Menschenwerk: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Menschenwerk: Roman' von Han Kang
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Menschenwerk: Roman"

Gebundenes Buch
"Han Kang zu lesen ist wie in einen Strudel aus Brutalität und Zärtlichkeit geworfen zu werden, aus dem man durchgeschüttelt, perplex und tief bewegt wieder auftaucht." Doris Dörrie
Ein Junge ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen weiterleben. Doch was ist ihnen ihr Leben noch wert? Han Kang beschreibt in ihrem neuen Roman, wie dehnbar die Grenzen menschlicher Leidensfähigkeit sind. Ein brennender Aufruf gegen jede Art von Gewalt.
Gwangju, Südkorea, 1980. Ein Junge sucht nach der Leiche seines Freundes, der bei einem gewaltsam niedergeschlagenen Studentenaufstand gestorben ist. Eine Mutter trauert um ihren Sohn. Eine Schwester versucht weiterzuleben. Ein Folteropfer versucht, sich nicht zu erinnern. Und die Autorin selbst versucht, in all dem einen Sinn auszumachen. Durch ihr kollektives Leid und ihre Taten der Hoffnung entsteht nach und nach die Geschichte einer brutalisierten Gesellschaft auf der Suche nach einer Stimme. Menschenwerk ist das schriftliche Zeugnis der menschlichen Bereitschaft, Leid zu riskieren, Gefangenschaft, sogar den Tod, um Gerechtigkeit zu erlangen. Es beschreibt die harte Realität der Unterdrückung und die durchschlagende Poesie der Menschlichkeit.
"Ein höchst mutiges Buch - eine Großtat des Protests." Newsday

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: Aufbau Verlag
EAN:9783351036836

Rezensionen zu "Menschenwerk: Roman"

  1. Was bleibt den Menschen ohne Menschlichkeit?

    1980, Gwangju in Südkorea. Ein studentischer Aufstand eskaliert. Ein junger Bursche sucht zwischen all den Toten und Verletzten nach seinem verschwundenem Freund. Jahre später leiden Frauen und Männer immer noch wegen der physischen und psychischen Folter und Inhaftierung, Mütter weinen auch noch nach dreißig Jahren um ihre toten Kinder.

    Die Autorin Han Kang lässt Menschen, denen Schreckliches widerfahren ist, eindringlich zu Wort kommen. Die Grausamkeit ist fast unerträglich, das Leiden der damaligen Akteure schier unfassbar.

    Das Buch spricht trotz all seiner Grausamkeit eine Sprache voller Mitgefühl und seltsam poetisch anmutend. Es wird von Haft, Folter, Schuldgefühlen und Trauer der Überlebenden berichtet. Lebende so wie die Toten erhalten eine Stimme. Am intensivsten beeindruckt hat mich der Bericht der Seele eines Verstorbenen, der zwischen den verwesenden Leichenbergen sich vom Körper lösen und Ruhe finden will.

    Was bleibt, wenn Menschen die Menschlichkeit abhandenkommt, wie lässt sie sich bewahren? Manchmal frage ich mich, warum ich mir immer wieder solche Bücher wie Menschenwerk antue. Ich kann es nicht ganz einfach beantworten, aber meistens ist es die Mahnung und der intensive Wunsch, dass die Menschen irgendwann doch aus der Geschichte lernen.

    Menschenwerk ist ein Buch das verstört, eine Anklage und ein Plädoyer für die Menschlichkeit. Es wird mich noch lange beschäftigen.

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  1. 4
    17. Dez 2017 

    Was ist Menschlichkeit und wie lässt sie sich bewahren?

    In ihrem neuen Roman führt die südkoreanische Schriftstellerin ("Die Vegetarierin") den Leser zurück in die jüngere Vergangenheit Koreas. Im Jahr 1980 kam es in der Stadt Gwangju zu friedlichen Studentenprotesten gegen die Militärdiktatur. Diese Proteste wurden von der Militärregierung mit einem brutalen Massaker zerschlagen: der damalige südkoreanische Militärmachthaber Chun Doo-Hwan ließ seine Truppen wahllos in die Menge schießen. Als sich in den darauf folgenden Tagen die Bevölkerung der Stadt mit den Studenten solidarisierte, wurde die Mehrzahl der Demonstranten ermordet.

    Im Mittelpunkt der Erzählung steht der der 15-jährige Schüler Dong Ho, der mit einem gleichaltrigen Freund in einen Demonstrationszug gerät, wobei dieser erschossen wird. Dong Ho hilft später, die Getöteten zu bergen und in eine Schule zu bringen, wo sie von Verwandten identifiziert werden können. Schließlich stirbt auch Dong Ho, als die Soldaten die Schule stürmen. In Rückblicken wird von den Überlebenden des Massakers berichtet, von den Erlebnissen während der brutalen Ereignisse, aber auch von den Folgejahren. Traumatisierungen durch Haft und Folter, soziale Entfremdung und Einsamkeit, Depression und Schuldgefühle ziehen sich durch die Generationen. Eine Dokumentation der Gewalt und der Unmöglichkeit, normal weiterzuleben.

    "Ich kämpfe gegen die Schande, überlebt zu haben und immer noch am Leben zu sein. Ich kämpfe gegen die Tatsache, dass ich ein Mensch bin."

    In jedem Kapitel kommen andere Menschen zu Wort, die dieses Massaker miterlebten. Jeder Zeitzeuge erzählt seine Geschichte - sachlich oft im Stil, die Sätze meist kurz gehalten. Hinzu kommt, dass die Erzählenden oft mit jemandem sprechen, den sie als 'Du' bezeichnen: einem Toten, einem Überlebenden, einem Vermissten. Dadurch schafft Han Kang für den Leser eine Distanz zum Geschehen, die durch die akribische und detaillierte Art der Schilderung der Gewalttaten und ihrer Folgen jedoch aufgeweicht wird. Hier wird die existenzielle Gewalterfahrung auf eine derart eindringliche Weise vermittelt, dass man meint, unmittelbar am Schauplatz unmenschlichen Geschehens, nahezu Augenzeuge der Vorgänge zu sein. Die einzelnen Geschichten greifen zunehmend ineinander und verdichten sich zu einem Ganzen, das den Leser an den Rand des Erträglichen führt. Doch Han Kang schafft auch sinnliche, stille, poetische und zeitweise surreale Bilder wie beispielsweise den Monolog einer Seele, die sich vergeblich bemüht, sich von ihrem verwesenden Körper auf einem Leichenhaufen zu lösen.

    Der Epilog verrät, dass die Autorin selbst aus Gwangju stammt, und dass ihre Eltern vor dem Umzug nach Seoul ihr Haus an die Familie von Dong Ho verkauft haben. Der Hauptcharakter des Buches ist also eine reale Figur, die zum Auslöser für den Roman wurde. Dabei schaut Han Kang in ihrem Resümee nicht nur nach Südkorea, sondern auch über den Tellerrand, und auch dem Leser dürfte klar sein, dass derlei Geschehnisse in der Weltgeschichte kein Einzelfall sind. Insofern gewinnt der Titel 'Menschenwerk' tatsächlich eine übergreifende Bedeutung.

    Insgesamt ist dieser Roman ein Werk von ungeheurer atmosphärischer Dichte, das einen gnadenlosen Blick auf das Wesen 'Mensch' gewährt. Er verdeutlicht, dass der Mensch sowohl zu der ihm innewohnenden Gutherzigkeit als auch zu der ihm ebenso innewohnenden Gewaltbereitschaft getrieben werden kann und bietet damit auch eine nahezu philosophische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem 'Menschsein' und der 'Menschlichkeit'.

    Wieder einmal ein beeindruckender Roman der Südkoreanerin!

    © Parden

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  1. In den Trümmern unserer Körper

    "Ich musste eine Brücke schlagen von der Gewalt zur Würde, einen Weg, der zwischen diesen beiden Klippen, über dem Abgrund frei in der Luft hängen würde."
    (Han Kang über ihre Arbeit an "Menschenwerk"¹)

    "Menschenwerk" ist ein ungeheuer schmerzhaftes Buch.

    Han Kang bringt ihre Charaktere an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit und darüber hinaus – besser gesagt, sie begleitet sie auf diesem Weg, denn die Geschichte entspringt keineswegs nur ihrer Vorstellungskraft, auch wenn man sich als Leser unweigerlich wünscht, es wäre so.

    Dong-Ho, Jeong-Dae, Eun-Suk, Jin-Su, Seon-Ju und die anderen Protagonisten dieses Buches stehen für die Menschen, die während der Aufstände in der südkoreanischen Stadt Gwangju und der darauf folgenden Massaker verletzt oder getötet wurden, sowie für deren Angehörige und Hinterbliebene. So präsent dieses Kapitel der Geschichte in Südkorea jedoch auch heute noch ist, so wenig wissen die meisten Menschen hierzulande darüber, daher zunächst eine kleine Zusammenfassung:

    In Gwangju fanden im Mai 1980 anfangs friedliche Demonstrationen von Studenten gegen die damals herrschende Militärdiktatur statt. Das Militär reagierte mit äußerst brutaler Gewalt, worauf es zu weiteren Aufständen der Bevölkerung kam, die wiederum ohne Rücksicht auf Menschenleben niedergeschlagen wurden. Soldaten benutzten Bajonette, auch gegen Alte, Kinder und am Protest Unbeteiligte, oder feuerten wahllos in Menschenmengen, woraufhin sich die Aufständischen ebenfalls bewaffneten. Sprach das Militär damals offiziell von 170 Todesopfern und 730 Verhaftungen, geht eine 1988 herausgegebene Broschüre des Hilfswerk Terre des Hommes von über 2.000 Todesopfern aus, was auch andere Quellen unterstützen², während die The May 18 Memorial Foundation von über 3.000 Verhaftungen spricht³.

    Han Kang wurde in Gwangju geboren, ihre Eltern zogen jedoch im Jahr der Aufstände mit ihr nach Seoul. Dennoch verspürte sie stets eine innere Verbundenheit mit dem Geschehenen und besuchte im Alter von neunzehn Jahren das Grab eines Jungen, der als 15-Jähriger während der Massaker getötet wurde und vorher mit seinen Eltern in dem Haus lebte, in dem sie selber bis zu ihrem achten Lebensjahr mit ihren Eltern gewohnt hatte. Dieser Junge ist ein zentraler Charakter in "Menschenwerk".

    Die Autorin schwelgt nicht unnötig in der Darstellung der Gewalt um der Gewalt willen, beschönigt aber auch nichts und schreckt vor nichts zurück. Während manche Charaktere versuchen, ihre Erinnerungen zu verdrängen, erinnern sich andere nur zu deutlich an unmenschliche Folter und Erniedrigung, die darauf angelegt schien, sie jeglicher Menschenwürde zu berauben.

    An dieser Stelle eine eindringliche Triggerwarnung: explizit beschrieben werden Folter, sexuelle Gewalt, drastische Verwundungen und Verstümmelung, zum Teil auch Jugendliche betreffend.

    "In den Trümmern unserer Körper lebte immer noch der Verhörraum aus dem Schicksalssommer."

    Mir raste mehr als einmal das Herz, ich empfand starke Gefühle der Beklemmung, der Wut und der Trauer, gelegentlich wurde mir auch leicht übel. Tatsächlich konnte ich mich kaum davon lösen, es beschäftigte mich mehrere Tage hindurch unentwegt.

    Auch wenn es vielleicht so klingt, bereue ich keineswegs, das Buch gelesen zu haben. Es ist ein wichtiges Buch, das den Menschen, die damals gestorben sind oder schwer traumatisiert überlebt haben, eine Stimme gibt – das aus ihnen mehr macht als eine Statistik oder eine Fußnote der südkoreanischen Geschichte. Die Autorin betont in Interviews, sie wolle diese Menschen auch nicht als Opfer darstellen, denn im koreanischen Verständnis beinhalte das Wort für 'Opfer' automatisch eine Annahme von Schwäche, und diese Menschen seien nicht schwach gewesen.

    In der Tat gelingt ihr, was sie anstrebte: sie schlägt die Brücke von der Gewalt zur Würde.

    Sie zeigt, wozu der Mensch fähig ist, im Guten wie im Schlechten. "Menschenwerk" sind die Folter und die Ermordung Unschuldiger, aber "Menschenwerk" sind auch die Selbstlosigkeit, der Mut und die Entschlossenheit, für das einzustehen, was richtig ist, und im äußersten Fall auch dafür zu sterben.

    Auch der Schreibstil spiegelt diese Kluft wieder. Meist ist er ruhig, manchmal sogar nüchtern, dann wieder poetisch. Die Geschichte wird aus der Sicht verschiedener Personen erzählt, sogar in verschiedenen Erzählperspektiven – mal spricht ein personaler Erzähler in der Ich-Perspektive, mal ein auktorialer in der dritten Person, in manchen Szenen wird der Leser sogar mit "Du" angesprochen, was ihn zwingt, die Rolle eines der Charaktere einzunehmen.

    "Noch bevor der Mann seinen Satz beenden konnte, hast du gesehen, wie sich ein Arm hob. Dann sahst du mit an, wozu Hände, Füße und andere Körperteile imstande waren. Der Mann rief keuchend um Hilfe. Die Angriffe gingen weiter, bis er sich nicht mehr rührte."

    Fazit:
    "Menschenwerk" ist ein wichtiges Buch, ein bewegendes Buch, ein erschütterndes Buch – aber ganz sicher kein leichtes Buch, das man halbherzig nebenher lesen kann.

    In Romanform beschreibt es die Schicksale von Menschen, die auf verschiedenste Arten an den Aufständen in der südkoreanischen Stadt Gwangju im Jahr 1980 beteiligt waren, die in einem wahren Blutbad vom Militär niedergeschlagen worden. Nach all dieser Zeit gibt es ihnen eine Stimme: den Gefolterten, den Getöteten, den Angehörigen.

    Im Rahmen dieser Tragödie beleuchtet Han Kang alle Facetten der Menschlichkeit, von ihren grausamsten Abgründen bis hin zu ihren edelmütigsten Eigenschaften – eben Menschenwerk.

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