Memory: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Memory: Roman' von Alexander Häusser
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Memory: Roman"

Was, wenn der eigene Körper seinen Dienst versagt, wenn man nur noch müde ist? Ein junger Mann will herausfinden, was ihn so verändert hat, dass ihm ein Leben wie bisher nicht mehr möglich ist. Um es zu verstehen, durchforscht er auf Anraten eines Arztes seine Vergangenheit und stößt dabei auf bemerkenswerte Parallelen zwischen dem Gefühl des Ausgebranntseins und den Schicksalen in seiner ­Familie.

Format:Taschenbuch
Seiten:224
Verlag: Pendragon
EAN:9783865328090

Rezensionen zu "Memory: Roman"

  1. Der Schlüssel zur Erinnerung

    Der 35-jährige in Hamburg lebende Ich-Erzähler befindet sich in einer Lebenskrise. Er ist verheiratet, arbeitet in einem Musikgeschäft und ist organisch gesund. Aber trotzdem fühlt er sich alt und elend, leidet an chronischer Müdigkeit und akuter Antriebslosigkeit. Das Verständnis seiner Ehefrau hält sich in Grenzen. Deshalb begibt sich der Betroffene in ärztliche Therapie, wo er gezwungen wird, sich den verdrängten Verletzungen seiner Vergangenheit zu stellen.

    Auf zwei wechselnden Erzählebenen baut sich der Roman auf. Schnell wird deutlich, dass der frühe Tod des Vaters auf die weitere Entwicklung des Sohnes großen Einfluss hatte. Während der Vater um sein Leben rang, schaute die ganze Welt bei der Mondlandung zu, auch der 11-Jährige war fasziniert von den Bildern aus dem All. Die familiären Ereignisse wirken unbewusst in sein ganzes weiteres Leben hinein und werden den „großen Schritt für die Menschheit“ in seiner Erinnerung stets relativieren.

    Die Familie lebte damals nahe der schwäbischen Alb, es gibt zwei Geschwister. Schwester Anne steht dem Protagonisten besonders nah, Bruder Manfred ist bereits weitgehend selbständig. Es werden dramatische Ereignisse in Gang gesetzt, deren Ursache sich dem Kind zunächst nicht komplett erschließen. In der Rückschau ergeben sie jedoch für den erwachsenen Protagonisten (und den Leser) einen Sinn. Wie beim Memoryspiel fügt sich eins zum anderen. Das macht die Spurensuche ungemein interessant. Im Gegensatz zum phlegmatischen Ich-Erzähler ist einem sein 11-jähiges Alter Ego sofort sympathisch. Man empfindet mit dem Jungen mit, dessen Leben aus den Fugen und zwischen zwei Onkel gerät, dem seine Schwester abhanden kommt und der sich in der Schule laufend Geschichten ausdenkt, mit denen er andere unterhält, sich aber auch um Kopf und Kragen redet. Ein sympathischer Kerl – Gemeinsamkeiten mit dem Autor sind wahrscheinlich völlig beabsichtigt.

    Das Buch wird von einer latenten Melancholie durchzogen. Die Trauer des Kindes wird glaubwürdig und sehr menschlich transportiert. Ähnlich leidet auch die 15-jährige Anne, sie magert ab, verliert zunächst ihre Stimme, bald aber noch viel mehr. Manfred mutiert zum Mann im Haus, eine Rolle, für die er viel zu jung ist. Die Mutter bleibt blass, passend zur damaligen Frauenrolle lässt sie sich von Männern dominieren.

    Und dann taucht auch noch ein Foto im Nachlass des Vaters auf, auf dem eine blonde Norwegerin zu sehen ist. Die ohnehin lebhafte Fantasie des Erzählers wird beflügelt... Wir erleben eine Familientragödie, aber auch viele schöne Momente aus dem Leben des Erzählers: der erste Urlaub auf Texel, die Faszination des Meeres, das sexuelle Erwachen, die erste Liebe.

    Sehr organisch wird die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden. Es ergeben sich immer mehr Parallelen und Zusammenhänge. Der erwachsene Erzähler muss zurück an den Ort seiner Wurzeln, denn: „Es hängt mit den Orten zusammen, die Zeit ging mit den Orten verloren und lässt sich durch die Orte wiederfinden.“

    Der Roman ist eine intensive psychologische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die der Ich-Erzähler bereisen muss, um seine aktuelle Krise zu meistern und sich selbst zu verstehen. Man wird schnell in die ruhige Erzählung eingesogen. Immer wieder finden sich schöne Formulierungen. Der Autor schildert bildreich, sensibel und empathisch, seine Figuren wirken absolut authentisch. Er ist ein grandioser Chronist menschlicher Empfindungen.

    Alexander Häusser hat mich bereits mit seinem 2019 erschienenen Roman „Noch alle Zeit“ begeistert, in dem er sich fiktional auf Spurensuche nach (s)einem einst in Norwegen als Soldat stationierten Vater begibt. Die einfühlsame Annäherung an die zwei einsamen Protagonisten sowie die poetische Sprache haben den Roman in meine All-time-Favoritenliste aufsteigen lassen. Wie der Autor in seinem Nachwort schreibt, ist aus dem jungen Ich-Erzähler in „Memory“ der über sechzigjährige Edvard in „Noch alle Zeit“ geworden, dem ich so gerne gefolgt bin.

    Ich möchte beide Romane allen Lesern ans Herz legen, die sich gerne mit menschlichen und familiären Schicksalen auseinander setzen. Die Vergangenheit hat immer auch Auswirkungen auf die Gegenwart. Man muss sich ihr stellen, Verflechtungen verstehen und das eigene Leben in die Hand nehmen. Das gilt nicht nur für Romanfiguren.

    Die überarbeitete Neuauflage des Debüts „Memory“ von Alexander Häusser ist im Mai 2022 im Pendragon Verlag als attraktive Klappenbroschur erschienen.  

    Unbedingt lesen!

    Teilen