Meine Mutter sagt: Roman

Rezensionen zu "Meine Mutter sagt: Roman"

  1. Vom Innen und Außen

    Die Ich-Erzählerin leidet. Darunter, dass ihre Beziehung zu Ende ist. Darunter, dass ihre Mutter sich in ihr Leben einmischt. Wird sie sich und die Liebe wiederfinden?

    Wir lesen in kurzen Episoden aus dem Alltag der Protagonistin, dem was außen passiert, und in sogenannten „Seepferdchenmonologen“, was sie im Inneren bewegt. Auf den ersten Blick wirkt das womöglich unspektakulär, gibt es doch keine dramatische Entwicklung der Handlung.

    Doch die Kleinigkeiten, die feinen Beobachtungen, in zarter Sprache ausgedrückt, sind es, die für mich den Reiz des Buchs ausmachen. „Die orangen Sommersprossen um ihre Nase herum würde ich gern mit dem Kugelschreiber verbinden, um herauszufinden, was für ein Bild auf ihrem Gesicht entstehen würde.“

    Unwillkürlich vergleiche ich mit „Meter pro Sekunde“ und stelle fest, dass mich dieses Debüt der dänischen Autorin mehr für sich vereinnahmt. Leise Töne mit starkem Nachhall!

  1. 3
    16. Jun 2023 

    Amüsantes Romanensemble in schickem Gewand

    Stine Pilgaards Debütroman „Meine Mutter sagt“ gehört eindeutig nicht zum literarischen Einheitsbrei, führt inhaltlich wie auch formelle Besonderheiten in die Romanform ein, bleibt aber leider unterm Strich eher als amüsanter Unterhaltungsroman hängen.

    Die Ich-Erzählerin des Romans, Studentin kurz vor dem Abschluss des Studiums, wurde von ihrer älteren Partnerin verlassen. Warum? Die Partnerin will Kinder, die Erzählerin nicht. Das Problem lag schon länger in der Luft, die Trennung scheinbar unumgänglich. Für die tendenziell eher labile Erzählerin ist dieses Ereignisse jedoch viel zu viel und es wirft sie komplett aus der Bahn. Sie zieht bei ihrem Vater ein, ein größtmöglich toleranter Hippie-Pastoren-Vater, der großer Pink Floyd Fan ist (wird im Roman noch einmal sehr relevant!). Die Mutter, welche schon seit der Kindheit der Protagonistin vom Vater getrennt lebt, oder vielmehr er von ihr, beschallt nun ihre Tochter sowohl mit Ratschlägen aber hauptsächlich eher mit ihren eigenen Bedürfnissen.

    Unterbrochen wird die Handlungsebene, auf welcher es darum geht, dass die Protagonistin ihren Liebeskummer zu überwinden lernt, durch die sogenannten „Seepferdchenmonologe“. Gleich zu Beginn wird ihr nämlich im Gespräch mit ihrem Arzt klar, dass sie durch ihr besonders gutes Gedächtnis, welches über den Hippocampus-Bereich des Gehirns ins Langzeitgedächtnis konsolidiert wird, scheinbar mit den Seepferdchen verwandt ist. In den Monologen lässt die Protagonistin nun immer wieder vermittelt über verschiedene Sinneseindrücke Erinnerungen aus ihren früheren Partnerschaften, Liebeleien, One-Night-Stands und Affären aufleben. Das ist eine interessante Technik, die die Autorin hier anwendet, aber leider verlieren diese Einschübe im Verlauf des Romans an Dringlichkeit und Relevanz, klingen manchmal wie pseudo-philosophische Überlegungen.

    Auf der formellen Ebene fällt auf, dass die Autorin auf jegliche Anführungszeichen verzichtet, obwohl ein überwiegender Anteil des Textes in direkter Rede verfasst ist. Das führt an manchen Stelle dazu, dass es so klingt, als würde der Konjunktiv I verlangt, aber nicht bedient. Soll heißen, es gibt Sätze die identisch mit „Meine Mutter sagt, ich habe dies und jenes gemacht…“ beginnen, aber einmal bedeutet es (aus dem Kontext zu erschließen), dass mit dem „ich“ die Mutter selbst gemeint ist und manchmal mit dem „ich“ die Ich-Erzählerin gemeint ist. Das macht das Lesen gerade zu Beginn sehr holprig. Man gewöhnt sich daran, aber der Sinn und Zweck des Ganzen erschließt sich mir nicht.

    So fällt zwar der Roman in Bezug auf die große Masse der unterhaltenden Literatur formell auf, kann aber seine inhaltlichen Themen nicht langfristig platzieren. Denn schlussendlich bleibt nach der Lektüre wenig vom Roman hängen. Die ein oder andere Situationskomik gibt es auf jeden Fall und man kann gut schmunzeln, aber inhaltlich verläuft sich das Ganze zum Ende hin. Zunächst bekommen wir über weite Strecken den juvenilen Weltschmerz der Protagonistin mit, der eine recht einfache Auflösung erfährt. Wirklich interessant am Buch ist weniger die Erzählerin als die skurrilen Nebenfiguren, die mit ihren Eigenarten immer wieder für Amüsement sorgen. So finden wir heraus, dass die Mutter es mit der Wahrheit nicht so eng sieht und deshalb das, was sie laut Titel des Buches sagt, auch häufig auf die eigenen Bedürfnisse zurechtgebogen sein kann.

    Es handelt sich hier um ein durchaus kurzweiliges Buch, welches sich trotz der anfänglichen Eingewöhnungszeit gut lesen lässt, aber leider darüber hinaus nicht lange hängen bleiben wird. Besonders hervorheben möchte ich die liebevolle Gestaltung des Buches, welche dem Kanon Verlag ganz hervorragend gelungen ist. Das lässt das bibliophile Herz höher schlagen.

    3,5/5 Sterne

  1. 4
    25. Feb 2023 

    Seepferdchen-Monologe und mehr...

    Nachdem die Ich-Erzählerin von ihrer langjährigen Freundin verlassen wird, muss sie zurück zu ihrem Vater ziehen, einem Pfarrer und Pink-Floyd-Fan. Während sie auf ebenso komische wie verzweifelte Art versucht, ihre Ex zurückzugewinnen, wird sie von Freunden und Familie mit Ratschlägen traktiert. Vor allem ihre Mutter bedrängt sie mit zweifelhaften Lebensweisheiten. Doch allmählich lernt sie, zu trauern, ihre inneren Widersprüche zu akzeptieren, laut, betrunken und auf ihre eigene Art weise zu sein. (Klappentext)

    Zugegeben, ich habe mich nur zögernd an die Lektüre des nun auch auf Deutsch erschienenen Debüts von Stine Pilgaard gewagt, weil mir "Meter pro Sekunde" seinerzeit so gar nicht gefallen hat. Letzteres war mir zu langatmig, experimentell, unzusammenhängend - da überwog bei mir über weite Strecken die Langeweile. Gut gefallen haben mir damals allerdings die schrägen Charaktere, allen voran die Ich-Erzählerin.

    Auch in diesem Roman gibt es eine Ich-Erzählerin, diesmal allerdings auch eine deutlich zusammenhängendere Erzählung, nur regelmäßig unterbrochen von den "Seepferdchen-Monologen". Diese leiten sich vom Hippocampus ab, einem Hirnareal, das die Form eines Seepferdchens hat und das für das bewusste Abspeichern und Abrufen von Erinnerungen zuständig ist. Tatsächlich ergießen sich in diesen Monologen zahllose Erinnerungen der Ich-Erzählerin zu verflossenen Liebhaberinnen, oftmals in Form einer freien Assoziationskette. Hierbei ergaben sich für mich zumindest stellenweise wieder die gefürchteten Längen, aber im Gesamtzusammenhang fielen diese diesmal nicht so sehr ins Gewicht.

    Ansonsten erzählt der Roman vom aktuellen Liebeskummer der jungen Frau, die von ihrer langjährigen Freundin verlassen wurde. Sie trauert ihr nicht nur hinterher, sondern versucht auch, sie wieder zurückzugewinnen - und ertränkt ihren Kummer vorzugsweise im Alkohol. Familie und Freund:innen begleiten sie in diesem Prozess, wobei sich so manch unterhaltsamer und intelligenter Dialog entspinnt.

    Die Charaktere in dieser Erzählung sind wieder reichlich schräg, allen voran die Ich-Erzählerin und ihre Mutter. "Meine Mutter sagt" ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn diese hat ihrer Tochter viel zu sagen. Wie immer schon. Die Ich-Erzählerin versucht in Deckung zu gehen, was ihr aber nur unzureichend gelingt. Auch wenn die Mutter mir im wahren Leben wohl zu "drüber" wäre, mochte ich sie hier irgendwie - sie ist in der kreativen Ausgestaltung von vermeintlich klaren Situationen einfach nicht zu toppen. Am sympathischsten war mir der Vater der Ich-Erzählerin, ein Pfarrer, der nun zum dritten Mal verheiratet einfach irgendwie zu gut für die Welt ist und seiner Tochter einfach nichts abschlagen kann.

    Ich mochte den trockenen Humor, der sich hier trotz des Liebeskummers immer wieder Bahn bricht, die menschliche Wärme, die allem schrägen Umgang miteinander zum Trotz die Oberhand behält, und den versierten Umgang mit der Sprache, die hier allen Mitwirkenden zu eigen ist.

    Ein leiser Roman, der mich überraschen konnte und den ich gerne gelesen habe...

    © Parden

  1. Wunden lecken und Krone richten...

    Ich wollte dieses Buch unbedingt lesen, weil es um Liebeskummer in einer homosexuellen Beziehung geht und ich wurde belohnt.

    Auch wenn es vielleicht sehr dramatisch daherkommt sich so fallen zu lassen in die Trauer, so habe ich die Ich- Erzählerin doch enorm verstanden. Jeder geht mit Verlusten anders um und muss seinen Weg finden das Verlorene zu verarbeiten. Das in sich Schauen trauen sich denke ich die Wenigsten und mittels dieses Romans zu zeigen, dass das enorm wichtig ist, finde ich sehr stark.

    Die Ratschläge der Umwelt sind natürlich herrlich, aber wie immer nicht wirklich hilfreich in der Situation.

    Mir gefiel vor allem der kurze, knackige Schreibstil. Fast hat man das Gefühl etwas durch die Handlung geprügelt zu werden.

    Etwas schade fand ich, dass ich mich in der dänischen Literatur und Kultur nicht auskenne, denn die Erwähnungen und Verweise sind für Kenner gewiss noch ein Mehrwert beim Lesen.

    Fazit: Unterhaltsam und gelungen. Klare Leseempfehlung!

  1. Das Leben ändert sich - kein Grund für Selbstmitleid!

    „Meine Mutter findet, da ich jetzt Urlaub habe, sollte ich in ihr Sommerhaus kommen.“So beginnt das erste Kapitel, und dieses erste Kapitel zeigt schon das familiäre Miteinander der Ich-Erzählerin. Da ist eine Mutter, die die Tochter mit vielen unerbetenen Ratschlägen überhäuft und die sich bemüht, das Studium und allgemein das Leben ihrer Tochter wieder ins Gleis zu bringen. Die Ich-Erzählerin begegnet uns nämlich am Anfang als tief verletzte, entwurzelte junge Frau: ihre Lebensgefährtin hat sie vor die Tür gesetzt. Sie findet Unterschlupf bei ihrem Vater, einem Pfarrer, der für Pink Floyd schwärmt und im Unterschied zur Mutter von Belehrungen absieht. Im Gegenteil: die Ich-Erzählerin freundet sich mit seiner neuen Frau an und entwirft mit ihr spielerische Zukunftspläne. Alle Figuren dieses kleinen Romans werden uns als teilweise schrullige, aber liebenswerte und lebensechte Typen vorgestellt, keine der Figuren wird bewertet, und dieser freundliche Blick der Autorin auf ihre Mitmenschen macht die Lektüre zu einem Vergnügen.

    Das Buch ist originell aufgebaut. Auf wenige kurze erzählende Kapitel folgt ein sog. Seepferdchen-Monolog. Wieso Seepferdchen? Ein Teil des Gehirns ähnelt einem Seepferdchen, lat. Hippocampus, und dieser Hippocampus überführt die Erinnerungen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis. In diesen Seepferdchen-Monologen geht es daher um die langfristigen Erinnerungen der Protagonistin. Sie reihen sich oft assoziativ in die Erzählung ein und öffnen dem Leser das Innere der Ich-Erzählerin: sprachlich wunderschöne Monologe, in denen man versinken kann.

    Überhaupt ist es die Sprache, die den Roman zu einem besonderen Lesevergnügen macht. Schon im 1. Kapitel zeigt sich der besondere Sprachwitz, wenn es z. B. darum geht, ob eine Krabbe ein Schalentier oder ein Kriechtier ist; kriecht die Krabbe oder schalt sie? Stine Pilgaard spielt in einer unglaublich frischen Weise mit der Sprache. und so ist es auch die Sprache, mit der sie alltägliche Situationen gleichsam seziert, und es ist die Sprache, die die Kommunikation zwischen den Figuren letztlich gelingen lässt. Wie tröstlich! Gleichzeitig gelingt der Autorin damit auch der Spagat zu tiefernsten Themen wie der Vereinzelung des Menschen und der Angst vor dem Allein-Sein – und schließlich der überbordenden Freude über eine neue Liebe.
    Ein wunderbares Buch!