteller Stephen Crane von der jungen Krankenschwester Elisabeth gepflegt. Es sind nur wenige Tage, die der Patient und seine Pflegerin miteinander verbringen. Doch zwischen den beiden entwickelt sich eine geheime und obsessive Leidenschaft, die Elisabeths Leben maßgeblich beeinflussen wird.

    Vierzehn Jahre später. Der Erste Weltkrieg fordert seine ersten Tribute. Elisabeth ist mittlerweile Oberschwester im selben Sanatorium. Als ein junger Soldat mit schweren Verletzungen eingeliefert wird, erwachen in Elisabeth alte Erinnerungen.

    Leben, Sterben. Krankheit, Krieg. Lieben, Lassen. Eine intensive Reise in die Zeit der Jahrhundertwende und in das Innenleben einer Frau.

    Andreas Kollender hat detailliert zu Stephen Cranes Leben recherchiert. Im Fieberwahn und von Morphium dahindämmernd lässt ihn der Autor über das Schreiben, den Krieg, die Angst und die Bitterkeit des Künstlerdaseins delirieren. Und doch ist der Roman „Mr. Crane“ weniger eine fiktionale Biografie eines in Vergessenheit geratenen Schriftstellers, auch kein simpler Liebesroman, sondern eine eingehende Betrachtung des Werdegangs und der Entwicklung seiner fiktiven Heldin Elisabeth.

    Als Oberschwester Elisabeth lebt die Protagonistin selbstbewusst und völlig frei. Sie ist auf sich gestellt, braucht keinen Ehemann als Versorger und ist sehr unkonventionell im Denken, Handeln und Lieben. Das war nicht immer so. Bevor Elisabeth Stephen Crane kennenlernen durfte, hat sie ein Leben im Schatten verbracht. Ihr Gesicht, das aufgrund einer Brandverletzung halbseitig entstellt ist, zeigte sie nicht gerne, und umgekehrt wollte niemand sie richtig anschauen, nicht die Kolleginnen, nicht der vorgesetzte Arzt, nicht einmal ihr damaliger Ehemann. Erst Stephen Crane schaut sie an, macht sie sichtbar, erkennt sie. Für den sterbenskranken Mann ist mit Elisabeth das letzte Aufbäumen seiner Männlichkeit möglich. Elisabeth hingegen erfährt nicht nur durch die sexuelle Emanzipation einen Wandel. Ihr gesamte Haltung zum Leben, zu ihrem Leben verändert sich.

    „Elisabeth weiß, dass damals viel über sie geredet wurde, wahrscheinlich wird heute noch über sie geredet, die vernarbte Krankenschwester, die sich irgendwie dieses Häuschen leisten kann und alleine lebt und manchmal behaupten soll, sie habe Anton Tschechow umgebracht. Auf eine eigentümlich stille Weise ist sie populär. Das hätte Mr. Crane gefallen.“

    Der Tod Anton Tschechows in Badenweiler 1904 bekommt im Buch eine besondere Rolle und zieht sich fast wie „Running Gag“ durch den Roman. Die Mischung aus Fakten und Fiktion machen das Buch umso lebendiger, denn genauso hätte wohl alles sein können.

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  1. 5
    10. Jan 2021 

    Ein Liebesroman?

    Da musste ich erst den Roman eines deutschen Autoren lesen, um zu lernen, dass es Ende des 19. Jahrhunderts einen amerikanischen Schriftsteller namens Stephen Crane gab, dessen Romane und Erzählungen heutzutage als Klassiker der amerikanischen Literatur gehandelt werden. Scheinbar kenne ich mich doch nicht in dem Maße mit amerikanischer Literatur aus, wie ich immer angenommen bzw. gehofft habe;-)
    Der Roman, der mich auf den Weg der Erkenntnis gebracht hat, ist "Mr. Crane" von Andreas Kollender.

    Stephen Crane (geboren 1871) war - wie der Roman von Andreas Kollender beschreibt - zeitlebens ein charismatischer und lebenslustiger Abenteurer, der diese Lebenslust jedoch nicht lange genießen durfte. Denn Crane starb im Jahre 1900 mit gerade mal 29 Jahren an Tuberkulose.
    Cranes bekanntester Roman ist "Die rote Tapferkeitsmedaille", mit dem er 1895 seinen literarischen Durchbruch erzielte und der ihm den Weg in ein turbulentes Leben ebnete. Der junge Autor wurde als Kriegsberichterstatter engagiert und wurde in diverse Krisengebiete der damaligen Zeit entsendet.
    Die letzten Tage seines Lebens verbrachte der todkranke Crane in einem Sanatorium in Badenweiler (Schwarzwald), wo er trotz schlechter Prognosen immer noch auf Heilung hoffte.

    "Das Leben sei schön, sagte Mr. Crane, es komme immer darauf an, wohin man sehe. Komme darauf an, wo das Rettungsboot sich gerade befinde, auf dem Wellenkamm oder im Tal, umschlossen von grauem Wasser."

    "Mr. Crane" erzählt unter anderem die Geschichte von Cranes Zeit in Badenweiler. Eigentliche Protagonistin ist jedoch die Krankenschwester Elisabeth, die zum Zeitpunkt des Aufenthalts des Amerikaners für dessen Pflege zuständig ist. Die junge Frau, die die Bücher von Crane geradezu verschlungen hat, verliebt sich in ihren Patienten. Sie sieht ihn als Seelenverwandten und stößt bei Crane ebenfalls auf Interesse.
    Die Handlung dieses Romans findet auf 2 Zeitebenen statt. 14 Jahre später - Elisabeth ist mittlerweile zur Oberschwester in dem Sanatorium in Badenweiler aufgestiegen - erinnert sie der Umgang mit einem Soldaten, der als Kriegsverletzter in ihre Obhut kommt, an die sehr intensive Zeit mit Stephen Crane, die gleichzeitig die letzten Tage seines Lebens waren.

    Bei diesem Roman bin ich wieder mal auf Klappentext und Verlagsbeschreibung reingefallen. In diesem Fall bin ich jedoch positiv überrascht worden. Was ich als Liebesroman begonnen habe, der scheinbar den Fokus auf den Schriftsteller Stephen Crane richtet, hat sich zu viel mehr entwickelt. Im Mittelpunkt steht für mich nicht Stephen Crane, sondern Krankenschwester Elisabeth, die die Romanze mit ihrem Stephen als Chance auf ein selbstbestimmtes Leben ergreift - auch, wenn es ihr zu dem Zeitpunkt der Romanze noch nicht bewusst ist. Crane wird dadurch für mich zum Nebendarsteller, der mich aber dennoch zu unterhalten weiß. Denn durch seine Erinnerungen an die Abenteuer, die er erlebt hat, macht er mich neugierig auf seine Bücher. In vielen von ihnen hat er seine Erlebnisse verarbeitet.

    "Mr. Crane" ist gleichzeitig ein Buch gegen den Krieg, wobei die Sichtweise von Elisabeth eine große Rolle spielt: der Krieg ist ein Spiel von Männern, bei dem es um Ruhm und Ehre geht. Dieser männliche Wunsch nach Heldentum ist für Elisabeth nicht ernst zu nehmen und wird von ihr in dem Handlungsverlauf mehr als einmal der Lächerlichkeit preisgegeben - wenn auch auf sehr subtile Weise.

    Die Entwicklung von Elisabeth hat mir ausgesprochen gut gefallen: aus der sittsamen und duldsamen Frau, die in einer von Männern dominierten Ära lebt, wird am Ende eine selbstbewusste Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, ungeachtet dessen, was die Gesellschaft von einer Frau ihrer Zeit erwartet.

    "Mr. Crane" war also eine Überraschung für mich, da sich hinter dem "biografischen Liebesroman" ein vielschichtiger Entwicklungsroman verbarg, der durch den Mythos Crane und seine Erinnerungen noch eine besondere Note erhielt. Großes Erzählkino!

    © Renie

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  1. Bewegender Roman

    Bewegender Roman

    Andreas Kollender liefert mit seinem Roman " Mr Crane" ein sehr interessantes Werk ab. Ich habe erwartet, viel über den berühmten Schriftsteller Stephen Crane zu erfahren, bekomme habe ich aber sehr viel mehr.

    Der Roman wird aus Sicht von Schwester Elisabeth erzählt, die in einem Sanatorium in Badenweiler, im Schwarzwald, arbeitet.
    Dort lernte sie 1900 den schwer an Tuberkulose erkrankten Stephen Crane kennen, der mit einem Hofstaat anreiste. Seine Frau Cora, seine Nichte, Diener usw waren mit von der Partie. Sehr zum Missfallen von Schwester Elisabeth, die sich mehr oder weniger vom ersten Augenblick an in den bereits sehr geschwächten Mann verliebte, und seine Nähe förmlich in sich aufsaugen möchte. Sie setzt alles daran, so oft wie möglich mit ihm allein sein zu können.
    Elisabeth ist eine hübsche Frau, die allerdings eine Narbe von einem Brand im Gesicht trägt. Da sie mit den Werken des Autors vertraut ist, zieht sie gleich eine Verbindung von sich zu einem seiner Werke. Dies alles spielt sich im Jahre 1900 ab, auf wenige Tage begrenzt.
    Ein weiterer Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Zeit 1914, in der Elisabeth wieder Bekanntschaft mit einem Mann macht, der sie zumindest fasziniert. Es ist keine Liebe, wie man es bei Crane bezeichnen konnte, dennoch ist sie von ihm angetan. Und da Bernhard Fischer auch einen Roman von Stephen Crane liest, werden die alten Erlebnisse erneut durchlebt, in dem sie sie Fischer erzählt. Es wirkt so, als ob Elisabeth alles erst 14 Jahre später wirklich verarbeitet.

    Ein sehr vielschichtiges Konzept, dass sehr viel über Crane erzählt, dessen Hauptaugenmerk aber definitiv auf Elisabeth liegt. Die sich zwischen den Jahren zwischen Crane und Fischer weiterentwickelt hat, ja sogar gereift ist. Ihr Leben, ihre Erlebnisse standen für mich denen des abenteuerlustigen Crane auf seine Weise in nichts nach. Wenn ich auch die Liebe zu ihm, die plötzlich, aus dem nichts sehr präsent war, teilweise als sehr obsessiv und auch destruktiv wahrgenommen habe, stimmte mich das Ende des Romans doch wieder sehr milde ein gegenüber dieser Frau, die eigentlich Respekt verdient hat.
    Dieser Roman bekommt von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

    Die Ausgabe des Pendragon-Verlages bietet eine sehr hübsche Ausgabe, die sich harmonisch neben die Ausgabe des Romans " Die rote Taperkeitsmedaille" von Stephen Crane einreiht.

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  1. Krankheit und die Rebellion einer Krankenschwester

    "Krankheit akzeptieren heißt, sie als ein Mosaiksteinchen in einem großen Ganzen zu sehen." (Ebo Rau)
    Badenweiler im Sommer 1900, wird für Schriftsteller und Kriegsreporter Stephan Crane zum letzten Ausweg seiner Tuberkulose Erkrankung. Längst haben ihn alle anderen Ärzte aufgegeben, weshalb er zusammen mit seiner Frau Cora und Nichte Helen in das Sanatorium nach Badenweiler reist, das für seinen guten Ruf bekannt ist. Dort soll ihn die junge Krankenschwester Elisabeth pflegen, die eine große Liebhaberin seiner Bücher ist. In seinem Fieberwahn erzählt Crane Elisabeth aus seinem Leben, seinen Liebschaften und den Erlebnissen als Kriegsreporter. Währenddessen wird Elisabeths Zuneigung zu Crane immer stärker, in ihm erkennt sie das erste Mal, was wahre Liebe ist. Nach und nach wird ihr Vertrauen zu dem doch recht unbekannten Mann immer stärker und sie offenbart ihm ihre sogar ihr größtes Geheimnis.

    Meine Meinung:
    In "Mr.Crane" gelingt es dem Autor auf wundersame, extravagante Weise das Leben des viel zu früh verstorbenen Schriftsteller darzustellen. Während auf der einen Seite ein todkranker Mann steht, stellt er hier eine revolutionäre, ungehorsame Krankenschwester, die voll Hunger nach Anerkennung, Liebe und Geborgenheit ist. Eine recht eigenwillige Liebe verbindet die beiden, obwohl sie wissen, dass ihnen sehr wahrscheinlich nur noch wenige Tage bleiben werden. Umso intensiver beschreibt hier Andreas Kollender den kranken Stephan Crane, der in seinem Fieberwahn manches aus dem Nähkästchen plaudert, bei dem man nicht so recht weiß, sind sie nun wahr oder nur einer seiner vielen erfundenen Geschichten. Aus einer unheimlich schnellen Vertrautheit und Zuneigung zu der durch einen Unfall gezeichneten Elisabeth wird sehr schnell eine innige, intensive Liebe. Die dadurch entstehenden zwei erotischen Szenen haben mich weniger gestört als viel mehr verwirrt. Besonders die Dreistigkeit und der Egoismus, mit dem Elisabeth diese einfordert, sie kommt mir mitunter vor wie dem Liebeswahn verfallen. Da ich selbst diesen Beruf ausgeübt habe, konnte ich manche Reaktion Elisabeths so gar nicht verstehen. Besonders da man ja eigentlich keine Beziehung zu seinem Patienten haben sollte. Doch dem Autor scheint dies hier nicht wichtig zu sein. Den er möchte hier eher eine Elisabeth darstellen, die durch die Begegnung Cranes zur Rebellin wird und ihr eigenes Leben, Liebe und Ehe hinterfragt. So wirkt dieses Buch für mich stellenweise recht verwirrend und nicht nur wie ein Bericht über Stephan Crane, sondern eher als eine Art Emanzipation von Schwester Elisabeth. Wie sie jedoch teils mit ihren Mitmenschen umgeht, hat mich doch mitunter nicht nur überrascht, sondern sogar gestört. Deshalb sollte man das Buch auch nicht allzu kritisch sehen. Man muss schon recht intensiv bei Lesen dabei sein, sonst verliert man sich recht schnell in dieser Geschichte. Besonders da Cranes Erinnerungen schon recht kompakt und verwirrend dargestellt werden. Was jedoch wiederum sehr gut zu seiner Krankheit und dem Fieber passt. Dass die Tuberkulose im Jahr 1900 eine schreckliche Krankheit war, das spiegelt der Autor hier allerdings wirklich bemerkenswert wider. Selbst wenn ich etwas anderes von der Geschichte erwartet hatte, ist es doch ein gutes literarisches Werk, das Andreas Kollender hier darstellt. Darum gibt es von mir 4 von 5 Sterne dafür.

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  1. 5
    07. Jan 2021 

    Die eigentliche Hauptfigur ist Elisabeth

    Im September 1914 treffen die ersten Verwundeten des Krieges im Sanatorium von Badenweiler ein. Oberschwester Elisabeth kümmert sich um den schwerverletzten Leutnant Bernhard Fischer. Als er nach seinem Buch verlangt, einem Roman von Stephen Crane, weckt das Erinnerungen in ihr. Denn sie kennt diesen amerikanischen Autor. „ Natürlich kannte sie ihn, kennt ihn immer noch. Sie trägt ihn bei sich, seinen Blick, seine Berührungen, seine verrückten Geschichten...“ ( S. 9 ).
    Dabei waren es nur acht Tage, die sie gemeinsam hatten, in jenem Frühling im Jahr 1900. Schwerkrank, vom Tode gezeichnet, ist Crane damals angereist. Das bekannte Lungensanatorium in Badenweiler ist die letzte Hoffnung für den Tuberkulosekranken. Die 25jährige Elisabeth wird ihm zugeteilt, denn sie ist die Einzige, die seine Sprache spricht. Sie kennt sogar alle Bücher von ihm und ja, Crane hat sogar einen Roman über sie geschrieben. The Monster. „ Ohne dass Stephen Crane sie je gesehen hatte, ohne sie zu kennen, aus Tausenden Kilometern Entfernung, hatte er ein Buch geschrieben, das ihrem Gesicht ein schauderhaftes Denkmal setzte.“ ( S. 28f. )
    Von Anbeginn fühlen sich die beiden zueinander hingezogen. Crane schaut sie an, sieht nicht weg, wie alle anderen, als er ihre von Brandnarben entstellte Gesichtshälfte sieht. Er scheint in ihre Seele zu blicken. „ Sie sind schön, Schwester.“ ( S. 92 ) Zwischen ihnen entwickelt sich eine obsessive Liebesgeschichte, die ausgelebt wird. Ohne Rücksicht auf Cranes körperliche Verfassung und ohne Rücksicht auf seine Frau Cora. Dabei riskiert Elisabeth nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihre Ehe. Aber das ist ihr alles gleichgültig. Was zählt, ist ihr „ Mr. Crane“, die Zeit mit ihm. Und er lässt sie teilhaben an seinem aufregenden Leben. Im Fieberwahn erzählt er von seinen Abenteuern auf dem Meer, auf Kriegsschauplätzen wie Kuba oder Griechenland, von seinen Skandalen und Affären, von seinen berühmten Schriftstellerfreunden. „ Er will sein Leben loswerden, denkt sie, er macht mich zu seiner Autobiografin.“ ( S. 157 ) Eine fremde , faszinierende Welt eröffnet sich für Elisabeth. Doch ihnen bleibt nur wenig Zeit. Aber die Begegnung und die Beziehung haben Elisabeth tiefgehend verändert.
    Das wird sichtbar in ihrem Verhalten gegenüber dem jungen Leutnant, der 14 Jahre später im selben Zimmer, im selben Bett liegt wie damals der amerikanische Schriftsteller. Ihm, den das Kriegsgeschehen verstummen ließ, erzählt sie von ihren gemeinsamen Tagen und Nächten mit Mr. Crane. Und sie beschließt, den traumatisierten Soldaten vor dem Irrsinn des Krieges zu retten.
    Andreas Kollender wechselt beständig zwischen den beiden Erzählebenen, zwischen den acht Tagen im Jahr 1900 und denen im Jahr 1914.
    Meisterhaft gelingen ihm dabei die einzelnen Figuren.
    Stephen Crane ist ein in Deutschland eher unbekannter Autor, der aber für viele Schriftsteller nach ihm zum Vorbild wurde. Er war Journalist und Kriegsreporter und hinterließ, obwohl er nur 28 Jahre alt wurde, ein beachtliches Werk. Ihn schildert Kollender als charmanten und offenherzigen Mann, der mit seiner direkten Art Elisabeths Herz erobert. Obwohl er Crane nur unzusammenhängend und wirr sein Leben erzählen lässt ( seinem körperlichen Zustand entsprechend), erfährt der Leser das Wesentliche.
    Doch im Fokus des Romans steht weniger der amerikanische Autor ( wie ich es vor der Lektüre erwartet hatte ), sondern die fiktive Figur Elisabeth. Sie ist die eigentliche Hauptfigur. Die Begegnung mit Crane lässt sie ihre Wünsche und Bedürfnisse erkennen. Sie sieht sich von ihm in ihrer Ganzheit gesehen, sowohl äußerlich als auch in ihren Innern. Während „ der Mann, mit dem sie verheiratet ist“ nur ihre „ gute Seite“ ( auch im übertragenen Sinne) sehen möchte, kann sie mit Crane ihre versteckten Bedürfnisse ausleben. Das lässt sie nicht immer sympathisch erscheinen, v.a. wenn sie egozentrisch ihre Wünsche durchsetzt. Am Ende hat sich „ die kleine Elisabeth“ emanzipiert, lebt allein ihr selbstbestimmtes Leben und setzt sich über Konventionen hinweg.
    Aber auch die Nebenfiguren sind vielschichtig und authentisch, so der junge Leutnant oder Cora, Cranes Frau sowie die historische Figur Dr. Fraenkel.
    Andreas Kollender schreibt in einer schönen, direkten und bildhaften Sprache, oftmals poetisch. Viele Sätze habe ich mir wegen ihrer Allgemeingültigkeit angestrichen, so z. B.
    „ Zwei Gesichter zu haben ist doch gut. Hat doch eh fast jeder. Die Meisten stehen nur nicht dazu.“ ( S. 47 )
    „...die Dummköpfe könnten uns egal sein. Aber sie sind es, die die Welt beherrschen. Die sind frei von jedem Selbstzweifel. ...Und das verleiht denen ungeheure Macht.“ ( S. 127 )
    „ Mr. Crane“ ist ein lesenswerter Roman, virtuos erzählt, der nicht nur das Interesse weckt für einen wenig bekannten Schriftsteller, sondern das Portrait einer starken Frau liefert. Gewinnbringende Lektüre für anspruchsvolle Leser!
    Dankenswerter Weise hat der Verlag zeitgleich in einer genauso schönen Ausgabe Cranes bekanntesten Roman „ Die rote Tapferkeitsmedallie“ herausgebracht .

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  1. Viel mehr als eine Liebesgeschichte

    Der vorliegende Roman wird auf zwei sich abwechselnden Zeitebenen erzählt.
    Im September 1914 kommt der schwer verwundete Leutnant Bernhard Fischer im Sanatorium Badenweiler an. Offensichtlich hat er Lungendurchschüsse und schwere Kriegstraumata erlitten, er spricht nicht und wirkt verwirrt. Aber er liest das Buch “Die rote Tapferkeitsmedaille“ des amerikanischen Schriftstellers Stephen Crane:
    „Der Name reißt an Elisabeths Armen, die Schüssel klirrt auf den Boden, rollt ein Stück auf dem Rand und die Handtücher rutschen heraus. Elisabeth lehnt sich an die Wand und schließt die Augen. In der Dunkelheit flirren Lichtflecken.“ (S. 8)
    „Ob sie ihn kannte? Mr. Stephen Crane? Natürlich kannte sie ihn, kennt ihn immer noch. Sie trägt ihn bei sich, seinen Blick, seine Berührungen, seine verrückten Geschichten und seine Angst…“ (S. 9)

    Elisabeth wird bei der Nennung von Cranes Namen mit ihrer Erinnerung konfrontiert, die den Leser in die zweite Handlungsebene befördert, den Juni 1900, als der berühmte Schriftsteller seine letzten Tage in der Obhut Schwester Elisabeths im Sanatorium Badenweiler verbrachte. Bereits während der ersten Begegnung der beiden liegt ein Knistern in der Luft. Sie verbringen viel Zeit miteinander. Elisabeth verehrt den Schriftsteller, hat er doch eine literarische Figur geschaffen, in der sie sich wiederzuerkennen glaubt. Crane begehrt die junge Frau, macht ihr Komplimente, er ist der erste, der ihr durch Brandnarben versehrtes Gesicht schön findet und es nicht bloß akzeptiert oder gar ignoriert. Zwischen Patient und Krankenschwester entwickelt sich, sehr zum Missfallen von Cranes Gattin Cora, eine Anziehungskraft, die man schwer in Worte fassen kann. Begehren und Verliebtheit münden in eine sexuelle Affäre, in eine Obsession, die ihresgleichen sucht. Kollender scheut sich nicht, diese Leidenschaft beim Namen zu nennen, erotische Szenen werden ungewöhnlich detailliert beschrieben. Diese Deutlichkeit hilft aber zu verstehen, was Crane in Elisabeth auslöst, die bis dahin in ihrer Chancenlosigkeit als Frau feststeckte und sich erst danach befreien kann.

    Als todgeweihter, an Tuberkulose erkrankter Mann erzählt Crane im Fieberrausch Erlebnisse aus seinem bewegten Leben, in dem er als Kriegsberichterstatter an verschiedenen Krisenherden unterwegs war. Er macht Elisabeth zu seiner Autobiografin, jedoch berichtet er ungeordnet und konfus – jeweils so, wie es sein gesundheitlicher Zustand zulässt: „Mr. Crane erzählte ja so, wie er sein Leben sah: in Wellenlinien.“ (S. 184) Trotz der fehlenden Stringenz erfährt der Leser viel über den einst mutigen, couragierten, lebensfrohen Mann, der den Kitzel und die Gefahr suchte.

    Dieser Roman ist vielschichtig, er erschließt sich nur dem sorgfältigen Leser komplett. Nachdenken und Zurückblättern empfand ich als lohnend. Die Beziehung zu Crane hat auf mehreren Ebenen etwas in Elisabeth ausgelöst. Wir erleben 14 Jahre nach ihrer Begegnung eine ganz andere Frau, eine, die sich aus den Zwängen ihrer Ehe und dem Korsett der Zeit gelöst hat. Sie ist mutiger, bedachter geworden, sie lebt ihre eigenen Wünsche und ihre eigene Sexualität aus. Die beiden Zeitebenen sind hervorragend miteinander verwoben: Leutnant Fischer belegt dasselbe Zimmer wie damals Mr. Crane. Auch für ihn fühlt sich die Krankenschwester in besonderer Weise verantwortlich… Der Roman nimmt zum Ende hin noch einmal Fahrt auf und überzeugt mit seinem Ausgang.

    Auch wenn Elisabeth eine fiktive Figur ist, wirken ihre Verhaltensweisen glaubwürdig und authentisch. Was nicht heißen muss, dass man alles gutheißen muss, was sie tut. Sie schickt den Leser durch viele Gefühlslagen.

    Insofern ist „Mr. Crane“ der Entwicklungsroman einer jungen Frau Anfang des 20. Jahrhunderts. Er ist aber auch ein Roman, der die Sinnlosigkeit von Kriegen mit ihren unschuldigen Opfern kritisiert und aktuelle Bezüge herstellt. Nicht zuletzt wird uns ein bemerkenswerter Schriftsteller präsentiert, der viel zu früh im Alter von nur 28 Jahren am 5. Juni 1900 im idyllischen Badenweiler starb. Auf sein Leben und Werk wird man auf alle Fälle sehr neugierig gemacht.

    Andreas Kollenders Roman hat mich überzeugt. Der Autor verfügt über sprachlichen Variantenreichtum, streut gerne kleine Weisheiten oder humorvolle Szenen ein. Manche Abschnitte sind in kurzen, fragmentierten, aber trotzdem ausdrucksstarken Sätzen verfasst, die der Verfassung des Kranken Tribut zollen. In anderen Abschnitten nimmt der Autor poetische Anlehnungen, spielt mit Licht und Schatten, erschafft eine wunderbar bildhafte Atmosphäre. Alle Figuren sind vielschichtig, glaubwürdig und doch voller Widersprüche. Der Roman ist perfekt durchkomponiert und entfaltet seine vollständige Qualität erst im Rückblick. Er ist ideal für Lesekreise geeignet und ich empfehle ihn uneingeschränkt.

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  1. Zwei Wochen in Badenweiler

    Was äußerlich zunächst einen Künstlerroman oder eine Biografie über den in Deutschland bisher wenig bekannten US-amerikanischen Journalisten, Kriegsberichterstatter und Autor Stephen Crane (1871 – 1900) vermuten lässt, entpuppt sich bei der Lektüre als virtuos komponierter Roman, in dessen Mittelpunkt eine junge Krankenschwester steht. Trotzdem sind Titel und Foto gut gewählt, denn "Mr. Crane" verändert auf denkbar intensive Weise das Leben von Elisabeth T. Camphausen, zunächst bei seinem achttägigen Aufenthalt als schwerkranker Tuberkulosepatient im Sanatorium „Villa Eberhard“ in Badenweiler im Schwarzwald und 14 Jahre später indirekt erneut, als der junge Leutnant Bernhard Fischer ebenfalls acht Tage dort verbringt.

    28. Mai bis 4. Juni 1900
    Bei Cranes Ankunft wird die 25-jährige Elisabeth ihm wegen ihrer Englischkenntnisse als Pflegerin zugeteilt. Sie kennt seine Bücher, sein wichtigstes Werk "The Red Badge of Courage", über den Amerikanischen Bürgerkrieg aus der Sicht eines einfachen Soldaten, aber vor allem "The Monster" über einen Mann, dessen Gesicht durch ein Feuer entstellt wurde, genau wie ihres. Weder ihre Eltern, noch ihr Mann oder ihre Kollegen haben ihre vernarbte linke Gesichtshälfte je thematisiert oder berührt. Anders Crane:

    "Es gibt viele gesichtslose Menschen, Schwester Elisabeth“ röchelt er. „Aber Sie, ich bitte Sie, Ihre Narben sind doch gar nicht so schlimm. Sie sind schön, Schwester.“ (S. 92)

    Crane, von Todesängsten gepeinigt, erzählt Elisabeth im Fieberwahn Bruchstücke seiner Biografie und hört ihr zu. Sofort fühlt sie sich von dem nur wenig älteren, unsteten und weitgereisten Schriftsteller magisch angezogen und verfällt ihm. Für die temperamentvolle, im Herzen rebellische Frau ist er nicht nur „meine erste wirkliche Liebe“ (S. 192), sondern Symbol eines freieren Lebens.

    25.September bis 2. Oktober 1914
    14 Jahre später belegt der erste Kriegsverwundete, Bernhard Fischer, Cranes ehemaliges Zimmer. Er spricht nicht, hat jedoch ein Buch Cranes im Gepäck. Schlagartig wird Elisabeth ins Jahr 1900 zurückkatapultiert. „Ihren“ Mr. Crane konnte sie damals nicht retten, kann sie nun Fischer vor einer Rückkehr an die Front bewahren? Und ihrem Leben eine neue Richtung geben?

    "Als Mr. Crane verschwand, war der Zeitpunkt gekommen, an dem auch sie hätte gehen müssen. Aber Elisabeth rettete sich in die Villa. In die Ehe zu einem Mann, der kein Wort über ihre Narben sagte und sehr, sehr freundlich war. Sie suchte Zuflucht in der Enge des Kaiserreiches und ihrer Privilegiertheit als Arzttochter und der gleichzeitigen Chancenlosigkeit als Frau." (S. 97)

    Äußerst geschickt vernetzte Geschichten
    Andreas Kollender verknüpft in seinem Roman zwei abwechselnd erzählte, fiktive Geschehnisse meisterhaft mit unscharfen biografischen Mosaiksteinen Cranes. Die Figuren sind lebendig, vieldimensional und voller Widersprüche, so dass ich beständig zwischen Sympathie und Abstoßung, Mitleid und Unverständnis schwankte und immer wieder überrascht wurde. Die Details der obsessiven Beziehung zwischen Elisabeth und Crane sind sicher Geschmacksache und sprachen mich wenig an. Auch über die körperlichen Höhenflüge Cranes und die Sorglosigkeit einer Krankenschwester angesichts eines infektiösen Patienten war ich verwundert, aber dies alles zeigt doch den überbordenden Lebenshunger der Protagonisten.

    Die sehr anregende Lektüre lohnte in jedem Fall: als erste Begegnung mit dem mir bislang unbekannten amerikanischen Schriftsteller, Porträt einer unangepassten jungen Frau, Plädoyer gegen Kriegsgräuel und Ansporn zum Widerstand vermeint Machtloser. Nun bin ich gespannt auf die Neuübersetzung von Stephen Cranes erfolgreichstem Roman "Die rote Tapferkeitsmedaille" in ebenso hochwertiger Aufmachung und gleichfalls aus dem Pendragon Verlag, der zur Lektüre bereitliegt.

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  1. Geschichte einer Emanzipation

    Im Sommer 1900 wird der amerikanische Schriftsteller Stephen Crane schwerkrank im Tuberkulose-Sanatorium Badenweiler eingeliefert.
    Für seine Pflege wird die junge Krankenschwester Elisabeth eingeteilt, die alle Bücher von Stephen Crane verschlungen hat und sich ihm seelenverwandt fühlt. Offenbar geht es Mr. Crane ähnlich, als er Elisabeth das erste Mal erblickt.
    Schwester Elisabeth ist seit einem Brandunglück schwer gezeichnet - Brandnarben ziehen sich über ihre gesamte Gesichtshälfte. Und Stephen Crane hatte mit ,,The Monster" eine Geschichte über ein ganz ähnliches Schicksal eines Mannes verfasst.
    In den wenigen Tagen, die dem sterbenskranken Stephen Crane bleiben, entwickelt ich zwischen ihm und Elisabeth eine intensive Liebesbeziehung, die sie allen Hindernissen zum Trotz auch sexuell ausleben. Dabei kommt es, trotz aller Tragik, teilweise auch zu amüsanten Versteckspielen vor dem Krankenhauspersonal und Cranes mit angereister Frau und Nichte.
    Während der Schriftsteller, von Fieber, Hustenanfällen und Delirien befallen, Schwester Elisabeth von seinen Erlebnissen als Kriegsberichterstatter, aber auch seinen diversen Liebschaften erzählt, öffnet sich auch Elisabeth allmählich.
    Stephen Cranes Erzählungen sind teils sehr anschaulich und bildhaft, teils aber auch wirr und bruchstückhaft, was sicherlich seinem Zustand geschuldet ist.
    Eigentlich interessanter als der titelgebende Schriftsteller ist aber die Figur der Schwester Elisabeth, die sich mehr und mehr emanzipiert, sich Vorschriften und Regeln widersetzt, um ihre Wünsche und ihre Liebe ausleben zu können. Gelegentlich grenzt dies an Egoismus und widerspricht ihrer eigentlichen Aufgabe als Krankenschwester. Andererseits macht gerade diese rebellische Seite sie zu einer interessanten Protagonistin. Zwar dauert es noch weitere 14 Jahre, bis Elisabeth tatsächlich ihr Leben in die Hand nimmt. Auf einer zweiten Zeitebene, 1914 zu Kriegsbeginn, wird erzählt, wie Elisabeth, noch immer im Sanatorium in Badenweiler, durch den schwer verletzten Offizier Bernhard Fischer und dessen Lektüre eines Romans von Stephen Crane, an ihre Liebesbeziehung erinnert wird und sich für ein selbstbestimmtes Leben entscheidet.
    Besonders gut hat mir die Darstellung der Figuren gefallen, die - ohne allzu ausführliche Beschreibung - greifbar und lebendig wurden. Auch die Mischung aus Romantik, Tragik und Komik empfand ich als sehr gelungen.
    Kein leichter, aber ein wirklich lesenswerter Roman!

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  1. Die zwei Gesichter der Schwester Elisabeth

    "Sind sie so erpicht auf eine sinnlose Liebe, Schwester Elisabeth?" fragte Mr. Crane. "Eine Liebe ist nie sinnlos", sagte sie. (Seite 180)

    Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen.

    Mai 1900. Der junge amerikanische Schriftsteller Stephen Crane kommt zur Behandlung in das Lungensanatorium in Badenweiler. Schwester Elisabeth soll sich um den Todkranken kümmern. Sie spricht englisch und außerdem kennt und bewundert sie das Werk des Autors. Nach einem Brandunfall ist ihr Gesicht gezeichnet, aber gerade diese Unvollkommenheit scheint eine faszinierende Wirkung auf Crane auszuüben. Auch Elisabeth ist sofort gebannt von seiner Erscheinung. In der Woche seines Aufenthalts erzählt Crane Elisabeth Episoden seines Lebens und zwischen den beiden entwickelt sich eine obsessive Liebesbeziehung.

    Im September 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, kommt der Offizier Bernhard Fischer mit zwei Lungendurchschüssen nach Badenweiler. Er liegt im gleichen Zimmer wie damals Crane. Elisabeth ist inzwischen Oberschwester und als sie entdeckt, dass er ein Buch des Schriftstellers liest, wird sie in ihren Erinnerungen zurückgeworfen und sie kümmert sich um den jungen Mann. Er scheint nach einem Schock verstummt und psychisch angegriffen. Auch zwischen Fischer und Schwester Elisabeth entwickelt sich eine Beziehung, allerdings auf einer anderen Ebene.

    Die Geschichte und vor allem die Figur der Schwester Elisabeth haben es mir nicht immer leicht gemacht. Die Lebenserinnerungen von Crane sind oft wirr und unzusammenhängend, erzählt wie im Fieberwahn. Aber es wird deutlich, dass der Autor trotz seiner jungen Jahre ein abenteuerliches und abwechslungsreiches Leben geführt hat. Wie so viele Genies hatte er wohl einen Hang zur Selbstzerstörung und ich bin sehr neugierig auf das Werk des Autors geworden. Mit der Figur der Schwester Elisabeth hatte ich mehr Probleme. Sie lehnt sich gegen die festgelegte Frauenrolle auf, rebelliert gegen die Konventionen, was mir gut gefallen hat, aber in ihrer Liebe zu Crane ist sie mir zu radikal und rücksichtslos. Ihr durch Narben entstelltes Gesicht ist in zwei Hälften geteilt, die gute und die schlechte, und so scheint auch ihre Persönlichkeit durch die Begegnung mit Crane in zwei Hälften zu zerfallen.

    Es ist ein bemerkenswertes Buch, informativ und interessant in Bezug auf den Schriftsteller Stephen Crane, aber auch herausfordernd. Das Ende konnte mich dann doch noch mit Schwester Elisabeth versöhnen und somit kann ich nur eine klare Lesempfehlung aussprechen.

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  1. Ein bildgewaltiges Puzzle

    Aus dem Bielefelder Pendragonverlag kommt schon früh im Jahr 2021 ein Lesehighlight!

    Andreas Kollender erzählt den Leser:innen in "Mr. Crane" aus den letzten Tagen des Schriftstellers Stephen Crane und verbindet dies mit einer (fiktiven) Lovestory zwischen ihm und der Krankenschwester Elisabeth. An die Tage mit Stephen Crane erinnert sich Elisabeth parallel zu einem zweiten Erzählstrang, der 14 Jahre später in Zeiten des Ersten Weltkriegs angesiedelt ist. Dabei erfährt die geneigte Leserschaft erst nach und nach aus dem Leben von Stephen Crane.

    Andreas Kollender lässt den Autor von "Die rote Tapferkeitsmedaille" teilweise sehr wirr und (gewollt) zusammenhanglos aus seinem Leben erzählen; dies ist aber angesichts des nahen Todes (Stephen Crane hatte Tuberkulose) ein durchaus interessanter Erzählansatz, der die Dramatik (erfolgreich) erhöht - entwickelt die Geschichte doch von relativ Anfang an einen Sog, dem sich die geneigte Leserschaft kaum entziehen kann.

    Die lustvollen Passagen zwischen Stephen Crane und Schwester Elisabeth muten zunächst etwas seltsam an und sind bestimmt auch nicht Jedermanns Sache; sie machen aber recht deutlich, dass sich hier zwei gesucht und gefunden haben und sind auch geschickt "platziert". Den Beschreibungen nach muss Mr. Crane scheinbar ein ziemlicher "Frauenheld" gewesen sein...

    Sehr deutlich kommt meiner Meinung nach in der Erzählung Stephen Cranes und somit auch Andreas Kollenders (kritische) Stimme zum Thema "Fotos von Menschen in unmittelbarer Nähe des Todes oder im direkten Anschluss" durch - damals wie heute ein ethisch und moralisch hoch emotionales und fragwürdiges Thema.

    Viel Raum gibt Andreas Kollender in seinem Roman auch dem Spiel von Licht und Schatten, was ihm äußerst gut zu Gesicht steht. Überhaupt ist die Sprache sehr poetisch und bildhaft und als Leser:in muss man schon öfter etwas genauer und langsamer lesen, um die Botschaft dahinter zu "erkennen". Das sorgt jedoch nicht für einen Abbruch des Leseflusses; im Gegenteil.

    Wie oben bereits erwähnt, ist "Mr. Crane" ein frühes Highlight im Jahr 2021 für mich und vergebe deshalb 5* und eine absolute Leseempfehlung!

    © kingofmusic

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  1. 4
    30. Dez 2020 

    Schwester Elisabeth

    Aus Hamburg kam Schwester Elisabeth an die Lungenklinik in Badenweiler. Hauptsächlich Patienten, die unter Tuberkulose leiden, werden dort behandelt. Für viele der Patienten ist es allerdings schon zu spät. Im Sommer des Jahre 1900 erreicht der bekannte amerikanische Schriftsteller Mr. Stephen Crane die Klinik. Ihm geht es sehr schlecht. Schwester Elisabeth kennt seine Bücher und Geschichten. Die Werke könnten direkt für sie geschrieben worden sein. Schwester Elisabeth übernimmt die Pflege Cranes, er soll der Patient sein, der die Krankheit übersteht. Während Elisabeths Schichten führen die beiden intensive Gespräche über das Leben des Autors und auch die Krankenschwester hat etwas zu erzählen.

    Schon mit den ersten Sätzen werden die Figuren der Schwester Elisabeth und Stephen Crane sehr lebendig. Die schwere Krankheit ist immer gegenwärtig. Der Schriftsteller ringt mit dem Tod. Und doch erscheint er der Krankenschwester wie eine Offenbarung. Crane scheint in ihre Seele zu blicken. Ihre kleine körperliche Beeinträchtigung nimmt er kaum wahr. Und so kann Elisabeth sich öffnen und von ihren Träumen erzählen. Sie möchte eine moderne Frau sein. Ihre Tante in Amerika könnte ein Vorbild sein. Vielleicht könnte sie auch Ärztin werden. Vielleicht könnte Crane ihre Rettung sein, wenn er die Krankheit übersteht.

    Aus humorvollen und hintergründig witzigen Dialogen ergeben sich große Teile der Handlung. Und so fühlt man sich gleich ins Geschehen eingebunden. Als hätte Crane geahnt, dass er nicht viel Zeit haben würde, hat er sein Leben mit Geschichten gefüllt. Und in Schwester Elisabeth hat er eine Zuhörerin, die jedes seiner Worte aufsaugt. Sowohl die Krankenschwester als auch der Schriftsteller sind sehr vielschichtige Persönlichkeiten, die in ihrer Zeit herausragten. Und in dem Roman gibt es noch etliches mehr zu entdecken. Zwar kommt einem Schwester Elisabeth manchmal etwas radikal vor, aber sie hat auch die Fähigkeit zu versöhnen. Dieser Roman gefällt durch seine Modernität und seinen lockeren Tonfall. Gleichzeitig lernt man einen Schriftsteller kennen, der heutzutage wohl nicht mehr ganz so bekannt ist.

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    30. Dez 2020 

    Schwester Elisabeth

    Aus Hamburg kam Schwester Elisabeth an die Lungenklinik in Badenweiler. Hauptsächlich Patienten, die unter Tuberkulose leiden, werden dort behandelt. Für viele der Patienten ist es allerdings schon zu spät. Im Sommer des Jahre 1900 erreicht der bekannte amerikanische Schriftsteller Mr. Stephen Crane die Klinik. Ihm geht es sehr schlecht. Schwester Elisabeth kennt seine Bücher und Geschichten. Die Werke könnten direkt für sie geschrieben worden sein. Schwester Elisabeth übernimmt die Pflege Cranes, er soll der Patient sein, der die Krankheit übersteht. Während Elisabeths Schichten führen die beiden intensive Gespräche über das Leben des Autors und auch die Krankenschwester hat etwas zu erzählen.

    Schon mit den ersten Sätzen werden die Figuren der Schwester Elisabeth und Stephen Crane sehr lebendig. Die schwere Krankheit ist immer gegenwärtig. Der Schriftsteller ringt mit dem Tod. Und doch erscheint er der Krankenschwester wie eine Offenbarung. Crane scheint in ihre Seele zu blicken. Ihre kleine körperliche Beeinträchtigung nimmt er kaum wahr. Und so kann Elisabeth sich öffnen und von ihren Träumen erzählen. Sie möchte eine moderne Frau sein. Ihre Tante in Amerika könnte ein Vorbild sein. Vielleicht könnte sie auch Ärztin werden. Vielleicht könnte Crane ihre Rettung sein, wenn er die Krankheit übersteht.

    Aus humorvollen und hintergründig witzigen Dialogen ergeben sich große Teile der Handlung. Und so fühlt man sich gleich ins Geschehen eingebunden. Als hätte Crane geahnt, dass er nicht viel Zeit haben würde, hat er sein Leben mit Geschichten gefüllt. Und in Schwester Elisabeth hat er eine Zuhörerin, die jedes seiner Worte aufsaugt. Sowohl die Krankenschwester als auch der Schriftsteller sind sehr vielschichtige Persönlichkeiten, die in ihrer Zeit herausragten. Und in dem Roman gibt es noch etliches mehr zu entdecken. Zwar kommt einem Schwester Elisabeth manchmal etwas radikal vor, aber sie hat auch die Fähigkeit zu versöhnen. Dieser Roman gefällt durch seine Modernität und seinen lockeren Tonfall. Gleichzeitig lernt man einen Schriftsteller kennen, der heutzutage wohl nicht mehr ganz so bekannt ist.

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    03. Nov 2020 

    Intensiv, unterhaltsam und interessant!

    Zwei mal acht Tage in einem Sanatorium in Badenweiler im Schwarzwald - 1900 und 1914.

    Herbst 1914.
    Elisabeth, der 39-jährigen Oberschwerster, ist es auf dem Flur des Sanatoriums, als würde sie vom Blitz getroffen, als ihre Kollegin Victoria den Namen Stephen Crane erwähnt.
    Als sie dann im Park ein Buch dieses amerikanischen Schriftstellers auf der Bank am Brunnen entdeckt, braucht sie erst einmal einige Zeit, um wieder zu sich zu kommen.
    Erinnerungen ploppen auf, Gefühle übermannen sie.
    Stephen Crane war vor 14 Jahren acht Tage lang Patient hier in dieser Heilstätte für Lungenkranke.
    Er wurde damals wegen der Zuspitzung seiner bereits länger bestehenden Tuberkulose eingeliefert und sie war seine Krankenschwester.

    Die Ankündigung seines Kommens und sein Aufenthalt selbst waren einschneidende Ereignisse für Elisabeth, denn sie hatte alle seine Bücher gelesen und eines davon, „The Monster“, berührt sie nach wie vor ganz besonders, weil sie sich mit dessen entstellter Hauptfigur identifiziert.
    Schon die ersten Momente ihrer Begegnung waren außergewöhnlich und intensiv: die Blicke, der Händedruck.

    Während sich Fieberphasen mit klaren Momenten abwechselten kamen sich Elisabeth und der 28-jährige Stephen Crane über die Tage hinweg näher.
    Es war für Elisabeth eine aufregende, ereignisreiche und lebensverändernde Zeit voller verstörender, aufwühlender, glücklicher und erregender Momente.

    Erzählt wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen.
    Wir wechseln stetig zwischen 1900 und 1914 hin und her und begleiten die Protagonisten auf beiden Strängen jeweils acht Tage lang.

    1914 erinnert sich Elisabeth an die Tage mit Mr. Crane und betreut gleichzeitig den stummen 25-jährigen Bernhard Fischer, einen Lieutenant der im 1. Weltkrieg verletzt wurde.
    Er ist der erste verwundete Soldat, der im Sanatorium aufgenommen wurde und er liegt in dem Zimmer und in dem Bett, in dem einst Steven Crane lag.
    Er ist der Besitzer des oben genanntem Buches, das all‘ die Erinnerungen ausgelöst hat.
    Der Autor jongliert hier, auf dieser Ebene, zwischen Erinnerungen und gegenwärtigen Geschehnissen.

    Der andere Erzählstrang spielt 1900, in dem Jahr, in dem die für Elisabeth überwältigende Begegnung mit Mr. Crane stattfand.
    Hier tauchen wir in Elisabeths kurze Zeit mit dem „komischen Vogel“ (S. 63) und in Cranes zum Teil verworrene Erinnerungen sowie in seinen „großen Koffer voller Geschichten“ (S. 75) ein.

    Bereits auf den ersten Seiten stolperte ich über eine schöne Formulierung:
    „Das Leben sei schön, sagte Mr. Crane, es komme immer darauf an, wohin man sehe. Komme darauf an, wo das Rettungsboot sich gerade befinde, auf dem Wellenkamm oder im Tal, umschlossen von grauem Wasser.“ (S. 72)

    Ebenfalls bereits auf den ersten Seiten bekam ich große Lust auf den Kurzroman „The Monster“, den Stephen Crane geschrieben hat und von dem Elisabeth so fasziniert war. Ich kam nicht umhin, ihn mir zu kaufen, so neugierig hat mich die Krankenschwester darauf gemacht.

    Durch die Lektüre erfahren wir auf originelle Weise, nicht chronologisch, sondern ungeordnet und in Bruchstücken etwas über Steven Crane und sein Leben.
    Wir bekommen einen Eindruck
    von dem 1871 in New Jersey als 14. Kind geborenen Schriftsteller, der mit 28 Jahren im Sanatorium in Badenweiler seiner Tuberkulose erlag.
    Das Buch zu lesen bedeutet darüber hinaus auch, eine außergewöhnliche Frau kennenzulernen, die mehr als einmal Schicksal gespielt hat und es bedeutet, in unkonventionelle Innenwelten einzutauchen, in der Paranoia, Fieberfantasien, Erinnerungen, wahre, erfundene oder beschönigte Geschichten eine Rolle spielen und erotische Szenen sowie morbide und sehnsüchtige Fantasien, Extreme und Obsessionen vorkommen.
    Wir werden mit makaberen und nahezu unfassbaren Szenen konfrontiert und manchmal können wir über die Protagonistin nur den Kopf schütteln.

    Gegen Ende wird die Atmosphäre zunehmend dramatisch, was äußeren Geschehnissen und inneren Entwicklungen geschuldet ist.

    Andreas Kollender erzählt sowohl eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, als auch eine biographische Geschichte.
    „Mr. Crane“ ist Realität eingebettet in Fiktion.

    Ich empfehle das Werk sehr gerne weiter! Es ist kurzweilig, unterhaltsam, spannend und interessant.

    ... und jetzt freue ich mich auf „Die Tapferkeitsmedaille“, das wohl bekannteste Werk von Stephen Crane, denn auch darauf hat mich Andreas Kollender mit seinem Roman neugierig gemacht..

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